Marzouki - Universität Passau
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Professur für Internationale Politik, <strong>Universität</strong> <strong>Passau</strong><br />
Deutsch-arabische Forschungsgruppe „Tunesien im Wandel“<br />
Presseschau November 2013<br />
von Johanna Speyer *<br />
Zusammenarbeit, Zusagen, Zuversicht:<br />
Zum Deutschlandbesuch des tunesischen Präsidenten<br />
Moncef <strong>Marzouki</strong> im März 2013<br />
Am 20. und 21. März 2013 besuchte der tunesische Präsident Moncef <strong>Marzouki</strong> auf Einladung von<br />
Bundespräsident Joachim Gauck die Bundesrepublik Deutschland. Dabei sprach er in Berlin mit dem<br />
deutschen Staatsoberhaupt, sowie mit Kanzlerin Angela Merkel und Bundestagspräsident Norbert<br />
Lammert. Zudem hielt er vor geladenen Gästen der Körber Stiftung einen Vortrag über die derzeitige<br />
Lage in seinem Land. Zum Abschluss seines Besuches traf er Ministerpräsident Seehofer in München.<br />
Die deutsche Presse widmete sich nur in begrenztem Umfang dem Besuch und konzentrierte sich<br />
insbesondere auf die Rede <strong>Marzouki</strong>s bei der Körber Stiftung. Die Gespräche mit Merkel und<br />
Lammert spielen nur in den jeweiligen Pressemeldungen des Bundeskanzleramts und des Bundestags<br />
eine zentrale Rolle. Insgesamt ist die Berichterstattung sehr<br />
wohlwollend und positiv.<br />
Gespräche mit Merkel und Lammert<br />
Der Titel der Pressemitteilung des Kanzleramts ist Programm:<br />
„Demokratie in Tunesien stärken“. Sie betont die intensive<br />
politische und wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen<br />
Die Leute wissen, dass wir keine Wunder<br />
vollbringen, aber sie können sehen, dass wir<br />
jeden Tag daran arbeiten. Deswegen habe<br />
ich keine Angst vor einer neuen Revolution.<br />
(M. <strong>Marzouki</strong>)<br />
Deutschland und Tunesien im Rahmen der 2012 geschlossenen Transformationspartnerschaft.<br />
Deutschland wird als traditionell wichtiger Partner Tunesiens dargestellt, der Tunesien nun in über<br />
100 Projekten beim Demokratieaufbau, den wirtschaftlichen Schwierigkeiten, sowie der Bildung und<br />
der Festigung der Zivilgesellschaft unter die Arme greift. Als Partner dienen hierbei unter anderem<br />
die politischen Stiftungen, die deutsch-tunesische Handelskammer und die Deutsche Welle. Ergänzt<br />
wird die deutsche Unterstützung durch Programme der EU und der G8. <strong>Marzouki</strong> dankte<br />
insbesondere für die Umwandlung von 60 Millionen Euro tunesischer Schulden – ein einmaliges<br />
Entgegenkommen, das ihm kein anderer Staat gezeigt habe. Norbert Lammert begründete die<br />
deutsche Sympathie für Tunesien damit, dass Deutschland selbst eine komplexe<br />
Demokratiegeschichte hinter sich habe, und die Herausforderungen kenne. <strong>Marzouki</strong> bezeichnete die<br />
* Johanna Speyer ist Projektassistentin von „Tunesien im Wandel“. Sie studiert Staatswissenschaften an der<br />
<strong>Universität</strong> <strong>Passau</strong>.<br />
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Jasmin-Revolution als ein „Nachbeben des Falls der Berliner Mauer“, lobte Deutschland als wichtigste<br />
europäische Freunde und versicherte, den Weg zur Demokratie trotz Rückschlägen konsequent<br />
weiter zu gehen. Er drückte seine Zuversicht aus, dass die tunesische Transition als ein positives<br />
Beispiel in die Region ausstrahlen könnte.<br />
Insgesamt muten die beiden Pressemeldungen als die typischen Zeugen eines Staatsbesuchs an. Sie<br />
unterstreichen den deutschen Einsatz und Vermeiden jegliche Missklänge, die die Harmonie stören<br />
könnten. So findet die Ermordung des Oppositionspolitikers Chokri Belaid, die <strong>Marzouki</strong>s Besuch<br />
voraus ging und große Protestwellen in Tunesien auslöste ebenso wenig Erwähnung, wie die<br />
Bedrohung Tunesiens durch islamistische Kämpfer, die durch die Krisen in Mali und Libyen an Waffen<br />
gekommen sind und die Sahara als ihr Rückzugsgebiet nutzen.<br />
»Portugal hat acht Jahre für die Demokratisierung gebraucht, die<br />
Spanier drei, wir machen es in zwei«<br />
Auf die Ermordung Belaids geht die Süddeutsche Zeitung (SZ), die<br />
den Besuch <strong>Marzouki</strong>s mit zwei Artikeln und einem Interview<br />
begleitete, durchaus ein. Im Sinne <strong>Marzouki</strong>s wird dieser zwar als<br />
ein Rückschlag und eine Herausforderung wahrgenommen,<br />
Tunesien insgesamt sei aber auf einem guten Weg. Neben der SZ<br />
finden sich im Tagesspiegel und bei der Deutschen Welle ein<br />
Artikel und ein Interview zur Deutschlandreise des tunesischen Staatsoberhaupts. Die Frankfurter<br />
Allgemeine Zeitung beschränkt sich auf die Wiedergabe einer kurzen Agenturmeldung, ebenso wie<br />
einige regionale Zeitungen (zB. die Stuttgarter Zeitung). Die Bild-<br />
Zeitung tut dies sogar nur in Bezug auf <strong>Marzouki</strong>s Besuch in Bayern,<br />
der in den übrigen Zeitungen wiederrum keine Erwähnung findet.<br />
Ennahda war so klug, nicht auf dem<br />
Scharia-Bezug in der Verfassung zu<br />
beharren. Sie haben akzeptiert, dass<br />
Menschenrechte in der Verfassung<br />
garantiert werden müssen. Auf der<br />
anderen Seite haben die Säkularen<br />
akzeptiert, dass Tunesien eine<br />
muslimische Gesellschaft ist. Es ist<br />
ein Konsens der Verantwortung.<br />
(M. <strong>Marzouki</strong>)<br />
Die SZ sowie der Tagesspiegel zeigen sich sehr beeindruckt von<br />
<strong>Marzouki</strong>s Auftritt bei der Körber Stiftung, bei dem <strong>Marzouki</strong> frei<br />
und „von Herzen“ sprach, offen auf Rückfragen antwortete und<br />
zeitlich deutlich überzog. Die SZ stellt sein Verhalten insbesondere<br />
in Gegensatz zu dem des ägyptischen Präsidenten Mursi, der einige<br />
Zeit zuvor ebenfalls bei der Körber Stiftung gesprochen hatte.<br />
Dieser hatte nur widerwillig und mürrisch auf wenige Fragen<br />
geantwortet und sich jegliche kritischen Anmerkungen verbeten. SZ<br />
und Tagesspiegel stellen die sympathische Art <strong>Marzouki</strong>s heraus<br />
und nehmen ihm dadurch seine Aussagen recht unkritisch ab. Dies hängt auch damit zusammen, dass<br />
<strong>Marzouki</strong>s Äußerungen über den Islamismus und die Demokratie in Deutschland offenbar gut<br />
ankommen. <strong>Marzouki</strong> präsentiert sich als ein Präsident, der den Islamismus als Herausforderung<br />
