BETEN ein Impuls von Bischof Joachim Wanke (PDF) - Pfarre ...
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Beten<br />
Das (Gebet als „geistliches Grundwasser" der Kirche. Aus dem Hirtenbrief<br />
zur Fastenzeit 2012<br />
+ <strong>Joachim</strong> <strong>Wanke</strong> Erfurt<br />
Mit der Heiligen Schrift zu beten dies empfiehlt der emeritierte <strong>Bischof</strong> <strong>von</strong><br />
Erfurt, <strong>Joachim</strong> <strong>Wanke</strong>, in s<strong>ein</strong>em Fastenhirtenbrief<br />
2012.<br />
Kurze Schriftworte können als Gehetsimpulse im Alltag dienen. Die Texte<br />
der Bibel, die den Gottesdienst der Kirche prägen und durchziehen, können<br />
auch das Beten jedes <strong>ein</strong>zelnen Christen bereichern. Einzelne Worte, kurze<br />
Sätze oder Ausrufe aus den Schriftlesungen des Stundengebets oder des<br />
sonntäglichen Gottesdienstes lassen aufhorchen und können nachwirken.<br />
<strong>Wanke</strong> empfiehlt solche Schriftworte in unterschiedlichen Situationen still<br />
zu wiederholen. So kann sich gem<strong>ein</strong>schaftliches und individuelles Gebet,<br />
Liturgie und persönliche Frömrnigkeit verbinden. Wenn mehr gebetet wird,<br />
dann steigt der geistliche ‚ “Grundwasserspiegel'' in der Kirche, so ist der<br />
<strong>Bischof</strong> überzeugt.<br />
Wir leben in <strong>ein</strong>er Zeit, die im Begriff ist, Gott zu vergessen. Es besteht<br />
die reale Gefahr, dass wir Christen selbst in den Strudel der<br />
Gottvergessenheit hin<strong>ein</strong>gerissen werden. Irgendwie ist man noch nominell<br />
Christ und bekennt sich auch dazu, aber man lebt dann im Alltag so, als ob<br />
es Gott nicht gäbe. Was kann da helfen?<br />
M<strong>ein</strong>e Antwort lautet: Das Gebet. In die Gebetsschule des Herrn gehen -<br />
das ist <strong>ein</strong>e Aufgabe, die vor allen anderen Aufgaben, die wir in unseren<br />
Gem<strong>ein</strong>denh zu erledigen haben, Vorrang hat. Ja, erst so können die<br />
sonstigen kirchlichen Aktivitäten, die auch wichtig und notwendig sind,<br />
nachhaltig und fruchtbar werden, etwa die Sorge um den Nächsten, um<br />
Gottesdienste, um religiöse Bildung oder Gremienarbeit. Es ist wie mit dem<br />
Grundwasser. Man sieht es nicht, aber erst s<strong>ein</strong> Vorhandens<strong>ein</strong> macht<br />
<strong>ein</strong>en Garten oder <strong>ein</strong>en Acker fruchtbar. Die vor uns liegende Fastenzeit<br />
soll uns <strong>ein</strong>en neuen Anstoß geben, uns intensiver um das Beten zu<br />
mühen.<br />
Die Heilige Schrift als Gebetsschule<br />
Ich möchte heute <strong>ein</strong>laden, besonders auf das Beten mit der Heiligen<br />
Schrift zu schauen. Wenn es wahr ist, dass die ganze Heilige Schrift Wort<br />
Gottes ist, dann dürfen wir das begründete Vertrauen haben, dass die<br />
Heilige Schrift insgesamt so etwas wie <strong>ein</strong>e Gebetsschule ist. Bestimmte<br />
Texte der Heiligen Schrift, etwa das Vater-unser, auch die Psalmen und die<br />
Hymnen des Neuen Testaments wie das Benediktus oder das Magnifikat,<br />
sind ja mit gutem Grund fest im Gebetsschatz der Kirche verankert. Ich<br />
persönlich habe mit folgender Gebetspraxis gute Erfahrungen gemacht:<br />
dem Beten mit kurzen Schriftworten. Ich suche mir kurze Worte aus der<br />
Heiligen Schrift, die ich als Gebetsanrufungen in m<strong>ein</strong>en Tag <strong>ein</strong>baue. Ich
nenne diese Worte Situationsgebete. Sie beleuchten bestimmte<br />
Alltagssituationen und tauchen sie in <strong>ein</strong> neues Licht. Sie sind für mich so<br />
etwas wie geistliche „Tiefenbohrungen", besonders in Situationen, in denen<br />
es sehr profan zugeht und Gott weit weg zu s<strong>ein</strong> sch<strong>ein</strong>t.<br />
„Herr, du kennst mich!" (Ps 139,1)<br />
Ich nenne <strong>ein</strong> Beispiel. Beim Breviergebet bin ich bei dem kurzen<br />
Psalmwort: „Herr, du kennst mich!" (Ps 139,1) hängen geblieben. Es ist<br />
