21.05.2014 Aufrufe

Selbstmedikation - Pharmazie

Selbstmedikation - Pharmazie

Selbstmedikation - Pharmazie

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

<strong>Selbstmedikation</strong><br />

M i s s b r a u c h e i n e s H u s t e n s t i l l e r s<br />

Halluzinationen nach zwölf<br />

Dextromethorphan-Kapseln<br />

Prof. Dr. Stephanie Läer vom Institut für Klinische <strong>Pharmazie</strong><br />

der Universität Düsseldorf hat schon vor Jahren vor einem in<br />

Deutschland unterschätzten Missbrauch Dextromethorphanhaltiger<br />

Erkältungsmittel gewarnt. Ihre Mitarbeiterin, Linda<br />

Jaffan, berichtet nun über einen Fall, der zeigt, dass schon mit<br />

dem Inhalt einer handelsüblichen Packung von Dextromethorphan-Kapseln<br />

Missbrauch betrieben werden kann.<br />

Am Abend des 29. November<br />

2009 stellte sich in der Notfallambulanz<br />

der Universitätskinderklinik<br />

Düsseldorf ein 15-jähriges<br />

Mädchen mit ausgeprägten<br />

Angstzuständen vor. Die ausführliche<br />

Anamnese ergab Folgendes:<br />

Am Tag zuvor hatten<br />

die 15-Jährige und eine Freundin<br />

nachmittags in einer Apotheke<br />

eine Packung des Dextromethorphan-haltigen<br />

Präparats Hustenstiller-ratiopharm<br />

® gekauft.<br />

Nach eigener Aussage nahm die<br />

15-Jährige noch am gleichen<br />

Tag davon zwölf Kapseln (264<br />

mg Dextromethorphan) und ihre<br />

Freundin acht Kapseln (176 mg<br />

Dextromethorphan) ein. Die in<br />

der Fachinformation beschriebene<br />

Maximaldosierung von Dextromethorphan<br />

ist bereits nach<br />

der Einnahme von vier Kapseln<br />

pro Tag erreicht. Damit nahm<br />

die 15-Jährige die dreifache und<br />

ihre Freundin die zweifache Dosis<br />

der empfohlenen Maximaldosierung<br />

ein. Während sich die<br />

Freundin der 15-Jährigen aufgrund<br />

der auftretenden Übelkeit<br />

nachts übergeben hatte, war dies<br />

bei der 15-Jährigen trotz Übelkeit<br />

nicht der Fall. Bei ihr traten<br />

in der Nacht Halluzinationen<br />

auf. Sie berichtete, dass ihr Zimmer<br />

immer kleiner wurde. Weiter<br />

litt sie unter Wahrnehmungsstörungen<br />

und einer Parästhesie.<br />

Am nächsten Tag, also am 29.<br />

November 2009, trat nur eine<br />

leichte Besserung der Beschwerden<br />

auf, so dass sie dann am<br />

Abend in der Notfallambulanz<br />

vorstellig wurde. Ergebnisse des<br />

Drogenscreenings waren negativ.<br />

Der körperliche Untersuchungsbefund<br />

ergab Folgendes: Ein 15-<br />

jähriges Mädchen, zitternd, mit<br />

kalten Händen, das über verschwommenes<br />

Sehen berichtete,<br />

sonst aber in gutem Allgemeinzustand<br />

war. Es konnte eine<br />

Mydriasis festgestellt werden.<br />

Untersuchungen des Herzens<br />

und der Lunge waren unauffällig,<br />

ebenso die Ergebnisse der<br />

Blut- und Urinuntersuchung. Sie<br />

wurde zur weiteren Überwachung<br />

und Abklärung stationär<br />

aufgenommen. Nach zwei Tagen<br />

konnte sie wieder in gutem Allgemeinzustand<br />

beschwerdefrei<br />

entlassen werden. <<br />

Schon mit einer Packung eines Dextromethorphan-haltigen Hustenmittels kann Missbrauch betrieben werden.<br />

