Faszination Manga

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19.05.2014 Aufrufe

Das Magazin der Buchhandlungen von Orell Füssli und Thalia Nr. 2/2014 Ihr persönliches Exemplar – mit Wettbewerb! «Man kann dem Leben auf Dauer nicht entkommen» Exklusivinterview mit Franka Potente Zu Berge! Gipfeltreffen der Literaturwelt Faszination Manga Japanischer Exportschlager mit einem Schuss Rock’n’Roll

Das Magazin der Buchhandlungen von Orell Füssli und Thalia<br />

Nr. 2/2014<br />

Ihr persönliches<br />

Exemplar –<br />

mit Wettbewerb!<br />

«Man kann dem Leben auf<br />

Dauer nicht entkommen»<br />

Exklusivinterview<br />

mit Franka Potente<br />

Zu Berge!<br />

Gipfeltreffen der Literaturwelt<br />

<strong>Faszination</strong> <strong>Manga</strong><br />

Japanischer Exportschlager mit<br />

einem Schuss Rock’n’Roll


AARAU –––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––<br />

Meissner Thalia<br />

Bahnhofstrasse 41, 5001 Aarau<br />

Mo – Fr: 9.00 – 18.30 Uhr | Do: 9.00 – 20.00 Uhr<br />

Sa: 9.00 – 17.00 Uhr<br />

Wirz Thalia<br />

Hintere Vorstadt 18, 5001 Aarau<br />

Mo – Mi, Fr: 9.00 – 18.30 Uhr<br />

Do: 9.00 – 20.00 Uhr | Sa: 8.00 – 17.00 Uhr<br />

BADEN –––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––<br />

Thalia<br />

Langhaus beim Bahnhof, 5401 Baden<br />

Mo – Fr: 9.00 – 19.00 Uhr | Sa: 9.00 – 17.00 Uhr<br />

BASEL ––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––<br />

Orell Füssli Bahnhof SBB<br />

Passerelle, Güterstrasse 115, 4053 Basel<br />

Mo – Fr: 7.00 – 21.00 Uhr | Sa: 8.00 – 21.00 Uhr<br />

So: 9.00 – 20.00 Uhr<br />

Thalia<br />

Freie Strasse 32, 4001 Basel<br />

Mo – Mi, Fr: 9.00 – 18.30 Uhr<br />

Do: 9.00 – 20.00 Uhr | Sa: 9.00 – 18.00 Uhr<br />

BERN ––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––<br />

Stauffacher<br />

Neuengasse 25 – 37, 3001 Bern<br />

Mo – Mi + Fr: 9.00 – 19.00 Uhr<br />

Do: 9.00 – 21.00 Uhr | Sa: 9.00 – 17.00 Uhr<br />

Thalia Spitalgasse<br />

Spitalgasse 47/51, 3001 Bern<br />

Mo – Mi: 9.00 – 19.00 Uhr | Do: 9.00 – 21.00 Uhr<br />

Fr: 9.00 – 20.00 Uhr | Sa: 8.00 – 17.00 Uhr<br />

Thalia Bahnhof SBB<br />

Bahnhofplatz 10, 3001 Bern<br />

Mo – Sa: 7.00 – 22.00 Uhr | So: 9.00 – 22.00 Uhr<br />

BRIG –––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––<br />

ZAP<br />

Furkastrasse 3, 3900 Brig<br />

Mo – Fr: 9.00 – 18.30 Uhr | Sa: 9.00 – 17.00 Uhr<br />

ZAP Bürostore<br />

Englischgrussstrasse 6, 3900 Brig<br />

Mo – Fr: 8.30 – 12.00 und 13.30 – 17.00 Uhr<br />

BRUGG –––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––<br />

Thalia<br />

Neumarktplatz 12, 5200 Brugg<br />

Mo – Do: 9.00 – 18.30 Uhr | Fr: 9.00 – 20.00 Uhr<br />

Sa: 8.00 – 17.00 Uhr<br />

