Dokumentation der Fachtagung vom 4.6.2013 in Berlin - Perspektive ...
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<strong>Perspektive</strong> Berufsabschluss<br />
<strong>Dokumentation</strong> <strong>der</strong> <strong>Fachtagung</strong> <strong>vom</strong> 4. Juni 2013 <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong><br />
BILDUNG
<strong>Perspektive</strong> Berufsabschluss<br />
<strong>Dokumentation</strong> <strong>der</strong> <strong>Fachtagung</strong> <strong>vom</strong> 4. Juni 2013 <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong><br />
BILDUNG
E<strong>in</strong>führung<br />
E<strong>in</strong>führung<br />
Im Programm „<strong>Perspektive</strong> Berufsabschluss“, geför<strong>der</strong>t<br />
durch das Bundesm<strong>in</strong>isterium für Bildung und<br />
Forschung und dem Europäischen Sozialfonds, s<strong>in</strong>d <strong>in</strong><br />
über fünf Jahren Projektarbeit vielfältige Ergebnisse <strong>in</strong><br />
den För<strong>der</strong>schwerpunkten „Regionales Übergangsmanagement“<br />
und „Abschlussorientierte modulare Nachqualifizierung“<br />
erzielt worden. Auf <strong>der</strong> <strong>Fachtagung</strong> am<br />
4. Juni 2013 <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> konnten e<strong>in</strong>ige <strong>der</strong> erfolgreichen Ergebnisse<br />
e<strong>in</strong>em breiten Fachpublikum vorgestellt werden.<br />
In <strong>in</strong>sgesamt 55 Projektregionen wurde durch Verbesserung<br />
<strong>der</strong> Kooperation und <strong>der</strong> Abstimmungsprozesse<br />
<strong>der</strong> verantwortlichen Akteure dazu beigetragen,<br />
die regionalen För<strong>der</strong>strukturen für Jugendliche mit<br />
beson<strong>der</strong>em För<strong>der</strong>bedarf am Übergang Schule – Beruf<br />
zu optimieren und diese nicht nur effizienter, son<strong>der</strong>n<br />
auch transparenter zu gestalten. Die Voraussetzungen<br />
für e<strong>in</strong>e Nachqualifizierung von arbeitslosen und<br />
erwerbstätigen jungen An- und Ungelernten mit dem<br />
Ziel e<strong>in</strong>es Berufsabschlusses wurden <strong>in</strong> <strong>in</strong>sgesamt<br />
42 Projektregionen verbessert.<br />
Projektverantwortliche und ihre regionalen Netzwerkpartner<br />
bekamen die Gelegenheit, über ihre Arbeit<br />
zu sprechen und darzustellen, was zum Erfolg geführt<br />
hat und welche Schwierigkeiten gemeistert werden<br />
mussten. Teilnehmende an Nachqualifizierungen<br />
haben über ihre motivierenden Erfahrungen und von<br />
<strong>der</strong> Nutzung ihrer zweiten Chance im Berufsleben<br />
berichtet. Abgerundet wurde die Veranstaltung durch<br />
die Vorstellung von „Schlaglichtern“ auf be<strong>in</strong>druckende<br />
Beispiele erfolgreicher Projektarbeit.<br />
Weiterführende Informationen zum Programm<br />
und diese Tagungsdokumentation f<strong>in</strong>den Sie unter<br />
www.perspektive-berufsabschluss.de
Inhalt<br />
1<br />
Inhalt<br />
Tagungsprogramm 2<br />
Das Strukturprogramm „<strong>Perspektive</strong> Berufsabschluss“ – E<strong>in</strong>e Erfolgsgeschichte<br />
Ergebnisse, Good Practice, Verfahrensstandards<br />
M<strong>in</strong>Dirig Thomas Son<strong>der</strong>mann, Leiter <strong>der</strong> Unterabteilung „Berufliche Bildung“<br />
im Bundesm<strong>in</strong>isterium für Bildung und Forschung 5<br />
Potenziale nutzen und <strong>Perspektive</strong>n schaffen – Fachkräftesicherung<br />
als bildungspolitischer Auftrag<br />
Prof. Dr. Stefan Sell, Direktor des Instituts für Bildungs- und Sozialpolitik<br />
<strong>der</strong> Hochschule Koblenz (ibus) 10<br />
„Regionales Übergangsmanagement“ (RÜM) als bildungspolitische Koord<strong>in</strong>ierungsstrategie<br />
Podiumsdiskussion I 21<br />
„Abschlussorientierte modulare Nachqualifizierung“ als Erfolgsstrategie<br />
zur Fachkräftesicherung<br />
Podiumsdiskussion II 25<br />
Schlaglichter erfolgreicher Projektarbeit<br />
M<strong>in</strong>R’<strong>in</strong> Viola-Anto<strong>in</strong>ette Klanten, Leiter<strong>in</strong> des Referats „Berufsorientierung,<br />
Chancengerechtigkeit für Jugendliche“ im Bundesm<strong>in</strong>isterium<br />
für Bildung und Forschung, und Reg<strong>in</strong>a Br<strong>in</strong>kmann, Bildungsjournalist<strong>in</strong> 31<br />
Impressionen 41
2<br />
Tagungsprogramm<br />
Tagungsprogramm<br />
Gesamtmo<strong>der</strong>ation: Reg<strong>in</strong>a Br<strong>in</strong>kmann, Bildungsjournalist<strong>in</strong><br />
09:30 Uhr Anmeldung<br />
10:30 Uhr Begrüßung und E<strong>in</strong>stieg <strong>in</strong> die Tagung<br />
10:40 Uhr Das Strukturprogramm „<strong>Perspektive</strong> Berufsabschluss“ – E<strong>in</strong>e Erfolgsgeschichte<br />
Ergebnisse, Good Practice, Verfahrensstandards<br />
M<strong>in</strong>Dirig Thomas Son<strong>der</strong>mann,<br />
Bundesm<strong>in</strong>isterium für Bildung und Forschung<br />
11:00 Uhr Potenziale nutzen und <strong>Perspektive</strong>n schaffen – Fachkräftesicherung<br />
als bildungspolitischer Auftrag<br />
Prof. Dr. Stefan Sell,<br />
Direktor des Instituts für Bildungs- und Sozialpolitik <strong>der</strong> Hochschule Koblenz (ibus)<br />
11:45 Uhr Kurzfilm: Von <strong>der</strong> Schule <strong>in</strong> den Beruf – Übergänge für Jugendliche gestalten,<br />
Jugendliche an berufliche Ausbildung heranführen<br />
11:50 Uhr Regionales Übergangsmanagement als bildungspolitische<br />
Koord<strong>in</strong>ierungsstrategie<br />
Projektverantwortliche und <strong>der</strong>en regionale Netzwerkpartner diskutieren<br />
Kriterien und Bed<strong>in</strong>gungen, die zum Gel<strong>in</strong>gen regionalen Bildungsmanagements beitragen:<br />
re<strong>in</strong>hard Goldbach,<br />
stellv. Leiter des Fachbereichs „Jugend und Soziales“ <strong>der</strong> Stadt Hagen<br />
Dörte He<strong>in</strong>rich,<br />
fachgebietsleiter<strong>in</strong> „Jugend“ beim Landkreis Vorpommern-Rügen<br />
Siegfried Lieske,<br />
Stadtrat und Leiter des Dezernats „Jugend, Schule und Ordnung“ <strong>der</strong> Stadt Gött<strong>in</strong>gen<br />
Dietmar L<strong>in</strong>ne,<br />
Vorstand <strong>der</strong> Beschäftigungsför<strong>der</strong>ung Gött<strong>in</strong>gen kAöR<br />
Dr. Matthias Schulze-Bö<strong>in</strong>g,<br />
leiter des Amts für Arbeitsför<strong>der</strong>ung, Statistik und Integration <strong>der</strong> Stadt Offenbach am Ma<strong>in</strong><br />
12:45 Uhr Mittagspause mit Lunch<br />
13:45 Uhr Kurzfilm: Chancen nutzen – Erwachsene auf dem Weg zum Berufsabschluss
Tagungsprogramm<br />
3<br />
13:50 Uhr Abschlussorientierte modulare Nachqualifizierung als Erfolgsstrategie<br />
zur Fachkräftesicherung<br />
Teilnehmende an Nachqualifizierungen und Projektverantwortliche<br />
kommentieren Beispiele guter Praxis und die (strukturellen) Voraussetzungen ihres Erfolgs:<br />
Susanne Neumann,<br />
leiter<strong>in</strong> des Projektes „leap“, zukunft im zentrum GmbH, Berl<strong>in</strong><br />
Kar<strong>in</strong> Mauz,<br />
geschäftsführer<strong>in</strong> „hotel johann“, Berl<strong>in</strong><br />
Achim Dudde,<br />
nachzuqualifizieren<strong>der</strong> „Hotelkaufmann“<br />
Yves Wulff,<br />
nachzuqualifizieren<strong>der</strong> „Elektroanlagenmonteur“<br />
T<strong>in</strong>a Bickel,<br />
leitungsteam <strong>der</strong> „Servicestelle Nachqualifizierung Altenpflege für Rhe<strong>in</strong>land-Pfalz“,<br />
<strong>in</strong>BAS GmbH, Offenbach<br />
Carla Mattern,<br />
nachzuqualifizierende „Altenpfleger<strong>in</strong>“<br />
14.45 Uhr Kaffeepause<br />
15:15 Uhr Schlaglichter erfolgreicher Projektarbeit<br />
präsentiert von M<strong>in</strong>R’<strong>in</strong> Viola-Anto<strong>in</strong>ette Klanten, Bundesm<strong>in</strong>isterium<br />
für Bildung und Forschung, und Reg<strong>in</strong>a Br<strong>in</strong>kmann, Bildungsjournalist<strong>in</strong><br />
Bereich: Netzwerkarbeit<br />
für das programmweite Begleitprojekt „Mit MigrantInnen für MigrantInnen“:<br />
Cemalett<strong>in</strong> Özer, Geschäftsführer <strong>der</strong> MOZAIK geme<strong>in</strong>nützigen Gesellschaft für<br />
<strong>in</strong>terkulturelle Bildungs- und Beratungsangebote mbH, Bielefeld<br />
Em<strong>in</strong>e Isgören, Bildungsbeauftragte, Saarbrücken<br />
Bereich: Elternarbeit<br />
für das Projekt „RÜM Landkreis Marburg-Biedenkopf“:<br />
Evelyne Rößer, Leiter<strong>in</strong> des RÜM im Landkreis Marburg-Biedenkopf und<br />
OloV-Regionalkoord<strong>in</strong>ator<strong>in</strong><br />
für das Projekt „RÜM Stadt Laatzen“:<br />
Bernhard Korte, Geschäftsführer des Landesverbandes Nie<strong>der</strong>sachsen e. V.<br />
„Deutsche Jugend <strong>in</strong> Europa (DJO)“, Hannover<br />
Thomas Schra<strong>der</strong>, Leiter des Teams „K<strong>in</strong><strong>der</strong>, Jugend, Familie, Senioren und<br />
Soziale Sicherung“, Stadt Laatzen
4<br />
Tagungsprogramm<br />
Bereich: Schule – Wirtschaft<br />
für das Projekt „Zukunft Görlitz“, Landkreis Görlitz:<br />
Sab<strong>in</strong>e Schaffer, Leiter<strong>in</strong> des RÜM-Projektes im Landkreis Görlitz<br />
für das Projekt „Mehr Aus-Bildung“, Landkreis Coburg:<br />
Michael Busch, Landrat des Landkreises Coburg<br />
Bereich: Beratung und Servicestrukturen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Nachqualifizierung<br />
für das Projekt „amoN – abschlussorientierte modulare Nachqualifizierung Schwer<strong>in</strong>“:<br />
Michaela Hanke, Koord<strong>in</strong>ator<strong>in</strong> des Nachqualifizierungsnetzes <strong>in</strong><br />
Mecklenburg-Vorpommern, Schwer<strong>in</strong>er Ausbildungszentrum e. V.<br />
für das Projekt „F<strong>in</strong>ish IT Karlsruhe“:<br />
günter Breun<strong>in</strong>ger, Leiter des NQ-Projektes Karlsruhe,<br />
CyberForum e. V., Karlsruhe<br />
Bereich: Nachqualifizierungsangebote<br />
für das Projekt „Netzwerk Nachqualifizierung Gießen – Lahn-Dill“:<br />
nicole Br<strong>in</strong>kmann, Leiter<strong>in</strong> des NQ-Projektes Gießen,<br />
ZAUG gGmbH, Gießen<br />
Steffen Dornbusch, Leiter <strong>der</strong> betrieblichen Ausbildung bei Bu<strong>der</strong>us Edelstahl, Wetzlar<br />
Susanne Söhngen, Teamleiter<strong>in</strong> Personalentwicklung, Bu<strong>der</strong>us Edelstahl, Wetzlar<br />
Bereich: Öffentlichkeitsarbeit<br />
für das Projekt „RÜM Stuttgart“:<br />
Angelika Münz, Mitarbeiter<strong>in</strong> <strong>der</strong> RÜM-Koord<strong>in</strong>ierungsstelle,<br />
Jugendhilfeplanung <strong>der</strong> Landeshauptstadt Stuttgart<br />
für das Projekt „Kieler Netzwerk zur Nachqualifizierung“:<br />
Thies Schulz-Holland, Projektmitarbeiter des NQ-Projektes Kiel,<br />
Berufsfortbildungswerk Geme<strong>in</strong>nützige Bildungse<strong>in</strong>richtung<br />
des DGB GmbH (bfw), Kiel<br />
16:30 Uhr Tagungsende
Thomas Son<strong>der</strong>mann<br />
5<br />
Das Strukturprogramm „<strong>Perspektive</strong> Berufsabschluss“<br />
– E<strong>in</strong>e Erfolgsgeschichte<br />
Ergebnisse, Good Practice, Verfahrensstandards<br />
M<strong>in</strong>Dirig Thomas Son<strong>der</strong>mann, Leiter <strong>der</strong> Unterabteilung „Berufliche Bildung“<br />
im Bundesm<strong>in</strong>isterium für Bildung und Forschung<br />
Me<strong>in</strong>e sehr verehrten Damen und Herren, liebe Frau<br />
Br<strong>in</strong>kmann, jetzt fällt mir e<strong>in</strong>, wie das bei mir damals<br />
war. Ich wusste nämlich auch nicht, was ich werden<br />
soll und dann hat me<strong>in</strong> Vater gesagt: Wer nicht weiß,<br />
was er werden will, <strong>der</strong> studiert Jura. Das habe ich dann<br />
auch brav gemacht und me<strong>in</strong>e Referendarzeit auch<br />
noch absolviert, danach wusste ich, Richter willst du<br />
nicht werden, Staatsanwalt willst du nicht werden,<br />
Rechtsanwalt erst recht nicht – und so kommt man<br />
dann <strong>in</strong>s M<strong>in</strong>isterium. Als Vertreter dieses M<strong>in</strong>isteriums<br />
heiße ich Sie herzlich willkommen zu <strong>der</strong> <strong>Fachtagung</strong><br />
„<strong>Perspektive</strong> Berufsabschluss“. <strong>Fachtagung</strong>, man könnte<br />
auch sagen Abschlusstagung, weil sich das Programm<br />
ja nach fünfjähriger Laufzeit se<strong>in</strong>em Ende zuneigt. Ich<br />
glaube aber, <strong>Fachtagung</strong> ist <strong>der</strong> bessere Begriff, weil:<br />
Wir machen ja ke<strong>in</strong> Strohfeuer, son<strong>der</strong>n wollen Impulse<br />
setzen, Ideen verbreitern, und <strong>in</strong>sofern ist es, glaube<br />
ich, auch ganz wichtig, dass Sie sich heute hier treffen,<br />
um das, was Sie <strong>in</strong> den letzten fünf Jahren erfahren und<br />
erlebt haben, auszutauschen, zu berichten, vone<strong>in</strong>an<strong>der</strong><br />
zu lernen und dann weiterzutragen <strong>in</strong> möglichst viele<br />
weiter bestehende Strukturen.<br />
Wir alle hier im Raum wissen, Bildung ist wichtig.<br />
Ich b<strong>in</strong> jetzt 24 Jahre <strong>in</strong> diesem M<strong>in</strong>isterium, und was<br />
mich beson<strong>der</strong>s freut: Dass Bildung wichtig ist, das war<br />
schon <strong>in</strong> den Reden vor 24 Jahren e<strong>in</strong> Standardbauste<strong>in</strong>,<br />
mittlerweile folgen diesen Sonntagsreden aber<br />
auch Taten, und das ist für mich, <strong>der</strong> ich mit diesem<br />
Thema gerne arbeite, e<strong>in</strong>e schöne Sache. Bund, Län<strong>der</strong><br />
und Kommunen haben die öffentlichen Bildungs<strong>in</strong>vestitionen<br />
im Jahr 2012 auf mehr als 110 Milliarden<br />
Euro gesteigert. Der Haushalt des M<strong>in</strong>isteriums, <strong>in</strong> dem<br />
wir arbeiten, ist noch im letzten Jahr um 6,2 Prozent<br />
gestiegen. Wenn Sie sich das anschauen vor dem H<strong>in</strong>tergrund<br />
von Schulden- und F<strong>in</strong>anzkrisen, wenn Sie<br />
sehen, dass die öffentliche Diskussion dah<strong>in</strong> geht, Geld<br />
zu sparen, dann ist es e<strong>in</strong> beson<strong>der</strong>er Erfolg, wenn wir<br />
<strong>in</strong> solchen Zeiten für Bildung und Forschung wirklich<br />
auf <strong>der</strong> Gew<strong>in</strong>nerseite stehen, was das Geld angeht.<br />
Losgelöst von dieser persönlichen Freude, wissen wir<br />
alle, dass das Wissen und Können <strong>der</strong> Menschen <strong>in</strong><br />
Deutschland das größte, das wichtigste, ja, man kann<br />
fast sagen, das e<strong>in</strong>zige Kapital ist. Es ist auf jeden Fall<br />
das mit Abstand systemrelevanteste Kapital. Die gute
6<br />
Thomas Son<strong>der</strong>mann<br />
Bildung <strong>in</strong> <strong>der</strong> beruflichen Bildung, <strong>in</strong> <strong>der</strong> akademischen<br />
Bildung tragen dabei nicht nur zum Wohlstand<br />
des Landes bei, unterstützen die Wirtschaft <strong>in</strong> ihrer hohen<br />
Innovationsfähigkeit und <strong>in</strong> ihrer Leistungskraft,<br />
son<strong>der</strong>n sie sichern auch die gesellschaftliche Teilhabe<br />
des E<strong>in</strong>zelnen und sorgen damit <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em ganz<br />
beson<strong>der</strong>en Maße für gesellschaftliche Stabilität. Wenn<br />
Sie sich Jugendarbeitslosigkeitsquoten <strong>in</strong> Europa anschauen,<br />
dann sehen Sie, dass gerade die Län<strong>der</strong> – und<br />
Deutschland gehört dazu –, die das duale Ausbildungssystem<br />
leben, mit Quoten bei 8 Prozent – wir s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong><br />
bisschen drunter – die besten Zahlen <strong>in</strong> Europa liefern<br />
und dass <strong>in</strong> an<strong>der</strong>en Län<strong>der</strong>n – gerade <strong>in</strong> Südeuropa –<br />
wir über die 50 Prozent gehen, bis zu 60 Prozent, und<br />
wenn Sie sich dann anschauen, was <strong>in</strong> Banlieues von<br />
Paris und <strong>in</strong> Vororten <strong>in</strong> Athen und <strong>in</strong> Madrid passiert,<br />
dann verstehen Sie, was das mit gesellschaftlichem<br />
Zusammenhalt und mit sozialer Integration zu tun hat,<br />
wenn Menschen e<strong>in</strong>e Bildungschance haben. Richtig<br />
ist aber auch: 7 o<strong>der</strong> 8 Prozent Jugendarbeitslosigkeit<br />
s<strong>in</strong>d 7 o<strong>der</strong> 8 Prozent Jugendarbeitslosigkeit zu viel. Das<br />
heißt, wir müssen natürlich weiterh<strong>in</strong> – und da ist noch<br />
viel zu tun – dafür sorgen, dass je<strong>der</strong> anhand se<strong>in</strong>er<br />
Möglichkeiten die Chance hat, <strong>in</strong> unserem Bildungssystem<br />
zum Gew<strong>in</strong>ner zu werden. Chancengerechtigkeit<br />
ist das Stichwort. Wir s<strong>in</strong>d auf gutem Weg, wenn<br />
man Zahlen nimmt: Wir steigern die Zahlen <strong>der</strong> Personen,<br />
die die Hochschulreife erwerben, auch die Studierendenquote<br />
nimmt zu, <strong>der</strong> Anteil <strong>der</strong> Schulabgänger<br />
ohne Schulabschluss ist <strong>in</strong> den letzten 6 Jahren von<br />
8 Prozent auf unter 6 Prozent gefallen, gute Zahlen,<br />
genauso wie das, was man Übergangsbereich nennt.<br />
Übergangssystem f<strong>in</strong>de ich e<strong>in</strong> fürchterliches Wort,<br />
Übergangsbereich geht. Von über 400.000 seit 2005 gefallen<br />
auf unter 270.000, und wenn man es sich genauer<br />
anguckt, s<strong>in</strong>d nicht alle 270.000 dann Sorgenfälle. Also,<br />
es gibt viele gut qualifizierte Menschen <strong>in</strong> Deutschland,<br />
duale Berufsausbildung trägt dazu bei, nachdem sie<br />
lange Jahre – man hatte so den E<strong>in</strong>druck – etwas <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
„Schmuddelecke“ lag. Die OECD schrieb uns jedes Jahr<br />
auf, ihr habt zu wenig Studierende. Ke<strong>in</strong>er nahm wahr,<br />
dass bei uns manches im dualen System ausgebildet<br />
wird, wofür an an<strong>der</strong>en Orten dieser Welt Hochschulen<br />
gegründet wurden. Nachdem das lange so war, erleben<br />
wir jetzt fast das Umgekehrte, fast so e<strong>in</strong>en Hype. Alle<br />
fragen, wie macht ihr das <strong>in</strong> Deutschland und versuchen,<br />
diese dualen Elemente zu verstehen und teilweise<br />
zu importieren. Das wird nicht von jetzt auf gleich<br />
gehen. Es geht auch nicht darum, dass „am deutschen<br />
Wesen die Welt genesen“ soll, aber ich glaube, diese<br />
Gleichberechtigung zwischen akademischer und beruflicher<br />
Bildung ist <strong>in</strong> Deutschland nicht nur gelungen,<br />
son<strong>der</strong>n sie kommt so langsam auch <strong>in</strong> den Köpfen<br />
gerade <strong>der</strong> <strong>in</strong>ternationalen Community an. Übrigens<br />
auch bei <strong>der</strong> Wirtschaft, die unter <strong>der</strong> Überschrift<br />
„Fachkräftemangel“ immer mehr auch auf den Bereich<br />
<strong>der</strong> dualen Berufsausbildung schaut, denn wenn man<br />
sich genauer anguckt, wo die Fachkräfte <strong>der</strong> Zukunft<br />
fehlen werden, dann s<strong>in</strong>d das zum e<strong>in</strong>en gewisse Branchen<br />
– <strong>der</strong> Pflegebereich, <strong>der</strong> Gesundheitsbereich usw.<br />
– und es ist <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e <strong>der</strong> Fachkräfteanteil <strong>der</strong>er, die<br />
vorher e<strong>in</strong>e duale Berufsausbildung gemacht haben.<br />
Chancengerechtigkeit war das Stichwort. Wahr ist,<br />
dass wir uns auch um die kümmern müssen – auch<br />
als staatliche Aufgabe –, die nicht von sich aus zu den<br />
Gew<strong>in</strong>nern <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Bildungskarriere gehören. Das machen<br />
wir, das haben wir gemacht mit dem Programm<br />
„<strong>Perspektive</strong> Berufsabschluss“, das machen wir mit <strong>der</strong><br />
Initiative, die wir „Bildungsketten“ nennen, zu <strong>der</strong> das<br />
Berufsorientierungsprogramm beiträgt, das machen<br />
wir mit „Jobstarter“, „Jobstarter Connect“ und mit „Lernen<br />
vor Ort“.<br />
Die Rolle des Bundesm<strong>in</strong>isteriums für Bildung<br />
und Forschung ist dabei nach me<strong>in</strong>em Verständnis<br />
nie, selbst D<strong>in</strong>ge zu <strong>in</strong>itiieren und zu för<strong>der</strong>n bis <strong>in</strong> die<br />
Flächendeckung, son<strong>der</strong>n unsere Rolle ist, D<strong>in</strong>ge zu<br />
probieren, anzustoßen und sie so gut zu machen, dass<br />
die, die dafür zuständig s<strong>in</strong>d, den Ball aufnehmen und<br />
dann <strong>in</strong> <strong>der</strong> Fläche verbreiten. Die vorliegenden Programm-<br />
und Projektergebnisse von „Regionales Übergangsmanagement“<br />
(RÜM) belegen, dass die Strukturen<br />
zur Erhöhung <strong>der</strong> Qualifizierungschancen für e<strong>in</strong>e<br />
anerkannte Berufsausbildung verbessert wurden.<br />
Jugendlichen und jungen Erwachsenen gel<strong>in</strong>gt nun <strong>der</strong><br />
Weg <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Ausbildung o<strong>der</strong> auch zum Abschluss per<br />
Nachqualifizierung besser. E<strong>in</strong>es <strong>der</strong> Verdienste <strong>der</strong> 55<br />
Projekte <strong>der</strong> För<strong>der</strong><strong>in</strong>itiative „Regionales Übergangsmanagement“<br />
und <strong>der</strong> 42 Projekte <strong>der</strong> För<strong>der</strong><strong>in</strong>itiative<br />
„Abschlussorientierte modulare Nachqualifi zierung“.<br />
Am Rande: Wir müssen uns noch gängigere Begriffe<br />
für solche Programme e<strong>in</strong>fallen lassen. Sie s<strong>in</strong>d schon<br />
etwas sperrig. Sie, die hier im Saal s<strong>in</strong>d, kennen aber<br />
diese Wörter. Ganz herzlichen Dank an <strong>der</strong> Stelle schon<br />
mal dafür, dass Sie so dr<strong>in</strong> s<strong>in</strong>d im Thema.