Vor dem Hintergrund von gestiegenen Verdachtsmeldungen rät das BfArM, Dextromethorphan-haltige Hustenmittel<br />

nach Möglichkeit nicht an Jugendliche abzugeben. In jedem Fall muss bei der Abgabe ausführlich über Nebenwirkungen<br />

und Risiken informiert werden.<br />

Foto: ABDA / Bildmontage: DAZ/ekr<br />

62 | 1908 | Deutsche Apotheker Zeitung | 150. Jahrgang<br />

29.04.2010 | Nr. 17


<strong>Selbstmedikation</strong><br />

k Kommentar<br />

Ein Fallbericht, der nachdenklich stimmt<br />

Die Mitteilung des BfArM, dass die<br />

Meldungen zum Dextromethorphan-<br />

Missbrauch durch Jugendliche in<br />

den letzten Jahren stark angestiegen<br />

sind, hat unterschiedliche Reaktionen<br />

hervorgerufen. Während auf<br />

der einen Seite trotz der Zunahme<br />

der Meldungen von einem immer<br />

noch geringen Missbrauch<br />

in Deutschland<br />

ausgegangen wird, gibt<br />

es auf der anderen Seite<br />

Befürchtungen, dass<br />

die Meldungen nur die<br />

Spitze eines Eisbergs<br />

widerspiegeln (s.a. DAZ<br />

16/2010, S. 43 - 44).<br />

Sicher sind wir weit<br />

entfernt von Zahlen,<br />

wie sie aus den USA gemeldet worden<br />

sind. Das mag auch daran liegen,<br />

dass Jugendliche in den USA<br />

kaum Zugang zu Alkohol haben, dafür<br />

aber umso leichter auf Dextromethorphan-haltige<br />

Hustenmittel<br />

zurückgreifen können.<br />

Doch wie sieht die Situation in<br />

Deutschland tatsächlich aus? Das<br />

BfArM hat im Jahr 2008 zehn, im<br />

Jahr 2009 19 Verdachtsmeldungen<br />

erhalten. Das erscheint auf den ersten<br />

Blick wenig. Gemeldet wurden<br />

allerdings vor allem Fälle, in denen<br />

Jugendliche, zum Teil wiederholt<br />

größere Mengen Dextromethorphan<br />

erwerben wollten.<br />

Wenn man nun den Fall betrachtet,<br />

über den Linda Jaffan vom Institut<br />

für Klinische <strong>Pharmazie</strong> der Universität<br />

Düsseldorf berichtet, muss<br />

man kritisch hinterfragen, ob ein<br />

Verdacht auf Missbrauch nur dann<br />

vorliegt, wenn größere Mengen eines<br />

Dextromethorphan-haltigen<br />

Präparates verlangt werden. Der<br />

Fallbericht zeigt eindrucksvoll, dass<br />

schon wenige Kapseln einer Packung<br />

psychotische Zustände erzeugen<br />

können. Er zeigt aber auch,<br />

dass die missbräuchliche Anwendung<br />

von Dextromethorphan-Monopräparaten<br />

in der Regel zu keinen<br />

bleibenden Schäden führt und neben<br />

der euphorisierenden Wirkung<br />

vor allem eines hervorruft; eine<br />

elende Übelkeit. Zum Glück haben<br />

die beiden Mädchen kein Paracetamol-haltiges<br />

Kombinationspräparat<br />

gewählt. So dürften sie mit dem<br />

Schrecken davon gekommen sein<br />

und wohl kaum noch einmal einen<br />

Versuch starten, mit dem Hustenstiller<br />

high zu werden.<br />

Was können wir aus dem Fall lernen?<br />

In jedem Fall sollten wir sehr<br />

hellhörig werden, wenn Jugendliche<br />

oder junge Erwachsene Dextromethorphan-haltige<br />

Präparate verlangen.<br />

Durch sensibles Nachfragen sollte<br />

zu klären sein, ob das Problem wirklich<br />