FRAUENFELD –––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––<br />

Orell Füssli Einkaufszentrum Passage<br />

Bahnhofstrasse 70 / 72, 8500 Frauenfeld<br />

Mo – Do: 8.00 – 19.00 Uhr | Fr: 8.00 – 20.00 Uhr<br />

Sa: 08.00 – 17.00 Uhr<br />

FRIBOURG ––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––<br />

Thalia<br />

Bahnhof / Gare, 1700 Fribourg<br />

Mo – Fr: 7.00 – 21.00 Uhr | Sa + So:<br />

9.00 – 21.00 Uhr<br />

SCHAFFHAUSEN ––––––––––––––––––––––––––––––––––––<br />

Thalia<br />

Vordergasse 77, 8200 Schaffhausen<br />

Mo – Mi + Fr: 8.30 – 18.30 Uhr<br />

Do: 8.30 – 20.00 Uhr | Sa: 8.00 – 17.00 Uhr<br />

SCHÖNBÜHL –––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––<br />

Thalia Shoppyland<br />

Industriestrasse 10, 3322 Schönbühl<br />

Mo – Do: 9.00 – 20.00 Uhr | Fr: 9.00 – 21.30 Uhr<br />

Sa: 8.00 – 17.00 Uhr<br />

SIERRE –––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––<br />

ZAP<br />

Place de la Gare 2, 3960 Sierre<br />

Mo – Fr: 9.00 – 12.00 und 13.30 – 18.30 Uhr<br />

Sa: 9.00 – 17.00 Uhr<br />

SPREITENBACH ––––––––––––––––––––––––––––––––––––––<br />

Thalia Shoppi & Tivoli<br />

8957 Spreitenbach<br />

Mo – Sa: 9.00 – 20.00 Uhr<br />

ST. GALLEN ––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––<br />

Orell Füssli Bahnhof<br />

Poststrasse 28, 9000 St. Gallen<br />

Mo – Fr: 8.00 – 21.00 Uhr<br />

Sa + So: 9.00 – 20.00 Uhr<br />

Rösslitor Bücher<br />

Multergasse 1 – 3, 9001 St. Gallen<br />

Mo – Mi + Fr: 9.00 – 18.30 Uhr<br />

Do: 9.00 – 21.00 Uhr | Sa: 9.00 – 17.00 Uhr<br />

Thalia Shopping Arena<br />

Zürcher Strasse 464, 9015 St. Gallen<br />

Mo – Mi, Fr: 9.00 – 19.00 Uhr,<br />

Do: 9.00 – 21.00 Uhr | Sa: 9.00 – 17.00 Uhr<br />

ST. MARGRETHEN –––––––––––––––––––––––––––––––––––<br />

Thalia Einkaufszentrum Rheinpark<br />

9430 St. Margrethen<br />

Mo – Do: 9.00 – 19.00 Uhr | Fr: 9.00 – 21.00 Uhr<br />

Sa: 8.00 – 17.00 Uhr<br />

Orell Füssli Einkaufszentrum Rosenberg<br />

Schaffhauserstrasse 152, 8400 Winterthur<br />

Mo – Fr: 8.30 – 20.00 Uhr | Sa: 8.00 – 18.00 Uhr<br />

Vogel Thalia<br />

Marktgasse 41, 8400 Winterthur<br />

Mo – Mi + Fr: 9.00 – 18.30 Uhr<br />

Do: 9.00 – 21.00 Uhr | Sa: 9.00 – 17.00 Uhr<br />

VISP ––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––<br />

ZAP<br />

Bahnhofstrasse 21, 3930 Visp<br />

Mo – Fr: 9.00 – 12.00 und 13.30 – 18.30 Uhr<br />

Sa: 9.00 – 17.00 Uhr<br />

ZERMATT ––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––<br />

ZAP<br />

Hofmattstrasse 3, 3920 Zermatt<br />

Mo – Sa: 9.00 – 12.00 Uhr und 14.00 – 18.30 Uhr<br />

Während der Saisonzeit:<br />

Mo – Fr: 9.00 – 12.30 Uhr und 14.00 – 19.00 Uhr<br />

So: 16.00 – 19.00 Uhr<br />

ZÜRICH ––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––<br />