wahrnimmt und einen islamischen Staat entschieden ablehnt. Der Salafismus, der sich auch gegen<br />
die bürgerlich islamistische Regierungspartei Ennahda formiere, sei in erster Linie ein soziales, aus<br />
der Armut geborenes Problem. Dementsprechend sieht <strong>Marzouki</strong> in den cleavages zwischen arm und<br />
reich, sowie westlich und konservativ die zentralen Herausforderungen der tunesischen Transition.<br />
Nach dem Sturz Ben Alis seien Korruption und Angst verschwunden, die Armut sei geblieben.<br />
Tunesien sei heute „zwei Länder in einem“: die arme, konservative<br />
rurale Bevölkerung und die westlich orientierte, reiche<br />
Stadtbevölkerung. Diese Gruppen gelte es in einer Konsensdemokratie<br />
zusammenzubringen, ebenso wie derzeit die drei Regierungsparteien,<br />
zwei säkulare und eine islamistische, konsensorientiert an der neuen<br />
Verfassung arbeiteten. <strong>Marzouki</strong>, und mit ihm die deutschen Zeitungen,<br />
Hinter der Salafisten-Bewegung steckt<br />
ein soziales Problem, verborgen hinter<br />
einer religiösen Maske. Wer sie auf das<br />
religiöse Thema reduziert, der hat<br />
nichts verstanden<br />
(M. <strong>Marzouki</strong>)<br />
Ein religiöser Staat kann nur<br />
diktatorisch sein, egal in welche<br />
Form der Diktatur er sich kleidet.<br />
(M. <strong>Marzouki</strong>)<br />
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zeigen sich in Bezug auf diese Verfassung sehr optimistisch. Im Herbst 2013 könnten auf ihrer Basis<br />
bereits Neuwahlen durchgeführt werden.<br />
Aus heutiger Sicht muss diese Ansicht als zu optimistisch eingestuft werden. Ein dreiviertel Jahr nach<br />
<strong>Marzouki</strong>s Besuch haben in Tunesien keine Neuwahlen stattgefunden und die Fertigstellung der<br />
Verfassung ist nicht absehbar. Ein weiterer Oppositionspolitiker wurde ermordet und ein<br />
Selbstmordattentäter zündete seine Bombe an einem Strand von Sousse. Ein weiterer Anschlag in<br />
Monastir konnte von der Polizei verhindert werden. Tunesien steht nicht nur innenpolitisch, sondern<br />
auch sicherheitspolitisch vor enormen Herausforderungen, die durch das Chaos im Nachbarland<br />
Libyen und den Krieg in Mali weiter befeuert werden. Man möchte dem tunesischen Präsidenten<br />
glauben, dass das Land auf dem richtigen Weg ist und kurz vor der Vollendung seiner Transition<br />
steht, die zahlreichen Rückschläge deuten allerdings eher darauf hin, dass sich der Prozess noch<br />
schmerzhaft in die Länge ziehen könnte. Bei allem Lob des deutschen Engagements für das<br />
Ursprungsland des arabischen Frühlings und bei aller Sympathie und Mitgefühl sollten seine<br />
Schwierigkeiten nicht in der Begeisterung über die Transition des Landes untergehen.<br />
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Ausgewertete Artikel<br />
Pressemitteilung Bundeskanzleramt ....................................................................................................... 5<br />
Pressemitteilung Dt. Bundestag .............................................................................................................. 6<br />
Pressemitteilung der Bayrischen Staatskanzlei ....................................................................................... 7<br />
Süddeutsche Zeitung ............................................................................................................................... 8<br />
Tagesspiegel .......................................................................................................................................... 12<br />
FAZ ......................................................................................................................................................... 14<br />
Bild.de .................................................................................................................................................... 14<br />
Stuttgarter Zeitung ................................................................................................................................ 14<br />
Deutsche Welle ..................................................................................................................................... 15<br />
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Pressemitteilung Bundeskanzleramt<br />
Deutschland/Tunesien<br />
Demokratie in Tunesien stärken<br />
Beim Besuch des tunesischen Präsidenten Moncef <strong>Marzouki</strong> in Berlin stand die Zusammenarbeit<br />
zwischen Deutschland und Tunesien im Mittelpunkt. Deutschland unterstützt mit einer<br />
Transformationspartnerschaft das nordafrikanische Land dabei, wichtige Reformprozesse<br />
durchzuführen.<br />
Bundeskanzlerin Angela Merkel hat den tunesischen Präsidenten zu einem Gespräch im Kanzleramt<br />
empfangen. Themen des Gesprächs waren die gegenwärtige politische und wirtschaftliche<br />
Entwicklung Tunesiens. Zudem erörterten sie die deutsch-tunesische Transformationspartnerschaft.<br />
Deutschland wird auch weiterhin zur Stärkung der Demokratie in Tunesien beitragen.<br />
Dafür arbeitet die Bundesregierung vor Ort mit vielen Partnern zusammen, unter anderem mit<br />
politischen Stiftungen, mit der Deutsch-Tunesischen Handelskammer und der Deutschen Welle. Auch<br />
die Europäische Union und die G8 unterstützen die demokratische Entwicklung Tunesiens.<br />
Dem tunesischen Volk zur Seite stehen<br />
Die Bundeskanzlerin ermutigte Tunesien, trotz aller Rückschläge den Weg des demokratischen<br />
Wandels weiter zu gehen. Deutschland sei ein verlässlicher Partner und werde dem tunesischen Volk<br />
weiterhin zur Seite stehen.<br />
Deutschland unterstütze mit der Transformationspartnerschaft den politischen und wirtschaftlichen<br />
Wandel in Tunesien. Bereits 100 Projekte seien umgesetzt worden, ein Großteil im Bereich<br />
Beschäftigung und Ausbildung. Besonders die seit September 2012 stattfindenden Konsultationen<br />
der Staatssekretäre seien ein hervorragendes Instrument für die Zusammenarbeit.<br />
Tunesien sei das einzige Land in Nordafrika, mit dem Deutschland einen so intensiven und vielfältigen<br />
Austausch pflege.<br />
Dank für deutsche Unterstützung<br />
<strong>Marzouki</strong> sagte, er sei erfreut über die intensivierten bilateralen Beziehungen, die weiter vertieft<br />
werden sollen. Deutschland sei ein wichtiger Partner für Tunesien. Er bedankte sich im Namen des<br />