Thomas Son<strong>der</strong>mann<br />
7<br />
M<strong>in</strong>Dirig Thomas Son<strong>der</strong>mann, Leiter <strong>der</strong> Unterabteilung „Berufliche<br />
Bildung“ im Bundesm<strong>in</strong>isterium für Bildung und Forschung<br />
Was s<strong>in</strong>d nun die konkreten Erfolgsrezepte unserer<br />
Programme? Wenn Sie es selbst mal versucht haben –<br />
Frau Br<strong>in</strong>kmann hat davon berichtet –, sich über e<strong>in</strong>e<br />
Ausbildung o<strong>der</strong> alternative Unterstützungsleistungen<br />
zu <strong>in</strong>formieren, wissen Sie, wovon ich spreche. Und das<br />
hat sich seit Ihrer Zeit und erst recht nicht seit me<strong>in</strong>er<br />
Zeit geän<strong>der</strong>t, das ist immer noch e<strong>in</strong> Dschungel. Das<br />
gilt für den akademischen Bereich im Übrigen genauso.<br />
Diese Hilflosigkeit angesichts <strong>der</strong> vielen Angebote<br />
und verwirrenden Zuständigkeiten ist an und für sich<br />
schon e<strong>in</strong> Problem. Und es ist nicht e<strong>in</strong> Problem im<br />
Übergangsbereich, dass wir e<strong>in</strong>en Mangel an För<strong>der</strong>konzepten<br />
hätten, son<strong>der</strong>n es ist <strong>der</strong> Dschungel von<br />
Zuständigkeiten, Akteuren und Angeboten, und RÜM<br />
hat dazu beigetragen, <strong>in</strong> diesem Dschungel e<strong>in</strong> bisschen<br />
Licht zu schaffen. Das ist e<strong>in</strong>e Art Machete, mit <strong>der</strong> e<strong>in</strong><br />
paar Wege freigehauen werden.<br />
Bei <strong>der</strong> „Abschlussorientierten modularen Nachqualifizierung“<br />
sah die Situation demgegenüber ganz<br />
an<strong>der</strong>s aus. Die För<strong>der</strong>landschaft bestand eher aus zu<br />
wenig Nachqualifizierungsangeboten, die zu e<strong>in</strong>em Abschluss<br />
führten und auf die <strong>in</strong>dividuelle Situation <strong>der</strong><br />
betroffenen Menschen passten. Die Projekte haben daher<br />
die Konzentration <strong>der</strong> Bildungsakteure verbessert,<br />
haben Transparenz <strong>der</strong> Angebote geschaffen, haben die<br />
För<strong>der</strong>strategien auf den Bedarf <strong>der</strong> jungen Menschen<br />
ausgerichtet und koord<strong>in</strong>ieren die regionale Steuerung<br />
<strong>der</strong> För<strong>der</strong>prozesse.<br />
Noch mal zum „Regionalen Übergangsmanagement“.<br />
Die Initiative unterstützt Kommunen – also<br />
Städte o<strong>der</strong> Kreise – dar<strong>in</strong>, zentrale Koord<strong>in</strong>ierungsaufgaben<br />
eigenverantwortlich zu übernehmen. Hierdurch<br />
ist die Voraussetzung dafür geschaffen, dass lokale und<br />
regionale Angebote gebündelt, aufe<strong>in</strong>an<strong>der</strong> abgestimmt<br />
und vermittelt werden. Die Praxis hat gezeigt,<br />
dass bei Anb<strong>in</strong>dung e<strong>in</strong>er Koord<strong>in</strong>ierungsstelle an<br />
die Kommune, möglichst unter Verantwortung <strong>der</strong><br />
Verwaltungsspitze, die Gestaltung <strong>der</strong> Übergangsprozesse<br />
am effektivsten und nachhaltigsten gel<strong>in</strong>gt. Kurz:<br />
Da, wo RÜM Chefsache ist, da läuft es auch besser. Und<br />
wenn wir <strong>in</strong> diesem Bereich auf die Politik schauen,<br />
dort, wo parteiübergreifend das Thema im Konsens<br />
bearbeitet wird, das ist <strong>in</strong> Hamburg <strong>der</strong> Fall gewesen<br />
– unter <strong>der</strong> CDU-Regierung begonnen, unter <strong>der</strong> SPD-<br />
Regierung fortgesetzt –, Ähnliches beobachten wir <strong>in</strong><br />
Nordrhe<strong>in</strong>-Westfalen, da s<strong>in</strong>d dann solche D<strong>in</strong>ge auch<br />
auf e<strong>in</strong>em guten Weg. Also, zu dieser Chefsache vor Ort<br />
dann noch <strong>der</strong> parteiübergreifende Konsens, und damit<br />
s<strong>in</strong>d schon zwei wichtige Voraussetzungen gegeben.<br />
Die Koord<strong>in</strong>ierung <strong>der</strong> zentralen Akteure des Übergangsbereichs<br />
konnte deutlich verbessert werden. Ich<br />
denke an die Schulaufsicht, das Jugendamt, die Agentur<br />
für Arbeit, die Träger <strong>der</strong> Grundsicherung, die Kammern<br />
und viele mehr, die verb<strong>in</strong>dliche zuständigkeitsübergreifende<br />
geme<strong>in</strong>same Vere<strong>in</strong>barungskulturen etabliert<br />
haben. So konnten tragfähige Entscheidungen zur<br />
Verbesserung <strong>der</strong> För<strong>der</strong>struktur getroffen werden.<br />
Die Kommunikation und die Zusammenarbeit erfolgen<br />
heute <strong>in</strong> den För<strong>der</strong>regionen regelmäßig und <strong>in</strong><br />
e<strong>in</strong>em festen Rahmen. Es gibt weitere Verbesserungen<br />
durch RÜM. Die Projekte führten Bestandsaufnahmen<br />
durch, die bereits existierende För<strong>der</strong>angebote <strong>in</strong> den<br />
Regionen transparent machten. Über Schüler-, Lehrerund<br />
Absolventenbefragungen, Längsschnittuntersuchungen<br />
und elektronische <strong>Dokumentation</strong>ssysteme<br />
wurden aktuelle und exakte Daten zum regionalen<br />
Übergangsgeschehen ermittelt. Dies ermöglicht<br />
Bedarfsanalysen und die bedarfsorientierte Ausrichtung<br />
<strong>der</strong> För<strong>der</strong>angebote. Die RÜM-Projekte haben<br />
<strong>in</strong> Kooperation mit ihren Netzwerkpartnern Prozesse<br />
angestoßen. Sie unterstützen die Schulen dabei, zu<br />
e<strong>in</strong>em konsistenten För<strong>der</strong>konzept zu kommen, sich zu<br />
vernetzen und neue Maßnahmen zu erproben. RÜM-<br />
Projekte bezogen die Eltern <strong>in</strong> die Berufsorientierung<br />
e<strong>in</strong>. Sie sensibilisierten und <strong>in</strong>formierten Migranten-
8<br />
Thomas Son<strong>der</strong>mann<br />
M<strong>in</strong>Dirig Thomas Son<strong>der</strong>mann, Leiter <strong>der</strong> Unterabteilung „Berufliche<br />
Bildung“ im Bundesm<strong>in</strong>isterium für Bildung und Forschung<br />
organisationen <strong>in</strong> Fragen <strong>der</strong> Berufswahl und <strong>der</strong> beruflichen<br />
Integration und machten diese zu Netzwerkpartnern.<br />
Und sie unterstützen die regionale Wirtschaft bei<br />
ihrem mittel- und langfristigen Bedarf nach Fachkräftesicherung,<br />
<strong>in</strong>dem sie beispielsweise die Kooperation<br />
zwischen Schule und Betrieb verbesserten. Der Erfolg<br />
von RÜM zeigt sich beson<strong>der</strong>s dar<strong>in</strong>, dass aufgebaute<br />
Strukturen erhalten bleiben. So wurden bereits jetzt<br />
e<strong>in</strong>ige <strong>der</strong> von den Projekten <strong>der</strong> ersten För<strong>der</strong>runde<br />
aufgebauten Stellen zur Koord<strong>in</strong>ierung des regionalen<br />
Übergangssystems verstetigt. Und es gibt Signale für<br />
ähnlich positive Entwicklungen bei den Projekten <strong>der</strong><br />
<strong>in</strong> Kürze auslaufenden zweiten För<strong>der</strong>runde. Da werden<br />
wir wahrsche<strong>in</strong>lich im Laufe <strong>der</strong> heutigen Tagung auch<br />
noch mehr erfahren, wie es da weitergeht. In <strong>der</strong> regionalen<br />
Verstetigung haben unsere RÜM-Projekte auch<br />
überregionale Wirkung gezeigt. Sie haben die Strategiebildung,<br />
Initiativen und Programme auf Landesebene<br />
<strong>in</strong>spiriert wie <strong>in</strong> Nordrhe<strong>in</strong>-Westfalen, Schleswig-<br />
Holste<strong>in</strong>, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen.<br />
Bildungsgerechtigkeit heißt Chancengerechtigkeit,<br />
habe ich gesagt, und wenn die erste Chance, die wir<br />
auch im Übergangssystem organisieren wollen, nicht<br />
genutzt wurde, aus was für Gründen auch immer, dann<br />
muss man auch über e<strong>in</strong>e zweite Chance nachdenken.<br />
Mit <strong>der</strong> För<strong>der</strong><strong>in</strong>itiative „Abschlussorientierte modulare<br />
Nachqualifizierung“ zielen wir genau auf diese<br />
Gruppe, auf die jungen Erwachsenen ohne beruflichen<br />
Abschluss und den Versuch, ihnen Möglichkeiten zu<br />
schaffen, zu e<strong>in</strong>em anerkannten Berufsabschluss zu<br />
kommen, ihn nachträglich zu erwerben. Wir fangen bei<br />
dieser För<strong>der</strong>ung nicht bei null an, son<strong>der</strong>n nutzen das,<br />
was wir schon haben. Im Berufsbildungsgesetz und <strong>in</strong><br />
<strong>der</strong> Handwerksordnung ist <strong>der</strong> Begriff <strong>der</strong> Externenprüfung<br />
verankert. Bei <strong>der</strong> Nachqualifizierung müssen<br />
die externen Prüfl<strong>in</strong>ge ke<strong>in</strong>e klassische Ausbildung im<br />
dualen System durchlaufen, son<strong>der</strong>n haben ihre berufliche<br />
Handlungsfähigkeit <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel auf an<strong>der</strong>e Art<br />
und Weise erworben, zum Beispiel durch e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>schlägige<br />
und langjährige Berufstätigkeit und damit auch<br />
Erfahrung. Wenn man dann so e<strong>in</strong>e externe Prüfung<br />
macht, dann spart das nicht nur Zeit, son<strong>der</strong>n erkennt<br />
auch an, dass diese Menschen bereits etwas geleistet<br />
haben, und das ist auch e<strong>in</strong>e ganz wichtige Sache. E<strong>in</strong><br />
zentrales Ziel unseres Programms war es, Nachqualifizierung<br />
als erwachsenengerechte Form <strong>der</strong> abschlussbezogenen<br />
Weiterbildung bekannt zu machen und den<br />
Aufbau von Angebots-, Beratungs- sowie Servicestrukturen<br />
zu unterstützen und zu forcieren. Wir wollen,<br />
dass die Nachqualifizierung regional als Regelangebot<br />
etabliert wird. Transparenz über die Angebote bildet<br />
hierbei die Basis. In die Netzwerke wurden alle <strong>in</strong><br />
<strong>der</strong> Projektregion relevanten Bildungs- und Arbeitsmarktakteure<br />
als Partner e<strong>in</strong>bezogen, Kammern,<br />
Unternehmen, Unternehmensverbände, Träger <strong>der</strong><br />
Arbeitsför<strong>der</strong>ung, <strong>der</strong> Grundsicherung, kommunale<br />
und regionale Wirtschaftsför<strong>der</strong>ung, Gewerkschaften,<br />
Bildungsträger, letztendlich die Leute, die heute auch<br />
hier sitzen. Nicht zuletzt die Migrantenorganisationen,<br />
weil dort, glaube ich, e<strong>in</strong> beson<strong>der</strong>er Beratungsbedarf<br />
besteht und bestand. E<strong>in</strong>en nachhaltigen Erfolg haben<br />
wir auch beim Begleitprojekt an <strong>der</strong> Zentralstelle für<br />
die Weiterbildung im Handwerk erreicht. Die Entwicklung<br />
von Verfahrensstandards, die hier erstellten<br />
H<strong>in</strong>weise und Anregungen, waren bundesweit wegweisend.<br />
Schon im Jahr 2010 hat das Begleitprojekt<br />
konkrete Anregungen für den Deutschen Handwerkskammertag<br />
erarbeitet und dieses Gremium hat dann<br />
darauf aufbauend bundesweite Empfehlungen für die<br />
Zulassung zur Externenprüfung verabschiedet. Diese<br />
Leistungen des Begleitprojekts veranlassten dann auch<br />
den Handelsbereich, den <strong>der</strong> Deutsche Industrie- und<br />
Handelstag repräsentiert, e<strong>in</strong>e ähnliche Empfehlung<br />
im Jahr 2012 an die IHK-Mitgliedskammern weiterzugeben.
Thomas Son<strong>der</strong>mann<br />
9<br />
Me<strong>in</strong>e Damen und Herren, <strong>der</strong> demografische<br />
Wandel, <strong>der</strong> ja <strong>in</strong> aller Munde ist und <strong>der</strong> damit postulierte<br />
hohe Fachkräftebedarf erfor<strong>der</strong>t aber nicht nur<br />
staatliches Handeln, son<strong>der</strong>n auch gesamtgesellschaftliches<br />
Engagement. Heute Nachmittag werden Sie im<br />
Rahmen <strong>der</strong> „Schlaglichter“ Näheres über die sehr<br />
erfolgreiche Kooperation unserer Nachqualifizierungsprojekte<br />
mit Betrieben erfahren. Die Projekte haben<br />
viele Betriebe dafür gew<strong>in</strong>nen können, die Nachqualifizierung<br />
als eigenes Instrument <strong>der</strong> Personalentwicklung<br />
und für die Rekrutierung ihres Nachwuchses und<br />
Fachkräftenachwuchses zu nutzen. Das Spannende<br />
ist, dass sich zeigt, dass es sich für Unternehmen auch<br />
lohnt, Ungelernte zu Fachkräften nachzuqualifizieren.<br />
E<strong>in</strong> Punkt noch mal: Fünf Jahre läuft das Programm<br />
jetzt und neigt sich dem Ende zu. Wir geben damit die<br />
Themen nicht auf. Zum Beispiel wird die Nachqualifizierung<br />
im Bereich „Jobstarter“ weiter betrieben. Aber ich<br />
habe das anfangs schon gesagt, die Rolle des BMBF kann<br />
nicht se<strong>in</strong>, aus e<strong>in</strong>er Projektför<strong>der</strong>ung <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Anschlussprojektför<strong>der</strong>ung<br />
und noch mal <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Anschlussprojektför<strong>der</strong>ung<br />
zu gehen. Irgendwann ist <strong>der</strong> Punkt gekommen,<br />
da müssen wir die K<strong>in</strong><strong>der</strong>, die wir hier geme<strong>in</strong>sam<br />
groß ziehen, auch laufen lassen, und entwe<strong>der</strong> wir haben<br />
es gut gemacht, dann werden sie laufen, o<strong>der</strong> nicht.<br />
E<strong>in</strong> Punkt, wo wir unsere Arbeit auch noch mal<br />
fokussiert e<strong>in</strong>setzen werden <strong>in</strong> <strong>der</strong> Folgezeit, ist die<br />
Integration <strong>der</strong> Mitbürger<strong>in</strong>nen und Mitbürger mit<br />
dem sogenannten „Migrationsh<strong>in</strong>tergrund“. Sie werden<br />
mitbekommen haben, dass das e<strong>in</strong>e Personengruppe<br />
ist, <strong>der</strong> wir <strong>in</strong> <strong>der</strong> letzten Legislaturperiode beson<strong>der</strong>e<br />
Aufmerksamkeit gewidmet haben. E<strong>in</strong> Stichwort zum<br />
Beispiel das Anerkennungsgesetz, das darauf abzielt,<br />
diesen Menschen, die e<strong>in</strong>e berufliche Qualifikation<br />
erworben haben, aber dummerweise nicht <strong>in</strong> Deutschland,<br />
e<strong>in</strong>en Rechtsanspruch zu vermitteln und zu<br />
geben, mit dem ihre Qualifikationen formal anerkannt<br />
werden, wenn sie denn gleichwertig s<strong>in</strong>d und die dann<br />
eben auch wie<strong>der</strong> e<strong>in</strong>e Anerkennung <strong>der</strong> bis dah<strong>in</strong><br />
erbrachten Lebensleistung enthalten. Der Bund hat<br />
da se<strong>in</strong>e Hausaufgaben gemacht. Sie wissen, es gibt<br />
Berufsgesetze, die gehören auf die Landesebene. Da gibt<br />
es Län<strong>der</strong>, die s<strong>in</strong>d so weit, dann gibt es Län<strong>der</strong>, die s<strong>in</strong>d<br />
lei<strong>der</strong> noch nicht so weit, und ich glaube, es ist im Interesse<br />
gerade auch <strong>der</strong> Betroffenen, dass diese Län<strong>der</strong><br />
möglichst schnell nachziehen.<br />
Für die Zielgruppe <strong>der</strong> Migrant<strong>in</strong>nen und Migranten<br />
haben wir im BMBF im Rahmen des „Regionalen<br />
Übergangsmanagements“ und <strong>der</strong> „Abschlussorientierten<br />
modularen Nachqualifizierung“ zwei Begleitprojekte<br />
umgesetzt. Das BMBF beauftragte das „Zentrum<br />
für Türkeistudien und Integrationsforschung“ mithilfe<br />
des Netzwerks „BIZ – Bildung ist Zukunft“, <strong>in</strong>tensiv<br />
mit türkischsprachigen Medien zu kooperieren. Ziel<br />
war es, die türkischstämmige Geme<strong>in</strong>schaft mit Presse,<br />
Rundfunk, Fernsehen und Internet über das deutsche<br />
Ausbildungssystem und die Nachqualifizierungsmöglichkeiten<br />
gezielt zu <strong>in</strong>formieren, und das Netzwerk<br />
BIZ wirkt auch nach dem Ende <strong>der</strong> Projektför<strong>der</strong>ung<br />
bundesweit weiter. Das zweite Begleitprojekt „Mit<br />
MigrantInnen für MigrantInnen“ – <strong>in</strong>terkulturelle<br />
Kooperation zur Verbesserung <strong>der</strong> Bildungs<strong>in</strong>tegration“<br />
– wird durchgeführt von <strong>der</strong> MoZaik gGmbH,<br />
Bielefeld. Es bezog im Projekt geschulte ehrenamtliche<br />
Bildungsbeauftragte aus Migrantenorganisationen als<br />
Netzwerkpartner eng e<strong>in</strong>. Das BMBF wird die För<strong>der</strong>ung<br />
und Weiterentwicklung des <strong>in</strong>tegrativen Konzeptansatzes<br />
von MoZaik über dieses Vorhaben weiter<br />
för<strong>der</strong>n mit e<strong>in</strong>er vierjährigen Laufzeit. Dazu haben<br />
wir Anfang April den Startschuss gegeben. Das Projekt<br />
heißt „Interkulturelle Netzwerke – Bildungsbeauftragte<br />
für junge Menschen!“, und es wird auf den erfolgreich<br />
erprobten Konzepten <strong>der</strong> ehrenamtlichen Bildungsbeauftragten<br />
aufbauen und diese Konzepte weiter transferieren.<br />
Sie werden heute Nachmittag im Rahmen <strong>der</strong><br />
„Schlaglichter“ auch hierzu noch Genaueres erfahren.<br />
An den Schluss e<strong>in</strong>er jeden Rede gehören Appell<br />
und Dank. Ich fange mit dem Appell an: Nutzen Sie den<br />
heutigen Tag, lassen Sie sich von Ihren Kolleg<strong>in</strong>nen und<br />
Kollegen berichten, erkennen Sie, was kann ich davon<br />
nutzen, was kann man transferieren. Dank Ihnen allen,<br />
die Sie sich <strong>in</strong> diesen fünf Jahren engagiert haben. Dank<br />
aber auch – und das darf man am Ende e<strong>in</strong>es Programms,<br />
glaube ich, durchaus mal sagen – an das Team<br />
beim PT-DLR, was uns über die Jahre hier begleitet hat.<br />
Und Dank auch an me<strong>in</strong>e Mitarbeiter<strong>in</strong>nen und Mitarbeiter,<br />
<strong>der</strong>en hohes Engagement ich tagtäglich gerade<br />
bei diesem Thema erlebe.<br />
Me<strong>in</strong>e Damen und Herren, ich wünsche Ihnen jetzt<br />
e<strong>in</strong>e erfolgreiche Tagung.<br />
Vielen Dank!
10<br />
Stefan Sell<br />
Potenziale nutzen und <strong>Perspektive</strong>n schaffen –<br />
Fachkräftesicherung als bildungspolitischer Auftrag<br />
Prof. Dr. Stefan Sell, Direktor des Instituts für Bildungs- und Sozialpolitik<br />
<strong>der</strong> Hochschule Koblenz (ibus)<br />
Me<strong>in</strong>e sehr verehrten Damen und Herren,<br />
ich b<strong>in</strong> e<strong>in</strong>geladen worden, zu dem Thema „Potenziale<br />
nutzen und <strong>Perspektive</strong>n schaffen – Fachkräftesicherung<br />
als bildungspolitischer Auftrag“ zu sprechen. Ich<br />
möchte e<strong>in</strong>e kle<strong>in</strong>e Tour d’Horizon machen und werde<br />
auch etwas zu dem Programm sagen, so wie ich es<br />
wahrnehme, wie ich es <strong>in</strong> die allgeme<strong>in</strong>en Diskussionsl<strong>in</strong>ien<br />
e<strong>in</strong>bette.<br />
Lassen Sie mich kritisch an den Titel des Vortrags<br />
herangehen: „Fachkräftesicherung“, das ist heute<br />
mo<strong>der</strong>n. Die Wirtschaft will das hören, man kann sich<br />
an e<strong>in</strong>e „Modewelle Fachkräftemangel“ hängen. Aber<br />
lassen Sie uns kurz reflektieren: Wie fragwürdig ist <strong>der</strong><br />
Begriff „Fachkräftesicherung“ eigentlich aus e<strong>in</strong>er re<strong>in</strong><br />
arbeitsmarktlichen <strong>Perspektive</strong>?<br />
Ich habe versucht, vier Fragen zu formulieren, die<br />
man beantworten können müsste, wenn man über<br />
Fachkräftesicherung vernünftig reden will:<br />
Welche Fachkräfte?<br />
Wie viele Fachkräfte?<br />
Wann brauchen wir die Fachkräfte?<br />
Zu welchen Bed<strong>in</strong>gungen werden die Fachkräfte beschäftigt?<br />
Man müsste also erstens e<strong>in</strong>e Antwort geben können<br />
auf die Frage, um welche „Fachkräfte“ es sich bei<br />
„Fachkräftesicherung“ eigentlich handelt. Und wenn<br />
Sie sich den Diskurs <strong>der</strong> vergangenen sechs, sieben Jahren<br />
vergegenwärtigen, den wir <strong>in</strong> Deutschland hatten,<br />
dann werden Sie feststellen: Es gibt zwei prom<strong>in</strong>ente<br />
Berufsgruppen, die es geschafft haben, sich <strong>in</strong> diesen<br />
letzten Jahren <strong>in</strong> den Mittelpunkt e<strong>in</strong>er Fachkräftemangeldiskussion<br />
zu schieben bzw. die dort platziert<br />
worden s<strong>in</strong>d, und die auch <strong>in</strong> jedem Zeitungsartikel<br />
immer gerne angeführt werden: Das s<strong>in</strong>d die Ingenieure<br />
und die Ärzte. Wenn man aber genau h<strong>in</strong>schaut, wird<br />
man feststellen – und ich wage mich jetzt mal ganz<br />
weit vor: Wenn wir <strong>in</strong> <strong>der</strong> Zukunft ke<strong>in</strong>en gravierenden<br />
Fachkräftemangel haben werden, dann bei Ingenieuren<br />
und auch bei den Ärzten. Schauen Sie sich e<strong>in</strong>mal das<br />
Bed<strong>in</strong>gungsgefüge an, warum wir bei den Ingenieuren<br />
über Fachkräftemangel reden, obwohl wir weiterh<strong>in</strong>
Stefan Sell<br />
11<br />
noch viele, gerade ältere Ingenieure haben, die arbeitslos<br />
s<strong>in</strong>d. Obwohl wir, wie <strong>in</strong> diesen Tagen bekannt wurde,<br />
viele Ingenieure haben – angeblich so e<strong>in</strong> knappes<br />
Gut auf dem deutschen Arbeitsmarkt –, die aber bei<br />
den großen Konzernen mit Werkverträgen abgespeist<br />
werden. Dann sehen Sie auch, dass mittlerweile bis zu<br />
50 Prozent <strong>der</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Forschung und Entwicklung für<br />
die Automobil<strong>in</strong>dustrie tätigen Ingenieure nicht bei<br />
Daimler, BMW o<strong>der</strong> VW beschäftigt s<strong>in</strong>d, son<strong>der</strong>n mit<br />
Werkverträgen für Ingenieurdienstleistungsunternehmen<br />
arbeiten. Zwar nicht zu Hungerlöhnen, aber eben<br />
auch nicht zu Löhnen, die man sich normalerweise<br />
nach Abschluss e<strong>in</strong>es Ingenieurstudiums vorstellt und<br />
die man bekommen kann, wenn man zur Stammbelegschaft<br />
e<strong>in</strong>es großen Konzerns gehört. Das heißt, wenn<br />
man genau schaut, warum es diesen angeblichen Mangel<br />
gibt, dann stellt man fest, dass es als Mangel angesehen<br />
wird, wenn die Arbeitgeber nicht mehr so frei auswählen<br />
können wie früher – und das hat was mit <strong>der</strong> Ausbildung<br />
zu tun. Die Zahl <strong>der</strong> Ingenieurstudenten hat sich<br />
seit dem Jahr 1993 erheblich verr<strong>in</strong>gert. Warum? Die<br />
älteren Semester werden sich noch gut an die Rezession<br />
<strong>in</strong> diesem Jahr er<strong>in</strong>nern und an die neudeutsch<br />
„Freisetzungen“ genannten Entlassungen gerade <strong>in</strong> den<br />
süddeutschen Industrieunternehmen. In dieser rezessiven<br />
Phase wurde an die Wirtschaft appelliert, die jungen<br />
Ingenieursjahrgänge wenigstens auf Teilzeit e<strong>in</strong>zustellen,<br />
damit diese zur Verfügung stehen, wenn die Konjunktur<br />
wie<strong>der</strong> anspr<strong>in</strong>gt. Man hat damals zwei, drei ganze<br />
Ingenieursjahrgänge <strong>in</strong> die Arbeitslosigkeit geschickt.<br />
Das hat sich bei den jungen Leuten natürlich herumgesprochen,<br />
es war Thema <strong>in</strong> <strong>der</strong> damaligen Berichterstattung,<br />
und dann haben sich viele gesagt: Soll ich so e<strong>in</strong><br />
schweres Studium machen und dann arbeitslos werden?<br />
Und <strong>in</strong> <strong>der</strong> Folgezeit s<strong>in</strong>d die Studierendenzahlen nach<br />
unten gegangen. Erst <strong>in</strong> den letzten Jahren ist es uns<br />
gelungen, die Zahl <strong>der</strong> Ingenieurstudenten wie<strong>der</strong> nach<br />
oben zu drücken – nicht nur, aber auch e<strong>in</strong>e Folge <strong>der</strong><br />
„Ingenieurmangel“-Debatte. Wenn Sie die Zahlen<br />
hochrechnen, werden Sie sehen, <strong>in</strong> zwei, drei, vier, fünf<br />
Jahren werden wir wie<strong>der</strong> genug Absolventen haben – <strong>in</strong><br />
e<strong>in</strong>igen Ingenieurbereichen teilweise wie<strong>der</strong> zu viele.<br />
Bei den Ärzten ist die Problematik noch schwieriger.<br />
Wir haben Jahr für Jahr e<strong>in</strong>e steigende Zahl<br />
von Ärzten. Was sich allerd<strong>in</strong>gs verän<strong>der</strong>t hat: Es gibt<br />
immer mehr Frauen, und bei den heute das Mediz<strong>in</strong>studium<br />
beg<strong>in</strong>nenden jungen Menschen haben wir<br />
teilweise Frauenanteile bis 80 Prozent. Und die Frauen<br />
haben berechtigterweise ke<strong>in</strong>e Lust mehr, 60 Stunden<br />
<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er E<strong>in</strong>zelpraxis zu arbeiten. Sie wollen Beruf und<br />
Familie vere<strong>in</strong>baren. Sie wollen zum Beispiel nur noch<br />
Teilzeit arbeiten. Dann ist aber e<strong>in</strong> Arzt von heute nicht<br />
mehr <strong>der</strong> Arzt von gestern, son<strong>der</strong>n wir haben e<strong>in</strong><br />
Arbeitsvolumenproblem. Und neben dem Arbeitsvolumenproblem<br />
haben wir gleichzeitig e<strong>in</strong> veritables Verteilungsproblem<br />
<strong>der</strong>gestalt, dass die Ärzte bestimmte<br />
Regionen, vor allem ländliche Räume, meiden und sich<br />
<strong>in</strong> an<strong>der</strong>en, vor allem den großstädtischen, konzentrieren.<br />
Dann wird natürlich das Fehlen <strong>der</strong> Mediz<strong>in</strong>er<br />
auf dem Land als „Ärztemangel“ wahrgenommen, was<br />
er ja auch ist für die Betroffenen, nicht aber unbed<strong>in</strong>gt<br />
bezogen auf das Gesamtaggregat.<br />
Man muss also bei diesen Gruppen, die es geschafft<br />
haben, sich <strong>in</strong> die öffentliche Diskussion zu br<strong>in</strong>gen,<br />
ganz genau h<strong>in</strong>schauen.<br />
Wo <strong>der</strong> „wahre“ Fachkräftemangel <strong>der</strong> Zukunft<br />
liegen wird? Wir haben schon seit Langem auf e<strong>in</strong>en<br />
großen Problembereich h<strong>in</strong>gewiesen – <strong>der</strong> lei<strong>der</strong> erst<br />
jetzt, <strong>in</strong> den letzten Monaten, auch <strong>in</strong> <strong>der</strong> Wirtschaftspresse<br />
zunehmend thematisiert wird: Das Rückgrat<br />
<strong>der</strong> deutschen Wirtschaft s<strong>in</strong>d die Facharbeiter, von<br />
denen viele heute über 50 Jahre alt s<strong>in</strong>d und die e<strong>in</strong>e<br />
solide Berufsausbildung haben. Sie s<strong>in</strong>d es, die vielen<br />
Unternehmen <strong>in</strong> unserem Land die hohe Produktivität<br />
br<strong>in</strong>gen. Viele von ihnen werden <strong>in</strong> absehbarer Zeit<br />
<strong>in</strong> den Ruhestand gehen. In den nächsten Jahren wird<br />
deutlich werden, dass die Wirtschaft das Ausbildungsdefizit<br />
<strong>der</strong> zurückliegenden Jahre nachzuholen hat bzw.<br />
mit diesem konfrontiert werden wird. Man wird erkennen,<br />
dass gerade Facharbeiter <strong>in</strong> <strong>der</strong> Industrie <strong>in</strong> richtig<br />
großem Umfang fehlen werden. Und natürlich auch im<br />
Gesundheitswesen, <strong>in</strong> <strong>der</strong> Pflege. So ist alle<strong>in</strong> die Frage<br />
schon nicht trivial, welche Fachkräfte wir denn sichern<br />
müssen, welche wir denn brauchen werden.<br />
Noch schwieriger ist es bei <strong>der</strong> Frage, wie viele<br />
Fachkräfte wir denn brauchen werden, die wir da als<br />
„Mangelware“ identifiziert haben, und ab wann genau<br />
wir die Fachkräfte brauchen werden. Was nützt es uns,<br />
wenn wir sie heute hätten, sie aber erst <strong>in</strong> zehn Jahren<br />
benötigen.