Orell Füssli Kramhof<br />

Füsslistrasse 4, 8001 Zürich<br />

Mo – Fr: 9.00 – 20.00 Uhr | Sa: 9.00 – 18.00 Uhr<br />

Orell Füssli Am Bellevue<br />

Theaterstrasse 8, 8001 Zürich<br />

Mo – Fr: 9.00 – 20.00 Uhr | Sa: 9.00 – 18.00 Uhr<br />

Orell Füssli The Bookshop<br />

Bahnhofstrasse 70, 8001 Zürich<br />

Mo – Fr: 9.00 – 20.00 Uhr | Sa: 9.00 – 18.00 Uhr<br />

Orell Füssli Flughafen<br />

Airport Center, 8060 Zürich–Flughafen<br />

Mo – Fr: 7.00 – 21.00 Uhr | Sa – So: 8.00 – 21.00 Uhr<br />

Orell Füssli Zürich Hauptbahnhof<br />

Shopville, Halle Landesmuseum, 8001 Zürich<br />

Mo – Fr: 7.00 – 21.00 Uhr | Sa: 8.00 – 21.00 Uhr<br />

So: 9.00 – 20.00 Uhr<br />

Orell Füssli Bahnhof Stadelhofen<br />

Stadelhoferstrasse 8, 8001 Zürich<br />

Mo – Fr: 8.00 – 20.00 Uhr | Sa: 9.00 – 19.00 Uhr<br />

So: 10.00 – 18.00 Uhr<br />

Orell Füssli Im Franz Carl Weber<br />

Bahnhofstrasse 62, 8001 Zürich<br />

Mo – Mi: 9.00 – 18.30 Uhr<br />

Do + Fr: 9.00 – 20.00 Uhr | Sa: 9.00 – 18.00 Uhr<br />

Unterwegs<br />

Liebe Leserin, lieber Leser<br />

Unbekanntes entdecken und Ungewohntes wagen<br />

– das kann man unterwegs beim Reisen und bei<br />

Bergtouren besonders gut. Davon berichtet in<br />

diesem Heft ein Beitrag über eine Reise, die vor<br />

etwa 150 Jahren stattfand. Die Rundreise einer<br />

englischen Gruppe durch die Schweizer Alpen war<br />

ein Abenteuer in einem damals vielerorts unterentwickelten<br />

Land. Die abenteuerlustigen Briten<br />

erlebten 1863 bei uns Dinge, die uns heute beim<br />

Reisen auf anderen Kontinenten begegnen. Doch<br />

lesen wir ihr Reisejournal, entdecken wir auch die<br />

Schweiz neu: als zugleich vertrautes und völlig<br />

fremdes Land.<br />

Entdeckungen kann man eben nicht nur in der<br />

realen Welt machen, sondern auch mit Büchern.<br />

Sie weisen uns als Reise- oder Wanderführer im eigentlichen<br />

Sinn des Worts den Weg. Und sie zeigen<br />

uns fremde Welten. So wie <strong>Manga</strong>. Diese bei einer<br />

wachsenden Fangruppe enorm beliebten Comicbücher<br />

aus dem fernen Japan stellen wir Ihnen ab<br />

Seite 20 vor. In ihrem Ursprungsland sind <strong>Manga</strong><br />

ein fester Bestandteil der Kultur, inzwischen boomen<br />

die Bildgeschichten auch bei uns. Wagen Sie<br />

doch einmal den Sprung in diese fremden Welten.<br />

Ich wünsche Ihnen viel Spass beim Entdecken!<br />

Inhalt<br />

FRANKA POTENTE<br />

«Man kann dem<br />

Leben auf Dauer<br />

nicht entkommen»<br />

Seite 10<br />

Die Berge als literarisches<br />

Thema<br />

Eine grosse Leinwand<br />

Seite 24<br />

Editorial | 3<br />

4 Notizen<br />

13 Im Schaufenster<br />

«Die Erbin» von John<br />

Grisham<br />

14 von Stadt und Land<br />