tunesischen Volkes für die deutsche Unterstützung. Insbesondere die Schuldenumwandlung von 60<br />
Millionen Euro sei einzigartig. Kein anderes Land habe einen solchen Beitrag geleistet.<br />
<strong>Marzouki</strong> folgte einer Einladung von Bundespräsident Joachim Gauck. Das tunesische<br />
Staatsoberhaupt traf außerdem mit Außenminister Guido Westerwelle und dem Präsidenten des<br />
Bundestages, Norbert Lammert, zusammen.<br />
Die Bundeskanzlerin sprach erneut eine Einladung an den neuen Regierungschef Ali Larayedh aus.<br />
Transformationspartnerschaft<br />
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Im Januar 2012 hat der deutsche Außenminister in Tunis eine "Gemeinsame Absichtserklärung"<br />
unterzeichnet. Deren Ziel ist es, mit konkreten Projekten zur Stärkung von Demokratie,<br />
Rechtsstaatlichkeit, Medien und Zivilgesellschaft beizutragen. Aber auch Berufsbildung und<br />
Beschäftigungsförderung sowie die Zusammenarbeit im Kultur- und Bildungsbereich spielen eine<br />
wichtige Rolle.<br />
Das Auswärtige Amt stellt für die Transformationsprozesse in Nordafrika im Zeitraum 2012/2013 100<br />
Millionen Euro zur Verfügung. Über die Hälfte dieser Mittel kommt Tunesien zugute.<br />
(Freitag, 22. März 2013)<br />
Quelle: http://www.bundeskanzlerin.de/Content/DE/Artikel/2013/03/2013-03-21-tunesischerpraesident-in-berlin.html;jsessionid=A542F17E675F6FA5F230BC912EA03D55.s4t2<br />
(Zugriff: 24.03.2013)<br />
Pressemitteilung Dt. Bundestag<br />
Bundestagspräsident Lammert sichert Tunesiens Präsident<br />
<strong>Marzouki</strong> weitere Unterstützung zu<br />
Bundestagspräsident Norbert Lammert hat Tunesien die weitere Unterstützung des Deutschen<br />
Bundestages beim Aufbau der Demokratie zugesagt. In einem Gespräch mit dem tunesischen<br />
Staatspräsidenten Moncef <strong>Marzouki</strong> im Bundestag würdigte Lammert, dass die traditionell engen<br />
und guten Beziehungen beider Länder durch die jüngeren Entwicklungen eine neue Perspektive<br />
gewonnen hätten. Mit großer Sympathie verfolgten die Deutschen den Transformationsprozess in<br />
Tunesien. Gerade in Deutschland mit seiner komplexen Demokratiegeschichte wisse man, dass es<br />
keinen Standardweg zur Demokratie gebe, betonte der Bundestagspräsident.<br />
Staatspräsident <strong>Marzouki</strong> bezeichnete die Jasmin-Revolution in Tunesien als „Nachbeben“ des Falls<br />
der Berliner Mauer von 1989, den die Menschen in seinem Land tief bewegt verfolgt hätten. Seit<br />
dem Beginn der Revolution mit dem Sturz des Diktators Ben Ali vor über zwei Jahren wüssten die<br />
Tunesier, dass die Deutschen ihre wichtigsten Freunde in Europa seien. <strong>Marzouki</strong> versicherte, der<br />
demokratische Weg Tunesien werde bald an sein Ziel kommen. Trotz schwieriger<br />
Rahmenbedingungen im In- und Ausland werde man den eingeschlagenen Weg zur Demokratie<br />
konsequent weitergehen.<br />
Lammert und <strong>Marzouki</strong> waren sich einig, dass der Erfolg des tunesischen Transformationsprozesses<br />
positive Auswirkungen auch auf andere Staaten in der Region haben würde. Bei seinen Erläuterungen<br />
des Weges zu einer demokratischen Verfassung verwies der tunesische Staatspräsident zugleich auf<br />
die Gefahren während des Übergangs zur Demokratie. Hauptziel des Reformprozesses sei es, eine<br />
neue Diktatur in Tunesien abzuwenden.<br />
Quelle: http://www.bundestag.de/presse/pressemitteilungen/2013/pm_1303213.html<br />
(Zugriff : 24.03.2013)<br />
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Pressemitteilung der Bayrischen Staatskanzlei<br />
Ministerpräsident Seehofer empfängt den tunesischen Präsidenten Bedoui-<strong>Marzouki</strong> / Seehofer:<br />
„Beziehungen zu Tunesien sind einer der Schwerpunkte der internationalen Beziehungen des<br />
Freistaats“<br />
Der Freistaat Bayern und die Republik Tunesien werden ihre Zusammenarbeit weiter ausbauen. Das<br />
ist das Ergebnis eines Gesprächs, zu dem Ministerpräsident Horst Seehofer heute den tunesischen<br />
Staatspräsidenten Moncef Ben Mohamed Bedoui-<strong>Marzouki</strong> in München empfangen hat. Seehofer:<br />
„Bayern ist nach dem Umbruch in Tunesien zu einer aktiven und engen Zusammenarbeit bereit. Nach<br />
dem Beginn des Arabischen Frühlings in Tunesien vor zwei Jahren haben die bayerisch-tunesischen<br />
Beziehungen eine ganz neue Qualität gewonnen. Der Freistaat hat die tunesische Anfrage für eine<br />
aktive und enge Zusammenarbeit gerne aufgegriffen. Im vergangenen Jahr hat die Bayerische<br />
Staatsregierung die Beziehungen zu Tunesien offiziell zu einem der Schwerpunkte der<br />
internationalen Beziehungen des Freistaats Bayern gemacht. Mit den 29 Projekten des im Dezember<br />
vereinarten bayerisch-tunesischen Aktionsplans ist unsere Zusammenarbeit jetzt in die konkrete<br />
Projektphase eingetreten.“<br />
Nach den Worten des Ministerpräsidenten will Bayern Tunesien insbesondere dabei unterstützen,<br />
den Erfolg des demokratischen Übergangs in dem nordafrikanischen Land zu sichern. „Tunesien ist<br />
bei seinen Herausforderungen nicht allein. Ich wünsche den Tunesiern Mut und Entschlossenheit,<br />
den Weg der Demokratisierung unbeirrt und trotz mancher Rückschläge weiter zu gehen. Präsident<br />
<strong>Marzouki</strong> besitzt diesen Mut und diese Entschlossenheit – das hat mich sehr beeindruckt“, so<br />
Ministerpräsident Seehofer.<br />
Die bayerisch-tunesischen Beziehungen sind bereits heute von erheblicher Bedeutung. So belief sich<br />
das gemeinsame Handelsvolumen im Jahr 2012 auf über 870 Millionen Euro. Über 450 bayerische<br />
Firmen unterhalten Geschäftsbeziehungen mit dem nordafrikanischen Land. Auch im<br />
Wissenschaftsbereich gibt es rege Kontakte. So existieren zwischen Bayern und Tunesien bereits<br />
heute fünf Hochschulpartnerschaften. Die Bayerische Staatsregierung hat im Juli 2012 Eckpunkte für<br />
die Unterstützung des tunesischen Übergangsprozesses beschlossen und dabei den hohen<br />
Stellenwert der bayerisch-tunesischen Zusammenarbeit für die internationalen Beziehungen des<br />
Freistaats Bayern unterstrichen. Im vergangenen Dezember haben der Freistaat und Tunesien eine<br />
gemeinsame Kooperationsvereinbarung unterzeichnet. In einem gleichzeitig beschlossenen<br />
konkreten Aktionsplan wurden 29 Projekte und spezifische Kooperationsgebiete für die<br />