12<br />
Stefan Sell<br />
Und <strong>der</strong> letzte Punkt ist mir ganz wichtig: Bei <strong>der</strong><br />
Frage „Fachkräftesicherung“ muss auch die Frage<br />
beantwortet werden – gerade den jungen Menschen<br />
gegenüber – , zu welchen Bed<strong>in</strong>gungen sollen o<strong>der</strong><br />
werden die Fachkräfte arbeiten?<br />
Dazu e<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>es Beispiel aus e<strong>in</strong>em Spiegel-Onl<strong>in</strong>e-<br />
Artikel von heute morgen: „Meist weiblich, immer<br />
häufiger unsicher beschäftigt und oft abhängig von<br />
staatlichen Zuschüssen, so sieht <strong>der</strong> typische Arbeitnehmer<br />
im E<strong>in</strong>zelhandel im Jahr 2013 aus. Inzwischen<br />
arbeitet demnach je<strong>der</strong> Dritte <strong>der</strong> rund 3,2 Millionen<br />
Beschäftigten im E<strong>in</strong>zelhandel zu e<strong>in</strong>em Lohn von<br />
unter 10 Euro die Stunde. Jede Fünfte erhielt den<br />
verfügbaren Daten zufolge sogar weniger als 8,50 Euro.<br />
Die Folge: Viele dieser Löhne müssen aufgestockt<br />
werden. Nach Angaben <strong>der</strong> Bundesregierung gibt <strong>der</strong><br />
Staat jährlich rund 1,5 Milliarden Euro an ergänzenden<br />
Sozialleistungen für Aufstocker aus. Drei Viertel <strong>der</strong><br />
Bezieher arbeiten im E<strong>in</strong>zelhandel. So mussten im Juni<br />
vergangenen Jahres die E<strong>in</strong>kommen von rund 130.000<br />
Beschäftigten des E<strong>in</strong>zelhandels auf e<strong>in</strong> existenzsicherndes<br />
Niveau aufgestockt werden. (…) Seit dem Jahr<br />
2000 bis zum Jahr 2011 ist <strong>der</strong> Anteil <strong>der</strong> Beschäftigten,<br />
die im Handel nach e<strong>in</strong>em Tarifvertrag bezahlt werden,<br />
im Westen von 70 auf 54 Prozent gefallen, im Osten<br />
von 43 auf 32 Prozent.“<br />
müssen auch darüber diskutieren, ob wir vielleicht<br />
ke<strong>in</strong>e Fachkräfte f<strong>in</strong>den, weil die Arbeitsbed<strong>in</strong>gungen<br />
immer schlechter werden. All diese D<strong>in</strong>ge müsste man<br />
beantworten, wenn man ernsthaft den Vortragstitel<br />
ausfüllen wollte.<br />
Noch gravieren<strong>der</strong> ist <strong>der</strong> im Titel me<strong>in</strong>es Vortrags<br />
ebenfalls enthaltene „bildungspolitische Auftrag“.<br />
Lassen Sie mich dies e<strong>in</strong> wenig zynisch kommentieren,<br />
weil letztendlich auch Sie sich und das Programm, über<br />
das wir heute reden, genau <strong>in</strong> diesem Spannungsfeld<br />
bewegen: Wenn Sie versuchen müssten, Bildungspolitik<br />
auf den Punkt zu br<strong>in</strong>gen, dann bewegt sich Bildungspolitik<br />
<strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Spannungsfeld zwischen Strukturen<br />
und Personen. Wenn Sie die Bildungspolitik <strong>der</strong> Bundesrepublik<br />
Deutschland, vor allem die bildungspolitische<br />
Diskussion, zusammenfassen sollten, dann kreist<br />
sie seit Jahren um „Strukturen“. Sie kreist und kreist, sie<br />
schraubt an den Strukturen herum. Schulstrukturen,<br />
e<strong>in</strong> beliebtes, noch übriggebliebenes Restfeld landespolitischer<br />
Aktivitäten. Mit je<strong>der</strong> neuen Koalitionsregierung<br />
wird e<strong>in</strong>e neue „Schulsau“ durchs Dorf getrieben.<br />
Dabei wissen wir nicht nur <strong>in</strong> den Schulen, son<strong>der</strong>n<br />
Das Jahr 2000 ist deswegen von Bedeutung, weil bis<br />
zum Jahr 2000 die Welt im E<strong>in</strong>zelhandel <strong>in</strong> Ordnung<br />
war. Bis zum Jahr 2000 galt <strong>der</strong> E<strong>in</strong>zelhandel für Arbeitsmarktforscher<br />
als e<strong>in</strong>e relativ solide, gute Branche.<br />
Warum? Weil bis zu diesem Jahr <strong>der</strong> Tarifvertrag<br />
im E<strong>in</strong>zelhandel allgeme<strong>in</strong>verb<strong>in</strong>dlich war. Das heißt,<br />
alle Unternehmen, auch die nicht tarifgebundenen,<br />
mussten sich an den Tarifvertrag halten. Auf Druck <strong>der</strong><br />
Arbeitgeber wurde im Jahr 2000 die Allgeme<strong>in</strong>verb<strong>in</strong>dlichkeit<br />
von <strong>der</strong> damaligen rot-grünen Bundesregierung<br />
abgeschafft. Seitdem bef<strong>in</strong>det sich die gesamte Branche<br />
wie auf e<strong>in</strong>er Rutschbahn nach unten, und die Arbeitsbed<strong>in</strong>gungen<br />
verschlechtern sich von Jahr zu Jahr.<br />
Ich br<strong>in</strong>ge das Beispiel deswegen, weil ich damit<br />
sagen will: Wenn wir über Fachkräftesicherung reden,<br />
wenn wir jungen Leuten e<strong>in</strong>e Empfehlung geben o<strong>der</strong><br />
sie gew<strong>in</strong>nen wollen – zum Beispiel im E<strong>in</strong>zelhandel<br />
Fachkräfte zu werden – dann müssen wir auch über<br />
die Bed<strong>in</strong>gungen reden, auf die sie dort treffen. Wir<br />
Prof. Dr. Stefan Sell, Direktor des Instituts für Bildungs- und<br />
Sozialpolitik <strong>der</strong> Hochschule Koblenz (ibus)
Stefan Sell<br />
13<br />
auch <strong>in</strong> <strong>der</strong> Erwachsenenbildung, dass <strong>der</strong> zentrale<br />
Wirkfaktor – aus Sicht <strong>der</strong> Wissenschaftler „lei<strong>der</strong>“<br />
– die Personen s<strong>in</strong>d. Strukturen kann ich <strong>in</strong> Organigramme<br />
pressen, ich kann PowerPo<strong>in</strong>t-Folien machen,<br />
ich kann Strukturvariablen def<strong>in</strong>ieren und messen,<br />
Kennzahlen bilden. Aber diese vielen unterschiedlichen<br />
Personen und ihre Interaktionen, wie fasse ich die jetzt<br />
wissenschaftlich?<br />
Derzeit <strong>in</strong> vielen Artikeln und Hörfunksendungen<br />
zu Fragen <strong>der</strong> Schulbildung höchst aktuell und gerne<br />
diskutiert: Die sogenannte „Hattie-Studie“, die aber<br />
letztendlich alter We<strong>in</strong> <strong>in</strong> neuen Schläuchen ist. Es ist<br />
doch e<strong>in</strong>e alte pädagogische Grun<strong>der</strong>kenntnis, dass<br />
das Unterrichtsklima des Lehrpersonals im positiven<br />
wie im negativen S<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong>e zentrale Wirkdimension<br />
im pädagogischen Prozess ist. Das weiß je<strong>der</strong>, <strong>der</strong><br />
selber mal unterrichtet hat. Dann ist doch klar, dass<br />
die Akteure eigentlich e<strong>in</strong>e ganz wichtige Ebene <strong>der</strong><br />
Bildungspolitik se<strong>in</strong> müssten und dass wir auch die<br />
Innovationen und die knappen Ressourcen auf dieses<br />
Beziehungsgefüge fokussieren müssten.<br />
Die weit über die Bedeutung für die re<strong>in</strong> kognitive<br />
Wissensvermittlung h<strong>in</strong>ausgehende Rolle <strong>der</strong> Lehrenden<br />
<strong>in</strong> <strong>der</strong> Schule beziehungsweise <strong>in</strong> <strong>der</strong> Ausbildung<br />
<strong>der</strong> Betriebe – das ist ja auch e<strong>in</strong>e Lernstätte – kann<br />
man sich vor dem H<strong>in</strong>tergrund grundlegen<strong>der</strong> gesellschaftlicher<br />
Verän<strong>der</strong>ungen beispielsweise daran verdeutlichen,<br />
dass sie zunehmend auch e<strong>in</strong>e Elternersatzfunktion<br />
übernehmen müssten. Viele Betriebe wollen<br />
das aber nicht mehr tun, auch weil sie viele Jahre e<strong>in</strong><br />
Überangebot an Auszubildenden erlebt haben, müssten<br />
es jedoch – gerade bei <strong>der</strong> Gruppe <strong>der</strong> Jugendlichen<br />
o<strong>der</strong> jungen Menschen, über die wir hier reden.<br />
In <strong>der</strong> bildungspolitischen Diskussion wird oftmals<br />
über Strukturen, Strukturen, Strukturen geredet,<br />
immer wie<strong>der</strong> wird an Strukturen herumgefummelt.<br />
Ich weiß, ich b<strong>in</strong> jetzt auf dünnem Eis. Ich sehe<br />
Gesichter, die e<strong>in</strong> Zögern ausdrücken: ‚Moment, <strong>in</strong><br />
dem Programm steht das doch dr<strong>in</strong>. Wir s<strong>in</strong>d gerade<br />
auf- und angetreten, um Strukturen zu verbessern<br />
und zu schaffen’. Ja, aber lassen Sie mich e<strong>in</strong>e holzschnittartige<br />
Bewertung des gesamten Geschehens im<br />
Übergangssystem <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en Satz pressen: Nirgendwo, <strong>in</strong><br />
ke<strong>in</strong>em Handlungsfeld, habe ich <strong>in</strong> den letzten Jahren<br />
so oft die Worte Koord<strong>in</strong>ierung und Kooperation<br />
angetroffen, wie im Feld des Übergangssystems. Alle<br />
reden über Strukturen, mit denen man koord<strong>in</strong>iert<br />
und kooperiert, aber wie e<strong>in</strong>e gläserne Decke ist die<br />
logisch am Ende sich stellende Frage: •Wer hat denn<br />
verb<strong>in</strong>dlich am Ende den Hut auf?• Und seien wir mal<br />
ehrlich, durch die Vielzahl <strong>der</strong> Akteure <strong>in</strong> diesem Feld<br />
kreist man immer um die Begriffe „Koord<strong>in</strong>ation“ und<br />
„Kooperation“. Das ist ke<strong>in</strong> Vorwurf, son<strong>der</strong>n das ist<br />
e<strong>in</strong>e soziologische Notwendigkeit o<strong>der</strong> Logik, um am<br />
Ende nicht festlegen zu müssen, wer letztendlich die<br />
Entscheidungen trifft, die Mittel verantwortet und<br />
auch die Ergebnisse verantworten muss. Nicht, dass es<br />
<strong>in</strong> diesem Feld zu wenige Strukturen gäbe. Sie zielen<br />
mit Ihrer Arbeit darauf ab, e<strong>in</strong>en Push <strong>in</strong> die richtigen<br />
Strukturen h<strong>in</strong>zukriegen. Wir haben aber schon e<strong>in</strong>e<br />
sehr <strong>in</strong>tensive Strukturdiskussion, die jedoch oftmals<br />
nicht die eigentliche Frage stellt: ‚Was braucht man am<br />
Ende an Verb<strong>in</strong>dlichkeit <strong>in</strong> diesem Bereich?’<br />
Auch ich habe bei <strong>der</strong> Beschäftigung mit dem<br />
Übergangssystem wegen <strong>der</strong> ganzen Abkürzungen<br />
Kopfschmerzen bekommen. Schauen Sie sich e<strong>in</strong>mal<br />
den neuesten Berufsbildungsbericht an, was gibt es da<br />
nicht alles an Abkürzungen. Der Abkürzungswahn ist<br />
natürlich auch e<strong>in</strong>e Folge e<strong>in</strong>es ganz an<strong>der</strong>en realen<br />
Problems, das hier nur angedeutet werden kann: Das<br />
Problem mit den ganzen unterschiedlichen Maßnahmen,<br />
Programmen, Initiativen, Projekten usw., die wir<br />
<strong>in</strong> diesem Bereich haben.<br />
Das Programm „<strong>Perspektive</strong> Berufsabschluss“ mit<br />
den beiden För<strong>der</strong><strong>in</strong>itiativen „Regionales Übergangsmanagement“<br />
und „Abschlussorientierte modulare<br />
Nachqualifizierung“, über das wir heute hier reden, ist<br />
ja nur e<strong>in</strong> Teil <strong>in</strong> diesem Universum von Programmen<br />
und Projekten. Ich habe versucht, mir selbst die gesamte<br />
Beschreibung dieser För<strong>der</strong><strong>in</strong>itiativen auf zwei Sätze<br />
e<strong>in</strong>zudampfen, um zu verstehen, was Sie da eigentlich<br />
machen:<br />
Me<strong>in</strong>e Übersetzung <strong>der</strong> För<strong>der</strong><strong>in</strong>itiative 1 ist: „Wie<br />
kriegen wir die jungen Leute rüber?“<br />
Die Übersetzung von För<strong>der</strong><strong>in</strong>itiative 2 ist: „Wie kriegen<br />
wir die Leute später noch mal re<strong>in</strong>?“<br />
So geht es auch, o<strong>der</strong>? Damit könnte man – scherzhaft<br />
formuliert – e<strong>in</strong>e Menge Druckkosten sparen. Wenn<br />
man diese Fragen reflektiert, dann sehen Sie schon<br />
die zentralen Probleme: Bei beiden geht es um das<br />
„Wie?“. Also wie, mit welchen Methoden, mit welchen<br />
Instrumenten, mit welchen Leuten schaffe ich das, was
14<br />
Stefan Sell<br />
mir da als Aufgabe gestellt wird? „Rüber“ o<strong>der</strong> „re<strong>in</strong>“,<br />
auch da stehen Sie vor dem Problem: In was denn? Ja,<br />
woh<strong>in</strong> denn? Das muss man klären. Ich will das heute<br />
nicht vertiefen – und bitte, verstehen Sie das nicht als<br />
Vorwurf – aber, wenn wir <strong>in</strong> den 1990er Jahren seitens<br />
<strong>der</strong> Arbeitsverwaltung mit Arbeitgebern über Fachkräfteentwicklung<br />
geredet haben – damals hieß das noch<br />
Fortbildung und Umschulung – saßen wir oft mit Unternehmern<br />
zusammen, mit <strong>der</strong> Wirtschaft, und haben<br />
gefragt: ‚Was braucht Ihr denn für Leute? Woh<strong>in</strong> sollen<br />
wir umschulen? Woh<strong>in</strong>, <strong>in</strong> welche Berufe?’ Häufig habe<br />
ich dann die Erfahrung gemacht, dass viele Unternehmen,<br />
die zwar beschreiben konnten, was sie jetzt<br />
gerade brauchen, bei <strong>der</strong> Frage, was sie <strong>in</strong> fünf o<strong>der</strong><br />
zehn Jahren brauchen, genauso hilflos waren wie die<br />
viel gescholtenen Wissenschaftler. ‚Ja, das geht so <strong>in</strong> die<br />
Richtung o<strong>der</strong> so, ke<strong>in</strong>e Ahnung, weiß ich nicht’. Das<br />
ist e<strong>in</strong> Strukturproblem. Wenn Sie etwas entwickeln<br />
wollten, müssten Sie ja auch zum Beispiel wissen, wo<br />
ist das Ende von <strong>der</strong> Brücke? Und diese Frage ist eben<br />
nicht trivial.<br />
Wenn man sich jetzt vor diesem H<strong>in</strong>tergrund anschaut,<br />
was da eigentlich passiert, dann will ich Ihnen<br />
nur an e<strong>in</strong>em Beispiel das Grundproblem, vor dem wir<br />
jetzt stehen und vor dem wir <strong>in</strong> den nächsten Jahren<br />
noch stärker stehen werden, verdeutlichen. Seit 2005<br />
beobachten wir e<strong>in</strong>en Rückgang <strong>der</strong> Integrationsmaßnahmen<br />
im Übergangssystem. Wenn man die bisherige<br />
Entwicklungsl<strong>in</strong>ie nach unten verlängert, dann<br />
kommt man irgendwann bei null an. In e<strong>in</strong> paar Jahren,<br />
s<strong>in</strong>d wir dann bei null Prozent im Übergangssystem?<br />
Natürlich s<strong>in</strong>d wir nicht bei null, und das Übergangssystem<br />
gibt es ja nicht als „das System“. Es wird immer<br />
e<strong>in</strong> Übergangssystem geben müssen. Denken Sie an<br />
den großen Bereich des Übergangs, bei dem es darum<br />
geht, überhaupt e<strong>in</strong>en Schulabschluss nachzuholen<br />
o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>en höherwertigen Schulabschluss zu erwerben.<br />
Diesen Teil des Übergangssystems wird es auch <strong>in</strong> zwei,<br />
fünf, sechs Jahren geben müssen. Es geht letztendlich<br />
um die Frage, ob sich das Übergangssystem im engeren<br />
S<strong>in</strong>ne sozusagen biologisch löst. Die Annahme ist erst<br />
e<strong>in</strong>mal – und das ist ja auch unbestreitbar –, dass das<br />
Übergangssystem langsam abnimmt, auch wenn es<br />
sich nicht atomisieren wird.<br />
Die an<strong>der</strong>e Seite <strong>der</strong> Medaille: Erwerb <strong>der</strong> Hochschulzugangsberechtigung,<br />
Studium – hier geht es<br />
Prof. Dr. Stefan Sell, Direktor des Instituts für Bildungs- und<br />
Sozialpolitik <strong>der</strong> Hochschule Koblenz (ibus)<br />
steil nach oben. Das heißt, die Leute, die heute e<strong>in</strong>e<br />
Hochschulzugangsberechtigung erwerben, die studieren<br />
auch fast alle. Das große Problem ist <strong>in</strong> <strong>der</strong> Mitte:<br />
Berufsausbildung, duale und fachschulische Berufsausbildung<br />
– die hängt, die stagniert und die verliert. Die<br />
verliert nämlich all die Leute, die früher e<strong>in</strong>e duale Berufsausbildung<br />
am oberen Rand gemacht haben, heute<br />
an die Hochschulen. Aber gerade <strong>in</strong> diesen Bereichen<br />
bräuchten wir vor dem H<strong>in</strong>tergrund <strong>der</strong> Fachkräfteentwicklung<br />
eigentlich Nachschub.<br />
Dass das Übergangssystem – darauf hatte ich schon<br />
h<strong>in</strong>gewiesen, das wissen Sie aber alle selbst sehr gut<br />
– noch lange nicht tot ist, sieht man an den Zahlen.<br />
Im vergangenen Jahr waren es immerh<strong>in</strong> noch etwas<br />
über 270.000 junge Menschen, die <strong>in</strong> dieses sehr weit<br />
gefächerte System e<strong>in</strong>getreten s<strong>in</strong>d. Nichtsdestotrotz<br />
muss man die Kritik aufrechterhalten, dass e<strong>in</strong> nicht<br />
ger<strong>in</strong>ger Teil des Übergangssystems o<strong>der</strong> des „Nichtübergangssystems“<br />
e<strong>in</strong> System <strong>der</strong> Warteschleifen und<br />
<strong>der</strong> Wartehallen ist. Dieser Befund gilt immer noch,<br />
und er ist e<strong>in</strong>e <strong>der</strong> zentralen Aufgaben, an denen man<br />
arbeiten muss, um Än<strong>der</strong>ungen herbeizuführen.
