"Ich bin einfach ein Mensch" - Peter Lang
"Ich bin einfach ein Mensch" - Peter Lang
"Ich bin einfach ein Mensch" - Peter Lang
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Geschichtlicher und demografischer<br />
Hintergrund<br />
Die Slowen/innen in Südkärnten blicken von allen autochthonen ethnischen<br />
Gruppierungen oder autochthonen Minderheiten in Österreich auf die längste<br />
Siedlungsgeschichte zurück: Während die Kroaten erst im 16. Jahrhundert im<br />
heutigen Burgenland ansässig wurden, Tschechen und Slowaken im Wiener<br />
Raum ca. 300 Jahre später, ließen sich die Vorfahren der Slowen/innen bereits<br />
vor rund 1400 Jahren, Ende des 6. Jahrhunderts, in weiten Gebieten des heutigen<br />
Österreich nieder.<br />
Das Hauptproblem der slowenischen Sprachgruppe ist die seit Mitte des 19.<br />
Jahrhunderts <strong>ein</strong>setzende Assimilation und damit eng verknüpft die dramatische<br />
Zunahme jener Personen, die sich durch <strong>ein</strong>en Identitätswechsel nicht mehr der<br />
slowenischen Herkunftsgruppe, sondern der deutschsprachigen Mehrheitsbevölkerung<br />
zugehörig fühl(t)en.<br />
An dieser Entwicklung haben sowohl objektive als auch subjektive Faktoren<br />
mitgewirkt. Beide haben mit ungleichen ökonomischen, sozialen und politischen<br />
Machtverhältnissen zu tun, die im Verlauf der Geschichte in Südkärnten <strong>ein</strong>e<br />
Rolle spielten. Die wissenschaftliche Literatur zur historischen Entwicklung und<br />
zu aktuellen Problemen der slowenischen Sprachgruppe in Kärnten ist umfangreich.<br />
1 An dieser Stelle werden daher nur überblicksartig die wichtigsten Probleme<br />
angerissen:<br />
Um 1900 wurden bei der Volkszählung rund 85.000 Slowen/innen gezählt;<br />
politische Ereignisse wie die Gebietsansprüche seitens der SHS-Truppen (= Königreich<br />
der Serben, Kroaten und Slowenen) nach dem Ersten Weltkrieg und die<br />
darauf folgende Volksabstimmung 1920, bei der sich die Mehrheit in Südkärnten<br />
für den Verbleib bei Österreich ausgesprochen hatte, ließen die Zahl der sich<br />
zu ihrer Sprachgruppe bekennenden Slowen/innen deutlich schrumpfen. Während<br />
des Zweiten Weltkrieges, mit den Germanisierungsbestrebungen im Dritten<br />
Reich, kam es zu Deportationen zahlreicher slowenischer Familien. Nach dem<br />
1 Hier nur <strong>ein</strong>e Auswahl bedeutender Werke: zu Identität und soziologischen Fragestellungen<br />
Boeckmann et al. 1988; Guggenberger, Holzinger, Pöllauer & Vavti 1994; Jesih<br />
2010; Jurić Pahor 2000, 2007; Pušnik 2011 u. a. m; zu demografischen Fragestellungen<br />
Reiterer 1986; 2000; Zupančič 2007; zu geschichtlichen Fragestellungen Haas & Stuhlpfarrer<br />
1977; Karner (Hrsg.) 2005; Malle (Hrsg.) 2002 (Neuauflage 2012); Malle & Sima<br />
1992, 1996; Moritsch & Bahovec 2000; Pleterski 2000; Valentin et al. (Hrsg.) 2002<br />
u. v. a. Zum Volksgruppenrecht Pandel et al. (Hrsg.) 2004; zum Ortstafelkonflikt Vavti<br />
2002; zur Schulfrage Domej 2008; zu linguistischen Fragestellungen Pohl 2002; Maurer-Lausegger<br />
2009.<br />
11
Krieg gab es neuerliche Gebietsansprüche seitens des ehemaligen Jugoslawien.<br />
Die Antwort darauf war schließlich der Artikel 7 des Österreichischen Staatsvertrages<br />
von 1955 mit den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutz der autochthonen<br />