Zusammenarbeit in den nächsten zwei Jahren festgehalten. Die vereinbarten Projekte erstrecken sich<br />
unter anderem von den Bereichen Wirtschaft, berufliche Bildung und Umwelt über Zivil- und<br />
Katastrophenschutz bis zu den Themen Justizwesen und Verfassungsrecht sowie Zivilgesellschaft und<br />
Rolle der Frauen in der Gesellschaft.<br />
(22.03.13)<br />
Quelle: http://www.bayern.de/Pressemitteilungen-.1255.10428433/index.htm<br />
(Zugriff : 24.03.2013)<br />
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Süddeutsche Zeitung<br />
Besuch mit Karacho<br />
Tunesiens Präsident <strong>Marzouki</strong> redet in Berlin<br />
Berlin – Wann gilt eine Revolution als gescheitert, wann war sie erfolgreich? Wie lernen ehemalige<br />
Diktaturen Demokratie? Tunesiens Präsident Moncef <strong>Marzouki</strong> hatte am Donnerstagabend in Berlin<br />
viele Antworten auf diese Kernfragen des Arabischen Frühlings. Und um sie alle in einer Stunde<br />
unterbringen zu können, sprach er einfach ein bisschen schneller. Der Dolmetscher konnte einem<br />
fast leidtun, denn <strong>Marzouki</strong> hatte zwar ein Skript dabei, sprach dann aber „vom Herzen weg“, wie er<br />
es nannte, über etwas ganz anderes. Mit halsbrecherischem Karacho analysierte und parlierte er auf<br />
Arabisch in druckreifen Sätzen, streifte kurz die aktuellen Gefahren für Tunesien – „jede Revolution<br />
zieht eine Konterrevolution nach sich“ und prognostizierte „das alte arabische System ist tot – wir<br />
werden aber den Arabischen Frühling noch lange spüren“.<br />
Wie anders verlief doch dieser Abend, zu dem die Körber-Stiftung eingeladen hatte, im Vergleich zum<br />
Besuch des ägyptischen Präsidenten Mohammed Mursi vor nicht einmal zwei Monaten. <strong>Marzouki</strong> –<br />
klein, zierlich, fast zappelig – schien sich über jede Nachfrage zu freuen, antwortete spontan und<br />
immer wieder aus seiner Erfahrung als Arzt heraus. Am Ende überzog er 20 Minuten. Das ist viel bei<br />
einem eng getakteten, zweitägigen Deutschlandbesuch. Mursis Performance im Januar blieb den<br />
meisten Zuschauern hingegen vor allem dadurch in Erinnerung, dass der Präsident lustlos<br />
monologisierte und pampig auf Fragen nach Sicherheit und Freiheit reagierte. Schon nach der ersten<br />
Frage aus dem Publikum bekam der Moderator ein Zeichen aus der Regie, dass Mursi gehen müsse.<br />
Ob er denn nicht wenigstens drei der unzähligen Fragen, die über den Hashtag #MursiBerlin<br />
getwittert wurden, beantworten möchte, fragte der Moderator. „Wir haben fünf Minuten“, knirschte<br />
Mursi mit unbewegtem Gesicht. „Das war peinlich“, sagte eine Studentin der Islamwissenschaft am<br />
Donnerstag. „ <strong>Marzouki</strong> war ganz anders. Der hat auf unsere Fragen geantwortet, diskutiert, die<br />
Zuschauer ernstgenommen.“<br />
Zu den massiven innenpolitischen Verwerfungen in Tunesien äußerte sich der Präsident hingegen<br />
verhalten. Es habe mehrere Versuche gegeben, Chaos in Tunesien zu stiften, sagte er, mit dem<br />
traurigen Höhepunkt, dass der Oppositionspolitikers Chokri Belaïd getötet wurde. „An Chaos kann<br />
eine Revolution scheitern – auf Chaos folgt Tyrannei“, sagte <strong>Marzouki</strong> . Die tunesische Gesellschaft<br />
sei tief gespalten in moderne und religiöse Menschen, sagte <strong>Marzouki</strong> , der selbst der laizistischen<br />
Partei Kongress für die Republik angehört. Viele Schichten fühlten sich dem Westen näher als der<br />
eigenen Kultur. Dennoch regiert eine Troika aus der islamistischen Ennahda-Partei sowie den<br />
laizistischen Koalitionspartnern Ettakatol und Kongress für die Republik. Dass keine extremen<br />
Randgruppen an der Regierung beteiligt sind, sei die einzige Option, Tunesien vor dem Chaos zu<br />
bewahren, sagte <strong>Marzouki</strong> . Dabei rumpelt es gerade kräftig in der Innenpolitik: Premier Hamadi<br />
Jelabi (Ennahda) trat erst vor Kurzem zurück, weil es ihm nicht gelungen war, neutrale Politiker und<br />
Technokraten in die Regierung aufzunehmen. <strong>Marzouki</strong> kündigte am Donnerstag Neuwahlen für den<br />
Herbst an.<br />
Wie sich Tunesien entwickle, sei schwierig zu prognostizieren, sagte der Präsident. „Aber die Chancen<br />
stehen gut, dass die Revolution erfolgreich war.“ In staatlichen Einrichtungen gebe es deutlich<br />
weniger Korruption, nun müsse die Armut bekämpft werden. Am Ende ließ der Präsident ein<br />
bisschen durchscheinen, wie sich die Arbeit in der Troika für ihn anfühlen muss: „Ich sage immer:<br />
Lasst uns politisch argumentieren. Der eine hat nicht mehr Recht, weil er meint, im Sinne des<br />
Propheten zu handeln“, sagte <strong>Marzouki</strong> . „Ein religiöser Staat kann nur diktatorisch sein, egal in<br />
welche Form der Diktatur er sich kleidet.“ (SARAH EHRMANN, 23.03.2013)<br />
Quelle: SZ vom 23.03.2013, S.8 (online nicht frei zugänglich)<br />
Seite | 8
„Wir sind zwei Länder in einem“<br />
In Tunesien ringen säkulare und islamistische Kräfte um eine Verfassung, die das gespaltene Land<br />
einen soll. Präsident <strong>Marzouki</strong> spricht von einem Konsens der Verantwortung. Doch ein großes<br />
Problem ist ungelöst: die Armut<br />
INTERVIEW: STEFAN KORNELIUS<br />
UND FREDERIK OBERMAIER<br />
SZ: Herr Präsident, wo steht Tunesien im Vergleich der arabischen Revolutions-Länder?<br />
<strong>Marzouki</strong> : Wir haben raue Zeiten hinter uns. Wir haben vier Krisen durchgemacht, die letzte als<br />
Chokri Belaïd ermordet wurde. Aber unser Land ist sehr stabil, gemessen an den anderen Ländern<br />
der Region. Wir erleben nicht das gleiche Ausmaß an Gewalt, Tunesien ist nicht ins Chaos<br />
abgerutscht, der Diskurs zwischen den politischen Parteien ist nie abgebrochen, und die Armee ist<br />
diszipliniert und loyal geblieben. Aber: Demokratische Regierungen haben nach einer Revolution<br />
immer kämpfen müssen.<br />
Ist das nun eine Stabilität, mit der Sie leben können?<br />
Den Erfolg oder Misserfolg der tunesischen Revolution kann man erst in fünf oder zehn Jahren<br />
wirklich bewerten. Wir haben eine chaotische wirtschaftliche Situation geerbt. Eine Diktatur zerstört<br />
nicht nur politische Strukturen, sie ändert das Verhalten der Menschen, zerstört das Justizsystem,<br />
den Bildungsbereich und das Sozialsystem. Wir erarbeiten gerade eine Verfassung und lösen damit<br />