ein Reizhusten ist. Wenn das<br />

tatsächlich der Fall ist, werden sich<br />

die meisten der jungen Patienten<br />

mit weniger problematischen Alternativen<br />

zufrieden geben. Wenn das<br />

nicht gelingt, könnte ein begründeter<br />

Verdacht für Dextromethorphan-<br />

Missbrauch vorliegen, auch wenn<br />

nur eine Packung verlangt wird.<br />

Würden auch solche Fälle dem<br />

BfArM gemeldet, dann sähen die<br />

Zahlen möglicherweise anders aus.<br />

Aber selbst dann würden sie noch<br />

kein realistisches Bild abgeben.<br />

Denn nach wie vor ist vollkommen<br />

unklar, wie viele Jugendliche und<br />

junge Erwachsene den anonymen<br />

Weg der Beschaffung über den Versandhandel<br />

wählen. Der enorme Zuwachs<br />

der über den Versandhandel<br />

bezogenen Präparate zur <strong>Selbstmedikation</strong><br />

lässt nichts Gutes erwarten.<br />

Doch egal, wie groß der Missbrauch<br />

tatsächlich ist, er lässt sich nur dann<br />

wirkungsvoll verhindern, wenn nicht<br />

nur die Abgabe entsprechender Präparate<br />

an Jugendliche in der Apotheke<br />

vor Ort bei Missbrauchsverdacht<br />

ein Tabu ist, sondern auch der<br />

Beschaffungsquelle Versandapotheke<br />

ein Riegel vorgeschoben wird.<br />

Hier sind kreative Lösungen gefordert.<br />

Die Unterstellung Dextromethorphan-haltiger<br />

Präparate unter die<br />

Verschreibungspflicht wäre sicher<br />

die einfachste, aber für die vielen<br />

Menschen, die bei banalen Erkältungen<br />

auf einen wirkungsvollen und<br />

gut verträglichen Hustenstiller angewiesen<br />

sind, auch die schlechteste<br />

Lösung. Könnten solche Präparate<br />

nur nach einem verpflichtenden<br />

persönlichen Gespräch in der Apotheke<br />

und nach Aufklärung vor allem<br />

über die unangenehmen Nebenwirkungen<br />

bei Überdosierung bezogen<br />

werden, dann wäre schon viel gewonnen.<br />

Dr. Doris Uhl, Redakteurin der<br />

Deutschen Apotheker Zeitung<br />

Anzeige<br />

CheckAp<br />

QMS<br />

Gut – besser – Apotheke!<br />

Von Dr. Elfriede Nusser-Rothermundt<br />

und Ralph Kluge<br />

2009. 129 Seiten. 14 Abbildungen. 6 Tabellen.<br />

3 Checklisten. Kartoniert. Inkl. Online-Angebot<br />

unter www.CheckAp.de.<br />

€ 18,90 [D].<br />

ISBN 978-3-7692-4872-2<br />

QMS – ja bitte!<br />

Lernen Sie die Qualitätsmanagement-<br />

Systeme für Ihre Apotheke kennen!<br />

Ein erfahrenes Autoren-Team zeigt Ihnen<br />

• wie sich ein Qualitätsmanagementsystem<br />

auch für kleine Apotheken lohnt,<br />

• welches Zertifizierungsverfahren<br />

für Sie in Frage kommt,<br />

• welche positiven Wirkungen<br />

ein „gelebtes“ QMS haben kann.<br />

Online plus: Machen Sie den Schnell-Test:<br />

Wie viel QMS steckt bereits in Ihrer Apotheke?<br />

Eine leicht durchführbare Ist-Analyse steht<br />

zum Download unter www.CheckAp.de<br />

für Sie bereit.<br />

Deutscher Apotheker Verlag · Postfach 10 10 61 · 70009 Stuttgart · Telefon 0711 2582 341 · Fax 0711 2582 390<br />

E-Mail: service@deutscher-apotheker-verlag.de · Internet: www.deutscher-apotheker-verlag.de

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!