Neue Bildbände und Bücher<br />

zum Schmökern<br />

19 Im Schaufenster<br />

«Der Judaskuss» von Anna<br />

Grue<br />

20 Japanischer Exportschlager<br />

mit einem Schuss Rock’n’Roll<br />

<strong>Faszination</strong> <strong>Manga</strong><br />

32 Kaffeepause<br />

Die Books-Debatte<br />

36 Fantastisch!<br />

Fantasy-Neuerscheinungen<br />

40 Im Schaufenster<br />

«Der beste Rat, den ich je<br />

bekam» von Frank Arnold<br />

41 mein Buch<br />

42 eReader<br />

Der neue tolino vision im<br />

Taschenformat<br />

44 sonne, Wasser, Abenteuer<br />

Neues aus der Kinderwelt<br />

46 wider die Verschwendung<br />

Neue Kochbücher<br />

48 kreuzworträtsel<br />

49 veranstaltungen<br />

50 kolumne<br />

Darum schreibe ich – von<br />

Isolde Schaad<br />

CHUR –––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––<br />

Thalia Einkaufscenter City West<br />

Raschärenstrasse 35, 7000 Chur<br />

Mo – Do: 9.00 – 19.00 Uhr | Fr: 9.00 – 20.00 Uhr<br />

So: 8.00 – 18.00 Uhr<br />

EMMENBRÜCKE –––––––––––––––––––––––––––––––––––––––<br />

Thalia Emmen Center<br />

Stauffacherstrasse 1, 6020 Emmenbrücke<br />

Mo, Di + Do: 9.00 – 18.30 Uhr<br />

Mi + Fr: 9.00 – 21.00 Uhr | Sa: 8.00 – 16.00 Uhr<br />

THUN –––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––<br />

Thalia<br />

Bälliz 60, 3600 Thun<br />

Mo – Mi + Fr: 9.00 – 18.30 Uhr<br />

Do: 9.00 – 21.00 Uhr | Sa: 9.00 – 17.00 Uhr<br />

WINTERTHUR ––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––<br />

Orell Füssli Marktgasse<br />

Marktgasse 3, 8400 Winterthur<br />

Mo – Mi + Fr: 09.00 – 18.30 Uhr<br />

Do: 9.00 – 21.00 Uhr | Sa: 9.00 – 17.00 Uhr<br />

www.books.ch<br />

www.buch.ch<br />

www.thalia.ch<br />

0848 849 848<br />

0848 28 24 24<br />

0848 842 542<br />

Ihr Michele Bomio<br />

CEO Orell Füssli Thalia AG<br />

Die nächste Ausgabe von Books, dem Magazin der Orell Füssli<br />

Thalia AG, erscheint am 29. August 2014. Sie erhalten Books<br />

kostenlos in jeder Filiale. Bestellungen nehmen wir gern entgegen<br />

über www.books.ch, orders@books.ch und Telefon 0848 849 848.<br />

Impressum<br />

Herausgeber:<br />

Orell Füssli Thalia AG, Dietzingerstrasse 3, Postfach, 8036 Zürich<br />

Gesamtherstellung und Redaktion:<br />

Die Blattmacher GmbH, Zürich<br />

Gestaltung / LAYOUT: Strichpunkt GmbH, Winterthur<br />

Coverillustration: Leonie Beckmann<br />

Jetzt Fan werden:<br />

www.facebook.com/OrellFuessli<br />

www.facebook.com/Thalia.ch<br />

Preisänderungen vorbehalten. Unsere aktuellen Verkaufspreise<br />

und eine umfassende Auswahl an Büchern, Filmen und Spielen<br />

finden Sie auf www.books.ch, www.thalia.ch und www.buch.ch.<br />

Alle so gekennzeichneten Bücher sind auch als eBook erhältlich.


