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NEBEN DER SPUR - das Programmheft 2014

Das ausführliche Programm des Europäischen Festivals der Reiseliteratur NEBEN DER SPUR

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THEODOR FONTANE Das Leben ein Sturm<br />

Glückliches Land im Süden, dessen großer Dichter<br />

niederschreiben konnte: »<strong>das</strong> Leben ein Traum«, und<br />

armes, gepriesenes Land du, <strong>das</strong> du die Seligkeit des<br />

Träumens nicht kennst und immer wach und wirklich<br />

dein Lehen abhaspelst wie im Sturm. Als ich noch jünger<br />

war, da kniet‘ ich bewundernd zu den Füßen der<br />

Tat, da galt mir <strong>das</strong> Schwert und der Arm, der es führte,<br />

da hing mein Auge an der Kaisergestalt Barbarossas<br />

und mein Herz jubelte auf, wenn ich ihn einziehen<br />

sah in die Tore Mailands, den Welfentrotz unterm Hufschlag<br />

seines Pferdes. Die Knabentage sind dahin. Ich<br />

habe seitdem anderes lieben gelernt: den Geist erst,<br />

dann <strong>das</strong> Recht und zuletzt die Muße, die Beschauung,<br />

die Vorbereitung auf <strong>das</strong>, was da kommt. Es ist was in<br />

mir, <strong>das</strong> mich mit unwiderstehlicher Sehnsucht zu dem<br />

zerlumpten Lazzarone hinzieht, der an der Tempelschwelle,<br />

gebräunt und lächelnd, in den ewig-blauen<br />

Himmel emporschaut; es ist was in mir, was mich den<br />

Diogenes mehr bewundern läßt, als den Mann, der vor<br />

ihm in der Sonne stand, und was – wenn ich zwischen<br />

Extremen wählen soll – mir den Orden von La Trappe<br />

größer und beneidenswerter erscheinen läßt, als die<br />

London-City mit ihrem Leben ein Sturm.<br />

Wir haben ein schönes, vielgesungenes Lied, ein Lied<br />

von der »Hoffnung«, drin <strong>das</strong> Beste was der Mensch<br />

hat: seine Sehnsucht nach einem Genüge <strong>das</strong> jenseits<br />

liegt, den dichterischen Ausdruck fand:<br />

Nach einem glücklichen, goldenen Ziel<br />

Sieht man sie rennen und jagen.<br />

Ach, unbewußt und nicht in seinem Sinne schrieb<br />

der Dichter in diesen Zeilen die Geschichte und den<br />

Fluch dieser Stadt, denn ihr Tagewerk ist »rennen<br />

und jagen«, und ihr Ziel ist – Gold; nur eines täuscht<br />

sie – <strong>das</strong> Glück; es neckt sie wie die Spiegelung den<br />

Wüstenwanderer, und zu dem Verdurstenden spricht<br />

es in seiner letzten Minute: Dein Gold war Sand. Wer<br />

löste <strong>das</strong> große Rätsel von des Menschen Glück, und<br />

wer lehrte uns, »wie« und »wo« es sicher zu finden?<br />

Aber eines fühlt sich: <strong>das</strong> Menschenglück ruht wo anders,<br />

als in der Bank von England. Glück! es ist nicht<br />

zu sagen, was du bist, aber es ist zu zeigen, wer dich<br />

hat. Der fromme Geistliche hat dich, der, selbst an den<br />

Trost glaubend, den er eben noch am Lager eines Sterbenden<br />

spendete, nun sinnend durch die Gänge seines<br />

Gartens schreitet und Samen in die Beete streut,<br />

hoffend auf die ewige Frühlingserfüllung. Glück! der<br />

Arzt hat dich, dessen geschickte Hand eine Mutter ihren<br />

Kindern wiedergab und der, heimgekehrt zu seinen<br />

Büchern, weiter forscht in dem Wald überlieferter<br />

Erfahrung. Glück! jene Waschfrau hatte dich, von<br />

der uns Chamisso erzählt, die Freude hatte an ihrem<br />

selbstgesponnenen Sterbehemd und es sonntags anlegte,<br />

wenn sie zur Kirche und Erbauung ging. Glück!<br />

es haben dich alle, die eingedenk, daß wir mehr sind<br />

als ein galvanisierter Leib, ihrem unsterblichen Teile<br />

leben, jeder nach seiner Art.<br />

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