eines der größten Probleme in der arabischen Welt: Wie bringt man Menschen in einer gespaltenen<br />
Gesellschaft zusammen?<br />
Wo sehen Sie die Spaltung?<br />
Wir haben eine wirkliche Kluft zwischen den Reichen und den Armen, zwischen den westlichen und<br />
den konservativen Teilen der Gesellschaft. Wir brauchen Parteien, die beide Seiten der Gesellschaft<br />
repräsentieren. Wir sind zwei Länder in einem. Der eine Teil der Gesellschaft fürchtet um seinen<br />
Lebensstil, der andere kämpft für einen minimalen Lebensstandard. Deswegen müssen wir für die<br />
Ärmsten Erziehung gewährleisten und Jobs schaffen. Und der andere Teil der Gesellschaft will sicher<br />
sein, dass wir Menschenrechte und westlichen Lebensstil bewahren. Es ist ein schwieriger Prozess,<br />
aber es ist einer der gewaltfreisten in der arabischen Welt.<br />
Was ist das Geheimnis? Was machen Sie besser als andere?<br />
Es beginnt bei der Verfassung. Ich würde zwar nicht sagen, dass die Revolution gescheitert wäre,<br />
wenn wir keine Verfassung bekämen. Aber wir hätten wohl wieder eine Art Bürgerkrieg. Wir haben<br />
vier Monate lang um ein einziges Wort gerungen: Scharia. Die Islamisten wollen das Wort in der<br />
Verfassung, und die Säkularen wollen das auf keinen Fall. Wenn wir uns schon nicht über ein Wort<br />
einigen können, wie sollen wir uns dann auf ein politisches System einigen?<br />
Wie haben Sie es gelöst?<br />
Wir haben Ennahda gesagt, dass die Erwähnung der Scharia für einen großen Teil der Bevölkerung<br />
nicht akzeptabel ist. Wir müssten ein Referendum abhalten – das wäre sehr gefährlich. Tatsächlich<br />
wäre es ein Referendum für oder gegen den Islam, und das würde die Gesellschaft spalten. In<br />
Tunesien haben wir glücklicherweise keine islamistischen Tunesier, sondern tunesische Islamisten.<br />
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Sie halten sich an die Werte der Mittelklassegesellschaft und sind gleichzeitig Islamisten. Ennahda<br />
war so klug, nicht auf dem Scharia-Bezug in der Verfassung zu beharren. Sie haben akzeptiert, dass<br />
Menschenrechte in der Verfassung garantiert werden müssen. Auf der anderen Seite haben die<br />
Säkularen akzeptiert, dass Tunesien eine muslimische Gesellschaft ist. Es ist ein Konsens der<br />
Verantwortung.<br />
Ennahda will immer noch Teile der Scharia in der Verfassung. Wie weit können Sie<br />
entgegenkommen?<br />
Sie haben akzeptiert, dass das Wort in der Verfassung nicht vorkommt. Und auch nicht die<br />
Bedeutung des Wortes.<br />
Aber Teile der Scharia?<br />
. . . nicht einmal das. Es ist klar, dass wir in einer zivilen und demokratischen Gesellschaft leben.<br />
Natürlich steht im ersten Artikel der Verfassung, dass der Islam die Religion in Tunesien ist. Die<br />
Gesetze werden dennoch nicht religiös sein.<br />
Wie kann das tunesische Modell Vorbild für andere Nationen sein?<br />
Erst einmal muss sich unser Modell bei uns durchsetzen. In anderen Staaten sehen wir gerade eine<br />
harte Konfrontation zwischen Säkularen und Konservativen, wir sehen Gesellschaften auf dem Weg<br />
zu echtem Bürgerkrieg. Wenn sie ein erfolgreiches tunesisches Modell sehen, ahmen sie es vielleicht<br />
nach. Wir werben dafür bei unseren Nachbarn.<br />
In den vergangenen Monaten wirkten Zustände in Tunesien durchaus chaotisch. Die US-Botschaft<br />
wurde angegriffen, die Ligen zur Verteidigung der Revolution jagte Menschen . . .<br />
Das muss ich zurückweisen. Niemand jagt in Tunesien irgendjemanden. Wir hatten diesen<br />
schrecklichen Mord, auch zwei, drei salafistische Ausschreitungen, aber nicht mehr. Es gibt keine<br />
Gefahr. In einer Demokratie haben die Menschen das Recht, zu demonstrieren und ihre Meinung zu<br />
sagen. Vielleicht muss man in einer Demokratie sogar ein gewisses Maß an Gewalt akzeptieren. Die<br />
Frage ist lediglich, ob die Gewalt für den Staat gefährlich ist – und das ist sie in Tunesien nicht.<br />
Sicherlich, wir haben auch Angst vor der salafistischen Bedrohung. Sie haben Waffen aus Libyen.<br />
Einige Tunesier kämpfen in Syrien für den Dschihad, und irgendwann kommen sie zurück. Das<br />
Problem in Mali könnte gefährlich werden. Es ist eine gefährliche Situation, aber wir haben sie unter<br />
Kontrolle.<br />
Ist religiöser Extremismus Folge der wirtschaftlichen Entbehrungen oder handelt es sich um<br />
tiefsitzenden Glauben?<br />
Das hat nichts mit Religion zu tun. Das ist eine Bewegung des Lumpenproletariats. Die Salafisten<br />
glauben, dass Ennahda sie betrogen hat, denn Ennahda ist eine kleinbürgerliche Partei. Das passt<br />
nicht zum Lumpenproletariat. Hinter der Salafisten-Bewegung steckt ein soziales Problem, verborgen<br />
hinter einer religiösen Maske. Wer sie auf das religiöse Thema reduziert, der hat nichts verstanden.<br />
Die Berichte der Geheimdienste zeigen: Die führenden Figuren in dieser Bewegung sind ehemalige<br />
Kriminelle, Drogenabhängige, junge Arbeitslose. Wenn wir dieses Problem bei der Wurzel packen<br />
wollen, müssen wir den sozialen und wirtschaftlichen Aufschwung gewährleisten.<br />
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Wie hat der Mord an Oppositionsführer Belaïd das Land geändert?<br />
Chokri Belaïd wurde am 6. Februar getötet und am 8. beerdigt, ich konnte die Nacht davor nicht<br />
schlafen. Ich befürchtete, dass die Polizei womöglich auf Demonstranten schießen würde, so wie in<br />
Ägypten. Aber es ist nichts passiert, keine Ausschreitungen. Aber wir haben gemerkt, dass wir den<br />
demokratischen Prozess vorantreiben müssen, bevor es zu spät ist.<br />
Und wie integrieren Sie Extremisten?<br />
Das braucht Zeit. Die Extremisten sind überzeugt, dass sie betrogen wurden. Sie könnten versucht<br />
sein, eine neue Revolution zu starten. Aber das wird nicht funktionieren. Die Revolution 2010 wurde<br />
aus verschiedenen Gründen ausgelöst: Politische Unterdrückung, die Menschen hatten keine Rechte,<br />
das Regime war korrupt und die Armut hoch. Heute gibt es diese Mixtur nicht. Was bleibt, ist die<br />
Armut. Die Leute wissen, dass wir keine Wunder vollbringen, aber sie können sehen, dass wir jeden<br />
Tag daran arbeiten. Deswegen habe ich keine Angst vor einer neuen Revolution.<br />
Wie wollen Sie den Übergangsprozess organisieren?<br />
Wir haben einen Fahrplan. Wir werden wohl zwischen April und Juni eine Verfassung haben und<br />