Stefan Sell<br />
15<br />
Für die vor uns liegenden Jahre erwarten wir wi<strong>der</strong>sprüchliche<br />
Entwicklungen, beispielsweise die Angebots-Nachfrage-Verschiebung.<br />
In manchen Regionen<br />
hatten wir noch vor fünf, sechs Jahren ganze Hauptschulklassen,<br />
die nur aufgrund des statistischen Merkmals<br />
„Hauptschulabschluss“ ke<strong>in</strong>en Ausbildungsplatz<br />
bekommen haben, sie s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>fach aussortiert worden.<br />
Wenn Sie heute schauen, hat sich die Angebots-Nachfrage-Relation<br />
so verän<strong>der</strong>t, dass auf e<strong>in</strong>mal auch die<br />
angeblich nicht ausbildungsreifen Jugendlichen sehr<br />
wohl e<strong>in</strong>en Ausbildungsplatz f<strong>in</strong>den, weil – so ist das<br />
<strong>in</strong> <strong>der</strong> Ökonomie, wenn sich Angebot und Nachfrage<br />
verän<strong>der</strong>n – die Arbeitgeber natürlich auch ihre Erwartungen<br />
verän<strong>der</strong>n müssen. Und das ist gut so für die<br />
Jugendlichen! Viele, die vorher im Übergangssystem<br />
aufgefangen werden mussten, f<strong>in</strong>den heute schneller<br />
den Weg <strong>in</strong> die duale Berufsausbildung. Diesen Prozess,<br />
diese Chance dürfen wir nicht verschlafen. Deswegen<br />
s<strong>in</strong>d solche Initiativen wie das Programm „<strong>Perspektive</strong><br />
Berufsabschluss“ wichtig, sie müssten noch viel <strong>in</strong>tensiver<br />
gefahren werden. Denn die Arbeitgeberseite, die<br />
viele Jahre olympiareife Bewerber hatte, weil sie sich<br />
die Besten aus e<strong>in</strong>em Überangebot auswählen konnten,<br />
hat sich teilweise schon auf den Weg gemacht, sich<br />
umzuorientieren und sich den verän<strong>der</strong>ten Marktverhältnissen<br />
anzupassen.<br />
E<strong>in</strong>ige an<strong>der</strong>e Arbeitgeber suchen, auch durch<br />
die Medien gepusht, ihr Heil <strong>in</strong> <strong>der</strong> Flucht. Manche<br />
glauben nämlich, man könne dieses Problem lösen,<br />
<strong>in</strong>dem man Tausende von jungen, kräftigen, gesunden,<br />
lernbegierigen Spaniern, Griechen, Italienern importiert.<br />
Aber fragen wir doch mal nach, wie viele s<strong>in</strong>d<br />
denn von diesen jungen Menschen gekommen, um<br />
sich <strong>in</strong> das Gefüge <strong>der</strong> deutschen Berufsausbildung<br />
e<strong>in</strong>zupassen. Die Zahlen s<strong>in</strong>d ernüchternd: 32.000<br />
Ausbildungsplätze s<strong>in</strong>d mit Jugendlichen mit ausländischem<br />
H<strong>in</strong>tergrund, also ausländischer Staatsangehörigkeit,<br />
besetzt – das s<strong>in</strong>d ungefähr fünf Prozent <strong>der</strong><br />
Ausbildungsplätze. Es gab <strong>in</strong> den letzten zwei Jahren<br />
ke<strong>in</strong>e signifikante Steigerung. Nach Nationalitäten<br />
aufgeschlüsselt – das überrascht nicht – s<strong>in</strong>d das <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
Regel nicht die jungen Leute, die wirklich zum Beispiel<br />
aus Spanien gekommen s<strong>in</strong>d, son<strong>der</strong>n es s<strong>in</strong>d vor allem<br />
Jugendliche, die mit ausländischer Staatsangehörigkeit<br />
bereits hier leben. Das sehen Sie auch an den Nationalitäten.<br />
Die Spanier tauchten bis 2011 gar nicht <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
Liste auf, und jetzt s<strong>in</strong>d das e<strong>in</strong> paar Hun<strong>der</strong>t. Was ich<br />
damit <strong>in</strong> Richtung Arbeitgeber sagen will: Macht Euch<br />
ke<strong>in</strong>e Illusionen! Die Gew<strong>in</strong>nung von Auszubildenden<br />
im Ausland löst nicht das Mengenproblem, das wir im<br />
Ausbildungssystem haben. Wir müssen schon zurückgreifen<br />
auf das, was wir hier <strong>in</strong> unserem Land haben<br />
– und das ist auch gut so. Das sollte auch <strong>in</strong> den Medien<br />
deutlicher gemacht werden! Auszubildende aus dem<br />
europäischen Ausland bilden ke<strong>in</strong>e Fluchtoption, vor<br />
allem nicht für die Betriebe und Branchen, die bereits<br />
heute e<strong>in</strong>en erheblichen Mangel an Ausbildungsplatzbewerbern<br />
haben. Denn dieser Mangel ist ja bekanntlich<br />
nicht gleich verteilt über die Branchen, Unternehmen<br />
und Regionen.<br />
Gleichzeitig führt <strong>der</strong> ambivalente Trend zur<br />
Höherqualifizierung zu e<strong>in</strong>er Stabilisierung e<strong>in</strong>es Teils<br />
des Übergangssystems, denn die Fokussierung auf<br />
den Erwerb e<strong>in</strong>es möglichst hohen formalen Schulabschlusses<br />
wird anhalten.<br />
Insgesamt gerät <strong>der</strong> wichtige Bereich <strong>der</strong> dualen<br />
Berufsausbildung aus mehreren Richtungen weiter<br />
unter Druck. Nämlich – und das ist mir wichtig – neben<br />
dem bereits angedeuteten Trend <strong>in</strong> Richtung höhere<br />
Schulabschlüsse auch durch die „Bachelorisierung“ <strong>der</strong><br />
Berufsausbildung.<br />
Ich b<strong>in</strong> Lehren<strong>der</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em betriebswirtschaftlichen<br />
Fachbereich und betreue auch Studenten,<br />
die sich im Auslandsstudium bef<strong>in</strong>den. Sie müssen<br />
Berichte schreiben, die sie mir per Mail zum Beispiel<br />
aus England schicken. Wir haben ja viele Studenten,<br />
die vorher e<strong>in</strong>e Ausbildung als Groß- und Außenhandelskaufmann<br />
gemacht haben, und die schreiben mir<br />
dann: ‚Ich sitze hier <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em BWL-Bachelorstudium.<br />
Die machen das, was wir <strong>in</strong> <strong>der</strong> Berufsschule gemacht<br />
haben’. Ich sage dann: •Ja, klar, die haben ke<strong>in</strong>e Berufsschule<br />
<strong>in</strong> England; da ist die Hochschule nicht selten<br />
faktisch das, was bei uns die Berufsschule ist.• Wir s<strong>in</strong>d<br />
<strong>in</strong> Deutschland auf dem besten Weg, – das kann ich<br />
Ihnen garantieren – unsere Hochschulen genau zu<br />
dem zu machen, was <strong>in</strong> den angelsächsischen Län<strong>der</strong>n<br />
<strong>der</strong> Fall ist: zu besseren o<strong>der</strong> weniger besseren<br />
Berufsschulen. Und als Ökonom muss man immer<br />
an die Verzerrungseffekte denken. Viele Arbeitgeber<br />
sagen mir <strong>in</strong> Gesprächen zum Thema kaufmännische<br />
Berufsausbildung: ‚Warum soll ich denn noch ausbilden?<br />
Wenn ich das richtig machen will, kostet mich das
16<br />
Stefan Sell<br />
e<strong>in</strong>e Menge Geld. Die staatlichen Hochschulen liefern<br />
mir so e<strong>in</strong>en Sachbearbeiter kostenlos’. Ja, mit Steuermitteln<br />
wird e<strong>in</strong> junger Mensch als Bachelor ausgebildet<br />
und dann als Sachbearbeiter e<strong>in</strong>gestellt, denn<br />
an<strong>der</strong>e Positionen bekommen die nicht. Das me<strong>in</strong>e<br />
ich mit „Bachelorisierung <strong>der</strong> Berufsausbildung“. Das<br />
bedeutet natürlich auch, dass e<strong>in</strong> Teil <strong>der</strong>jenigen, die<br />
eigentlich e<strong>in</strong>e duale Berufsausbildung gemacht hätten<br />
und auch machen sollten, <strong>der</strong> dualen Berufsausbildung<br />
verloren gehen. Angesichts <strong>der</strong> Realität <strong>in</strong> den meisten<br />
Hochschulen unseres Landes ist das höchst problematisch,<br />
weil sich ke<strong>in</strong>e pädagogische Institution so<br />
wenig verän<strong>der</strong>t hat wie die Hochschulen. Alle haben<br />
sich verän<strong>der</strong>t: K<strong>in</strong><strong>der</strong>gärten, Schulen, <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e<br />
die Grundschulen. Die Sekundarstufe I e<strong>in</strong> wenig, die<br />
Sekundarstufe II noch weniger – Hochschulen aber so<br />
gut wie gar nicht. Wir unterrichten noch so wie <strong>in</strong> den<br />
70er o<strong>der</strong> 80er Jahren, nur, dass wir heute PowerPo<strong>in</strong>t-<br />
Folien e<strong>in</strong>setzen. Aber wissen Sie, wie viele Leute <strong>in</strong><br />
den 70er und 80er Jahren studiert haben? Anfang <strong>der</strong><br />
80er Jahre waren es 15 Prozent e<strong>in</strong>es Jahrgangs. Das war<br />
e<strong>in</strong>e ganz an<strong>der</strong>e kognitive Grundgesamtheit. Da war,<br />
zugespitzt formuliert, egal, wer vor den Studierenden<br />
stand. Hochschullehrer s<strong>in</strong>d ja sowieso Pädagogen sui<br />
generis, also eigener Art. Das war auch deswegen relativ<br />
egal, weil die Studierenden – aus e<strong>in</strong>er überschaubaren<br />
Grundgesamtheit an Hochschulzugangsberechtigten<br />
stammend – kognitiv fit waren. Die meisten haben sich<br />
den Studienstoff selbst angeeignet. Aber was machen<br />
Sie heute mit Leuten, die da sitzen und die eigentlich<br />
– und das me<strong>in</strong>e ich jetzt positiv – viel mehr profitieren<br />
würden, wenn sie acht Stunden am Tag <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />
Betrieb e<strong>in</strong>gebunden wären, wo sich auch jemand um<br />
sie kümmert? Glauben Sie, die Hochschulen könnten<br />
sich um die vielen Studierenden, die <strong>in</strong> die Studiengänge<br />
strömen, wirklich kümmern?<br />
Jetzt könnte man natürlich sagen: •Dann holen wir<br />
Auszubildende eben von unten nach•. Da kommt das<br />
zweite Problem: Von unten gibt es auch e<strong>in</strong>en Druck,<br />
nämlich durch e<strong>in</strong>e kognitive Anfor<strong>der</strong>ungserhöhung<br />
<strong>in</strong> vielen Berufsausbildungen <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung mit kognitiven<br />
Blockaden bei e<strong>in</strong>em Teil <strong>der</strong> Schüler<strong>in</strong>nen und<br />
Schüler. Was soll das also mit dieser ganzen „Aufwerterei“?<br />
Ich mache das an e<strong>in</strong>em unverfänglichen Beispiel<br />
deutlich: Bei <strong>der</strong> Polizei gab es früher den mittleren<br />
Dienst, den gehobenen Dienst, den höheren Dienst.<br />
Irgendwann hat man gesagt: Das muss aufgewertet<br />
werden. Heute muss je<strong>der</strong> Polizeibeamte beispielsweise<br />
<strong>in</strong> me<strong>in</strong>em Heimatland Rhe<strong>in</strong>land-Pfalz die Fachhochschule<br />
des Landes besuchen. Er o<strong>der</strong> sie macht<br />
e<strong>in</strong> dreijähriges Studium und ist dann bei <strong>der</strong> Bereitschaftspolizei.<br />
Machen Sie aber e<strong>in</strong>mal e<strong>in</strong>e Arbeitsanalyse<br />
und schauen Sie sich an, womit diese Leute <strong>in</strong><br />
den ersten Jahren konfrontiert s<strong>in</strong>d. Sie machen die<br />
gleichen Tätigkeiten wie vor 10, 15 Jahren. Häufig auch<br />
mit den gleichen Arbeitswerkzeugen wie vor 15 Jahren.<br />
Ich habe mit diesen Leuten gesprochen, und sie haben<br />
mir gesagt: ‚Was wir da an <strong>der</strong> Hochschule gelernt haben,<br />
kannst du <strong>in</strong> <strong>der</strong> Praxis des Polizeialltags oftmals<br />
vergessen, brauchen wir nicht, hat ke<strong>in</strong>e Relevanz für<br />
unseren Arbeitsalltag’. Diese Polizisten s<strong>in</strong>d häufig total<br />
frustriert, weil die Realität an <strong>der</strong> Hochschule mit <strong>der</strong><br />
Realität <strong>der</strong> Arbeit nichts zu tun hat. Und für so etwas<br />
gibt es viele weitere Beispiele. Das heißt nicht, dass ich<br />
gegen e<strong>in</strong>e Aufwertung von Ausbildung b<strong>in</strong>, ich will<br />
nur sagen, dass man aufpassen muss. Was hat das, was<br />
man lernt, mit dem zu tun, was man tut? Wir haben <strong>in</strong><br />
viele Berufsausbildungen immer höhere Ansprüche<br />
„re<strong>in</strong>-def<strong>in</strong>iert“, auch <strong>in</strong> den berufsschulischen Bereich.<br />
Das überfor<strong>der</strong>t natürlich viele unserer Jugendlichen,<br />
die ja gerade deswegen e<strong>in</strong>e praktische Ausbildung anstreben,<br />
weil sie an <strong>der</strong> klassischen Form <strong>der</strong> Schule gescheitert<br />
s<strong>in</strong>d o<strong>der</strong> sich zum<strong>in</strong>dest erhebliche Blessuren<br />
geholt haben – das muss man sich doch klarmachen.<br />
Die Berufsschule ist zwar durchaus an<strong>der</strong>s, viele geben<br />
sich da große Mühe, aber nicht wenige Jugendliche<br />
s<strong>in</strong>d letztendlich an <strong>der</strong> Schule und ihren spezifischen<br />
Formaten gescheitert. Deswegen wird es nicht klappen,<br />
von unten alle Berufe nachzufüllen.<br />
Schauen wir uns e<strong>in</strong>mal die Schulabgängerzahlen<br />
für Rhe<strong>in</strong>land-Pfalz an. Im vergangenen Jahr haben fast<br />
44.000 Schüler<strong>in</strong>nen und Schüler die allgeme<strong>in</strong>bildenden<br />
Schulen verlassen, mehr als e<strong>in</strong> Drittel von ihnen<br />
mit e<strong>in</strong>er Hochschulreife. H<strong>in</strong>zu kommt die immer<br />
größer werdende Zahl an Absolventen, die die Hochschulreife<br />
an e<strong>in</strong>er berufsbildenden Schule erlangen.<br />
Wenn man diese dazu zählt, haben wir im vergangenen<br />
Jahr e<strong>in</strong>e Studienberechtigtenquote von 51,7<br />
Prozent. Mehr als die Hälfte e<strong>in</strong>es ganzen Jahrgangs<br />
macht mittlerweile die Hochschulreife und die meisten<br />
wollen auch an e<strong>in</strong>e Hochschule. Dar<strong>in</strong> liegt e<strong>in</strong>e<br />
eigene Dramatik begründet. Die Hochschulen müssten<br />
Antwort geben, wie sie mit e<strong>in</strong>er <strong>der</strong>art verän<strong>der</strong>ten<br />
Grundgesamtheit umgehen wollen und können, mit
Stefan Sell<br />
17<br />
Lernformaten, die mal für e<strong>in</strong>e ganz an<strong>der</strong>e, im Schnitt<br />
wesentlich homogenere Gruppe, entwickelt worden<br />
s<strong>in</strong>d.<br />
Zwar reduziert sich jetzt die Zahl <strong>der</strong> Neuzugänge<br />
<strong>in</strong> das bestehende Übergangssystem, aber gleichzeitig<br />
kommt es zu e<strong>in</strong>er Potenzierung <strong>der</strong> heute schon <strong>in</strong><br />
vielen Maßnahmen zu beobachtenden „Konzentration<br />
<strong>der</strong> Unerträglichkeit“ auf beiden Seiten durch e<strong>in</strong>e<br />
Konzentration <strong>der</strong> sozialpädagogischen Schweregrade.<br />
Damit verbunden ist e<strong>in</strong> absehbar weiter abnehmen<strong>der</strong><br />
Wirkungsgrad <strong>der</strong> zersplitterten und punktuellen<br />
För<strong>der</strong>landschaft: Wenige – aber mit größerer Herausfor<strong>der</strong>ung<br />
für die Sozialpädagogik. Dar<strong>in</strong> liegt natürlich<br />
Sprengstoff.<br />
Ich könnte ke<strong>in</strong>em empfehlen, <strong>in</strong> den nächsten<br />
Jahren als Pädagoge im Übergangssystem zu arbeiten.<br />
Erstens s<strong>in</strong>d dort die schlechtesten Arbeitsbed<strong>in</strong>gungen<br />
mit Befristungen und E<strong>in</strong>kommen, die oftmals <strong>in</strong><br />
<strong>der</strong> Nähe <strong>der</strong> SGB II-Schwelle liegen. Und dann habe<br />
ich es auch noch mit den schwierigsten Fällen zu tun,<br />
mit denen, die am meisten E<strong>in</strong>satz erfor<strong>der</strong>n, aber<br />
relativ niedrige Wirkungsgrade erzielen, weil wir es<br />
mit komplexen beschädigten Biografien zu tun haben.<br />
Dann bewegt man sich auch noch <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Landschaft,<br />
<strong>in</strong> <strong>der</strong> man an dem logischerweise abnehmenden Wirkungsgrad<br />
gemessen wird. Es wird e<strong>in</strong>em permanent<br />
vorgehalten: •Warum habt Ihr nur Erfolgsquoten von x<br />
Prozent?•<br />
Wissen Sie, <strong>in</strong> welche Falle das Übergangssystem<br />
h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>läuft? In die gleiche Falle, <strong>in</strong> die die Pflege<br />
gelaufen ist. Was ist <strong>in</strong> <strong>der</strong> Pflege passiert? Wenn Sie<br />
vor 20 Jahren <strong>in</strong> e<strong>in</strong> Pflegeheim g<strong>in</strong>gen, war e<strong>in</strong> Drittel<br />
<strong>der</strong> Bewohner rüstig. Die E<strong>in</strong>richtungen mussten<br />
für diese Gruppe im Wesentlichen nur Hotellerieleistungen<br />
erbr<strong>in</strong>gen. Diese älteren Leute haben sich<br />
selbst beschäftigt, da war nicht viel Arbeit. E<strong>in</strong> Drittel<br />
war normal pflegebedürftig, e<strong>in</strong> weiteres Drittel war<br />
schwer pflegebedürftig. Wenn Sie heute <strong>in</strong> e<strong>in</strong> deutsches<br />
Heim gehen, s<strong>in</strong>d die meisten Bewohner<strong>in</strong>nen<br />
und Bewohner m<strong>in</strong>destens <strong>in</strong> <strong>der</strong> Pflegestufe 2. Der<br />
Demenzkranken-Anteil liegt bei über 60 Prozent. Die<br />
Arbeitgeber sagen mir: ‚Der Personalschlüssel hat sich<br />
aber nicht verschlechtert’. Klar, das ist so, als ob Sie<br />
Äpfel mit Birnen vergleichen. Die Pflegekräfte gehen<br />
auf dem Zahnfleisch, weil sie heute mit ganz an<strong>der</strong>er<br />
Prof. Dr. Stefan Sell, Direktor des Instituts für Bildungs- und<br />
Sozialpolitik <strong>der</strong> Hochschule Koblenz (ibus)<br />
Grundgesamtheit zu tun haben, die durch e<strong>in</strong>e ganz<br />
an<strong>der</strong>e Pflege<strong>in</strong>tensität charakterisiert ist. Und das wird<br />
– wenn man dieses System nicht aufbricht – im bestehenden<br />
Übergangssystem auch passieren. Deswegen<br />
s<strong>in</strong>d alle Initiativen – auch <strong>in</strong> diesem Programm – so<br />
wichtig, die versuchen, dieses System aufzubrechen.<br />
Es gibt natürlich e<strong>in</strong> paar Reformvorschläge. Ich<br />
will nur e<strong>in</strong>en H<strong>in</strong>weis geben, weil mir <strong>der</strong> beson<strong>der</strong>s<br />
wichtig ist. E<strong>in</strong>e langjährige Erfahrung aus <strong>der</strong> Biografieforschung:<br />
Wenn Sie mit Lehrkräften reden und<br />
fragen, wann driften uns die Jungs und die Mädels – im<br />
Regelfall s<strong>in</strong>d es Jungs – <strong>in</strong> <strong>der</strong> Schule ab? Dann werden<br />
Sie meist hören: Im Alter zwischen 12 und 14 Jahren<br />
gehen diese dem bestehenden System verloren. Sie<br />
verweigern sich, die Lehrer kommen nicht mehr an die<br />
ran, die haben ke<strong>in</strong>en Bock mehr usw. Wann fangen<br />
wir aber an, uns um diese K<strong>in</strong><strong>der</strong> und Jugendlichen zu<br />
kümmern? E<strong>in</strong> paar Jahre später! Und dann wun<strong>der</strong>t<br />
man sich, dass das häufig nicht klappt. Die logische<br />
Konsequenz wäre, die Logik des Übergangssystems<br />
weit vorzuziehen und zu sagen: Wir müssen bereits<br />
<strong>in</strong> dieser kritischen Altersphase mit e<strong>in</strong>er kausalen<br />
Therapie – soweit man das überhaupt sagen kann<br />
– anfangen. Dazu gehört nach all me<strong>in</strong>en Erfahrungen,<br />
die ich mit diesen Jugendlichen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Jugendhilfe<br />
gemacht habe, vor allem e<strong>in</strong>e essentielle Komponente:<br />
Praxis, s<strong>in</strong>nvolle Praxis. Diese K<strong>in</strong><strong>der</strong> und Jugendlichen<br />
<strong>in</strong>teressieren sich sehr wohl für e<strong>in</strong>en W<strong>in</strong>kel. Aber
18<br />
Stefan Sell<br />
nicht, wenn irgende<strong>in</strong> Mathelehrer da vorne steht und<br />
was erklären will, son<strong>der</strong>n wenn sie <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Projekt,<br />
zum Beispiel im Bootsbau, werkeln. Da merken sie auf<br />
e<strong>in</strong>mal: ‚Hey, ich brauch e<strong>in</strong>en W<strong>in</strong>kel, sonst komme<br />
ich hier nicht weiter!’ Ich will ke<strong>in</strong>e neue Schulart, aber<br />
wir müssen darauf e<strong>in</strong>e Antwort geben und zwar im<br />
bestehenden System. Wenn das bisherige Schulsystem<br />
so schwere Folgen, auch Folgekosten hervorruft, macht<br />
es doch S<strong>in</strong>n, bei dieser Gruppe von Schüler<strong>in</strong>nen und<br />
Schülern bereits im bestehenden Schulsystem mit Produktionsschulkonzepten<br />
anzusetzen und diese K<strong>in</strong><strong>der</strong><br />
und Jugendlichen aus dem tradierten Sett<strong>in</strong>g Schule, <strong>in</strong><br />
dem sie def<strong>in</strong>itiv scheitern werden, wenigstens partiell<br />
herauszunehmen. Sonst werden uns 80, 90 Prozent von<br />
dieser Gruppe im Schulsystem verlorengehen.<br />
Und auch im weiteren Gang taucht er wie<strong>der</strong> auf,<br />
me<strong>in</strong> roter Faden: praktische Arbeit, praktische Arbeit!<br />
Im Übergangssystem braucht man e<strong>in</strong>e möglichst<br />
weitreichende „Verbetrieblichung <strong>der</strong> Übergangszone“:<br />
assistierte Ausbildung, professionelle Ausbildungs- und<br />
Qualifizierungsunternehmen. Natürlich gibt es Jugendliche<br />
– das wissen Sie doch viel besser als viele an<strong>der</strong>e –,<br />
die so schwierig s<strong>in</strong>d, dass auch e<strong>in</strong> gut gewillter<br />
Arbeitgeber sie e<strong>in</strong>fach nicht e<strong>in</strong>stellen o<strong>der</strong> es mit<br />
ihnen probieren wird. Für diese Leute brauchen wir<br />
professionelle Träger, die aber nicht <strong>in</strong> irgendwelchen<br />
Schonräumen agieren, son<strong>der</strong>n die am ersten Arbeitsmarkt,<br />
mit dem ersten Arbeitsmarkt arbeiten. Deren<br />
Aufgabe es ist, sich um die schweren Fälle zu kümmern,<br />
aber gleichzeitig immer Kontakt mit <strong>der</strong> Realität des<br />
Handwerks zu haben, mit <strong>der</strong> Realität <strong>der</strong> Industrie,<br />
<strong>in</strong>dem man Aufträge erledigt usw. Das Lernen <strong>in</strong> und<br />
durch echte Arbeit ist <strong>in</strong> me<strong>in</strong>en Augen e<strong>in</strong>es <strong>der</strong> größten<br />
Erfolgsrezepte, wenn es um e<strong>in</strong>e wie auch immer<br />
geartete Integration o<strong>der</strong> die Beantwortung <strong>der</strong> Frage<br />
geht: •Wie kriegt man diese Jugendlichen „rüber“ <strong>in</strong> die<br />
Realität <strong>der</strong> Arbeitswelt?•. Außerdem brauchen wir e<strong>in</strong>e<br />
kont<strong>in</strong>uierliche, <strong>in</strong>dividuelle Begleitung und Betreuung<br />
<strong>der</strong> Jugendlichen.<br />
Hier ist mir e<strong>in</strong>es ganz beson<strong>der</strong>s wichtig: Ich b<strong>in</strong><br />
nicht grundsätzlich gegen Modellför<strong>der</strong>ung, wenn es<br />
um <strong>in</strong>novative Entwicklungen geht. Aber <strong>in</strong> diesem<br />
Feld haben wir doch seit Jahren ke<strong>in</strong> Erkenntnisproblem<br />
mehr. Wir haben e<strong>in</strong> Entscheidungs- und<br />
Umsetzungsproblem, weil sich die unterschiedlichen<br />
fö<strong>der</strong>alen Ebenen und Akteure blockieren. Wir wissen<br />
doch, was funktioniert. Und wenn wir wissen,<br />
dass die kont<strong>in</strong>uierliche, <strong>in</strong>dividuelle Begleitung und<br />
Betreuung <strong>der</strong> Jugendlichen so wichtig ist, dann muss<br />
man auch – und das tue ich ganz beson<strong>der</strong>s – auf die<br />
Arbeitsbed<strong>in</strong>gungen <strong>der</strong> Menschen, <strong>der</strong> Fachkräfte, die<br />
mit diesen jungen Menschen arbeiten, h<strong>in</strong>weisen. Man<br />
muss sie stabilisieren und man muss sie aufwerten.<br />
Und es macht auch ke<strong>in</strong>en S<strong>in</strong>n, Projekte aufzubauen,<br />
dann abzuwickeln und nach sechs bis neun Monaten e<strong>in</strong><br />
Folgeprojekt, das aber auf alle Fälle an<strong>der</strong>s heißen muss,<br />
neu aufzulegen. Zwischenzeitlich geht das Fachwissen<br />
verloren, wenn sich ke<strong>in</strong> Landrat f<strong>in</strong>det, <strong>der</strong> aus se<strong>in</strong>er<br />
Geheimschatulle die Leute f<strong>in</strong>anziert. Und dann fängt das<br />
Ganze wie<strong>der</strong> von vorne an. Das macht doch ke<strong>in</strong>en S<strong>in</strong>n.<br />
Bei allen Konzepten, die <strong>in</strong> <strong>der</strong> Vergangenheit vorgelegt<br />
wurden, hieß es immer wie<strong>der</strong>: Ihr müsst schön<br />
koord<strong>in</strong>ieren und kooperieren und zusammenarbeiten.<br />
Baut Netzwerke auf – das ganze semantische Brimborium.<br />
Letztlich müssen wir am Ende die Frage beantworten:<br />
Wer hat den Hut auf? Wie schaffen Sie es, verlässliche,<br />
nachhaltige Strukturen jenseits Ihres Programms,<br />
Ihrer Anstöße, <strong>in</strong> die Fläche zu br<strong>in</strong>gen und das dann<br />
auch noch nachhaltig auszugestalten?<br />
Ich habe darüber sehr lange nachgedacht. Ich f<strong>in</strong>de<br />
ke<strong>in</strong>e an<strong>der</strong>e Lösung – und auch Ihr Programm hat<br />
das wie<strong>der</strong> deutlich gemacht – als dass die kommunale<br />
Ebene verantwortlich se<strong>in</strong> muss! Daran führt ke<strong>in</strong><br />
Weg vorbei. Warum sage und betone ich das? Denn die<br />
Bundesagentur für Arbeit agiert <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> nach dem<br />
Motto: ‚Wir übernehmen den gesamten Übergangsbereich,<br />
das machen wir als Bundesagentur für Arbeit’.<br />
Und da sage ich: Ne<strong>in</strong>, das funktioniert nicht! Nicht,<br />
weil ich per se was gegen die Bundesagentur hätte.<br />
Aber dieser Übergangsbereich mit se<strong>in</strong>en schwierigen<br />
Jugendlichen funktioniert nur, wenn dort starke Elemente<br />
<strong>der</strong> Jugendhilfe <strong>in</strong>tegriert werden. Das muss vor<br />
Ort gemacht werden. Die Bundesagentur hat sehr viele<br />
wichtige Kompetenzen <strong>in</strong> ihrem Profil, die die Jugendhilfe<br />
nicht hat. Also muss man sie zusammenfassen.<br />
Wir brauchen e<strong>in</strong>en Ort, e<strong>in</strong>en „Heimathafen“, für die<br />
gepoolten Kompetenzen. An<strong>der</strong>s gesagt: Wir brauchen<br />
die Option, dass die Akteure e<strong>in</strong>es nachhaltig ausgestalteten<br />
Übergangssystems e<strong>in</strong>e eigenständige Identität<br />
ausdifferenzieren können und dies auch dürfen.<br />
Ich habe diesen Ort mit dem Arbeitsbegriff „Jugendagenturen“<br />
belegt. Sie können das nennen, wie Sie wollen.