4 | NOTIZEN Books Nr. 2/2014<br />

Notizen<br />

Marius Leutenegger<br />

NOTIZEN | 5<br />

© Shutterstock / paulrommer<br />

Vor 100 Jahren begann der Erste Weltkrieg. In Tausenden von Artikeln und Hunderten<br />

von Büchern wird gegenwärtig jedes erdenkliche Detail dieser historischen Zäsur beleuchtet.<br />

Will man nur einen Text zum Thema lesen, ist «Schlump» wohl eine gute Wahl.<br />

Dass dieser Roman von Hans Herbert Grimm verfasst wurde, war lange Zeit nicht bekannt<br />

– denn der 1896 geborene deutsche Sprachlehrer hatte<br />

gute Gründe, seine Urheberschaft zu verschleiern. Das Buch<br />

erzählt die Erlebnisse des einfachen Infanteristen Emil Schulz<br />

– eben Schlump – so schonungslos, dass man es nur als Antikriegsroman<br />

lesen kann. Zwar ist Schlump eine Frohnatur, die<br />

einigermassen unbeschadet durch den Krieg stolpert, doch den<br />

Schrecken der Schlächterei und die Atmosphäre einer kaputten<br />

Gesellschaft fängt der Roman auf eindrückliche Weise ein.<br />

Kein Wunder, verboten die Nazis das Buch sofort, als sie an die<br />

Macht kamen. Um keinen Verdacht zu erregen, trat Grimm<br />

freiwillig in die Nazi-Partei ein. Die Parteimitgliedschaft verunmöglichte<br />

ihm nach dem Zweiten Weltkrieg, weiter als Lehrer<br />

zu arbeiten. 1950 beging Grimm Suizid. «Schlump» hat seinem<br />

Schöpfer also wenig Glück gebracht, in jeder Hinsicht. Das Buch erzielte zwar bei seinem<br />

ersten Erscheinen Ende der 1920er-Jahre einen Achtungserfolg, es wurde aber vom<br />

weitaus beliebteren und fast gleichzeitig erschienenen Roman «Im Westen nichts Neues»<br />

von Erich Maria Remarque in den Schatten gestellt. Kiepenheuer & Witsch hat das<br />