zwischen Oktober und Dezember Präsidentschafts- und Parlamentswahlen abhalten. Das ganze<br />
politische System sollte dann Anfang 2014 fertig sei. Dann werden wir uns den sozialen und<br />
wirtschaftlichen Problemen widmen. Das ist die große Herausforderung.<br />
Setzt die neue Verfassung den Extremisten Grenzen?<br />
Ja, natürlich. Glaubensfreiheit und Redefreiheit sind zum Beispiel nicht verhandelbar. Und außer<br />
Polizei und Armee soll niemand Waffen tragen. Ennahda wollte auch eine Klausel zu Gotteslästerung<br />
in der Verfassung. Aber das ist extrem gefährlich, wo fängt Gotteslästerung an?<br />
Und was passiert mit den Ligen zum Schutz der Revolution, die für Gewalt verantwortlich gemacht<br />
werden?<br />
Sie werden aufgelöst. Das Gewaltmonopol liegt bei der Polizei und beim Militär. Diese Gruppen<br />
müssen sich in die Zivilgesellschaft eingliedern, sonst werden sie aufgelöst.<br />
Kann der Prozess noch scheitern?<br />
Ganz ehrlich: Ich glaube nicht. Wir haben ein republikanisches Militär und eine republikanische<br />
Polizei, wir haben eine aufgeklärte Bevölkerung, wir haben eine vernünftige islamistische Partei, und<br />
wir haben zwei Jahre lang diskutiert. Ich bin zuversichtlich.<br />
Moncef <strong>Marzouki</strong> , 67, seit 2011 Tunesiens Präsident, ist Mitgründer der säkularen Partei „Kongress<br />
für die Republik“. 1994 versuchte er, bei Wahlen gegen den Diktator Zine al-Abidine Ben Ali<br />
anzutreten, kam in Haft und lebte später im Exil. GETTY<br />
Quelle: SZ vom 25.03.2013, Seite 8 (online nicht frei zugänglich)<br />
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Tagesspiegel<br />
Arabische Revolution am Scheideweg Tunesiens Präsident <strong>Marzouki</strong><br />
fordert Trennung von Religion und Staat<br />
„Ich spreche frei zu Ihnen, von Herzen und mit Abstand zum Protokoll, dann kann ich Ihnen in die<br />
Augen sehen statt das vorzulesen, was ich mir aufgeschrieben habe", sagte... - Foto: AFP<br />
Bei seinem Deutschland-Besuch wirbt Tunesiens Präsident Moncef <strong>Marzouki</strong> in einem Vortrag bei<br />
der Körber-Stiftung für eine demokratische Gesellschaft in Tunesien und warnt vor Chaos und<br />
Armut als großen Herausforderungen<br />
Schon mit seinem ersten Satz hat Tunesiens Präsident Moncef <strong>Marzouki</strong> bei seinem Vortrag auf<br />
Einladung der Körber-Stiftung im Hotel de Rome die Herzen der zahlreichen Zuhörer gewonnen: „Ich<br />
spreche frei zu Ihnen, von Herzen und mit Abstand zum Protokoll, dann kann ich Ihnen in die Augen<br />
sehen statt das vorzulesen, was ich mir aufgeschrieben habe.“ Ein Revolutionär, der erste frei<br />
gewählte Präsident Tunesiens, nimmt sich auch hier die Freiheit, ganz normal und menschlich mit<br />
seinem Publikum umzugehen. Was in Tunesien geschehen ist, hat die arabische Welt verändert,<br />
„doch dieser Prozess ist noch nicht zu Ende“, sagt der Präsident, „das alte arabische System ist tot im<br />
Geist und im Herzen der Bevölkerung, wir stehen vor einem neuen Anfang, aber das wird ein langer<br />
Weg.“<br />
Leidenschaftlich warb der Präsident für den demokratischen Weg Tunesiens. Er beschwor die Einheit<br />
der Nation - man dürfe niemanden ausgrenzen.<br />
Revolutionen haben ihre eigenen Gesetzmäßigkeiten, dazu gehöre auch die Konterrevolution. Eine<br />
Revolution könne auch scheitern, „noch ist nichts entschieden, es kann auch sein, dass Andere die<br />
Früchte ernten werden.“ Maßstab für ihn als Menschenrechtsaktivisten sei es, „demokratische<br />
Strukturen zu achten“. Die Revolution wäre gescheitert, wenn der Änderungsprozess einen zu hohen<br />
Preis koste. „Ich hätte nie geglaubt, dass Syrien sich so entwickelt. Die syrische Revolution ist<br />
gescheitert - auf Chaos folgt die Tyrannei“, sagt <strong>Marzouki</strong> mit Nachdruck. „Alle Länder des arabischen<br />
Frühlings stehen am Scheideweg zwischen einem demokratischen Staatswesen oder islamistischdschihadistischen<br />
Emiraten.“ Er sehe dies nicht als Prophezeiung, es werde Staaten geben, die<br />
scheitern, andere würden sich zusammenschließen. Ein Blick in die Geschichtsbücher zeige, dass<br />
dieser Prozess unter Umständen Jahrzehnte dauern werde.<br />
Die große Trumpfkarte Tunesiens ist die Armee<br />
Präsident <strong>Marzouki</strong> betonte, dass er die Chancen der tunesischen Revolution größer einschätze als<br />
ihr Scheitern. Es gebe spezielle Gründe für einen zivilen und demokratischen tunesischen Staat. „Seit<br />
14 Monaten bin ich Präsident und habe schon viele Krisen erlebt. Am 1. Mai 2012 gingen viele<br />
Tunesier auf die Straße, der Versuch Chaos zu säen, war gescheitert, ebenso beim Anschlag der<br />
Salafisten auf die amerikanische Schule.“ Am schlimmsten sei die Ermordung des Märtyrers Chokri<br />
Belaid gewesen, doch auch danach sei kein Chaos ausgebrochen. „In Tunesien ist die Armee am Volk<br />
orientiert, in Syrien wird nur eine Bande von der Armee unterstützt. “ Das sei der Unterschied.<br />
„Die Troika der Koalition ist das Ergebnis einer historischen Erfahrung, Linke, Liberale und Islamisten<br />
teilen gemeinsam die Erfahrung der Unterdrückung. Die Troika ist geschaffen worden, um<br />
Gemeinsamkeiten zu schaffen. Das kann aber nur gelingen, wenn beide Seiten moderat sind. So<br />
bleiben die Extremisten an den Rändern.“<br />
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Durch diese Konstruktion herrsche in Tunesien ein großes Maß an Harmonie in der Gesellschaft. „Wir<br />
sind praktisch zwei Länder in einem, wir haben ländliche, arme Regionen um die Städte herum, in<br />
denen ein anderer, westlicher Lebensstil herrscht.“ Alle arabischen Länder litten unter dieser<br />
Spaltung, der Gegensatz von arm und reich bestehe, aber er rechtfertige heute keinen Umsturz<br />
mehr. Die Trumpfkarte Tunesiens in der Übergangszeit sei die Armee, sie setze Legaltität gegen<br />
Abenteuer. Gefahren sieht der Präsident durch den Krieg in Mali und die Spannungen im Grenzgebiet<br />
zu Libyen. Man hat zudem Angst vor Rückkehrern aus Syrien.<br />
"Zwei Millionen Tunesier werden mehr Arbeit haben"<br />
Große Hoffnungen setzt Moncef <strong>Marzouki</strong> auf die geplanten Neuwahlen im späten Herbst. Die neue<br />
Konsensverfassung werde wohl im Frühjahr verabschiedet, damit wäre der Weg für Neuwahlen frei.<br />
„Wir müssen die Streitigkeiten beiseite lassen, die Probleme sind lösbar. Wenn wir das schaffen, ist<br />