Stefan Sell<br />
19<br />
Mit geht es darum, die <strong>in</strong> diesem Bereich zuständigen<br />
Institutionen und Personen unter e<strong>in</strong>em Dach zusammenzufassen.<br />
Wirklich Durchschlagskraft würde so e<strong>in</strong><br />
„Unter-e<strong>in</strong>em-Dach-Arbeiten“ aber erst dann haben,<br />
wenn wir es mit e<strong>in</strong>er Fondsf<strong>in</strong>anzierung verb<strong>in</strong>den<br />
können. Wenn die Leute vor Ort wirklich entscheiden<br />
könnten, ob sie zum Beispiel ihr Geld <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>dividuelle<br />
Begleitung mit zwei Sozialarbeitern für e<strong>in</strong>en<br />
Jugendlichen stecken wollen. O<strong>der</strong> es wird entschieden,<br />
Lohnkostenzuschüsse an Betriebe zu verteilen. Die<br />
Entscheidung kann und muss wahrsche<strong>in</strong>lich <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
Eifel e<strong>in</strong>e ganz an<strong>der</strong>e se<strong>in</strong> als <strong>in</strong> München. Um nach<br />
den Gegebenheiten und Notwendigkeiten entscheiden<br />
zu können, braucht man e<strong>in</strong>e Fondsf<strong>in</strong>anzierung vor<br />
Ort. Das heißt, man muss die F<strong>in</strong>anzmittel aus den<br />
unterschiedlichen Strängen, aus dem SGB III, aus dem<br />
SGB II, aus dem SGB VIII und aus an<strong>der</strong>en Quellen,<br />
„poolen“. Man muss die F<strong>in</strong>anzmittel freier verfügbar<br />
machen. Das wäre alles möglich, wenn man das wollte.<br />
Aber Sie wissen natürlich, woran es scheitert: Weil sich<br />
jede Institution über ihre Hoheit, über ihre Haushaltsmittel<br />
und über die Verwendung <strong>der</strong> Haushaltsmittel<br />
def<strong>in</strong>iert. Haushaltsmittel <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en Pool abzugeben, tut<br />
weh und ist sicherlich erst e<strong>in</strong>mal mehr als schwierig.<br />
Aber auch die Schulgesetze <strong>der</strong> Län<strong>der</strong> müssten<br />
geän<strong>der</strong>t werden. Wenn <strong>der</strong> Schulbereich nicht verpflichtend<br />
<strong>in</strong> dieses Konzept e<strong>in</strong>gebunden wird, würde<br />
die Effektivität leiden. In die SGBs, aber auch <strong>in</strong> die<br />
Schulgesetze, müssten verb<strong>in</strong>dliche Kooperationsnormierungen<br />
aufgenommen werden. Wenn man schon<br />
ke<strong>in</strong>e Revolution anzettelt, dann muss man wenigstens<br />
verb<strong>in</strong>dliche Kooperationsnormierungen <strong>in</strong> die Gesetze<br />
e<strong>in</strong>bauen – mit politischem Willen könnte man das<br />
tun. Das ist me<strong>in</strong> Vorschlag: Wir brauchen wie auch<br />
immer genannte Agenturen mit gepoolten Fonds auf<br />
kommunaler Ebene.<br />
Jetzt komme ich def<strong>in</strong>itiv zum Schluss. Ich will<br />
me<strong>in</strong>em Auftraggeber für diesen Vortrag doch noch<br />
gerecht werden und etwas zur Fachkräftesicherung<br />
sagen. Ich habe daher e<strong>in</strong> ganz praktisches Beispiel<br />
gefunden, das ich fasz<strong>in</strong>ierend f<strong>in</strong>de: Der Ansatz e<strong>in</strong>er<br />
„Verbetrieblichung“ – „rüber“ und „re<strong>in</strong>“ <strong>in</strong> den ersten<br />
Arbeitsmarkt – zeigt, dass es ganz viele Andockstellen<br />
gibt. Aus dem Universum an Beispielen habe ich<br />
Ihnen e<strong>in</strong>s mitgebracht, an dem auch deutlich wird,<br />
welche volkswirtschaftliche Bedeutung unser Handeln<br />
hier <strong>in</strong> diesem Bereich haben könnte. Ich beziehe
20 Stefan Sell<br />
mich auf das Beispiel <strong>der</strong> LKW-Fahrer: Wir steuern<br />
<strong>in</strong> <strong>der</strong> Logistikbranche auf e<strong>in</strong>en gewaltigen Mangel<br />
an Fahrern zu. Hierzu nur e<strong>in</strong>ige Daten: Wir haben<br />
aktuell bei LKW-Fahrern e<strong>in</strong> Durchschnittsalter von<br />
45 Jahren. Von den <strong>der</strong>zeit 785.000 hauptberuflichen<br />
LKW-Fahrern gehen <strong>in</strong> den kommenden 15 Jahren<br />
290.000 <strong>in</strong> den Ruhestand. Jetzt gibt es bei den Logistikern<br />
die Befürchtung, dass 20.000 Fahrersitze aufgrund<br />
von Nachwuchsmangel jährlich unbesetzt bleiben<br />
werden. Was das für unsere Volkswirtschaft bedeutet,<br />
können Sie sich gar nicht vorstellen. Überlegen Sie mal,<br />
die gesamte Automobil<strong>in</strong>dustrie basiert heute auf dem<br />
„Just <strong>in</strong> time“-Pr<strong>in</strong>zip. Die haben ke<strong>in</strong>e Lager mehr,<br />
alles ist auf <strong>der</strong> Straße. Die Fachkräftemangelberechnungen<br />
sagen uns, dass wir pro Jahr m<strong>in</strong>destens 25.000<br />
Nachwuchsfahrer bräuchten, um den Bedarf decken<br />
zu können. Das Problem ist: Derzeit kommen pro Jahr<br />
nur 3.000 junge Menschen über die Erstausbildung<br />
<strong>in</strong> den Beruf h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>, plus 10.000 bis 15.000 Seitene<strong>in</strong>steiger.<br />
Das wären dann zum Beispiel Leute über die<br />
Nachqualifizierungsschiene. Wir haben also beide<br />
Zielgruppen <strong>in</strong> diesem Bereich. Im Übergang jüngere<br />
Leute sowie lebensältere Menschen als Nachzuqualifizierende<br />
bzw. als Seitene<strong>in</strong>steiger. Das s<strong>in</strong>d, wenn Sie<br />
zusammenrechnen, aber immer noch viel zu wenig.<br />
Und die Situation verschärft sich dramatisch, weil <strong>in</strong><br />
<strong>der</strong> Vergangenheit <strong>der</strong> größte staatlich subventionierte<br />
Lieferant von LKW-Fahrern die Bundeswehr war. Pro<br />
Jahr haben nämlich 15.000 Wehrpflichtige ihren LKW-<br />
Führersche<strong>in</strong> bei <strong>der</strong> Bundeswehr gemacht und viele<br />
s<strong>in</strong>d dann mit diesem LKW-Führersche<strong>in</strong> zur Spedition<br />
gekommen. Die Speditionen haben immer auf die<br />
ehemaligen Wehrpflichtigen gesetzt. Viele Speditionen<br />
s<strong>in</strong>d kle<strong>in</strong>betrieblich, die können nicht e<strong>in</strong>fach mal<br />
zehn LKW-Fahrerausbildungen auf Verdacht f<strong>in</strong>anzieren.<br />
Das ist doch e<strong>in</strong> wun<strong>der</strong>bares Beispiel. Vielen<br />
Leuten aus <strong>der</strong> Zielgruppe des Programms könnte<br />
man e<strong>in</strong>e Arbeitsplatzperspektive bieten. Wenn man<br />
regionale Verbundsysteme aufbauen und sagen würde:<br />
‚Wir helfen euch, Nachwuchs zu f<strong>in</strong>den, wir stecken<br />
auch öffentliche Mittel re<strong>in</strong>, allerd<strong>in</strong>gs nur, wenn am<br />
Ende <strong>der</strong> Abschluss zum Berufskraftfahrer steht’. Und<br />
wenn die Speditionen zu kle<strong>in</strong> s<strong>in</strong>d, dann müssen sie<br />
sich zusammenschließen zu Verbundsystemen für e<strong>in</strong>e<br />
Verbundausbildung. Die kann man dann för<strong>der</strong>n und<br />
unterstützen.<br />
Also, wenn Mittel fließen sollen, dann ist e<strong>in</strong>e<br />
Abschlussorientierung erfor<strong>der</strong>lich, e<strong>in</strong>e Ausbildung,<br />
die zu e<strong>in</strong>em vernünftigen Berufsabschluss führt. Das<br />
wäre e<strong>in</strong>e W<strong>in</strong>-W<strong>in</strong>-Situation. Und davon brauchen<br />
wir noch viel mehr. Das geht aber nicht über Modellprojekte,<br />
son<strong>der</strong>n letztendlich nur über e<strong>in</strong>e auf Dauer<br />
angelegte und verb<strong>in</strong>dliche Struktur des Kümmerns<br />
vor Ort. Wenn die beiden Programme, <strong>der</strong>en För<strong>der</strong>ung<br />
jetzt ausläuft, hierzu beigetragen haben mit weiterer<br />
Expertise, dann ist das zwar gut, aber die eigentliche<br />
Aufgabe fängt jetzt erst an. Nochmal: Wir haben ke<strong>in</strong><br />
Erkenntnisproblem, son<strong>der</strong>n ganz offensichtlich e<strong>in</strong><br />
Umsetzungsproblem.
Podiumsdiskussion I<br />
21<br />
„Regionales Übergangsmanagement“ (RÜM) als<br />
bildungspolitische Koord<strong>in</strong>ierungsstrategie<br />
Podiumsdiskussion I<br />
V. l. n. r.: Re<strong>in</strong>hard Goldbach, Siegfried Lieske, Dietmar L<strong>in</strong>ne, Dörte He<strong>in</strong>rich, Dr. Matthias Schulze-Bö<strong>in</strong>g im Gespräch mit <strong>der</strong><br />
Mo<strong>der</strong>ator<strong>in</strong> Reg<strong>in</strong>a Br<strong>in</strong>kmann<br />
Projektverantwortliche und <strong>der</strong>en regionale<br />
Netzwerkpartner diskutieren Kriterien und Bed<strong>in</strong>gungen,<br />
die zum Gel<strong>in</strong>gen regionalen Bildungsmanagements<br />
beitragen:<br />
Re<strong>in</strong>hard Goldbach, stellv. Leiter des Fachbereichs<br />
„Jugend und Soziales“ <strong>der</strong> Stadt Hagen<br />
Dörte He<strong>in</strong>rich, Fachgebietsleiter<strong>in</strong> „Jugend“<br />
beim Landkreis Vorpommern-Rügen<br />
Siegfried Lieske, Stadtrat und Leiter des Dezernats<br />
„Jugend, Schule und Ordnung“ <strong>der</strong> Stadt Gött<strong>in</strong>gen<br />
Dietmar L<strong>in</strong>ne, Vorstand <strong>der</strong> Beschäftigungsför<strong>der</strong>ung<br />
Gött<strong>in</strong>gen kAöR<br />
Dr. Matthias Schulze-Bö<strong>in</strong>g, Leiter des Amtes für<br />
Arbeitsför<strong>der</strong>ung, Statistik und Integration <strong>der</strong> Stadt<br />
Offenbach am Ma<strong>in</strong><br />
Mo<strong>der</strong>ation: Reg<strong>in</strong>a Br<strong>in</strong>kmann, Bildungsjournalist<strong>in</strong><br />
Zur E<strong>in</strong>stimmung auf das „Regionale Übergangsmanagement“<br />
wurde e<strong>in</strong> ca. fünf-m<strong>in</strong>ütiger Film gezeigt,<br />
mit dem am Beispiel des Landkreises Mittelsachsen<br />
die Arbeit und die möglichen Handlungsfel<strong>der</strong> e<strong>in</strong>es<br />
Projekts veranschaulicht wurden.<br />
Der Film ist abrufbar auf <strong>der</strong> Programmhomepage<br />
www.perspektive-berufsabschluss.de.
22<br />
Podiumsdiskussion I<br />
Gel<strong>in</strong>gensbed<strong>in</strong>gungen des „Regionalen<br />
Übergangsmanagements“<br />
Mit den Teilnehmenden dieser Podiumsdiskussion<br />
sollte e<strong>in</strong>e Art Resümee zu den durch die Projektarbeit<br />
erzielten Ergebnissen, beziehungsweise zu den erwirkten<br />
o<strong>der</strong> angestoßenen Verän<strong>der</strong>ungsprozessen <strong>in</strong> den<br />
Regionen erörtert werden. Schnell wurde deutlich, wie<br />
unerlässlich die Verb<strong>in</strong>dlichkeit für die Kooperation <strong>in</strong><br />
den Netzwerken war und weiterh<strong>in</strong> ist. Kooperationsvere<strong>in</strong>barungen<br />
s<strong>in</strong>d dafür e<strong>in</strong> gutes Instrument. Für<br />
die Durchsetzungsfähigkeit ist es aber vor allem von<br />
Bedeutung, dass Entscheidungsträger aus <strong>der</strong> Verwaltung<br />
an den Runden Tischen von Begleitausschüssen<br />
und Steuerungskreisen sitzen. Denn, so erklärte Dörte<br />
He<strong>in</strong>rich, es werde e<strong>in</strong> Begleitausschuss gebraucht,<br />
„<strong>der</strong> das Programm auf ämterverzahnen<strong>der</strong> Ebene<br />
auch forciert“ und aus Personen besteht, die sagen<br />
können: „Genau so ist die Strategie, so machen wir<br />
das“. Wie richtig es war, durch die Programmstrategie<br />
von „<strong>Perspektive</strong> Berufsabschluss“ die RÜM-Projekte<br />
möglichst auf <strong>der</strong> oberen Ebene <strong>der</strong> kommunalen<br />
Verwaltung ansiedeln zu lassen, ist e<strong>in</strong>e Erfahrung, die<br />
von allen Beteiligten bestätigt werden konnte. „Ohne<br />
Dezernenten und Oberbürgermeister kann e<strong>in</strong> RÜM<br />
e<strong>in</strong>fach nicht funktionieren“, erklärte Dietmar L<strong>in</strong>ne.<br />
Auch Dörte He<strong>in</strong>rich ergänzte dazu, wie wichtig es sei,<br />
dass „<strong>der</strong> Landkreis uns immer wie<strong>der</strong> Rückenstärkung<br />
gibt, also den verwaltungspolitischen Auftrag gegeben<br />
hat, und wir im Auftrag des Kreistags agieren“.<br />
Handlungsfel<strong>der</strong> regionaler Projektarbeit<br />
Dennoch verlief die Projektarbeit <strong>in</strong> den Regionen ganz<br />
unterschiedlich. Siegfried Lieske wies darauf h<strong>in</strong>, dass<br />
<strong>in</strong> <strong>der</strong> Universitätsstadt Gött<strong>in</strong>gen zwei Drittel e<strong>in</strong>es<br />
Jahrgangs das Abitur machen, 80 Prozent aller Schüler<strong>in</strong>nen<br />
und Schüler haben m<strong>in</strong>destens den Realschulabschluss.<br />
Die Ausbildungsquote direkt im Übergang<br />
liegt nur bei sieben Prozent. Dass <strong>der</strong> Anteil <strong>der</strong>er, die<br />
e<strong>in</strong>er beson<strong>der</strong>en För<strong>der</strong>ung bedürfen, also eher kle<strong>in</strong><br />
ist, gab dem RÜM <strong>in</strong> Gött<strong>in</strong>gen die Möglichkeit, die<br />
zielgruppenorientierte Elternarbeit und die Schulverweigerer<br />
stärker <strong>in</strong> den Blick zu nehmen. Durch gute<br />
Abstimmungen und effektives Interagieren – auch mit<br />
an<strong>der</strong>en För<strong>der</strong>programmen und Maßnahmen – ist es<br />
möglich geworden, zum Beispiel <strong>in</strong> Kooperation<br />
mit <strong>der</strong> Türkisch Islamischen Union <strong>der</strong> Anstalt für<br />
Religion e. V. (DiTiB-Geme<strong>in</strong>de), für türkische Eltern<br />
Berufsberatung anzubieten und mit Eltern mit e<strong>in</strong>em<br />
Migrationsh<strong>in</strong>tergrund <strong>in</strong> Betriebe zu gehen und<br />
Werbung für die duale Ausbildung mit ihren Aufstiegschancen<br />
zu machen. Schulverweigerer werden durch<br />
e<strong>in</strong>e Art Produktionsschule, e<strong>in</strong>e Komb<strong>in</strong>ation aus<br />
Werkstatt und Regelschule mit zusätzlichen Pädagogen<br />
für <strong>in</strong>dividuelle Begleitung, zu 80 Prozent zu e<strong>in</strong>em guten<br />
Schulabschluss geführt. Dietmar L<strong>in</strong>ne sieht zwar,<br />
dass auch die positive Konjunkturentwicklung und <strong>der</strong><br />
damit e<strong>in</strong>her gehende Rückgang <strong>der</strong> Arbeitslosenquote<br />
<strong>in</strong> <strong>der</strong> Region e<strong>in</strong>e Rolle gespielt haben, doch zog er die<br />
Bilanz, „vieles (habe sich) auch gedrittelt <strong>in</strong> <strong>der</strong> RÜM-<br />
Zeit“. Die Quote <strong>der</strong> Schüler<strong>in</strong>nen und Schüler ohne<br />
Schulabschluss liege nun bei ungefähr zwei Prozent.<br />
Für den Übergang von <strong>der</strong> Schule <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Ausbildung<br />
spielen auch die Betriebe e<strong>in</strong>e entscheidende<br />
Rolle. An <strong>der</strong> Ausbildungsmesse im Ennepe-Ruhr-Kreis<br />
werden <strong>in</strong> diesem Jahr über 100 Unternehmen teilnehmen<br />
und ihre Ausbildungsplätze anbieten. Auch dafür<br />
ist e<strong>in</strong>e gute Netzwerkarbeit unerlässlich. „Wir sitzen<br />
mit Kammern, Arbeitsagenturen und den an<strong>der</strong>en<br />
Akteuren <strong>in</strong> den unterschiedlichen Gremien häufig<br />
zusammen (…), es ist ja e<strong>in</strong>e Geme<strong>in</strong>schaftsproduktion<br />
(und) ke<strong>in</strong> Zufallsprodukt, dass es dann auch erfolgreich<br />
ist (…), son<strong>der</strong>n hat mit den Aktivitäten, die auch<br />
durch RÜM <strong>in</strong>itiiert worden s<strong>in</strong>d, sehr viel zu tun“, so<br />
Re<strong>in</strong>hard Goldbach. Auch <strong>in</strong> <strong>der</strong> Stadt Offenbach sieht<br />
man großes Potenzial, um <strong>in</strong> dem sehr dynamischen<br />
Wirtschaftsraum mit e<strong>in</strong>er hohen Bevölkerungsfluktuation,<br />
e<strong>in</strong>er hohen Zuwan<strong>der</strong>ung und e<strong>in</strong>em Migrantenanteil<br />
von ca. 48 Prozent die Talentreserven <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
Region zu mobilisieren. „Das ist genau <strong>der</strong> Punkt, an<br />
dem wir auch mit RÜM angesetzt haben“, so Matthias<br />
Schulze-Bö<strong>in</strong>g. Wir haben geme<strong>in</strong>sam mit den Institutionen<br />
<strong>der</strong> Wirtschaft, den Kammern, dem Handwerk,<br />
<strong>der</strong> Arbeitsagentur, den Kommunen, Stadt und Kreis<br />
(…) e<strong>in</strong>e regionale Plattform mit Standards <strong>der</strong> Ausbildungsstellenvermittlung<br />
geschaffen.“ So sei es möglich<br />
geworden, verb<strong>in</strong>dlich festzulegen, wie Ausbildungsvermittlung<br />
aus Sicht <strong>der</strong> Betriebe optimiert werden<br />
kann. Dieses Modell sei <strong>in</strong>zwischen <strong>in</strong> ganz Hessen
Podiumsdiskussion I<br />
23<br />
Re<strong>in</strong>hard Goldbach Siegfried Lieske Dietmar L<strong>in</strong>ne Dörte He<strong>in</strong>rich Dr. Matthias Schulze-Bö<strong>in</strong>g<br />
etabliert worden und habe sich „sehr gut bewährt als<br />
Plattform für e<strong>in</strong>e sehr enge Zusammenarbeit <strong>der</strong><br />
verschiedensten Akteure <strong>in</strong> <strong>der</strong> Wirtschaft und im<br />
Arbeitsmarkt“.<br />
Durch die Kreisgebietsreform nach Beg<strong>in</strong>n des<br />
RÜM-Projektes wurde <strong>der</strong> Landkreis Vorpommern/<br />
Rügen vor beson<strong>der</strong>e Herausfor<strong>der</strong>ungen gestellt. In<br />
enger Kooperation mit e<strong>in</strong>em Projekt des Modellprogramms<br />
„Aktiv <strong>in</strong> <strong>der</strong> Region“ aus <strong>der</strong> BMFSFJ<br />
Initiative JUGEND STÄRKEN wurde e<strong>in</strong> geme<strong>in</strong>samer<br />
Begleitausschuss <strong>in</strong>itiiert, <strong>in</strong> dem rechtskreisübergreifend<br />
das Staatliche Schulamt, die Wirtschaftsför<strong>der</strong>ung<br />
des Landkreises, die Kreishandwerkerschaft und an<strong>der</strong>e<br />
Institutionen beteiligt s<strong>in</strong>d. So wurde es möglich, transparent<br />
die notwendigen Aktivitäten <strong>der</strong> Projektarbeit<br />
abzustimmen und aufe<strong>in</strong>an<strong>der</strong> zu beziehen. Durch e<strong>in</strong>e<br />
über das RÜM-Projekt erfolgte Bestandsaufnahme zu<br />
den Maßnahmen am Übergang Schule-Beruf konnte<br />
nachgewiesen werden, dass <strong>in</strong> <strong>der</strong> Region <strong>in</strong>sgesamt<br />
rund 780 Maßnahmen an 30 Schulen angeboten<br />
wurden – e<strong>in</strong> unübersichtlicher Maßnahmedschungel,<br />
<strong>der</strong> alle überfor<strong>der</strong>t. „Selbst die Schulen haben sich<br />
nach dieser Befragung an uns gewandt und e<strong>in</strong> klares<br />
Signal gegeben: Wir brauchen Hilfe, wir kommen hier<br />
auch nicht mehr klar“, so beschreibt Dörte He<strong>in</strong>rich<br />
die Reaktionen. Durch die Projektarbeit ist es möglich<br />
geworden, den Handlungsbedarf aufzuweisen,<br />
e<strong>in</strong> Handlungskonzept abzustimmen und auch mit<br />
<strong>der</strong> Wirtschaft und den Unternehmerverbänden e<strong>in</strong>e<br />
Gesamtstrategie für die Region zu entwickeln, die auch<br />
dem Fachkräftemangel dieses großen Flächenkreises<br />
entgegenwirkt. Die Angebote sollen nach Qualitätskriterien<br />
ausgewählt und gebündelt werden, um sie<br />
hilfreich und weiterführend sowohl dem Bedarf <strong>der</strong><br />
Jugendlichen als auch den Anfor<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> Unternehmen<br />
des Landkreises anzupassen.<br />
Was RÜM bewirken konnte<br />
Auf die Frage von Reg<strong>in</strong>a Br<strong>in</strong>kmann, <strong>in</strong>wieweit die<br />
Kommunen von den durch RÜM geschaffenen Strukturen<br />
profitieren, antwortete Re<strong>in</strong>hard Goldbach: „Es ist uns<br />
gelungen, e<strong>in</strong>en Trägerverbund <strong>in</strong>s Leben zu rufen, wo<br />
alle Maßnahmenträger sich zusammengeschlossen haben<br />
und geme<strong>in</strong>sam bestimmte Projekte bearbeiten. Das ist<br />
e<strong>in</strong> Erfolg, das hätten wir ohne RÜM nicht geschafft“.<br />
Ganz entscheidend sei gewesen, dass durch die Arbeit des<br />
Projektes <strong>der</strong> Übergang Schule-Beruf e<strong>in</strong> ständiges Thema<br />
<strong>in</strong> den Verwaltungen und auch <strong>in</strong> <strong>der</strong> Politik geworden<br />
sei – und zwar durch alle Fachbereiche h<strong>in</strong>durch. Die<br />
schon von Dietmar L<strong>in</strong>ne für Gött<strong>in</strong>gen genannte ger<strong>in</strong>ge<br />
Schulabbrecherquote und die für die Region relativ ger<strong>in</strong>ge<br />
Jugendarbeitslosigkeit zeige Wirkungen auf. „Das s<strong>in</strong>d<br />
ganz konkrete Erfolge des RÜM, die man, f<strong>in</strong>de ich, ruhig<br />
mal so nennen darf“, so Siegfried Lieske.