Minderheiten in Österreich. In Kärnten blieb das Verhältnis zwischen<br />
den beiden Sprachgruppen in der Nachkriegszeit angespannt. Streitpunkte waren<br />
vor allem die Minderheitenschulfrage und die Frage der zweisprachigen topographischen<br />
Aufschriften, letztere konnten erst 2011 <strong>ein</strong>er Kompromisslösung<br />
zugeführt werden.<br />
Die angespannte Atmosphäre zwischen den beiden Kärntner Sprachgruppen<br />
führte in weiterer Folge zur Assimilation vieler Kärntner Slowen/innen. 2<br />
Der drastische Rückgang der sich zu ihrer Sprachgruppe „bekennenden“<br />
Slowen/innen hat verschiedene Ursachen: Der Assimilationsdruck im Verlauf<br />
des 20. Jahrhunderts ist dafür ebenso verantwortlich wie die Modernisierung<br />
und die Notwendigkeit der ökonomischen und sozialen Mobilität, die gerade<br />
jüngere Generationen weg aus dem traditionalen ethnischen Umfeld in größere<br />
österreichische Städte führte. Reiterer (1986) weist darauf hin, dass die ehemaligen<br />
Bauern durch das zweisprachige Bildungssystem, allen voran das 1957 gegründete<br />
Bundesgymnasium für Slowenen, <strong>ein</strong>en sozialen Aufstieg geschafft<br />
haben, der aber auf der Suche nach entsprechenden Arbeitsplätzen <strong>ein</strong>e Abwanderung<br />
notwendig macht. 3<br />
Viele Slowen/innen, die sich während der letzten Jahrzehnte assimiliert haben,<br />
zeigen noch <strong>ein</strong>e partielle Identifikation mit ihrer Herkunftssprache: So etwa<br />
fühlen sich <strong>ein</strong>ige als „Windische“ 4 oder „deutschfreundliche Slowen/innen“<br />
mit emotionaler Bindung an die jeweils verschiedenen slowenischen Dialekte.<br />
Reiterer (2000) merkt in diesem Kontext an, dass rund 50.000 bis 60.000 Kärnt-<br />
2 1910 wurden noch 74.210 Slowen/innen gezählt, 1991 nur mehr 14.850 und 2001 rund<br />
12.600.<br />
3 Umfassend wird diese Situation im 1986 erschienenen Werk „Doktor und Bauer“ dargestellt.<br />
Vgl. dazu auch Reiterer 2000; Zupančič 2007; St<strong>ein</strong>icke & Zupančič 1994/95.<br />
4 Die „Windischen“ und das „Windische“ sind <strong>ein</strong> heikles Thema. Die ethnisch bewussten<br />
Kärntner Slowenen tabuisieren diesen Begriff, weil er im Verlauf der Kärntner Geschichte<br />
immer wieder instrumentalisiert worden war, z. B. zur Teilung der Slowenen in<br />
„gute“ und „schlechte“ Kärntner. Versteht man die „Windischen“ nicht als <strong>ein</strong>e politisch<br />
definierte Gruppe, sondern als jene Kärntner, die zwar von slowenischen Eltern<br />
abstammen, aber nicht bereit sind, sich als Slowenen zu deklarieren, so müsste das<br />
Thema in <strong>ein</strong>er Weise angesprochen werden, die ihm gerecht wird. „Windisch“ wäre<br />
dann jener Kreis, der sich ethnisch nicht mehr als slowenisch definieren möchte bzw.<br />
aus irgend<strong>ein</strong>em Grund nicht zu den „bewussten Slowenen“ gezählt werden will, jedoch<br />
slowenische Wurzeln hat und sich bis heute <strong>ein</strong>e <strong>ein</strong>geschränkte Sprachkompetenz erhalten<br />
hat. Vgl. zur „Windischendiskussion“ vor allem auch die verschiedenen Arbeiten<br />
von Pohl (z.B. 2002).<br />
12
ner/innen zumindest partielle Sprachkenntnisse in Slowenisch haben, wenngleich<br />
bei der Volkszählung 2001 nur mehr rund 12.600 Personen offiziell Slowenisch<br />
als Umgangssprache angegeben hatten.<br />