merkwürdig: Dieses Wort, in unterschiedlichen Situationen still im Herzen<br />
wiederholt, hat <strong>ein</strong>e eigentümliche Wirkung. Es ist wie mit <strong>ein</strong>er<br />
wechselnden Beleuchtung, die bekanntlich auch <strong>ein</strong>e Landschaft, <strong>ein</strong><br />
Gesicht, <strong>ein</strong>en Gegenstand verändern kann. Dieses Wort „Herr, du kennst<br />
mich!" kann mich trösten, wenn ich es z. B. in <strong>ein</strong>er Situation ausspreche,<br />
in der ich mit m<strong>ein</strong>en guten Absichten verkannt werde. Oder: Es kann mich<br />
mahnen, wenn ich mich dabei ertappe, überheblich oder <strong>ein</strong>gebildet zu<br />
werden; oder wenn ich mich unter mir unbekannten Menschen <strong>ein</strong>sam und<br />
verlassen fühle; oder wenn ich <strong>von</strong> mir selbst enttäuscht bin; oder wenn ich<br />
mir plötzlich <strong>ein</strong>er Schuld bewusst werde. „Herr, du kennst mich!"<br />
Ein solches Wort befreit aus Verengungen, es macht das Herz weit und gibt<br />
Luft zum Atmen. Und es öffnet für <strong>ein</strong>en kurzen Augenblick den Himmel<br />
über mir - nicht nur über mir all<strong>ein</strong>.<br />
Ein solches aus der Heiligen Schrift gewonnenes Situationsgebet, in den<br />
Alltag mit hin<strong>ein</strong>genommen, hat verschiedene Vorteile: man kann es gut<br />
behalten; es eignet sich gut zur Wiederholung; es „gräbt sich <strong>ein</strong>";<br />
es verlangt k<strong>ein</strong>e besonderen Gebetszeiten und Gebetsräume und zudem<br />
ist die Gefahr gering, beim Anwenden dieses Gebets durch Zerstreuung<br />
abgelenkt zu werden. Ein solches Wort, innerlich im Herzen etwa bei <strong>ein</strong>em<br />
schwierigen Gespräch aufgerufen, bei <strong>ein</strong>er ärgerlichen Brieflektüre, bei<br />
<strong>ein</strong>em langweiligen, monotonen Tun, verändert in der Tat die jeweilige<br />
Situation. Hier erreicht das Evangelium das konkrete Leben. Es ist ihm<br />
vielleicht näher als in <strong>ein</strong>er ausgesparten Gebetszeit, die sicher auch im<br />
Lebensrhythmus notwendig ist. Doch hier mache ich auf <strong>ein</strong>mal die<br />
Erfahrung, dass es sich auch im „Alltagskleid" beten lässt. Das Wort Gottes<br />
gewinnt in solchen Situationen <strong>ein</strong>e Stimme, die sonst ungehört bliebe. Es<br />
ergibt sich die Chance, dass dieses Wort mich ändert und bei mir bleibende<br />
Spuren hinterlässt. Durch dieses biblisch inspirierte „Situationsgebet"<br />
erfährt das Evangelium <strong>ein</strong>e vertiefte Auslegung. Auf <strong>ein</strong>mal entfaltet es<br />
<strong>ein</strong>en Bedeutungsreichtum, der selbst bei längerem Nachdenken verborgen<br />
geblieben wäre. Die Situation ist es, die hier das Wort Gottes<br />
kommentiert. Gerade etwa für uns Priester, die wir gern „über" dem Wort<br />
sitzen, ist es heilsam, auf diese Weise unser eigenes Leben „unter" das<br />
Gotteswort zu stellen. Am Abend <strong>ein</strong>es Tages kann ich <strong>ein</strong> solches Wort<br />
noch <strong>ein</strong>mal aufgreifen, <strong>ein</strong>e Gewissenserforschung anschließen, <strong>ein</strong> neues<br />
Wort für den nächsten Tag suchen - oder auch dem Wort nachsinnen, das<br />
ich am Tage „entdeckt" habe.<br />
„Herr, ich möchte sehen können" (Mk 10, 51)
Ich nenne <strong>ein</strong> zweites Beispiel: das Wort des blinden Bartimäus, mit dem<br />
er sich voll Erwartung dem Herrn zuwendet: „Herr, ich möchte sehen<br />
können!" (Mk 10,51). Auch Bischöfe werden manchmal kritisiert. Schnell<br />
kann man in <strong>ein</strong>er solchen Situation ärgerlich werden. Da kann <strong>ein</strong> solches<br />
Gebetswort helfen. Ich bitte darin um die Einsicht, vielleicht doch eigene<br />
Fehler und Schwächen zu erkennen und <strong>ein</strong>zugestehen. Oder, in der<br />
umgekehrten Situation: Ich muss andere kritisieren. Da kann dieses Wort<br />
„Herr, ich möchte sehen können!" aufmerksam machen, dass es neben aller<br />