24<br />
Podiumsdiskussion I<br />
Wie sehr RÜM dazu beigetragen hat, dass nicht nur<br />
<strong>der</strong> politische Impuls gegeben wurde, son<strong>der</strong>n auch die<br />
nachhaltige und vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen<br />
den Institutionen mit ihren unterschiedlichen<br />
„Philosophien“ und manchmal auch unterschiedlichen<br />
Interessen gestärkt wurde, machte Matthias Schulze-<br />
Bö<strong>in</strong>g aus kommunaler Sicht an „drei Elementen“<br />
fest: durch die stärkere Verankerung <strong>in</strong> den Schulen,<br />
„e<strong>in</strong>fach, weil wir auch den Schulen wirklich Mehrwert<br />
br<strong>in</strong>gen konnten“. Des Weiteren durch die von RÜM<br />
erarbeiteten und zum Teil auch produzierten Produkte.<br />
Diese waren für die Schulen unmittelbar nützlich.<br />
So konnten Arbeitsbeziehungen aufgebaut werden.<br />
Durch die Abstimmungsprozesse <strong>der</strong> Akteure konnten<br />
die Rechtskreisdifferenzierungen nach dem SGB II,<br />
III und VIII e<strong>in</strong> Stück weit überwunden werden nach<br />
dem Motto: „Okay, lasst uns das mal beiseite setzen, wir<br />
haben e<strong>in</strong> Problem und müssen das lösen.“ Als drittes<br />
Element war das Bemühen im Übergangssystem, <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
Vermittlung im Jobcenter, aber auch <strong>in</strong> <strong>der</strong> Berufsberatung<br />
mehr aus e<strong>in</strong>er Hand und damit effektiver zu<br />
gestalten, von nachhaltiger Bedeutung.<br />
In Nordrhe<strong>in</strong>-Westfalen wird <strong>der</strong> Ausbildungskonsens<br />
jetzt nach Ablauf des Projekts schrittweise<br />
flächendeckend umgesetzt. Für Re<strong>in</strong>hard Goldbach<br />
e<strong>in</strong> Grund zur Freude, denn „das, was aufgebaut<br />
worden ist, kann <strong>in</strong> das neue System überführt und<br />
dort entsprechend weiterentwickelt werden“. Da das<br />
RÜM-Projekt schon die Unterstützung <strong>der</strong> Verwaltungsspitze<br />
hatte, kann daran angeknüpft werden. So<br />
lassen sich die durch RÜM gestärkten Kooperationen<br />
<strong>der</strong> regionalen Netzwerkarbeit für die Stadt Hagen und<br />
den Ennepe-Ruhr-Kreis nachhaltig fortführen, um den<br />
Herausfor<strong>der</strong>ungen des neuen Programms mit den<br />
Inhalten Potenzialanalyse und Berufsfel<strong>der</strong>kundungen<br />
wirkungsvoll zu begegnen. Auch <strong>in</strong> Gött<strong>in</strong>gen ist durch<br />
RÜM, aber auch durch die Schulaufsicht e<strong>in</strong>e „Gruppendynamik“<br />
entstanden, <strong>der</strong> man sich kaum noch<br />
entziehen könne. In Kooperation mit Arbeitsagentur,<br />
Schule o<strong>der</strong> Schulaufsicht und mit den zuständigen<br />
Berater<strong>in</strong>nen und Beratern wurde die Erarbeitung von<br />
Standards zur Berufsorientierung für alle Schulen im<br />
Stadt- und Landkreis auf den Weg gebracht.<br />
Kle<strong>in</strong>es Fazit<br />
In <strong>der</strong> Abschlussrunde wurden noch e<strong>in</strong>mal drei zentrale<br />
Partner herausgestellt und betont, wie wichtig es sei,<br />
erstens die Schulen wirklich <strong>in</strong>s Boot zu holen und stabile<br />
Arbeitsbeziehungen zwischen Kommune und Schule,<br />
aber auch zwischen den an<strong>der</strong>en Akteuren wie Jobcenter,<br />
Arbeitsagenturen, Kammern, Wirtschaftsför<strong>der</strong>ung zu<br />
etablieren. Wichtig sei aber zweitens auch, die Zivilgesellschaft<br />
zu <strong>in</strong>volvieren, zum Beispiel die Migrantenorganisationen<br />
sowie Geme<strong>in</strong>den und Stadtteil<strong>in</strong>itiativen zu<br />
beteiligen und ihre Hilfsbereitschaft und das Engagement<br />
zu nutzen. Drittens müsse die Wirtschaft von Anfang an<br />
als Partner im Übergang Schule-Beruf gewonnen werden.<br />
„Also <strong>in</strong>sofern wir Schule, Zivilgesellschaft, Wirtschaft <strong>in</strong>volvieren,<br />
dann kann man als Kommune nichts verkehrt<br />
machen“, lautete das für alle abschließende Resümee von<br />
Matthias Schulze-Bö<strong>in</strong>g.<br />
Projektverantwortliche und <strong>der</strong>en regionale Netzwerkpartner<br />
diskutieren Kriterien und Bed<strong>in</strong>gungen, die zum Gel<strong>in</strong>gen regionalen<br />
Bildungsmanagements beitragen.
Podiumsdiskussion II<br />
25<br />
„Abschlussorientierte modulare Nachqualifizierung“<br />
als Erfolgsstrategie zur Fachkräftesicherung<br />
Podiumsdiskussion II<br />
V. l. n. r. T<strong>in</strong>a Bickel, Carla Mattern, Yves Wulff, Mo<strong>der</strong>ation Reg<strong>in</strong>a Br<strong>in</strong>kmann, Susanne Neumann, Kar<strong>in</strong> Mauz, Achim Dudde<br />
Teilnehmende an Nachqualifizierungen und Projektverantwortliche<br />
kommentieren Beispiele guter<br />
Praxis und die (strukturellen) Voraussetzungen<br />
ihres Erfolgs:<br />
Susanne Neumann, Leiter<strong>in</strong> des Projekts „leap“,<br />
zukunft im zentrum GmbH, Berl<strong>in</strong><br />
Kar<strong>in</strong> Mauz, Geschäftsführer<strong>in</strong> „hotel johann“, Berl<strong>in</strong><br />
Achim Dudde, Nachzuqualifizieren<strong>der</strong><br />
„Hotelfachmann“<br />
Yves Wulff, Nachzuqualifizieren<strong>der</strong><br />
„Elektroanlagenmonteur“<br />
T<strong>in</strong>a Bickel, Leitungsteam <strong>der</strong> „Servicestelle Nachqualifizierung<br />
Altenpflege für Rhe<strong>in</strong>land-Pfalz“, INBAS<br />
GmbH, Offenbach<br />
Carla Mattern, Nachzuqualifizierende<br />
„Altenpfleger<strong>in</strong>“<br />
Mo<strong>der</strong>ation: Reg<strong>in</strong>a Br<strong>in</strong>kmann, Bildungsjournalist<strong>in</strong><br />
In e<strong>in</strong>em ca. fünf-m<strong>in</strong>ütigen Film wurde am Beispiel <strong>der</strong><br />
Umsetzung von „Abschlussorientierter modularer Nachqualifizierung“<br />
<strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> gezeigt, welche Handlungsfel<strong>der</strong><br />
bearbeitet werden müssen und was zum Gel<strong>in</strong>gen<br />
erfolgreicher Nachqualifizierung beiträgt. Neben <strong>der</strong><br />
Leiter<strong>in</strong> des Projekts „leap“, Susanne Neumann, kamen<br />
Nachzuqualifizierende, Vertreter<strong>in</strong>nen bzw. Vertreter<br />
von Unternehmen, von Bildungsdienstleistern und <strong>der</strong><br />
kommunalen Wirtschaftsför<strong>der</strong>ung sowie des Bundesm<strong>in</strong>isteriums<br />
für Bildung und Forschung zu Wort.<br />
Der Film ist abrufbar auf <strong>der</strong> Programmhomepage<br />
www.perspektive-berufsabschluss.de.
26<br />
Podiumsdiskussion II<br />
Stabile Basis s<strong>in</strong>d die regionalen bzw. branchenbezogenen<br />
Netzwerke <strong>der</strong> Akteure<br />
Susanne Neumann<br />
Handlungsfel<strong>der</strong> erfolgreicher Nachqualifizierung<br />
Mit den Teilnehmenden an <strong>der</strong> Podiumsdiskussion<br />
wurde erörtert, welche Fragen bearbeitet und welche<br />
Aspekte beachtet werden müssen, um im Zusammenwirken<br />
aller Akteure Nachqualifizierung erfolgreich<br />
zu gestalten. Susanne Neumann beschrieb Nachqualifizierung<br />
als e<strong>in</strong>en neuen, e<strong>in</strong>en weiteren Weg, um<br />
zum Berufsabschluss zu kommen. Nachqualifizierung<br />
biete <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e den Personen e<strong>in</strong>e Chance, „für die<br />
das bisherige System eben nicht geeignet war. (…) E<strong>in</strong><br />
solches Instrument brauchten wir.“ Anhand konkreter<br />
Praxisbeispiele erläuterte Susanne Neumann die für<br />
die Projektarbeit <strong>in</strong> <strong>der</strong> Nachqualifizierung zentralen<br />
Handlungsfel<strong>der</strong>. Grundlage für die Implementierung<br />
nachhaltiger Kooperationsstrukturen war die Vernetzung<br />
und Beratung aller Akteure. Darüber h<strong>in</strong>aus<br />
mussten Service- und Beratungsangebote für die an<br />
Nachqualifizierung Interessierten bereitgestellt werden.<br />
Soweit ke<strong>in</strong>e bedarfsgerechten Nachqualifizierungsangebote<br />
vorhanden waren, wurden an die relevanten<br />
Berufsbil<strong>der</strong> orientierte Module entwickelt. Wichtig<br />
war es, dass die Umsetzung <strong>der</strong> Nachqualifizierungsangebote<br />
erwachsenengerecht und dem <strong>in</strong>dividuellen<br />
Bedarf entsprach. Auch die betrieblichen Voraussetzungen<br />
mussten bei <strong>der</strong> organisatorischen Gestaltung<br />
<strong>der</strong> Nachqualifizierung Berücksichtigung f<strong>in</strong>den. E<strong>in</strong>e<br />
breit angelegte Öffentlichkeitsarbeit erwies sich als<br />
beson<strong>der</strong>s wichtig für den Projekterfolg. Nur über die<br />
zielgruppenbezogene Ansprache können potenzielle<br />
Teilnehmende, Unternehmen und Bildungsdienstleister<br />
mobilisiert werden.<br />
Um strukturelle Verän<strong>der</strong>ungsprozesse im Bereich<br />
<strong>der</strong> Nachqualifizierung anzustoßen, war es für die<br />
Projekte unabd<strong>in</strong>gbar, alle regional relevanten arbeitsmarkt-<br />
und bildungspolitischen Partner<strong>in</strong>nen und<br />
Partner <strong>in</strong> den Aufbau <strong>der</strong> Netzwerke e<strong>in</strong>zub<strong>in</strong>den.<br />
Zu Beg<strong>in</strong>n galt es, Vorbehalte zu überw<strong>in</strong>den. „Die<br />
mentalen Hürden abzubauen ist e<strong>in</strong>er <strong>der</strong> Erfolge <strong>in</strong><br />
den letzten drei Jahren, (…) nicht nur bei Unternehmen,<br />
son<strong>der</strong>n auch bei Vielen, die gedacht haben, durch<br />
Nachqualifizierung werde das duale System unterwan<strong>der</strong>t.<br />
(…) Ich glaube, durch Überzeugungsarbeit ist<br />
viel gewonnen und Vertrauen geschaffen worden“, so<br />
beschrieb Susanne Neumann die Situation. Vor allem<br />
durch Beispiele erfolgreicher Nachqualifizierungspraxis<br />
sei es gelungen, die Akteure des Arbeitsmarktes, die<br />
Vertreter<strong>in</strong>nen und Vertreter <strong>der</strong> Politik, zuständige<br />
Stellen, Bildungsdienstleister und Unternehmen bzw.<br />
<strong>der</strong>en Interessenvertretungen wie Verbände o<strong>der</strong><br />
Innungen, <strong>in</strong> stabile und aktive Netzwerke e<strong>in</strong>zub<strong>in</strong>den.<br />
Alle<strong>in</strong> die beiden im Rahmen <strong>der</strong> ersten und<br />
zweiten För<strong>der</strong>runde <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> aktiven Projekte können<br />
Kar<strong>in</strong> Mauz
Podiumsdiskussion II<br />
27<br />
auf ca. 130 Netzwerkakteure verweisen, die aktiv die<br />
Strukturentwicklung unterstützen. Vorhandene und<br />
erprobte Kooperationsbeziehungen wurden genutzt<br />
und weiterentwickelt, Regeln wurden schriftlich vere<strong>in</strong>bart<br />
und Standards gesetzt, um Nachqualifizierung<br />
als Regelangebot <strong>in</strong> den regionalen Bildungskanon<br />
zu <strong>in</strong>tegrieren und die Weiterbildungslandschaft um<br />
dieses, für bestimmte Zielgruppen beson<strong>der</strong>s adäquate<br />
Qualifizierungs<strong>in</strong>strument, zu erweitern.<br />
lifizierungen zu ermöglichen und sie zur Erlangung<br />
e<strong>in</strong>es Berufsabschlusses zu motivieren: „Neben <strong>der</strong><br />
sozialen Verantwortung, die man als Unternehmer<strong>in</strong><br />
e<strong>in</strong>fach hat, steckt sicherlich auch dah<strong>in</strong>ter, dass<br />
qualifizierte Mitarbeiter e<strong>in</strong>fach besser und flexibler<br />
e<strong>in</strong>setzbar s<strong>in</strong>d. Sie können e<strong>in</strong>en auch vertreten, wenn<br />
man abwesend ist.“<br />
Yves Wulff im Gespräch mit <strong>der</strong> Mo<strong>der</strong>ator<strong>in</strong><br />
Achim Dudde<br />
Personalentwicklung und Potenzialerschließung<br />
Abschlussorientierte Nachqualifizierung war bisher<br />
als Instrument betrieblicher Personalentwicklung nur<br />
von ger<strong>in</strong>ger Bedeutung. Aufgrund <strong>der</strong> demografischen<br />
Entwicklung und den damit zusammenhängenden<br />
bereits existierenden bzw. sich abzeichnenden Fachkräfteengpässen,<br />
rücken auch die An- und Ungelernten<br />
<strong>in</strong> das Blickfeld <strong>der</strong> Personalentwickler. Verantwortliche<br />
<strong>in</strong> Unternehmen und <strong>in</strong> den Arbeitsverwaltungen<br />
bemühen sich zunehmend, die Potenziale <strong>der</strong> Menschen<br />
mit Berufserfahrung, aber ohne Abschluss, zu<br />
erschließen und sie mittels passgenauer Qualifizierung<br />
zu e<strong>in</strong>em anerkannten Berufsabschluss zu br<strong>in</strong>gen. Als<br />
Geschäftsführer<strong>in</strong> und Miteigentümer<strong>in</strong> e<strong>in</strong>es Berl<strong>in</strong>er<br />
Hotels führte Kar<strong>in</strong> Mauz sowohl sozial-ethische als<br />
auch ökonomische Gründe für ihr Engagement an,<br />
zwei ihrer Mitarbeiter<strong>in</strong>nen und Mitarbeiter Nachqua-<br />
Bei Teilnehmenden an Nachqualifizierungen spielt die<br />
höhere Arbeitsplatzsicherheit mit e<strong>in</strong>er abgeschlossenen<br />
Berufsausbildung e<strong>in</strong>e große Rolle. Yves Wulff,<br />
<strong>der</strong> sich zum Elektroanlagenmonteur nachqualifiziert,<br />
verwies auf die begrenzten E<strong>in</strong>satzmöglichkeiten<br />
ohne e<strong>in</strong>schlägigen Berufsabschluss <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Branche.<br />
Achim Dudde, <strong>der</strong> den Beruf Hotelfachmann anstrebt,<br />
sah auch das „Mehr an Bildung“ für sich und se<strong>in</strong>en<br />
Lebensweg als wichtig an. Bei Carla Mattern, die im Bereich<br />
Altenpflege über langjährige Berufspraxis verfügt,<br />
waren neben <strong>der</strong> persönlichen Entwicklung die Chancen,<br />
sich noch weiter beruflich qualifizieren zu können<br />
und die Möglichkeit des Aufstiegs im Unternehmen,<br />
ausschlaggebende Gründe für die Entscheidung, das<br />
Altenpflegeexamen anzustreben.<br />
Der Weg zur Nachqualifizierung führt zunächst<br />
über die Feststellung, <strong>Dokumentation</strong> und Anerken-
28<br />
Podiumsdiskussion II<br />
nung <strong>der</strong> vorhandenen Kompetenzen. Hieraus werden<br />
<strong>der</strong> Qualifizierungsbedarf und die Entwicklung e<strong>in</strong>es<br />
<strong>in</strong>dividuellen Qualifizierungsplans abgeleitet. Susanne<br />
Neumann beschrieb den Abgleich von vorhandenen<br />
Kompetenzen mit den Anfor<strong>der</strong>ungen des jeweiligen<br />
Berufsbilds. Bei festgestellten theoretischen o<strong>der</strong> fachpraktischen<br />
Kenntnislücken werde durch bedarfsorientierte<br />
Angebote das noch erfor<strong>der</strong>liche Wissen vermittelt.<br />
Die Umsetzung <strong>der</strong> entsprechenden, am Berufsbild<br />
orientierten Module erfolgt an den Lernorten Betrieb<br />
und Bildungse<strong>in</strong>richtung.<br />
Erfolgsfaktoren für die Etablierung von Nachqualifizierung<br />
<strong>in</strong> Regelstrukturen s<strong>in</strong>d, nach Me<strong>in</strong>ung von<br />
Susanne Neumann, die Bereitstellung e<strong>in</strong>es breiten<br />
und vielfältigen Angebots – sowohl <strong>in</strong> <strong>der</strong> Beratung<br />
als auch <strong>in</strong> Bezug auf die Nachqualifizierungsmodule.<br />
Außerdem sei die zielgruppengenaue Konzipierung <strong>der</strong><br />
Angebote ausschlaggebend für den Erfolg.<br />
Vere<strong>in</strong>barungen zwischen den Netzwerkpartnern<br />
schaffen Verb<strong>in</strong>dlichkeit, Erwartungs- und Verfahrensstabilität.<br />
In Berl<strong>in</strong> wurde das durch konkrete<br />
Vere<strong>in</strong>barungen mit <strong>der</strong> IHK, verschiedenen Innungen<br />
und e<strong>in</strong>em breiten Bildungsdienstleisternetzwerk<br />
von ca. 30 Netzwerkpartnern erreicht. Auch für an<br />
Nachqualifizierung Interessierte wurde so Klarheit<br />
und Transparenz geschaffen. Qualifizierungswilligen<br />
wurde es so möglich, sich umfassend über Anfor<strong>der</strong>ungen,<br />
För<strong>der</strong>konzepte und Angebotsstrukturen zu<br />
<strong>in</strong>formieren. „Alle kommen mit unterschiedlichen<br />
Kompetenzen. Sie starten ganz <strong>in</strong>dividuell, und es ist<br />
e<strong>in</strong>e große Herausfor<strong>der</strong>ung, sie <strong>in</strong> e<strong>in</strong> bestehendes<br />
System so e<strong>in</strong>zub<strong>in</strong>den, dass sie entsprechend des<br />
Qualifizierungsplans auch bis zur Externenprüfung<br />
geführt werden können – und das berufsbegleitend,<br />
also <strong>in</strong> Abstimmung mit dem Betrieb, <strong>in</strong> dem sie<br />
arbeiten“, so Susanne Neumann. Beson<strong>der</strong>s wichtig sei<br />
auch die Beratung zu F<strong>in</strong>anzierungsmodellen. Verlässliche<br />
F<strong>in</strong>anzierungskonzepte s<strong>in</strong>d Grundbed<strong>in</strong>gung<br />
für erfolgreiche Nachqualifizierung. In Berl<strong>in</strong> wurden<br />
verschiedene Modelle erprobt und auch beispielhaft<br />
dokumentiert: „Die F<strong>in</strong>anzierung verläuft sehr unterschiedlich.<br />
Es gibt Unternehmen, die haben gesagt, ‚wir<br />
bezahlen das selber!’. (…) An<strong>der</strong>e s<strong>in</strong>d den Weg gegangen,<br />
zum Beispiel auf WeGebAU <strong>der</strong> Agentur für Arbeit<br />
zurückzugreifen.“ Aufgabe des Netzwerkes sei es auch,<br />
so Susanne Neumann, den Nachzuqualifizierenden und<br />
den Betrieben geeignete För<strong>der</strong>wege aufzuzeigen, die<br />
den Bildungserfolg ermöglichen.<br />
Nachqualifizierung zur Fachkräfteentwicklung für<br />
die Altenpflege<br />
Der Nachqualifizierungsprozess wird <strong>in</strong> den nach BBiG<br />
und HwO geregelten Berufen mit <strong>der</strong> Externenprüfung<br />
abgeschlossen. Für schulisch orientierte Berufe gilt dies<br />
nicht, wie T<strong>in</strong>a Bickel erklärte: „Die Altenpflegeausbildung<br />
– wie auch die Krankenpflegeausbildung – wird<br />
nicht über die Handwerksordnung o<strong>der</strong> das Berufsbildungsgesetz<br />
organisiert und geregelt, son<strong>der</strong>n über<br />
e<strong>in</strong>e eigene gesetzliche Grundlage. Diese gesetzliche<br />
Regelung – das „Altenpflegegesetz“ – sieht zum Beispiel<br />
ke<strong>in</strong>e Externenprüfungen vor. (…) Die erste Herausfor<strong>der</strong>ung<br />
für uns im Projekt war zu überlegen, wie wir das<br />
vorhandene Potenzial <strong>in</strong> den Pflegee<strong>in</strong>richtungen, die<br />
erfahrenen Hilfskräfte, trotzdem berufsbegleitend zu<br />
e<strong>in</strong>em Berufsabschluss führen können. Wie können die<br />
vorhandenen Kompetenzen anerkannt werden, wenn<br />
es ke<strong>in</strong>e Externenprüfungen gibt?“<br />
T<strong>in</strong>a Bickel
Podiumsdiskussion II<br />
29<br />
Teilnehmende an Nachqualifizierungen und Projektverantwortliche kommentieren Beispiele guter Praxis.<br />
Die Altenpflege hat – wie an<strong>der</strong>e Heilberufe – e<strong>in</strong>en<br />
direkten Bezug zur Gesundheit <strong>der</strong> Bevölkerung. Dieser<br />
hohe Wert, so T<strong>in</strong>a Bickel, sei auch <strong>der</strong> Grund dafür,<br />
dass die Ausbildung <strong>in</strong> diesem Beruf unter e<strong>in</strong>em beson<strong>der</strong>en<br />
Schutz stehe.<br />
Drei Projekte <strong>der</strong> För<strong>der</strong><strong>in</strong>itiative „Abschlussorientierte<br />
modulare Nachqualifizierung“ haben<br />
sich schwerpunktmäßig den Herausfor<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong><br />
Nachqualifzierung <strong>in</strong> <strong>der</strong> Altenpflegebranche gestellt.<br />
Projektübergreifend wurden die Berufsbil<strong>der</strong> <strong>in</strong><br />
Abstimmung mit den Partner<strong>in</strong>nen und Partnern –<br />
Altenpflegee<strong>in</strong>richtungen und Altenpflegeschulen – <strong>in</strong><br />
Expertenworkshops modularisiert. Aus den typischen<br />
Tätigkeiten <strong>der</strong> Altenpflege wurde e<strong>in</strong> passgenaues<br />
Verfahren zur Kompetenzbilanzierung entwickelt und<br />
erprobt. Interessierten an<strong>der</strong>er Schule<strong>in</strong>richtungen <strong>der</strong><br />
Altenpflege wurden diese Instrumente zur Verfügung<br />
gestellt. Das an den Qualitätsstandards <strong>der</strong> Altenpflege<br />
orientierte Kompetenzbilanzierungsverfahren glie<strong>der</strong>t<br />
sich <strong>in</strong> drei Teile, e<strong>in</strong>en mündlichen, e<strong>in</strong>en schriftlichen<br />
und e<strong>in</strong>en praktischen Teil.<br />
Mit dem „Gesetz zur Stärkung <strong>der</strong> beruflichen<br />
Aus- und Weiterbildung <strong>in</strong> <strong>der</strong> Altenpflege“ <strong>vom</strong><br />
März 2013 kamen Erleichterungen für Interessierte<br />
an <strong>der</strong> Nachqualifzierung, da die Möglichkeiten <strong>der</strong><br />
Anerkennung von Verkürzungstatbeständen erweitert<br />
wurden. Neu, so T<strong>in</strong>a Bickel, sei, dass Hilfskräfte, die<br />
über ausreichend Berufserfahrung verfügen, an e<strong>in</strong>er<br />
Nachqualifizierung teilnehmen dürfen – dies sei bereits<br />
vor Erlass des Gesetzes an den beiden Projektstandorten<br />
<strong>in</strong> Ludwigshafen, Rhe<strong>in</strong>land-Pfalz, und Hannover,<br />
Nie<strong>der</strong>sachsen schon modellhaft erprobt worden.<br />
Wichtig für den Projekterfolg ist es, die Verantwortlichen<br />
aus <strong>der</strong> Politik verb<strong>in</strong>dlich <strong>in</strong> die Entwicklungsprozesse<br />
e<strong>in</strong>zub<strong>in</strong>den. Da die Umsetzung <strong>der</strong> Altenpflegeausbildung<br />
landesrechtlich geregelt ist, bedarf<br />
es <strong>der</strong> Unterstützung <strong>der</strong> für die Ausbildung und das<br />
Prüfungswesen zuständigen Landesm<strong>in</strong>isterien bzw.<br />
<strong>der</strong> nachgeordneten Behörden <strong>in</strong> den Bundeslän<strong>der</strong>n.<br />
T<strong>in</strong>a Bickel führte weiter aus: „Die Verantwortlichen<br />
<strong>in</strong> den Sozial- o<strong>der</strong> Bildungsm<strong>in</strong>isterien <strong>der</strong> Län<strong>der</strong><br />
müssen es zur Chefsache machen.“ Sie dürften nicht<br />
nur auf Fachkräfte aus dem Ausland hoffen, son<strong>der</strong>n<br />
müssten es auch für wichtig erachten, „das Potenzial,<br />
das wir im Inland <strong>in</strong> den eigenen E<strong>in</strong>richtungen haben,<br />
zu qualifizieren. (…) Eigentlich sollten das diejenigen<br />
se<strong>in</strong>, die zuerst qualifiziert werden.“
30 Podiumsdiskussion II<br />
Über die praktische Umsetzung von Nachqualifizierung<br />
<strong>in</strong> <strong>der</strong> Altenpflege berichtete Carla Mattern.<br />
An drei Tagen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Woche nimmt sie berufsbegleitend<br />
am schulischen Unterricht teil, noch fehlende<br />
Praxiskenntnisse erwirbt sie durch praktische Schwerpunktsetzungen<br />
<strong>in</strong> <strong>der</strong> täglichen Arbeit. Insgesamt<br />
s<strong>in</strong>d so 1650 Stunden <strong>in</strong> zwei Jahren nachzuweisen.<br />
Nach ihrem Examen hat sie realistische Chancen auf<br />
e<strong>in</strong>e Karriere <strong>in</strong> <strong>der</strong> Altenpflegee<strong>in</strong>richtung, <strong>in</strong> <strong>der</strong> sie<br />
arbeitet.<br />
„Die im Projektkontext erprobten Nachqualifizierungsmodule<br />
für die Altenpflege bieten im Zusammenhang<br />
mit den gesetzlichen Verkürzungstatbeständen<br />
die Chance, mehr Menschen diesen Berufsabschluss zu<br />
ermöglichen. Es liegt die Verantwortung dar<strong>in</strong>, Nachqualifizierung<br />
unter Beachtung <strong>der</strong> <strong>in</strong> den Projekten<br />
entwickelten qualitativen Standards durchzuführen“,<br />
schlossen T<strong>in</strong>a Bickel und Carla Mattern das Thema ab.<br />
Fazit<br />
In <strong>der</strong> Abschlussrunde wurde von Teilnehmenden herausgestellt,<br />
wie wichtig es ist, alle Menschen mit ihren<br />
Potenzialen <strong>in</strong> die Gesellschaft und den Arbeitsmarkt<br />
e<strong>in</strong>zubeziehen. Un- und Angelernten müssen zweite<br />
o<strong>der</strong> dritte Chancen zum Nachholen e<strong>in</strong>es Berufsabschlusses<br />
gegeben werden, damit ihnen die soziale<br />
und berufliche Teilhabe umfassend und dauerhaft<br />
ermöglicht werde. E<strong>in</strong> Teil des Fachkräftebedarfs <strong>der</strong><br />
Wirtschaft kann gerade durch diese Menschen mit<br />
Berufs- und Lebenserfahrungen und nach erfolgreich<br />
abgeschlossener Nachqualifizierung nachhaltig gedeckt<br />
werden.<br />
Es ist den Projekten <strong>der</strong> För<strong>der</strong><strong>in</strong>itiative gelungen,<br />
mit <strong>der</strong> erfolgreichen Entwicklung von Angeboten<br />
und <strong>der</strong>en Umsetzung im Netzwerk die Akteure <strong>vom</strong><br />
Nutzen <strong>der</strong> Nachqualifizierung als e<strong>in</strong>em wichtigen<br />
Instrument zum Gew<strong>in</strong>nen von Fachkräften zu überzeugen.<br />
Nachqualifizierung kann für Betriebe e<strong>in</strong> Weg<br />
se<strong>in</strong>, Un- und Angelernte, die sie häufig schon über<br />
lange Jahre kennen, <strong>der</strong>en Fähigkeiten aber bisher nicht<br />
umfassend genutzt wurden, zu kompetenten Fachkräften<br />
zu entwickeln.<br />
Auf die Frage nach den wichtigsten Ergebnissen <strong>der</strong><br />
För<strong>der</strong><strong>in</strong>itiative „Abschlussorientierte modulare Nachqualifizierung“<br />
nach fünfjähriger Laufzeit, führten T<strong>in</strong>a<br />
Bickel und Susanne Neumann folgende Erfolge <strong>der</strong><br />
Projektarbeit an: Aufbau stabiler, aktiver Netzwerke, die<br />
Entwicklung von modularen Nachqualifizierungsangeboten<br />
für über 150 Berufe, die Angebotserfassung <strong>in</strong><br />
Katalogen und Datenbanken und die Vere<strong>in</strong>heitlichung<br />
<strong>der</strong> Zulassungsverfahren zur Externenprüfung durch<br />
z. B. Empfehlungen <strong>der</strong> zuständigen Stellen. Die Projektergebnisse<br />
werden nachwirken, Strukturen werden<br />
sich verstetigen und erfolgreiche Konzepte werden <strong>in</strong><br />
an<strong>der</strong>e Regionen transferiert werden, so die Me<strong>in</strong>ung<br />
<strong>der</strong> beiden Projektleiter<strong>in</strong>nen.<br />
Alle Nachzuqualifizierenden, die an <strong>der</strong> Diskussionsrunde<br />
teilnahmen, Achim Dudde, Yves Wulff und<br />
Carla Mattern, waren sich e<strong>in</strong>ig, dass es richtig und<br />
wichtig war, die Chance <strong>der</strong> Nachqualifzierung zu<br />
ergreifen. Die <strong>Perspektive</strong> für ihr berufliches Fortkommen<br />
sahen sie genau <strong>in</strong> den Unternehmen, die ihnen<br />
diese Chance ermöglichten.<br />
T<strong>in</strong>a Bickel, Carla Mattern, Yves Wulff und Bildungsjournalist<strong>in</strong><br />
Reg<strong>in</strong>a Br<strong>in</strong>kmann
Schlaglichter<br />
31<br />
Schlaglichter erfolgreicher Projektarbeit<br />
M<strong>in</strong>R’<strong>in</strong> Viola-Anto<strong>in</strong>ette Klanten, Bundesm<strong>in</strong>isterium für Bildung und<br />
Forschung, und Reg<strong>in</strong>a Br<strong>in</strong>kmann, Bildungsjournalist<strong>in</strong><br />
Den Abschluss <strong>der</strong> Tagung bildete die Präsentation<br />
von Schlaglichtern erfolgreicher Projektarbeit.<br />
Denn „e<strong>in</strong> Programm ist immer nur so gut, wie die<br />
Arbeit vor Ort“, wie Anto<strong>in</strong>ette Klanten, zuständige<br />
Leiter<strong>in</strong> des Referats „Berufsorientierung; Chancengerechtigkeit<br />
für Jugendliche“ des Bundesm<strong>in</strong>isteriums<br />
für Bildung und Forschung, <strong>in</strong> ihrer<br />
E<strong>in</strong>leitung zur Präsentation betonte.<br />
Die Schlaglichter stammten aus beiden För<strong>der</strong><strong>in</strong>itiativen<br />
des Programms „<strong>Perspektive</strong> Berufsabschluss“,<br />
<strong>der</strong> För<strong>der</strong><strong>in</strong>itiative „Regionales Übergangsmanagement“<br />
(RÜM) und <strong>der</strong> För<strong>der</strong><strong>in</strong>itiative<br />
„Abschlussorientierte modulare Nachqualifizierung“.<br />
Die Präsentation orientierte sich dabei an<br />
den sechs zentralen Handlungsfel<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Projektarbeit<br />
und erfolgte geme<strong>in</strong>sam mit Projektpartner<strong>in</strong>nen<br />
und -partnern.<br />
Da die Präsentation nur e<strong>in</strong>en kle<strong>in</strong>en Ausschnitt <strong>der</strong><br />
über 1.000 Produkte abdecken konnte, die <strong>in</strong> <strong>der</strong> fünfjährigen<br />
Programmlaufzeit entwickelt worden s<strong>in</strong>d,<br />
warb Anto<strong>in</strong>ette Klanten für die Programmhomepage<br />
www.perspektive-berufsabschluss.de. Dort s<strong>in</strong>d die<br />
wichtigsten Ergebnisse und Produkte e<strong>in</strong>gestellt.<br />
Abschluss <strong>der</strong> Tagung bildete die Präsentation von Schlaglichtern<br />
erfolgreicher Projektarbeit.