die Armut in fünf Jahren noch nicht überwunden, aber zwei Millionen Tunesier mehr werden Arbeit<br />
haben. Der Preis der Revolution war hoch, daher wäre es gut, wenn die neue Regierung die Pluralität<br />
der Gesellschaft spiegele“, sagt der Präsident und wagt einen Ausblick in die Zukunft: „Europa fand<br />
erst nach dem Ende der Diktaturen seinen Frieden. Eine neue arabische Union nach dem Vorbild der<br />
EU wäre wünschenswert. Die Diktaturen hatten das bisher verhindert, aber eine Union der<br />
arabischen demokratischen Staaten würde auch der Sicherheit Europas dienen." Präsident <strong>Marzouki</strong><br />
macht Mut: „Die Zukunft liegt in der Annäherung der Kulturen, scheitert aber die Revolution, kommt<br />
es zum Clash of Civilizations. Auf unsere Revolution kann man aufbauen und Deutschland spielt eine<br />
große Rolle bei der Unterstützung der Revolution. Wenn Deutschland in die Demokratie Tunesiens<br />
investiert, wird das zu einer Annäherung der Kulturen führen.“<br />
"Der politische Islam ist nicht die Lösung"<br />
Präsident Mazouki bekommt für seine Rede großen Beifall vom Publikum, darunter viele<br />
Bundestagsabgeordnete und Politiker, aber auch viele Botschafter aus arabischen Ländern. In der<br />
sich anschließenden Diskussion spricht sich <strong>Marzouki</strong> noch einmal für die Einheit Tunesiens aus. Er<br />
warnt vor einer gespaltenen Gesellschaft und der Verteufelung des politischen Gegners. „Verteufeln<br />
nutzt gar nichts, denn die Anderen sind ein Teil der Bevölkerung. Der politische Islam ist nicht die<br />
Lösung. Wir haben auch demokratische islamische Parteien, undemokratische Parteien sowie<br />
islamistische bewaffnete Parteien. Wir haben keine Wahl, die Strukturen sind historisch gewachsen<br />
und wir dürfen die andere Hälfte der Bevölkerung nicht ablehnen. Bislang haben alle genug Klugheit<br />
bewiesen, um die Gegensätze abzufedern.“ (Rolf Brockschmidt, 22.03.2013)<br />
Quelle:http://www.tagesspiegel.de/politik/arabische-revolution-am-scheideweg-der-politischeislam-ist-nicht-die-loesung/7972558-4.html<br />
(Zugriff: 24.03.2013)<br />
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FAZ<br />
Tunesischer Staatspräsident <strong>Marzouki</strong> in Berlin<br />
Der tunesische Staatspräsident Moncef <strong>Marzouki</strong> hat in Berlin um Unterstützung für sein Land<br />
geworben. <strong>Marzouki</strong> ist zu einem offiziellen Staatsbesuch in Deutschland. Bundespräsident Joachim<br />
Gauck empfing seinen tunesischen Kollegen mit militärischen Ehren.<br />
<strong>Marzouki</strong>, der an diesem Freitag Bundeskanzlerin Merkel trifft, erörterte mit Gauck die schwierige<br />
Lage in Tunesien. Er beschrieb die Gefahren, die der Entwicklung Tunesiens durch Gewalt und<br />
Extremismus drohten. Auch die hohen Erwartungen der Jugend stellten nach Angaben des<br />
Präsidenten eine große Herausforderung für die Führung dar.<br />
<strong>Marzouki</strong> wirbt in Berlin für ein stärkeres wirtschaftliches Engagement in seinem Land, er will aber<br />
auch Möglichkeiten einer engeren Zusammenarbeit im Bildungswesen ausloten. (Lt.)<br />
Quelle: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 22.03.2013, Nr. 69, S. 4<br />
Bild.de<br />
Bayern und Tunesien wollen Zusammenarbeit verstärken<br />
München (dpa/lby) - Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) und Tunesiens<br />
Staatsoberhaupt Moncef <strong>Marzouki</strong> wollen die Zusammenarbeit beider Länder vertiefen. Bei Bildung,<br />
Energie oder Wirtschaft werde man gemeinsame Projekte anschieben, sagte Seehofer am Freitag<br />
beim Besuch <strong>Marzouki</strong>s in München. Ein Schwerpunkt des Gesprächs sei die Kooperation im<br />
Tourimus gewesen. Die notwendigen Sicherheitsstandards habe der Präsident zugesichert, erklärte<br />
Seehofer. <strong>Marzouki</strong> betonte das gegenseitige Vertrauen zwischen Bayern und Tunesien. Der Freistaat<br />
spiele mit seiner Unterstützung eine große Rolle für die Entwicklung des arabischen Landes.<br />
<strong>Marzouki</strong> lud Seehofer zu einem Gegenbesuch nach Tunesien ein. (22. 03 2013)<br />
Quelle: http://www.bild.de/regional/muenchen/muenchen-regional/bayern-und-tunesien-wollenzusammenarbeit-29629540.bild.html<br />
(Zugriff: 24.03.2013)<br />
Stuttgarter Zeitung<br />
<strong>Marzouki</strong> besucht Gauck<br />
Visite: Der Präsident Tunesiens ist zu Gast in Berlin. Heute spricht er mit Angela Merkel.<br />
Bundespräsident Joachim Gauck hat mit dem tunesischen Staatsoberhaupt Moncef <strong>Marzouki</strong> die<br />
schwierige Lage in dem arabischen Land erörtert. <strong>Marzouki</strong> warnte bei dem Gespräch am Donnerstag<br />
in Berlin vor den negativen Folgen, die jede Form von Extremismus und Gewalt für die Entwicklung<br />
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Tunesiens hätte. Die hohen Erwartungen der Jugend seien für die Führung in Tunis eine schwierige<br />
Herausforderung, sagte <strong>Marzouki</strong> nach Angaben der Sprecherin Gaucks.<br />
Zum Auftakts seines Deutschlandbesuchs hatte der Bundespräsident den Staatsgast mit militärischen<br />
Ehren begrüßt. Bei dem Treffen im Schloss Bellevue wurden auch Möglichkeiten der<br />
Zusammenarbeit auf den Feldern von Wirtschaft und Wissenschaft und insbesondere im<br />
Bildungsbereich erörtert. Am Abend wollte <strong>Marzouki</strong> auf Einladung der Körber-Stiftung in Berlin eine<br />
Rede über die Arabische Revolution halten. An diesem Freitag trifft <strong>Marzouki</strong> dann noch mit<br />
Bundeskanzlerin Angela Merkel zusammen.<br />
Rund zwei Jahre nach dem Sturz des Diktators Zine al-Abidine Ben Ali ist die Lage in Tunesien weiter<br />
angespannt. Deutschland will das Ursprungsland des demokratischen Umbruchs in der arabischen<br />
Welt weiter unterstützen. Erst vor wenigen Tagen war Außenminister Guido Westerwelle zu einem<br />
Besuch nach Tunis gereist. dpa (Stuttgarter Zeitung - Stadtausgabe, 22.03.2013, S. 6 / Aussenpolitik )<br />
Deutsche Welle<br />
Interview<br />
<strong>Marzouki</strong>: "Wir haben keinen Zauberstab"<br />
Tunesien könne bei der Demokratisierung von Deutschland und Europa lernen, sagt der tunesische<br />
Präsident Moncef <strong>Marzouki</strong> im DW-Interview anlässlich seines Deutschland-Besuchs.<br />
Deutsche Welle: Herr Präsident, Sie haben immer auf Einigung und Moderation zwischen den<br />