wichtige Zeitzeugnis jetzt wieder neu herausgebracht.<br />

Genau 20 Jahre ist es her, seit<br />

Susanna Tamaro das meistverkaufte<br />

italienische Buch des 20.<br />

Jahrhunderts schrieb: den Briefroman<br />

«Geh, wohin dein Herz<br />

dich trägt». Die Autorin war aber<br />

schon vor diesem Welterfolg als<br />

Schriftstellerin erfolgreich, und<br />

sie hat seither regelmässig<br />

weitere<br />

Romane verfasst.<br />

Soeben ist<br />

bei Piper ihr<br />

neuester erschienen:<br />

«Ein<br />

jeder Engel ist<br />

schrecklich».<br />

Darin erzählt<br />

die 57-jährige von ihrer Kindheit.<br />

Wer ein nostalgisches Buch über<br />

Kinderjahre im Belpaese erwartet,<br />

sollte davon allerdings die<br />

Finger lassen: Susanna Tamaro<br />

hat ihre Eltern als überaus lieblos<br />

und ihre gesamte Kindheit als<br />

eher düster empfunden. Streckenweise<br />

riecht diese Autobiografie<br />

etwas stark nach Selbsttherapie,<br />

grundsätzlich ist sie<br />

aber absolut lesenswert – weil<br />

Tamaro eine kluge, offenherzige<br />

und wortgewaltige Schreiberin<br />

ist und sie auch dem Elend, das<br />

ein Mädchen durchlebt, durchaus<br />

sprachliche Poesie abgewinnen<br />

kann. Man fühlt mit dem<br />

Kind, wenn es plötzliche Verluste<br />

von Bezugspersonen kaum verkraftet<br />

oder beim Besuch eines<br />

Aquariums leidet – dass es Mitleid<br />

mit den Tieren hat, wird es<br />

erst später merken. Und ein bisschen<br />

lernt man auch zu verstehen,<br />

was hinter dem Rat «Geh,<br />

wohin dein Herz dich trägt»<br />

steckt, den die Grossmutter im<br />

gleichnamigen Roman ihrer Enkelin<br />

gab.<br />

Einer, dessen Rede Geschichte schrieb: Bundesrat<br />

Hans Peter Tschudi 1965.<br />

Auch wenn uns allen wohl sofort Zitate aus<br />

berühmten Reden einfallen («I have a dream!»,<br />

«Ich bin ein Berliner!»): Eine einzelne Ansprache<br />

hat vermutlich noch nie den Lauf der<br />

Welt verändert. Aber manchmal ist es begabten<br />

Frauen und Männern gelungen, eine gesellschaftliche<br />

Stimmung,<br />

eine persönliche Überzeugung<br />

oder eine Aufforderung<br />

so gekonnt in Worte<br />

zu packen, dass ihre Rede<br />

zum Symbol für eine historische<br />

Entwicklung<br />

wurde. Reden sind damit<br />

eine Art Denkmäler<br />

aus Schallwellen –<br />

oder Buchstaben,<br />

wenn sie in gedruckter<br />

Form vorliegen. Zehn solcher<br />

verbaler Denkmäler, die einen bestimmten<br />

Aspekt der Schweizer Geschichte im 20. Jahrhundert<br />

verdeutlichen, hat jetzt der Historiker<br />

Felix Münger in einem Buch vereint:<br />

«Reden, die Geschichte schrieben», erschienen<br />

im Verlag hier+jetzt. Im schön gestalteten<br />

Band findet man nicht nur die berühmten<br />

Ansprachen, Münger stellt diese in informativen,<br />

aber leicht lesbaren Beiträgen in ihren<br />

historischen Kontext. Warum war die Rede<br />

von Arbeiterführer Robert Grimm während<br />

des Generalstreiks so wichtig? Welche Auswirkungen<br />

hatte die Ansprache von Bundesrat<br />

Eduard von Steiger 1942, die später auf die<br />

Formel «Das Boot ist voll» reduziert wurde?<br />

Wie entscheidend war Christoph Blochers<br />

Rede gegen den EWR von 1992 für die Ablehnung<br />

der Vorlage durch das Stimmvolk? Münger<br />

analysiert nicht die Rhetorik der glänzenden<br />

Rednerinnen und Redner, ihm geht es<br />

stets um den Zusammenhang. Und das macht<br />

seine Sammlung zu einem originellen und lesenswerten<br />

Geschichtsbuch.<br />

Von damals bis heute: Sechs Paare erzählen, was sie zusammenführte und über Jahrzehnte hinweg<br />