Kritik auch Positives am anderen oder an <strong>ein</strong>er Situation festzuhalten gäbe.<br />
Oder: Ich bereite mich auf <strong>ein</strong>en schwierigen Besuch vor. Der genannte<br />
Gebetsruf öffnet mich innerlich für das, was Gott mich sehen lassen will<br />
und was mir jetzt noch verborgen ist. Oder wenn <strong>ein</strong> Streit zu eskalieren<br />
droht: Das Gebetswort „Herr, ich möchte sehen können!" bringt mich zur<br />
Einsicht, dass vielleicht doch ich den Balken im eigenen Auge habe und der<br />
andere nur den Splitter. Oder in der Situation der Überlastung, wenn ich im<br />
Begriff bin, mich selbst zu bemitleiden: Da kann <strong>ein</strong> solches Wort „Herr, ich<br />
möchte sehen können!" daran erinnern, dass ich mehr Grund habe zu<br />
danken als zu klagen Das Selbstmitleid wird dann leichter unterbleiben -<br />
und dies wird auch m<strong>ein</strong>er Umgebung gut tun.<br />
„Licht <strong>von</strong> oben" im Alltag<br />
Das sind Beispiele für die Vielgestaltigkeit der Wirkungen, die <strong>ein</strong> solch<br />
lebendiges Beten mit Worten der Heiligen Schrift im Alltag hervorbringen<br />
kann. Ich nenne <strong>ein</strong>mal noch <strong>ein</strong>ige weitere biblische Worte, die mir, auf<br />
diese Weise angewendet, schon öfters beim Beleuchten <strong>von</strong><br />
Alltagssituationen „Licht <strong>von</strong> oben" geschenkt haben:<br />
• Bleibt in mir, dann bleibe ich in euch!" (Joh 15,4)<br />
• „Seht, ich mache alles neu!" (Offb 21,5)<br />
• „Gott, schaffe mir <strong>ein</strong> r<strong>ein</strong>es Herz!" (Ps 51,12)<br />
• „Ich fürchte k<strong>ein</strong> Unheil. denn du bist hei mir!" (Ps 23.4)<br />
• „M<strong>ein</strong> Herr und m<strong>ein</strong> Gott!" (Joh 20,28)<br />
• „Auf d<strong>ein</strong> Wort hin werde ich die Netze auswerfen!" (Lk 5,5)<br />
Die Liste ließe sich beliebig verlängern. Wir wissen aus Erfahrung: Auch<br />
menschliche Liebe braucht kl<strong>ein</strong>e Erinnerungszeichen, etwa der Trauring am<br />
Finger, die Fotos mit den Kindern und Enkelkindern als Blickfang im<br />
Wohnzimmer, der letzte Brief <strong>ein</strong>es verstorbenen Angehörigen, den ich<br />
immer wieder <strong>ein</strong>mal zur Hand nehme. Daran kann sich dann das Herz<br />
festmachen. Oh das Situationsgebet mit Worten der Heiligen Schrift nicht<br />
<strong>ein</strong> solches Erinnerungszeichen s<strong>ein</strong> könnte?<br />
Jedes Beten ist „Erinnerung an Gott". In s<strong>ein</strong>en Formen ist das Beten<br />
vielgestaltig und sehr unterschiedlich. Es gibt feierliche Hochformen des<br />
Gebets, wie unser Beten in der Eucharistie, aber es gibt eben auch das<br />
alltägliche, ganz unfeierliche persönliche Beten. Es gibt mitten im<br />
Alltagsgetümmel das Wachrufen <strong>ein</strong>es „Gedächtnisses des Herzens". Der
alte Kirchenvater Gregor <strong>von</strong> Nazianz hat <strong>ein</strong>mal gesagt: „Man soll sich<br />
häufiger an Gott erinnern, als man atmet".<br />
Ich gebe zu: Ich kann nicht ständig die Hände falten. Aber ich kann bei<br />
allem, was ich tue, das Herz Zu Gott erheben. Und wenn ich das mit<br />
Worten der Heiligen Schrift tue, wie bei diesem <strong>von</strong> mir heute vorgestellten<br />
Situationsgebet im Alltag, ist mit Sicherheit der Heilige Geist dabei.<br />
Es gibt sicher viele andere Themen, die in der Kirche überlegt und<br />
diskutiert werden müssen. Ich habe bewusst das Thema Beten für diesen<br />
Hirtenbrief gewählt. Denn für unsere derzeitige geistliche Not in der Kirche<br />
gibt es m<strong>ein</strong>er M<strong>ein</strong>ung nach k<strong>ein</strong>e bessere Therapie als das Gebet. Wir<br />
brauchen geistliches Grundwasser dann kann vieles in der Kirche wieder<br />
neu zum Blühen kommen. Darum lasst uns in der vor uns liegenden<br />
österlichen Bußzeit mit neuem Mut das Beten wagen!<br />
Ich kann nicht ständig die Hände falten. Aber ich kann bei allem, was ich<br />
tue, das Herz zu Gott erheben.