verschiedenen politischen Kräften gesetzt. Hat diese Strategie in Tunesien nach der Ermordung des<br />
Oppositionspolitikers Chokri Belaid noch ihre Berechtigung?<br />
Moncef <strong>Marzouki</strong>: Natürlich, mehr denn je. Denn wenn dieses Land seine sozioökonomischen<br />
Probleme angehen will, dann braucht es politische Stabilität. Ich will, dass wir einen Konsens finden<br />
im Hinblick auf die Verfassung und die Regierung. Wir brauchen eine versöhnende Botschaft, um das<br />
Land zu befrieden, damit der Übergang zur Demokratie weitergeht.<br />
Tunesien hat die Krise noch nicht überwunden – wie kann die Lösung mit der neuen Regierung unter<br />
der Führung von Premierminister Ali Larayedh aussehen?<br />
Wir haben die Probleme eines Landes, das gerade eine Revolution durchlebt hat und dabei ist,<br />
demokratische Strukturen aufzubauen. Im Vergleich zu anderen Staaten sieht man einen ganz klaren<br />
Unterschied: Portugal hat acht Jahre für die Demokratisierung gebraucht, die Spanier drei, wir<br />
machen es in zwei. Tunesien hat politische Krisen durchlebt, aber das Land ist immer stabil<br />
geblieben. Ich finde, wir kommen ganz gut zurecht.<br />
In welchen Bereichen läuft es denn gut?<br />
Vor zwei Jahren herrschte hier noch eine Dikatur, ohne Meinungsfreiheit, ohne<br />
Demonstrationsfreiheit, ohne die Möglichkeit, gemeinnützige Vereine zu gründen. Diese Freiheiten<br />
haben wir jetzt erreicht. Die Presse schimpft von morgens bis abends über die Regierung und den<br />
Präsidenten. Mehr als tausend Nichtregierungsorganisationen wurden gegründet und mehr als<br />
hundert Parteien. In dieser Hinsicht ist der Übergang vollendet. Im sozioökonomischen Bereich sind<br />
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wir im Verzug, weil wir feststellen mussten, dass die Situation noch schlimmer ist, als wir dachten.<br />
Wir arbeiten daran, aber wir haben keinen Zauberstab. Außerdem bauen wir gerade die staatlichen<br />
Institutionen neu auf. Wir nehmen uns Zeit, damit diese Medienregulierungsbehörde, die<br />
Wahlinstanz und das Gesetz zur Unabhängigkeit der Justiz auf einem möglichst weiten Konsens<br />
beruhen. Das ist eine langwierige, komplexe und frustrierende Arbeitweise. Wir verlieren dabei<br />
unglaublich viel Zeit und Energie, aber das ist der wahre Lernprozess der Demokratie.<br />
Sie betonen, dass der Aufstand in Tunesien vor allem soziale und wirtschaftliche Gründe hatte, aber<br />
wenn man die Debatten in der Verfassungsversammlung und den Medien verfolgt, dann geht es vor<br />
allem um Fragen der Identität.<br />
Es gibt zwei Arten von Extremismus in Tunesien: den religiösen und den laizistischen. Zur ersten<br />
Kategorie zählt der Salafismus, der nur eine Fassade eines sozialen Problems ist: Das<br />
Lumpenproletariat schwingt sich auf gegen die Partei Ennahda, die es für eine bürgerliche<br />
islamistische Partei hält. Auf der anderen Seite gibt es die laizistischen Extremisten, die schon Pickel<br />
bekommen, wenn sie von Islamisten oder sogar schon das Wort 'Islam' hören. Für die Mehrheit der<br />
Tunesier sind die wichtigen Fragen aber Brot, Wasser, Elektrizität und wirtschaftliche Entwicklung.<br />
Sie haben kürzlich vor dem Europaparlament gesagt, dass die Zeit nach der Revolution schwieriger sei<br />
als die Revolution selbst. Wo liegt die größte Herausforderung?<br />
Das ist eine psychologische Herausforderung. Die Leute denken, dass die Probleme nach einer<br />
Revolution einfach verschwinden, dabei verändern sie sich nur: Früher hatten wir die Probleme einer<br />
Dikatur, heute die einer Demokratie. Es gibt natürlich sofort konkrete Ergebnisse der Demokratie:<br />
Dass die Menschen keine Angst mehr haben, ist herausragend. Aber vor allem die wirtschaftlichen<br />
Erwartungen sind so hoch, dass es auch Enttäuschungen gibt. Die Forderung, dass es von heute auf<br />
morgen keine Korruption mehr gibt und alle Arbeitsplätze bekommen, ist aber unmöglich zu erfüllen.<br />
Viele Länder der Europäischen Union haben lange den früheren Präsidenten Zine El Abidine Ben Ali<br />
unterstützt, heute unterstützt die EU die neue Regierung, kritisiert aber auch das Erstarken der<br />
Islamisten. Ist Europa für Sie trotzdem ein glaubwürdiger Partner?<br />
Die EU ist unser wichtigster Partner und wir wollen, dass sie es bleibt. Es stimmt, dass viele Europäer<br />
Islamisten und Terroristen gleichsetzen. Sie werden ihre Wahrnehmung ändern müssen und lernen,<br />
dass es verschiedene Islamismen gibt. Wie bei den Christdemokraten in Europa wird es hier<br />
islamische Demokraten geben, die konservativ sind und gleichzeitig die Demokratie respektieren.<br />
Was erwarten Sie konkret von Europa?<br />
Deutschland hat eine reiche Erfahrung im Aufbau eines Verfassungsgerichts, in diesem Bereich kann<br />
es uns unterstützen. Wir sind sehr froh, dass Deutschland akzeptiert hat, einen Teil der tunesischen<br />
Schulden in Entwicklungsprojekte umzuwandeln. Außerdem wollen wir eine deutsch-tunesische<br />
<strong>Universität</strong> gründen, und in Schlüsselbereichen wie zum Beispiel der Energie zusammenarbeiten.<br />
Die Frage nach der Bedeutung der Regionen stellt sich in Tunesien seit der Revolution immer wieder:<br />
Ist das deutsche Föderalismus-Modell auch für Tunesien interessant?<br />
Auf jeden Fall. Ich habe ein Projekt vorgeschlagen, Tunesien in sieben Regionen aufzuteilen, die auch<br />
wirtschaftlich weitgehend unabhängig sind. Es wäre wünschenswert, wenn Deutschland dann eine<br />
Art Patenschaft übernehmen könnte, und zwar auf allen Ebenen: Zivilgesellschaft, Regionen und<br />
Staat.<br />
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Das Interview führte Sarah Mersch.<br />
Der tunesische Präsident Moncef Ben Mohamed Bedoui-<strong>Marzouki</strong> besucht Deutschland am 21. und<br />
22. März. Nach seinem Medizin- und Psychologiestudium in Straßburg arbeitete er in Frankreich als<br />
Arzt. 1979 kehrte er in seine Heimat zurück, wo er zwischen 1989 und 1994 die tunesische Liga für<br />
Menschenrechte führte. Nachdem er 1994 versucht hatte, bei den Präsidentschaftswahlen gegen Ben<br />
Ali anzutreten, verbrachte er vier Monate im Gefängnis.<br />
Quelle: http://www.dw.de/marzouki-wir-haben-keinen-zauberstab/a-16684078<br />
(Zugriff: 24.03.2013)<br />
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