zusammengehalten hat.<br />

In fremden Leben wühlen – das macht<br />

nicht nur die NSA gern, sondern eigentlich<br />

jeder und jede. Deshalb<br />

könnte dem Buch «Ja, ich will!», das<br />

soeben im Wörterseh-Verlag erschienen<br />

ist, ein schöner Erfolg<br />

beschieden sein. Es<br />

enthält sechs Interviews,<br />

die der Zürcher Journalist<br />

Ueli Oswald mit älteren<br />

Paaren über deren<br />

lebenslangen Ehen geführt<br />

hat. Offen und<br />

charmant plaudern die<br />

heiteren Damen und<br />

Herren darüber, wie sie<br />

zum Paar wurden, welche Probleme<br />

es im Alltag zu lösen oder zu umschiffen<br />

gilt, was man aneinander<br />

schätzt. Das ist oft rührend, manchmal<br />

auch einfach lustig, immer aber<br />

spannend und aufschlussreich – und<br />

dank der Interviewform bekommt<br />

man das prickelnde Gefühl, am Nebentisch<br />

des Paars zu sitzen und<br />

heimlich ihrem interessanten Gespräch<br />

zu lauschen. Natürlich<br />

könnten einen die Paare<br />

auch ein wenig neidisch machen,<br />

denn sie alle blicken<br />

auf ein ziemlich glückliches<br />

Leben zurück; der Untertitel<br />

des Buchs lautet denn auch<br />

passend «Wenn Liebe ewig<br />

währt». Immerhin lassen<br />

die Eheleute aber gelegentlich<br />

durchschimmern, wie<br />

man selber eine glückliche Beziehung<br />

gestalten könnte: «Heute lassen<br />

wir einander leben», sagt zum<br />

Beispiel Ursula, die seit 1973 mit<br />

René verheiratet ist.<br />

304 Seiten, gebunden, sFr 25,90


6 | NOTIZEN Books Nr. 2/2014 NOTIZEN | 7<br />

Jahrestage<br />

Happy birthday, Bernhard Schlink: Am 6.<br />

Juli wird der deutsche Autor 70 Jahre alt.<br />

Lange Zeit wies nichts darauf hin, dass<br />

ihm einmal ein Büchermagazin wie Books<br />

zum Geburtstag gratulieren würde – denn<br />

Schlink ist eigentlich<br />

Jurist, und er arbeitete<br />

an Universitäten in<br />

Bonn, Frankfurt und<br />

Berlin als Professor<br />

für Recht sowie als<br />

Richter in Münster.<br />

1987 weilte er auf<br />

Einladung der<br />

dortigen Universität<br />

in Aix-en-<br />

Provence, und<br />

während dieser Zeit lebte er<br />

bei seinem nach Südfrankreich ausgewanderten<br />

Freund Walter Popp. Popp war Jurist<br />

wie Schlink, und die beiden verband<br />

ein grosses Interesse für Kriminalliteratur.<br />

Schliesslich entschieden sie sich,<br />

zusammen einen Krimi zu schreiben:<br />

«Selbs Justiz». Das Buch wurde ein internationaler<br />

– und sogar verfilmter – Bestseller,<br />

und damit startete Bernhard Schlink<br />

als Autor durch. Er schrieb weitere Krimis<br />

und landete 1995 mit dem Roman «Der<br />

Vorleser» seinen bisher<br />

grössten Erfolg;<br />

das Buch kletterte gar<br />

in den USA an die<br />

Spitze der Bestsellerliste,<br />

schliesslich<br />

wurde es mit<br />

Kate Winslet und<br />

Ralph Fiennes<br />

in den Hauptrollen<br />

verfilmt.<br />

Seither folgen in regelmässigen<br />

Abständen weitere<br />

Erfolgsbücher, zum Beispiel «Liebesfluchten»<br />

oder «Sommerlügen». Die beiden<br />

Sammlungen von Erzählungen erscheinen<br />

diesen Sommer beim Diogenes-Verlag in<br />

neuer Aufmachung.<br />

Vor zehn Jahren trug die deutsche Satireszene<br />

Trauer: Gleich zwei ihrer wichtigsten<br />

Mitglieder starben innerhalb von nur<br />

drei Tagen, am 6. Juli Bernd Pfarr und am<br />

8. Juli Chlodwig Poth. Bernd Pfarr wurde<br />

nur 45 Jahre alt; er erlag einem Krebsleiden,<br />

gegen das er 25 Jahre lang angekämpft<br />

hatte. Gemäss<br />

seinem Freund, dem<br />

Schriftsteller Robert<br />

Gernhardt, lieferte<br />