32 Schlaglichter<br />
Zu den e<strong>in</strong>zelnen Schlaglichtern:<br />
Bereich: Netzwerkarbeit<br />
„<strong>Perspektive</strong> Berufsabschluss“ ist e<strong>in</strong> Strukturprogramm<br />
mit dem Ziel, die Kooperations- und Abstimmungsprozesse<br />
<strong>in</strong> den Regionen zu verbessern. Das<br />
erste Schlaglicht wurde deshalb auf die Netzwerkarbeit<br />
geworfen. „Das engere Zusammenbr<strong>in</strong>gen <strong>der</strong> unterschiedlichen<br />
Entscheidungsträger und die geme<strong>in</strong>same<br />
Arbeit an För<strong>der</strong>möglichkeiten s<strong>in</strong>d die Schlüssel zum<br />
Erfolg. Das gilt für den Übergang Schule-Beruf wie für<br />
die Nachqualifizierung An- und Ungelernter“, erklärte<br />
dazu Anto<strong>in</strong>ette Klanten <strong>in</strong> ihrer E<strong>in</strong>führung.<br />
Das Begleitprojekt „Mit MigrantInnen, für MigrantInnen<br />
– Interkulturelle Kooperation zur Verbesserung<br />
<strong>der</strong> Bildungs<strong>in</strong>tegration“ <strong>der</strong> MOZAIK gGmbH aus<br />
Bielefeld hat <strong>in</strong>sgesamt 13 Projektregionen bei <strong>der</strong><br />
Entwicklung und Umsetzung von (Inter-)Cultural<br />
Ma<strong>in</strong>stream<strong>in</strong>g-Strategien zur Verbesserung <strong>der</strong> Ausbildungsbeteiligung<br />
Jugendlicher aus Zuwan<strong>der</strong>erfamilien<br />
begleitet. Die partnerschaftliche Zusammenarbeit<br />
mit Migrantenorganisationen <strong>in</strong> <strong>der</strong> regionalen Netzwerkarbeit<br />
war e<strong>in</strong> Schwerpunkt. Außerdem wurden<br />
Mitglie<strong>der</strong> aus Migrantenorganisationen als ehrenamtlich<br />
tätige Bildungsbeauftragte gewonnen, die <strong>in</strong>tensiv<br />
<strong>in</strong> den Netzwerken mitarbeiteten. Sie haben Jugendliche<br />
und ihre Eltern sowie junge Erwachsene, die noch<br />
ke<strong>in</strong>en Berufsabschluss erlangt haben, <strong>in</strong> Fragen des<br />
Übergangs <strong>in</strong> Ausbildung und zu Nachqualifizierung<br />
beraten. Wie wichtig und richtig dieser Ansatz war<br />
und noch immer ist, zeigen die Erfolge des Projektes<br />
und <strong>der</strong> Entschluss des BMBF, diese Aufgabe <strong>in</strong> dem<br />
Anschlussprojekt „Interkulturelle Netzwerke, Bildungsbeauftragte<br />
für junge Menschen!“ bis 2016 zu för<strong>der</strong>n.<br />
Die Mo<strong>der</strong>ator<strong>in</strong>, Reg<strong>in</strong>a Br<strong>in</strong>kmann, bat dazu<br />
Cemalett<strong>in</strong> Özer, den Geschäftsführer <strong>der</strong> MOZAIK<br />
gGmbH und Leiter des Projektes, geme<strong>in</strong>sam mit Em<strong>in</strong>e<br />
Isgören, e<strong>in</strong>er Bildungsbeauftragten aus dem Saarland,<br />
auf die Bühne. Auf die Frage <strong>der</strong> Bedeutung von<br />
Migrantenorganisationen für die Bildungs<strong>in</strong>tegration<br />
betonte Cemalett<strong>in</strong> Özer: „Migrantenorganisationen<br />
können noch viel mehr zur Bildungs<strong>in</strong>tegration beitragen,<br />
wenn man sie weiterh<strong>in</strong> e<strong>in</strong>bezieht.“ Er stellte heraus,<br />
dass es zu den Verdiensten des Programms „<strong>Perspektive</strong><br />
Berufsabschluss“ gehöre, die Zusammenarbeit<br />
mit den Migrantenorganisationen <strong>in</strong> <strong>der</strong> regionalen<br />
Netzwerkarbeit von Anfang an, also schon <strong>in</strong> den För<strong>der</strong>richtl<strong>in</strong>ien<br />
verankert zu haben. „Das war e<strong>in</strong>malig<br />
– ich b<strong>in</strong> seit 15 Jahren <strong>in</strong> <strong>der</strong> För<strong>der</strong>landschaft dabei.“<br />
Cemalett<strong>in</strong> Özer erklärte, dass <strong>in</strong> den 40 bis 50 Jahren<br />
Migrationsgeschichte <strong>in</strong> Deutschland bundesweit rund<br />
20.000 e<strong>in</strong>getragene Vere<strong>in</strong>e von Zuwan<strong>der</strong>ern entstanden<br />
seien. Diese haben wichtige nie<strong>der</strong>schwellige und<br />
ehrenamtliche Integrationsarbeit geleistet. Die ersten<br />
und die erfolgreichsten seien die spanischen Elternvere<strong>in</strong>e<br />
gewesen. Auch wenn nicht alle Migrantenorganisationen<br />
die Bildungsarbeit zu ihrem Schwerpunkt<br />
gemacht haben – Hauptziele seien Sport, Religion,<br />
Kultur –, böten sie aber <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel e<strong>in</strong>e gute Möglichkeit,<br />
engere Kontakte zur Zielgruppe aufzubauen. Die<br />
Projektarbeit habe gezeigt, wie sehr sich die Eltern mit<br />
Migrationsh<strong>in</strong>tergrund für die Bildungsmöglichkeiten<br />
ihrer K<strong>in</strong><strong>der</strong> <strong>in</strong>teressieren. Die Bildungsbeauftragten<br />
wurden über das deutsche Schul- und Ausbildungssystem<br />
<strong>in</strong>formiert, gaben die Informationen weiter und<br />
wurden zu „Partnern auf Augenhöhe“ <strong>in</strong> <strong>der</strong> regionalen<br />
Netzwerkarbeit. Em<strong>in</strong>e Isgören beschrieb, wie sehr das<br />
Projekt ihr <strong>in</strong> Saarbrücken geholfen habe, die bis dah<strong>in</strong><br />
nur amateurhaft, aber mit viel Engagement geleistete<br />
Arbeit quasi zu professionalisieren: „Jetzt können wir<br />
sagen, wir s<strong>in</strong>d die Bildungsbeauftragten <strong>der</strong> Stadt<br />
Saarbrücken (…) und dann hört man uns auch viel besser<br />
zu (…) und wir wissen jetzt auch, wo wir anrufen müssen,<br />
Cemalett<strong>in</strong> Özer und Em<strong>in</strong>e Isgören
Schlaglichter<br />
33<br />
wenn e<strong>in</strong> Migrant, wenn e<strong>in</strong> Elternteil, wenn e<strong>in</strong> Jugendlicher<br />
zu uns kommt mit bestimmten Problemen.“<br />
Das Bildungssystem <strong>in</strong> Deutschland sei sehr komplex<br />
und auch immer wie<strong>der</strong> Verän<strong>der</strong>ungen unterworfen:<br />
„(…) da kennt sich e<strong>in</strong> Deutscher nicht aus, wie soll das<br />
e<strong>in</strong> Migrant wissen? Viele Eltern wissen noch nicht<br />
e<strong>in</strong>mal, <strong>in</strong> welche Schule das K<strong>in</strong>d geht.“ Wie wichtig<br />
und notwendig ihre Arbeit ist, diese Erfahrung macht<br />
Em<strong>in</strong>e Isgören jeden Tag. Sie ist sehr froh und dankbar,<br />
dass ihr und den an<strong>der</strong>en Bildungsbeauftragten über<br />
das Begleitprojekt im Programm „<strong>Perspektive</strong> Berufsabschluss“<br />
die Chance gegeben wurde, sachkundig und<br />
<strong>in</strong> ihrer Funktion anerkannt zu helfen.<br />
Bereich: Elternarbeit<br />
Zur E<strong>in</strong>führung <strong>in</strong> das zweite Schlaglicht machte<br />
Anto<strong>in</strong>ette Klanten noch e<strong>in</strong>mal deutlich, wie wichtig<br />
und entscheidend die Rolle <strong>der</strong> Eltern im Berufswahlprozess<br />
ihrer K<strong>in</strong><strong>der</strong> ist. Da aber nicht alle Eltern <strong>in</strong><br />
<strong>der</strong> Lage seien, ohne fremde Hilfe diese Rolle auch<br />
ausreichend wahrzunehmen, habe die Elternarbeit<br />
zu den Schwerpunkten vieler RÜM-Projekte gehört.<br />
Reg<strong>in</strong>a Br<strong>in</strong>kmann bat dafür drei Personen aus zwei<br />
Projekten auf die Bühne: Evelyne Rößer, Leiter<strong>in</strong> des<br />
RÜM im Landkreis Marburg-Biedenkopf und Bernhard<br />
Korte, ehemaliger Leiter des RÜM Laatzen und heute<br />
Geschäftsführer des Landesverbandes „Nie<strong>der</strong>sachsen e.V.<br />
– Deutsche Jugend <strong>in</strong> Europa“ <strong>in</strong> Hannover sowie Thomas<br />
Schra<strong>der</strong>, Leiter des Teams „K<strong>in</strong><strong>der</strong>, Jugend, Familie,<br />
Senioren und soziale Sicherheit“ <strong>der</strong> Stadt Laatzen.<br />
Evelyne Rößer hatte schon zu Beg<strong>in</strong>n <strong>der</strong> Projektarbeit<br />
schnell erkannt, dass Elternarbeit mehr se<strong>in</strong><br />
muss, als das Abhalten von Elternabenden mit mehr<br />
o<strong>der</strong> eher weniger großer Beteiligung. Um <strong>der</strong> Elternarbeit<br />
als Teil <strong>der</strong> Aufgabe von Schule die angemessene<br />
Bedeutung zu geben, müsse diese nachhaltig<br />
an den Schulen verankert se<strong>in</strong>: „Elternarbeit muss<br />
<strong>in</strong> den Köpfen <strong>der</strong> Lehrkräfte ankommen. Es muss<br />
sich was an <strong>der</strong> Haltung än<strong>der</strong>n; Lehrkräfte müssen<br />
verstehen, warum Elternarbeit wichtig ist.“ Das RÜM<br />
im Landkreis Marburg-Biedenkopf konzipierte e<strong>in</strong>e<br />
fünfmodulige Fortbildungsreihe für Lehrkräfte und<br />
Schulsozialarbeiter/-<strong>in</strong>nen von Haupt- und Realschulen.<br />
Die Erfahrung habe gezeigt, dass Lehrkräfte für<br />
Fortbildungen zur Verbesserung <strong>der</strong> Elternarbeit nur<br />
schwer zu gew<strong>in</strong>nen sxeien. Die abschließende Befragung<br />
<strong>der</strong> Teilnehmenden habe jedoch ergeben, dass die<br />
Elternbeteiligung an den Schulen, <strong>der</strong>en Lehrkräfte an<br />
<strong>der</strong> Fortbildung teilgenommen haben, um ca. 80 Prozent<br />
verbessert werden konnte. Als Beispiel nannte<br />
Evelyn Rößer die <strong>in</strong>teraktive Elternarbeit: „Wir haben<br />
Eltern e<strong>in</strong>gebunden und gefragt, ob sie auch weiterh<strong>in</strong><br />
<strong>in</strong> die Berufsorientierung e<strong>in</strong>gebunden werden möchten.<br />
Alle Eltern haben bestätigt: Ja, möchten wir!“ Wichtig<br />
sei, dass die Bemühungen auch als Unterstützung<br />
<strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong> und Jugendlichen wahrgenommen werde:<br />
„Elternarbeit ist nur gut, wenn sie auch bei den Jugendlichen<br />
ankommt“, resümierte Evelyn Rößer die Erfahrungen<br />
des RÜM Marburg-Biedenkopf. Die <strong>vom</strong> RÜM<br />
begonnene erfolgreiche Arbeit wird <strong>in</strong>zwischen von <strong>der</strong><br />
Stadt Marburg und dem Landkreis Marburg-Biedenkopf<br />
mit <strong>der</strong> F<strong>in</strong>anzierung e<strong>in</strong>er Stelle weitergeführt.<br />
Evelyne Rößer<br />
Bernhard Korte und Thomas Schra<strong>der</strong>
34<br />
Schlaglichter<br />
Beim RÜM Laatzen wurde die Bedeutung <strong>der</strong><br />
Eltern beim Berufswahlprozess ihrer K<strong>in</strong><strong>der</strong> durch<br />
e<strong>in</strong>e empirische Langzeitstudie bestätigt: „Mehr als<br />
die Hälfte <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong> und Jugendlichen, die befragt<br />
wurden, haben ihre Eltern gleich nach dem Internet<br />
als wichtige Entscheidungshilfe angegeben“, fasste<br />
Thomas Schra<strong>der</strong> die Ergebnisse zusammen. Doch die<br />
Eltern, <strong>der</strong>en eigener Berufswahlprozess vielleicht 20,<br />
25 Jahre zurückliege, wissen gar nicht mehr, wie sich<br />
<strong>der</strong> Ausbildungsmarkt verän<strong>der</strong>t hat. Das RÜM Laatzen<br />
habe deswegen überlegt, wie Eltern mit ihrer Kompetenz<br />
<strong>in</strong> das System e<strong>in</strong>zubeziehen seien, um für ihre<br />
K<strong>in</strong><strong>der</strong> tatsächlich unterstützend wirken zu können.<br />
„Wir haben versucht, über unsere Kooperationspartnerschaften<br />
Multiplikator<strong>in</strong>nen und Multiplikatoren<br />
zu f<strong>in</strong>den, möglichst verschiedener Herkunft, Frauen<br />
und Männer, so dass wir wirklich alle Zielgruppen <strong>der</strong><br />
Familien erreichen können“, erläuterte Thomas Schra<strong>der</strong><br />
die Vorgehensweise, mit <strong>der</strong> <strong>in</strong> Laatzen Berufswahllotsen<br />
gefunden wurden. Diese zeigen Wege auf, weisen<br />
auf Unterstützungsstellen und Hilfsangebote h<strong>in</strong>. „Dass<br />
es kostenfreie Unterstützungsangebote gibt, dass Eltern<br />
ihre K<strong>in</strong><strong>der</strong> zur Berufsberatung begleiten dürfen, das<br />
s<strong>in</strong>d alles Informationen, die völlig unbekannt waren,<br />
und die sollen eben entsprechend weitergegeben werden“,<br />
so Bernhard Korte.<br />
Bereich: Schule – Wirtschaft<br />
Neben den Eltern s<strong>in</strong>d auch die Schulen <strong>in</strong> beson<strong>der</strong>er<br />
Weise gefor<strong>der</strong>t, wenn es um Berufsorientierung <strong>der</strong><br />
Jugendlichen geht. Berufsorientierung muss <strong>in</strong>tegrativer<br />
Bestandteil schulischer Angebote se<strong>in</strong>, und die<br />
Angebote müssen sich an den beruflichen und betrieblichen<br />
Praxisbed<strong>in</strong>gungen orientieren. „Schule und<br />
Betriebe müssen ganz eng zusammenarbeiten und die<br />
Bedarfe aufe<strong>in</strong>an<strong>der</strong> abstimmen, damit möglichst vielen<br />
Jugendlichen nach <strong>der</strong> Schule <strong>der</strong> Übergang <strong>in</strong> die<br />
Ausbildung gel<strong>in</strong>gt und zugleich <strong>der</strong> Fachkräftebedarf<br />
<strong>der</strong> Betriebe gesichert werden kann“, stellte Anto<strong>in</strong>ette<br />
Klanten vor <strong>der</strong> Präsentation <strong>der</strong> Projektarbeit<br />
zum Thema heraus. Reg<strong>in</strong>a Br<strong>in</strong>kmann begrüßte dazu<br />
Sab<strong>in</strong>e Schaffer, Projektleiter<strong>in</strong> des RÜM im Landkreis<br />
Görlitz und Michael Busch, Landrat des Landkreises<br />
Coburg.<br />
Im Landkreis Görlitz hat man vor allem mit stark<br />
zurückgehenden Schülerzahlen – seit dem Jahr 2000<br />
um die Hälfte – zu tun. Das ist zwar e<strong>in</strong>erseits dem<br />
demografischen Wandel geschuldet, doch kämpft man<br />
<strong>in</strong> <strong>der</strong> nahe <strong>der</strong> Grenze zu Polen gelegenen Region<br />
auch gegen die Abwan<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Jugendlichen <strong>in</strong> die<br />
Metropolen o<strong>der</strong> nach Mittel- und Westdeutschland.<br />
An<strong>der</strong>erseits zeigte sich auch, dass viele Jugendliche<br />
die Wirtschaftsstrukturen des Landkreises und die<br />
dort ansässigen Unternehmen gar nicht kennen und<br />
gar nicht wissen, welche Chancen und Möglichkeiten<br />
ihnen offen stehen. Deshalb habe das Projekt nach<br />
e<strong>in</strong>er sehr praktikablen Lösung gesucht, Schulen und<br />
Unternehmen zusammenzubr<strong>in</strong>gen. Das Ergebnis ist<br />
<strong>der</strong> Ausbildungsatlas INSIDER. „Der Ausbildungsatlas<br />
INSIDER ist e<strong>in</strong> etwas an<strong>der</strong>es Produkt. Sehr hochwertig<br />
gestaltet, und dort kommen tatsächlich Insi<strong>der</strong> zu<br />
Wort. Das heißt, die Azubis aus den Betrieben stellen<br />
ihre Arbeit und ihre Ausbildung vor und erzählen<br />
beziehungsweise plau<strong>der</strong>n dort eben aus dem Nähkästchen“,<br />
so erklärte Sab<strong>in</strong>e Schaffer das Ergebnis ihrer<br />
Arbeit. Der INSIDER ersche<strong>in</strong>t <strong>in</strong> diesem Jahr bereits<br />
zum dritten Mal. Jede Schüler<strong>in</strong> und je<strong>der</strong> Schüler <strong>der</strong><br />
Abgangsklassen aller Schulformen im Landkreis erhält<br />
e<strong>in</strong> Exemplar. Die Resonanz sei sehr, sehr hoch. In den<br />
Schulen werde <strong>der</strong> INSIDER als Unterrichtsmaterial<br />
im Berufsorientierungsunterricht e<strong>in</strong>gesetzt. Auch die<br />
Unternehmen geben sehr positive Rückmeldungen.<br />
Sab<strong>in</strong>e Schaffer im Gespräch mit Mo<strong>der</strong>ator<strong>in</strong> Br<strong>in</strong>kmann
Schlaglichter<br />
35<br />
Michael Busch präsentiert die „Zeig Dich!-Tour“<br />
Durch die von den Auszubildenden selbst vermittelten<br />
Informationen über den jeweiligen Beruf und den<br />
Ausbildungsbetrieb kämen <strong>in</strong>teressierte Jugendliche<br />
viel besser vorbereitet zu den Praktika o<strong>der</strong> zu Vorstellungsgesprächen.<br />
Ergänzt werden diese Bemühungen<br />
durch die Ausbildungsmesse INSIDER-Treff, e<strong>in</strong><br />
Geme<strong>in</strong>schaftsprojekt des Landkreises mit <strong>der</strong> Agentur<br />
für Arbeit, <strong>der</strong> IHK Dresden und <strong>der</strong> HWK Dresden.<br />
Das Interesse und auch das Engagement <strong>der</strong> beteiligten<br />
Unternehmen s<strong>in</strong>d so groß, dass die F<strong>in</strong>anzierung des<br />
INSIDER auch unabhängig von e<strong>in</strong>er Weiterführung<br />
des „Regionalen Übergangsmanagements“ gesichert ist.<br />
Im Landkreis Coburg setzte das RÜM-Projekt mit<br />
<strong>der</strong> „Zeig Dich!-Tour“ <strong>in</strong> diesem Handlungsfeld auf<br />
e<strong>in</strong>en <strong>in</strong>dividuellen Weg. In Zusammenarbeit mit den<br />
Wirtschaftsjunioren werden bis zu acht teilnehmende<br />
Schüler<strong>in</strong>nen und Schüler ab <strong>der</strong> 7. Klasse aller Schulformen<br />
unter dem Motto „Toure mit uns durch die<br />
Ausbildungsbetriebe <strong>der</strong> Coburger Region“ <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />
Kle<strong>in</strong>bus durch den Landkreis gefahren. Innerhalb<br />
von zwei Nachmittagen haben sie die Gelegenheit,<br />
vier Betrieben, für die sie sich <strong>in</strong>teressieren und die sie<br />
vorher ausgewählt haben, kennenzulernen. So können<br />
sie sich e<strong>in</strong>en unmittelbaren E<strong>in</strong>druck <strong>vom</strong> Unternehmen<br />
verschaffen, mit <strong>der</strong> Geschäftsleitung o<strong>der</strong> <strong>der</strong><br />
für die Ausbildung zuständigen Person sprechen und<br />
erste persönliche Kontakte knüpfen. Es s<strong>in</strong>d vor allem<br />
kle<strong>in</strong>ere und mittlere Betriebe, für die e<strong>in</strong>e Beteiligung<br />
an e<strong>in</strong>er Ausbildungsmesse zu aufwändig wäre.<br />
Die Unternehmen nutzen aber die Chance, direkt mit<br />
<strong>in</strong>teressierten Jugendlichen <strong>in</strong>s Gespräch zu kommen<br />
und diese für ihren Betrieb zu gew<strong>in</strong>nen. So bietet die<br />
„Zeig Dich!-Tour“ für die Betriebe und die Jugendlichen<br />
e<strong>in</strong>e gute Möglichkeit, sich gegenseitig e<strong>in</strong>en ersten<br />
E<strong>in</strong>druck zu verschaffen: „Wenn man so will unter<br />
Laborbed<strong>in</strong>gungen – ich hätte be<strong>in</strong>ahe gesagt von <strong>der</strong><br />
Toilette bis zum Aufenthaltsraum – aber natürlich<br />
auch den Produktions- o<strong>der</strong> Dienstleistungsraum“,<br />
so beschrieb Landrat Michael Busch das Angebot im<br />
Landkreis. Auch <strong>in</strong> dieser Region wird dieses Angebot<br />
dank des Engagements <strong>der</strong> Wirtschaftsjunioren weitergeführt<br />
werden können.