Seit den 1970er-Jahren hat das zweisprachige Bildungssystem <strong>ein</strong>e gut qualifizierte<br />
slowenische „Elite“ hervorgebracht, die aber wegen fehlender Arbeitsplätze<br />
in Kärnten häufig in größere österreichische Zentren abwandert. Seit dem<br />
Beitritt Sloweniens zur EU (2004) besannen sich <strong>ein</strong>ige bereits assimilierte Slowen/innen<br />
auf ihre ethnischen Wurzeln und meldeten ihre Kinder zum Slowenischunterricht<br />
an, es fehlt jedoch in Teilen der Bevölkerung mit slowenischer<br />
ethnischer Herkunft noch immer <strong>ein</strong>e klare Identifikation mit dem Slowenischen.<br />
Es sinkt vor allem die Zahl jener Personen, die über <strong>ein</strong>e gute Sprachkompetenz<br />
in ihrer Herkunftssprache verfügen. So verwundert es nicht, dass klare<br />
ethnische Selbstzuordnungen und Identitäten gerade in der jüngeren Generation<br />
brüchig werden. Sie sind vorwiegend dort anzutreffen, wo Jugendliche<br />
eng in die slowenischen bzw. zweisprachigen Schul- und Ver<strong>ein</strong>sstrukturen <strong>ein</strong>gebunden<br />
sind und bleiben.<br />
Zu erwartende demografische Entwicklungen, allen voran die zunehmende<br />
Überalterung der Bevölkerung und die Abwanderung aus ländlichen Gebieten,<br />
werden in Zukunft die Zahl der Slowen/innen in Kärnten weiter verringern. 5 Die<br />
Prognosen der Statistik Austria deuten darauf hin, dass gerade Kärnten – etwa<br />
im Gegensatz zu Wien – langfristig mit deutlichen Bevölkerungsverlusten zu<br />
rechnen haben wird. 6 In Kärnten ist besonders der Bezirk Hermagor mit <strong>ein</strong>er<br />
prognostizierten Bevölkerungsabnahme von 12% von dieser Entwicklung betroffen.<br />
Zur Abwanderung jüngerer Menschen trägt auch die wirtschaftliche Situation<br />
Kärntens bei, das im Hinblick auf die wirtschaftliche Entwicklung und<br />
den Arbeitsmarkt zum Schlusslicht Österreichs zählt. 7<br />
Der Südkärntner Wirtschaftsraum ist durch s<strong>ein</strong>e Randlage benachteiligt und<br />
zählt trotz vielfältiger Bemühungen um <strong>ein</strong>e aktive Industriepolitik nach wie vor<br />
zu den peripheren Gebieten Österreichs.<br />
5 Vgl. dazu auch die Ausführungen von Domej 2008. So waren etwa bei der VZ 2001<br />
rund die Hälfte jener Menschen, die Slowenisch als ihre Umgangssprache angegeben<br />
hatten, älter als 65 Jahre. Bei den unter 14-Jährigen gab es nur mehr 1600 Personen mit<br />
Slowenisch als „Muttersprache”.<br />
6 Vgl. http://www.statistik.at/web_de/presse/027290, Ausdruck vom 22.1.2008.<br />
7 Während etwa die Arbeitslosigkeit in anderen Bundesländern gleich geblieben oder<br />
gesunken ist, ist in Kärnten <strong>ein</strong> Anstieg zu vermerken: Im Februar 2009 waren in Kärnten<br />
3642 Jugendliche unter 25 ohne Arbeit, <strong>ein</strong> Plus von 47,1% im Vergleich zum Vorjahr,<br />
vgl. dazu Kärntner Tageszeitung v. 22.3.2009, S. 4-5. Auch beim Einkommen rangiert<br />
Kärnten im untersten Bereich, vgl. dazu Kl<strong>ein</strong>e Zeitung v. 16.5.2009, S. 27.<br />
13
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war im zweisprachigen Gebiet die bäuerliche<br />
Bevölkerung überrepräsentiert. Der soziale Wandel im Zuge der Modernisierung<br />
hat zuerst die deutschsprachige Bevölkerung erfasst. Die Folge davon war, dass<br />
