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Galeriebericht<br />

Schießen Sie auf den<br />

Fotografen!<br />

Mit der Ausstellung »Shoots« hat uns c/o<br />

Berlin einiges zugemutet. Die begrifflichen<br />

Parallelen der Fotografie zur Waffe<br />

sind zwar vertraut, aber heute, wo doch<br />

Pazifismus Ehrensache ist, kann man<br />

nicht ohne ein sehr ungutes Gefühl<br />

Fotos von auf sich gerichteten Schießeisen<br />

betrachten, mit einem grimmig zielenden<br />

Konterfei dazu. Dieses ungute<br />

Gefühl ist den Begleiterinnen der ballernden<br />

Männer von damals schon<br />

anzusehen. Jean-Paul Sartre lässt 1929<br />

allerdings Simone Beauvoir ballern und<br />

schaut gelassen zu, mit der unvermeidlichen<br />

Pfeife im Mundwinkel.<br />

Vor 70 Jahren konnte der Heering-<br />

Verlag noch ein populäres Lehrbuch<br />

betiteln: »Kleinbildjagd auf Dinge und<br />

Menschen«. Der Schnappschuss ist in<br />

Verruf gekommen. Er kollidiert mit dem<br />

Recht am eigenen Bild. Kaum einer traut<br />

sich noch, spontan ein Stück Leben festzuhalten<br />

oder gar zu veröffentlichen.<br />

Um so kostbarer sind uns die »Schüsse«<br />

der Meister des moment décisif, des entscheidenden<br />

Augenblicks, die mit Henri<br />

Cartier-Bresson sagen: »Photographieren<br />

heißt den Atem anhalten, wenn sich<br />

angesichts der flüchtigen Wirklichkeit<br />

alle unsere Fähigkeiten vereinigen. Das<br />

Einfangen des Bildes in diesem Augenblick<br />

bereitet physische und geistige<br />

Freude. Photographie ist eine Möglichkeit<br />

zu schreien, sich zu befreien, sie ist<br />

eine Art zu leben«.<br />

Diese Freude überträgt sich auf den<br />

Betrachter, der die ungestellten Szenen<br />

nach eigenem Gusto deuten kann.<br />

Einer, der auch heute scheinbar bedenkenlos<br />

draufdrückt, ist Boris Mikhailov.<br />

Aber er misstraut dem Einzelbild, arbeitet<br />

in wilden Serien, die in bunter Reihe<br />

als Street-Panorama die hellen Wände<br />

der großen Galerie Barbara Weiss<br />

säumen, nahe der Kottbusser Brücke.<br />

Mitten im Berliner »Istanbul« erzählt<br />

er vom gesellschaftlichen Umbruch in<br />

seiner ukrainischen Heimat, in Kiew<br />

und Charkow, und ist dabei nicht zimperlich<br />

in der Wahl der Motive. Sein<br />

Stil wandelt sich mit den Verhältnis-<br />

36 <strong>brennpunkt</strong> 3/<strong>2011</strong><br />

© Boris Mikhailov<br />

© Fritz Eschen<br />

sen. Die älteren SW-Arbeiten sind poetischer,<br />

weniger zufällig. Boris ist brutaler<br />

geworden.<br />

Das zwanzigste ist das Jahrhundert<br />

der großen erzählenden Bildreportagen,<br />

denen zwar Film und Fernsehen<br />

den Rang abgelaufen haben, ohne<br />

sie jedoch zu erreichen in eindringlicher<br />

und nachhaltiger Zeugenschaft.<br />

Die neuen Medien, das Internet zumal,<br />

kommen bewegter daher, oft auch<br />

bewegender, aber ihr Informationswert<br />

verfliegt allzu schnell. Wenn wir<br />

im Willy-Brandt-Haus dem Lebenswerk<br />

des israelischen Fotografen Micha Bar-<br />

Am gegenüberstehen, der 81-jährige<br />

war zur Eröffnung anwesend, werden<br />

wir hineingezogen in das dramatische<br />

Schicksal der Menschen im jungen Staat<br />

Israel, wie sie der Wüste Boden abringen<br />

für die Landwirtschaft, Städte gründen,<br />

Not und Krieg erleiden, Leid zufügen.<br />

Auch das Leben der Araber in den<br />

Grenzregionen stellt Bar-Am dar, und<br />

die Hoffnungen der Einwanderer, die<br />

kleinen Glücksmomente in ständiger<br />

Bedrohung. Er kehrt mit dieser Ausstellung<br />

in seine Geburtsstadt zurück, die<br />

er 1936 verlassen musste.<br />

Was von dieser Stadt nach dem 2. Weltkrieg<br />

übrig war, zeigte uns c/o Berlin<br />

mit der erschütternden Bestandsaufnahme<br />

in hoher fotografischer Qualität<br />

von Fritz Eschen. Der von den Nazis verfolgte<br />

Chronist hatte einen distanzierten<br />

Blick auf das wieder aufkeimende Leben<br />

in den Ruinen, mit Sinn für das Skurrile,<br />

Hintergründige, was sich nicht immer<br />

sofort erschließt. Das spricht sehr an.<br />

Sein Sohn Klaus Eschen, selbst Fotograf<br />

(und Rechtsanwalt) pflegt das Andenken.<br />

Es ist ein kaum fassbares Wunder, dass<br />

sich eine Stadt, ein Land, nach einer solchen<br />

Katastrophe jemals erholen konnte.<br />

Die Kultur hatte viel Anteil daran. Schon<br />

im Juli 1945 gaben die Berliner Philharmoniker<br />

wieder ein Konzert, unter Wilhelm<br />

Furtwängler. Ihn und 99 andere<br />

kluge Köpfe hatte Fritz Eschen im Laufe<br />

von 25 Jahren ganz zauberhaft porträtiert,<br />

oft in ihrem beruflichen Umfeld.<br />

Bei Ullstein erschien 1956 ein schöner<br />

Bildband, der noch heute zu meinen<br />

Lieblingsbüchern gehört. Friedrich Luft<br />

zitiert im Vorwort Lichtenberg: »Des<br />

Menschen Antlitz ist die lebendigste,<br />

die tiefste, die erregendste Landschaft<br />

der Erdoberfläche«.<br />

Das mag der Grund sein für Birgit Kleber,<br />

sich ganz auf das Gesicht zu konzentrie-

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