36<br />
Schlaglichter<br />
Bereich: Beratung und Servicestrukturen <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
Nachqualifizierung<br />
Un- bzw. angelernten Erwachsenen e<strong>in</strong>e zweite o<strong>der</strong><br />
auch dritte Chance zu geben, e<strong>in</strong>en Berufsabschluss<br />
nachträglich zu erwerben, ist e<strong>in</strong> weiteres Ziel des<br />
Programms „<strong>Perspektive</strong> Berufsabschluss“. Anto<strong>in</strong>ette<br />
Klanten verwies darauf, dass, wie Herr Son<strong>der</strong>mann am<br />
Vormittag bereits ausführte, die gesetzlichen Grundlagen<br />
für das Nachholen des Berufsabschlusses im<br />
Geltungsbereich des Berufsbildungsgesetzes bereits<br />
seit Längerem gegeben seien. Auch <strong>in</strong> rechtlich an<strong>der</strong>s<br />
geregelten Berufen, wie Erzieher<strong>in</strong> und Erzieher o<strong>der</strong><br />
<strong>in</strong> <strong>der</strong> Altenpflege, zeige sich viel Bewegung. „Die rechtlichen<br />
Möglichkeiten müssen aber auch genutzt und<br />
die bestehenden Angebote angenommen werden, und<br />
zwar sowohl von Un- und Angelernten wie auch von<br />
Betrieben“, betonte Anto<strong>in</strong>ette Klanten.<br />
Wie sich die Projekte <strong>der</strong> För<strong>der</strong><strong>in</strong>itiative „Abschlussorientierte<br />
modulare Nachqualifizierung“ <strong>der</strong><br />
Herausfor<strong>der</strong>ung stellten, die genannten Zielgruppen<br />
für das Thema zu erschließen, sie umfassend zu<br />
beraten und Unterstützungsstrukturen bereitzustellen,<br />
war Thema des Interviews, das Reg<strong>in</strong>a Br<strong>in</strong>kmann mit<br />
Michaela Hanke <strong>vom</strong> Schwer<strong>in</strong>er Ausbildungszentrum<br />
und mit Günter Breun<strong>in</strong>ger <strong>vom</strong> CyberForum Karlsruhe<br />
führte.<br />
Anto<strong>in</strong>ette Klanten<br />
Prozess <strong>in</strong> Gang, <strong>der</strong> die Zielgruppe <strong>der</strong> Zugewan<strong>der</strong>ten<br />
stärker <strong>in</strong> den Blick rückte. Die gewonnenen Erfahrungen<br />
flossen <strong>in</strong> das landesweite Netzwerk „Integration<br />
durch Qualifizierung“ <strong>in</strong> Mecklenburg-Vorpommern<br />
e<strong>in</strong> und können bei dem Projekt „Türen öffnen im IQ-<br />
Netzwerk“ gut genutzt werden.<br />
Der Aufbau professioneller Beratungsstrukturen erfolgte<br />
<strong>in</strong> Schwer<strong>in</strong> auf zwei Ebenen. Zum e<strong>in</strong>en wurde<br />
e<strong>in</strong> Beratungsbüro e<strong>in</strong>gerichtet, dessen nie<strong>der</strong>schwellige<br />
Angebot sich gezielt an die Gruppe <strong>der</strong> An- und<br />
Ungelernten wandte. E<strong>in</strong> weiterer Schwerpunkt lag<br />
auf <strong>der</strong> Gew<strong>in</strong>nung von Unternehmen für das Thema<br />
Nachqualifizierung. Hierbei konnten erfolgreich funktionierende<br />
Kooperationsbeziehungen des Schwer<strong>in</strong>er<br />
Ausbildungszentrums mit regionalen Betrieben<br />
genutzt werden. Jedoch stellte sich <strong>der</strong> Erfolg nur durch<br />
<strong>in</strong>tensive Bewerbung des Themas und die Bereitstellung<br />
am Bedarf orientierter Angebote e<strong>in</strong>.<br />
Die Kooperation des Schwer<strong>in</strong>er Projekts mit<br />
dem Begleitprojekt <strong>der</strong> MOZAIK gGmbH setzte e<strong>in</strong>en<br />
Michaela Hanke und Günter Breun<strong>in</strong>ger
Schlaglichter<br />
37<br />
Als e<strong>in</strong>en Höhepunkt <strong>der</strong> Projektarbeit bezeichnete<br />
Michaela Hanke die Gründung des Nachqualifizierungsnetzwerks<br />
für Mecklenburg-Vorpommern. Dieses<br />
Netzwerk wird von den vier im Bundesland <strong>vom</strong> BMBF<br />
geför<strong>der</strong>ten Nachqualifizierungsprojekten – bzw. den<br />
(ehemaligen) Projektnehmern – getragen. Die Notwendigkeit<br />
für e<strong>in</strong> solches Nachqualifizierungsnetzwerk<br />
Mecklenburg-Vorpommern sehen die Akteure dar<strong>in</strong>,<br />
dass flächendeckend Strukturen geschaffen werden,<br />
Informationen gezielt ausgetauscht und Synergien bei<br />
<strong>der</strong> Angebotsentwicklung genutzt werden. Für e<strong>in</strong> Flächenland<br />
sei es wichtig, sich nicht nur auf die wenigen<br />
städtischen Zentren zu konzentrieren, son<strong>der</strong>n „ländliche<br />
Regionen mitzunehmen, neue Berufsgruppen zu<br />
erschließen und <strong>in</strong> <strong>der</strong> Fläche aktiv zu werden“, so Frau<br />
Hanke. Sie sei sich sicher, dass dieses Netzwerk Bestand<br />
haben werde. Wie das Schwer<strong>in</strong>er Ausbildungszentrum,<br />
dessen Nachqualifizierungsprojekt bereits im Jahr 2012<br />
endete, werden auch die an<strong>der</strong>en regionalen Netzwerkpartner<br />
nach Programmende die bewährte Kooperation<br />
fortführen.<br />
Mit dem H<strong>in</strong>weis, dass sich Nachqualifizierung<br />
an Menschen mit ganz unterschiedlichen Bildungsbiografien<br />
und auch Bildungsniveaus richte, g<strong>in</strong>g<br />
Reg<strong>in</strong>a Br<strong>in</strong>kmann auf das von Günter Breun<strong>in</strong>ger<br />
geleitete Projekt „F<strong>in</strong>ish it“ e<strong>in</strong>. Angesprochen s<strong>in</strong>d<br />
Studienabbrecher aus MINT-Studiengängen sowie<br />
Personen mit <strong>in</strong> Deutschland nicht anerkannten<br />
ausländischen Studienabschlüssen. Ist <strong>der</strong> Erstkontakt<br />
hergestellt, erfolgen berufsbezogene Gespräche<br />
durch das Projekt. „Wir checken dann die Unterlagen<br />
dah<strong>in</strong>gehend, ob <strong>der</strong> Zugang zu e<strong>in</strong>er Externenprüfung<br />
nach Durchlaufen des von uns geme<strong>in</strong>sam mit<br />
e<strong>in</strong>em Bildungsträger geschaffenen Lehrgangsangebots<br />
möglich wäre“, erklärte Günter Breun<strong>in</strong>ger das Vorgehen.<br />
Dass es sich beim Projektnehmer CyberForum um<br />
e<strong>in</strong> IT-Unternehmensnetzwerk handele, br<strong>in</strong>ge viele<br />
Vorteile. Insbeson<strong>der</strong>e ermögliche dies die E<strong>in</strong>b<strong>in</strong>dung<br />
<strong>der</strong> Nachzuqualifizierenden <strong>in</strong> IT-Unternehmen. Ob<br />
e<strong>in</strong> an Nachqualifizierung Interessierter und e<strong>in</strong> IT-<br />
Unternehmen zusammenpassen, werde im Rahmen<br />
von Match<strong>in</strong>g-Treffen eruiert. Kommt es zu e<strong>in</strong>em<br />
weiterführenden Gesprächsterm<strong>in</strong>, liegen die Chancen<br />
bei „90 Prozent“, dass <strong>der</strong> Studienabbrecher <strong>vom</strong><br />
Unternehmen angestellt wird, um dann durch Nachqualifizierung<br />
den Berufsabschluss „Fach<strong>in</strong>formatiker<br />
Anwendungsentwicklung“ o<strong>der</strong> „System<strong>in</strong>tegration“ zu<br />
erwerben.<br />
Bereich: Nachqualifizierungsangebote<br />
Nicht nur die Beratung muss zielgruppenbezogen und<br />
bedarfsorientiert erfolgen, son<strong>der</strong>n auch die Entwicklung<br />
von Nachqualifizierungsangeboten, erläuterte<br />
Anto<strong>in</strong>ette Klanten zum fünften Schlaglicht, das die<br />
Kooperation von Betrieben und Nachqualifizierungsprojekten<br />
bei <strong>der</strong> Angebotsentwicklung <strong>in</strong> den Fokus<br />
nahm. Hierzu begrüßte Reg<strong>in</strong>a Br<strong>in</strong>kmann Nicole<br />
Br<strong>in</strong>kmann von <strong>der</strong> ZAUG gGmbH, die das Netzwerk<br />
Nachqualifizierung Gießen – Lahn-Dill leitet, sowie<br />
Susanne Söhngen und Steffen Dornbusch von Bu<strong>der</strong>us<br />
Edelstahl Wetzlar.<br />
Günter Breun<strong>in</strong>ger
38<br />
Schlaglichter<br />
Nicole Br<strong>in</strong>kmann, Steffen Dornbusch, Susanne Söhngen und<br />
Mo<strong>der</strong>ator<strong>in</strong> Reg<strong>in</strong>a Br<strong>in</strong>kmann<br />
Susanne Söhngen<br />
Nicole Br<strong>in</strong>kmann betonte, wie wichtig <strong>der</strong> Aufbau<br />
von Netzwerkstrukturen und die auf die Belange von<br />
Unternehmen abgestimmte Öffentlichkeitsarbeit für<br />
das Erschließen von Betrieben für das Thema Nachqualifizierung<br />
gewesen seien. Die über Netzwerkkontakte<br />
angebahnte Kooperation mit <strong>der</strong> Firma Schunk, e<strong>in</strong>em<br />
weltweit tätigen mittelhessischen Unternehmen mit<br />
über 10.000 Mitarbeitern, brachte den Durchbruch. Die<br />
mit diesem Betrieb geme<strong>in</strong>sam entwickelten Nachqualifizierungsangebote<br />
und <strong>der</strong> mit <strong>der</strong> Umsetzung erreichte<br />
Erfolg zeigte Wirkung. Auch an<strong>der</strong>e Unternehmen<br />
– wie Bu<strong>der</strong>us Edelstahl – kamen auf das Gießener<br />
Projekt zu, um die Möglichkeiten bedarfsgerechter<br />
Nachqualifizierungen zu eruieren. Steffen Dornbusch,<br />
verantwortlich für die gewerblich-technische Ausbildung<br />
bei Bu<strong>der</strong>us, erläuterte die H<strong>in</strong>tergründe für das<br />
unternehmerische Engagement: „Bei uns im Stahlwerk<br />
stehen die nächsten e<strong>in</strong> bis zwei Jahre Investitionen<br />
<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Größenordnung von 60 Millionen an. Um die<br />
neuen halbautomatisierten und hochkomplizierten<br />
Gießereianlagen steuern zu können, brauchen wir<br />
Fachkräfte, die auch diese Technik umfassend beherrschen.“<br />
Da mit den vorhandenen Fachkräften <strong>der</strong> Bedarf<br />
nicht gedeckt werden konnte, entschloss man sich,<br />
Berufserfahrene ohne fachspezifischen Berufsabschluss<br />
nachzuqualifizieren und geme<strong>in</strong>sam mit dem Gießener<br />
Nachqualifizierungsnetzwerk entsprechende Qualifizierungsangebote<br />
zu entwickeln und umzusetzen. Den<br />
Vorteil sieht das Unternehmen <strong>in</strong> <strong>der</strong> schnellen Qualifikation<br />
<strong>in</strong>nerhalb von acht bis neun Monaten, da auf<br />
vorhandene betriebsrelevante Kompetenz aufgebaut<br />
werden kann. Da die Umsetzung <strong>der</strong> Nachqualifizierung<br />
nicht im Betrieb erfolgt, son<strong>der</strong>n <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Bildungse<strong>in</strong>richtung<br />
<strong>in</strong> Unna, wurden auch die Familien<br />
<strong>in</strong> den Entscheidungsprozess e<strong>in</strong>gebunden.<br />
13 Mitarbeiter befanden sich zum Zeitpunkt <strong>der</strong><br />
Tagung <strong>in</strong> <strong>der</strong> Nachqualifizierung und <strong>in</strong> <strong>der</strong> Vorbereitung<br />
auf die Ende Juni 2013 stattf<strong>in</strong>dende praktische<br />
Prüfung. „Und ich b<strong>in</strong> mir sicher“, so Susanne Söhngen,<br />
Teamleiter<strong>in</strong> Personalentwicklung bei Bu<strong>der</strong>us, „dass<br />
alle sehr erfolgreich zurückkommen werden.“<br />
Nicole Br<strong>in</strong>kmann erläuterte abschließend unterschiedliche<br />
F<strong>in</strong>anzierungsmodelle. Bei <strong>der</strong> <strong>in</strong> Form<br />
e<strong>in</strong>er Vollzeitmaßnahme durchgeführten Nachqualifizierung<br />
konnten sieben Mitarbeiter F<strong>in</strong>anzmittel des<br />
Programms „WeGebAU“ <strong>der</strong> Bundesagentur für Arbeit<br />
nutzen. Das Unternehmen trug die restlichen Qualifizierungskosten.<br />
Demgegenüber greift die auf<br />
15 Monate angelegte berufsbegleitende Nachqualifizierung<br />
bei <strong>der</strong> Firma Schunk auf e<strong>in</strong> an<strong>der</strong>es F<strong>in</strong>anzierungsmodell<br />
zurück. Dort nutzt <strong>der</strong> Betriebsrat die ihm<br />
zur Verfügung stehenden Mittel. E<strong>in</strong>en Beitrag zahlen<br />
die Teilnehmenden, und die verbleibenden Restkosten<br />
übernimmt das Unternehmen.
Schlaglichter<br />
39<br />
Bereich: Öffentlichkeitsarbeit<br />
Das sechste und letzte Schlaglicht betraf die Öffentlichkeitsarbeit.<br />
„Zielgruppenspezifische Öffentlichkeitsarbeit<br />
ist e<strong>in</strong> Kernstück je<strong>der</strong> Programm- und<br />
Projektarbeit. Dabei s<strong>in</strong>d die Mittel so vielfältig wie die<br />
Zielgruppen“, erklärte Anto<strong>in</strong>ette Klanten. Die Projekte<br />
haben Flyer und Broschüren erstellt, Tagungen und<br />
Informationsveranstaltungen durchgeführt, <strong>in</strong> Rundfunk<br />
und Fernsehen die Arbeit vorgestellt und <strong>in</strong> den<br />
letzten Jahren <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e das Internet mit Twitter<br />
und Facebook genutzt. Von <strong>der</strong> vielfältigen und oft sehr<br />
kreativen Arbeit wurden zwei Beispiele vorgestellt:<br />
Angelika Münz von <strong>der</strong> Koord<strong>in</strong>ierungsstelle „Regionales<br />
Übergangsmanagement“ Schule-Beruf <strong>in</strong> Stuttgart und<br />
Thies Schulz-Holland <strong>vom</strong> Kieler Netzwerk zur Nachqualifizierung.<br />
„Me<strong>in</strong> Style, me<strong>in</strong> Beruf“, unter diesem Titel lief<br />
e<strong>in</strong>e Kampagne <strong>in</strong> Stuttgart für junge Frauen <strong>in</strong> eher<br />
untypischen Frauenberufen. Auf die Frage von Reg<strong>in</strong>a<br />
Br<strong>in</strong>kmann, warum und wie diese Aktion <strong>in</strong>s Leben<br />
gerufen wurde, erklärte Angelika Münz: „Friseur<strong>in</strong> o<strong>der</strong><br />
Arzthelfer<strong>in</strong>, das s<strong>in</strong>d die Berufswünsche von mehr<br />
als 50 Prozent aller jungen Frauen mit Hauptschulabschluss<br />
<strong>in</strong> Stuttgart.“ Man habe e<strong>in</strong>en Beitrag dazu<br />
leisten wollen, dass Frauen sich breiter orientieren und<br />
an<strong>der</strong>e Vorbil<strong>der</strong> nehmen. In <strong>der</strong> Kampagne wurden<br />
junge Frauen mit Migrationsh<strong>in</strong>tergrund gezeigt, die<br />
zwar e<strong>in</strong>en Hauptschulabschluss haben, sich dann aber<br />
Angelika Münz<br />
zum Beispiel für den Beruf <strong>der</strong> Landschaftsgärtner<strong>in</strong>,<br />
<strong>der</strong> Industriemechaniker<strong>in</strong>, aber auch <strong>der</strong> Altenpfleger<strong>in</strong><br />
und <strong>der</strong> Sozialarbeiter<strong>in</strong> <strong>in</strong>teressiert haben. Die<br />
Botschaft sei sehr gut angekommen, auch deshalb,<br />
weil junge Frauen abgebildet wurden, mit denen<br />
sich e<strong>in</strong> Mädchen o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>e junge Frau identifizieren<br />
kann. Über Schulnetzwerke, die <strong>in</strong> <strong>der</strong> Projektarbeit<br />
aufgebaut worden waren, aber auch über Träger <strong>der</strong><br />
Jugendhilfe und sonstige Projekte <strong>in</strong> dem Bereich,<br />
wurden die Plakate verteilt. „Man muss natürlich auch<br />
davon ausgehen, dass junge Frauen es jungen Frauen<br />
erzählen, wo sie das f<strong>in</strong>den“, kommentierte Angelika<br />
Münz den Erfolg <strong>der</strong> Kampagne, die sich <strong>in</strong> Stuttgart<br />
gut e<strong>in</strong>betten ließ <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e ganze Reihe von Aktivitäten<br />
des „Regionalen Übergangsmanagements“ zum Bereich<br />
Gen<strong>der</strong> und Cultural Ma<strong>in</strong>stream<strong>in</strong>g.<br />
Der Begriff „Abschlussorientierte modulare Nachqualifizierung“<br />
sei e<strong>in</strong> „sehr abstraktes und hochgradig<br />
erklärungsbedürftiges Produkt“, so Thies Schulz-Holland<br />
<strong>vom</strong> Kieler Netzwerk Nachqualifizierung. Zu <strong>der</strong><br />
von ihm verantworteten provokativ-humoristischen<br />
Plakat-Aktion erklärte er, dass es Ziel gewesen sei, dem<br />
Thema die „Schwere zu nehmen“. Es wurden Bildmotive<br />
verwendet, die nicht typisch für den Weiterbildungssektor<br />
s<strong>in</strong>d. Wir wollten weg von den „oft<br />
hochgradig generischen Impressionen“ <strong>der</strong> Weiterbildungswerbung,<br />
h<strong>in</strong> zu Plakatmotiven, die „emotionale<br />
Resonanz beim potenziellen Kunden, bei <strong>der</strong> potenziellen<br />
Kund<strong>in</strong> auslösen“, beschrieb Thies Schulz-Holland<br />
se<strong>in</strong>e Ideen. Im Grunde sei die Plakataktion <strong>in</strong>itiiert<br />
worden, weil die ursprüngliche, auf Unternehmen<br />
gerichtete, Akquisestrategie nicht griff. Deshalb habe<br />
man sich <strong>in</strong>tensiver <strong>der</strong> Zielgruppe <strong>der</strong> Un- und Angelernten<br />
zugewandt. Die zum Teil provokanten Plakate<br />
wurden <strong>in</strong> Kieler Bussen, den Agenturen für Arbeit und<br />
Jobcentern, bei Bildungsträgern und an öffentlichen<br />
Plätzen ausgehängt, so auch das Cartoon e<strong>in</strong>er Schildkröte<br />
mit e<strong>in</strong>er auf dem Rückenpanzer geschnallten<br />
gezündeten Feuerwerksrakete und dem Spruch „Zum<br />
Abschluss freigegeben“. Die Plakataktion erreichte ihr<br />
Ziel, das Interesse an <strong>der</strong> Nachqualifizierungsthematik<br />
stieg. Die größte Resonanz erfuhr e<strong>in</strong> Plakatspruch, <strong>der</strong><br />
den S<strong>in</strong>n von Nachqualifizierung gut trifft: „Was Hänschen<br />
nicht lernt, lernt Hans e<strong>in</strong>fach h<strong>in</strong>terher.“
40<br />
Schlaglichter<br />
Thies Schulz-Holland<br />
Mit Abschluss <strong>der</strong> Schlaglichterpräsentation endete<br />
auch die <strong>Fachtagung</strong>. Anto<strong>in</strong>ette Klanten bedankte<br />
sich bei allen Mitwirkenden <strong>der</strong> Abschlusstagung und<br />
beson<strong>der</strong>s bei den Teams <strong>der</strong> 97 Projekte und <strong>der</strong> drei<br />
Begleitprojekte des Programms „<strong>Perspektive</strong> Berufsabschluss“.<br />
Die Teams hätten dazu beigetragen, die<br />
bildungspolitischen Ideen des Bundesm<strong>in</strong>isteriums<br />
für Bildung und Forschung vor Ort und <strong>in</strong> den Regionen<br />
mit Leben zu füllen. Sie versicherte, das Bundesm<strong>in</strong>isterium<br />
werde auch nach Ende des Programms<br />
daran arbeiten, dass „möglichst viele, die im Übergang<br />
Schule-Beruf und <strong>in</strong> <strong>der</strong> Nachqualifizierung Verantwortung<br />
tragen, von den Ergebnissen und Erfahrungen<br />
des Programms ‚<strong>Perspektive</strong> Berufsabschluss’ profitieren<br />
können“.<br />
Anto<strong>in</strong>ette Klanten dankt alle Mitwirkenden <strong>der</strong> Abschlusstagung<br />
Dem Dank von Anto<strong>in</strong>ette Klanten an die Tagungsteilnehmenden<br />
schloss sich Reg<strong>in</strong>a Br<strong>in</strong>kmann an. Auch<br />
sie äußerte die Hoffnung, dass die erfolgreichen Programmergebnisse<br />
von den Anwesenden aufgegriffen<br />
und weitergetragen werden.
Impressionen<br />
41<br />
Impressionen
42 Impressionen
Impressionen<br />
43
44 Impressionen
Impressionen<br />
45
46 Impressionen
Impressum<br />
Herausgeber<br />
Projektträger im DLR (PT-DLR) für das<br />
Bundesm<strong>in</strong>isterium für Bildung und Forschung (BMBF)<br />
He<strong>in</strong>rich-Konen-Str. 1, 53227 Bonn<br />
Internet: http://www.perspektive-berufsabschluss.de/<br />
DLR<br />
Das Programm „<strong>Perspektive</strong> Berufsabschluss“ wird aus Mitteln<br />
des Bundesm<strong>in</strong>isteriums für Bildung und Forschung und aus dem<br />
Europäischen Sozialfonds <strong>der</strong> Europäischen Union geför<strong>der</strong>t.<br />
Durchgeführt wird das Programm <strong>vom</strong> Projektträger im<br />
Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt.<br />
Der europäische Sozialfonds ist das zentrale arbeitsmarktpolitische<br />
För<strong>der</strong><strong>in</strong>strument <strong>der</strong> Europäischen Union. Er leistet e<strong>in</strong>en<br />
Beitrag zur Entwicklung <strong>der</strong> Beschäftigungsfähigkeit, des Unternehmergeistes,<br />
<strong>der</strong> Anpassungsfähigkeit sowie <strong>der</strong> Chancengleichheit<br />
und <strong>der</strong> Investition <strong>in</strong> die Humanressourcen.<br />
Stand<br />
September 2013<br />
Druck<br />
Beltz Bad Langensalza GmbH<br />
Gestaltung<br />
m&p: public relations<br />
Text- und Bildredaktion<br />
Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt e. V. (DLR), Projektträger<br />
im DLR (PT-DLR), Bonn<br />
Bildnachweis<br />
Fotograf: Philipp Günther<br />
Diese Druckschrift wird im Rahmen <strong>der</strong> Öffentlichkeitsarbeit <strong>vom</strong><br />
Bundesm<strong>in</strong>isterium für Bildung und Forschung unentgeltlich<br />
abgegeben. Sie ist nicht zum gewerblichen Vertrieb bestimmt. Sie<br />
darf we<strong>der</strong> von Parteien noch von Wahlwerber<strong>in</strong>nen/Wahlwerbern<br />
o<strong>der</strong> Wahlhelfer<strong>in</strong>nen/Wahlhelfern während e<strong>in</strong>es Wahlkampfes<br />
zum Zweck <strong>der</strong> Wahlwerbung verwendet werden. Dies gilt für Bundestags-,<br />
Landtags- und Kommunalwahlen sowie für Wahlen zum<br />
Europäischen Parlament.<br />
Missbräuchlich ist <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e die Verteilung auf Wahlveranstaltungen<br />
und an Informationsständen <strong>der</strong> Parteien sowie das E<strong>in</strong>legen,<br />
Aufdrucken o<strong>der</strong> Aufkleben parteipolitischer Informationen<br />
o<strong>der</strong> Werbemittel. Untersagt ist gleichfalls die Weitergabe an Dritte<br />
zum Zwecke <strong>der</strong> Wahlwerbung. Unabhängig davon, wann, auf<br />
welchem Weg und <strong>in</strong> welcher Anzahl diese Schrift <strong>der</strong> Empfänger<strong>in</strong>/<br />
dem Empfänger zugegangen ist, darf sie auch ohne zeitlichen Bezug<br />
zu e<strong>in</strong>er bevorstehenden Wahl nicht <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Weise verwendet werden,<br />
die als Parte<strong>in</strong>ahme <strong>der</strong> Bundesregierung zugunsten e<strong>in</strong>zelner<br />
politischer Gruppen verstanden werden könnte.
BILDUNG