gerade die traditionalen Schichten bei den Slowenen verblieben sind. Erst in den<br />
1970er-, 1980er-Jahren begann sich die Situation grundlegend zu verändern: Im<br />
Südkärntner Raum gab es <strong>ein</strong>en verstärkten Rückgang der Agrarbevölkerung.<br />
Der wachsende Tourismus, <strong>ein</strong> bedeutender Wirtschaftszweig Kärntens, hatte in<br />
dieser Zeit gerade in den Südkärntner Seenregionen die Assimilation vieler slowenischer<br />
Familien zur Folge. 8<br />
Mit der Gründung des Bundesgymnasiums für Slowenen / Zvezna gimnazija<br />
za Slovence im Jahr 1957 entstand <strong>ein</strong>e slowenische Bildungselite, die neben<br />
Teilen der agrarischen Bevölkerung heute den slowenischen „harten Kern“ ausmacht.<br />
Heute gibt es zwei weitere slowenische bzw. zweisprachige berufsbildende<br />
höhere Schulen: Die Zweisprachige Bundeshandelsakademie in Klagenfurt<br />
/ Dvojezična zvezna trgovska akademija v Celovcu und die Höhere Schule<br />
für Wirtschaftsberufe in St. <strong>Peter</strong> / Višja šola za gospodarske poklice v Šentpetru.<br />
In den 1990er-Jahren kam es in Kärnten, nicht zuletzt wegen des Rückganges<br />
im Tourismus und der Krise im Agrarbereich und wegen der wachsenden<br />
Konkurrenz nach dem EU-Beitritt, zu steigenden Arbeitslosenzahlen.<br />
Das Einkommen als Wohlstandsindikator zeigt, dass Kärnten im Österreichvergleich<br />
im untersten Bereich liegt. Benachteiligt ist dabei auch der zweisprachige<br />
Bezirk Völkermarkt / Velikovec, der nach wie vor im überdurchschnittlichen<br />
Ausmaß agrarisch geprägt ist (vor allem Zu- und Nebenerwerb) und <strong>ein</strong>e<br />
zum Teil saisonal abhängige Beschäftigungslage aufweist. Mit dem Großunternehmen<br />
Mahle-Filterwerk in St. Michael ob Bleiburg / Šmihel nad Pliberkom<br />
hat sich hier die Situation allerdings deutlich entspannt.<br />
Reiterer stellte 1986 zur Sozialstruktur der Slowen/innen in Südkärnten fest,<br />
die durchschnittliche Personenzahl pro Familie sei höher als bei den Deutschsprachigen,<br />
die Quote der Berufstätigkeit von Frauen geringer, dasselbe gelte für<br />
die Scheidungsquote. Dies trifft für ältere Personen z. T. auch heute zu. Ein bereits<br />
angesprochenes Problem im zweisprachigen Gebiet ist die Abwanderung<br />
der sogenannten slowenischen Bildungselite, die nach absolviertem Hochschulstudium<br />
wegen der tristen Arbeitsmarktsituation in den Kärntner Heimatgem<strong>ein</strong>den<br />
in den größeren Universitätsstädten <strong>ein</strong>e Beschäftigung sucht. Daraus<br />
resultiert in der weiteren Folge <strong>ein</strong>e steigende Zahl an ethnisch gemischten Ehen<br />
8 Siehe die Ausführungen bei Zupančič 2007. Zur wirtschaftlichen Situation in Kärnten<br />
allgem<strong>ein</strong>, vgl. die jährlich herausgegebenen Wirtschaftsberichte im Auftrag des Landes<br />
Kärnten, Bodenhöfer et al. 2007. Die unberechenbaren Entwicklungen aufgrund der<br />
Wirtschaftskrise wurden hier noch nicht berücksichtigt.<br />
14
und Partnerschaften. Diese beiden Faktoren begünstigen <strong>ein</strong>e oft auch ungewollte<br />
Assimilierung. Unbestritten ist, dass abgewanderte Slowen/innen, auch<br />
wenn sie ihrer ethnischen Herkunft „treu“ bleiben, die Position der slowenischen<br />
Bevölkerung in Südkärnten und in den ehemaligen Heimatgem<strong>ein</strong>den nicht stärken<br />
können.<br />
15