Pfarr den «Gegenbeweis<br />

der These, ein<br />

schweres Leben<br />

müsse schwere<br />

Kunst mit sich ziehen»<br />

– denn Pfarrs<br />

Cartoons und Illustrationen sind<br />

von einer selten komischen Leichtigkeit.<br />

Das kann man auch anhand der zahlreichen<br />

Buch-Covers überprüfen, die Pfarr<br />

unter anderem für Elke Heidenreich illustrierte.<br />

Pfarrs guter Kollege Chlodwig Poth<br />

schrieb auch selber Romane – zum Beispiel<br />

den hochkomischen «Die Vereinigung<br />

von Körper und Geist mit Richards Hilfe»,<br />

den es leider nur noch antiquarisch<br />

gibt. Unvergesslich machten<br />

Poth aber seine Comic-Kurzgeschichten.<br />

Dem Verlag Antje Kunstmann<br />

ist es zu verdanken,<br />

dass Pfarr und<br />

Poth weiterhin im<br />

Buchhandel präsent<br />

sind: Im<br />

Rahmen der ausgezeichneten<br />

Reihe<br />

«Meister der komischen Kunst»<br />

ist den beiden je ein Band gewidmet; die<br />

Bücher gehören in die Bibliothek jedes humorvollen<br />

Menschen.<br />

Ian Fleming ist allen Kinogängern ein Begriff,<br />

auch den jungen – wegen seiner berühmtesten<br />

Schöpfung, Geheimagent 007<br />

James Bond. Erstaunlicherweise jährt sich<br />

der Todestag des britischen Bestsellerautors<br />

am 12. August bereits zum 50. Mal.<br />

Fleming kam 1908 in London zur Welt.<br />

Schon früh zeigte er gewisse Bond-Allüren,<br />

denn er flog wegen Mädchengeschichten<br />

mehrmals von renommierten Schulen.<br />

Schliesslich kam er an einem privaten Institut<br />

im österreichischen Kitzbühel unter.<br />

Später arbeitete er als Journalist, Wertpapierhändler<br />

und schliesslich als Korrespondent<br />

für die Times, unter anderem in<br />

der Sowjetunion. Von dieser Position aus<br />

war es nur noch ein kleiner Schritt zum<br />

Spion – und tatsächlich wurde er irgendwann<br />

um 1930 vom Auswärtigen Amt<br />

Grossbritanniens als solcher angeworben.<br />

Im Zweiten Weltkrieg stieg Fleming in den<br />

Marine-Nachrichtendienst ein und wurde<br />

Kommandant einer Spezialeinheit. Im Casino<br />

von Estoril soll ihm schliesslich die<br />

Idee zu seinem Roman «Casino Royale»<br />

gekommen sein – dem ersten, 1953 verfassten<br />

Bond-Roman. Vorbild der Hauptfigur<br />

war unter anderem Peter Fleming, der<br />

Bruder des Geheimdienstlers und zu jener<br />

Zeit ein berühmter Reiseschriftsteller.<br />

«Casino Royale» war zunächst kein grosser<br />

Erfolg, und 1954 floppte in den USA<br />

auch eine Verfilmung fürs Fernsehen. Fleming<br />

liess sich aber nicht davon abhalten,<br />

weitere Bond-Romane zu schreiben.<br />

«From Russia with Love» wurde dann ein<br />

Bestseller, dem noch viele weitere folgen<br />

sollten. Insgesamt schrieb Fleming bis zu<br />

seinem Tod 1964 zwölf Bond-Romane und<br />

neun Bond-Kurzgeschichten. In seinem<br />

Todesjahr landete er auch noch einen<br />

Grosserfolg mit dem Kinderroman «Chitty<br />

Chitty Bang Bang». Die Bond-Bücher erscheinen<br />

auf Deutsch beim eigentlich auf<br />

Comics spezialisierten Verlag Cross Cult;<br />

dieser hat jetzt sämtliche 14 Bände – zwölf<br />

Romane und zwei Bücher mit den Kurzgeschichten<br />

– in eine schöne Box gepackt:<br />

James Bond total auf über 4000 Seiten!<br />

Was lesen Sie gerade?<br />

Patrizia Kummer, Snowboarderin und Olympia-Goldmedaillengewinnerin<br />

im Parallel-Riesenslalom 2014:<br />

«Für mich als Profisportlerin ist es wichtig,<br />

manchmal dem Alltag und dem ganzen<br />

Druck, der auf mir lastet, zu entfliehen.<br />

Dies erreiche ich am besten durch Geschichten.<br />

Einerseits schaue ich mir gern<br />

Filme an, aber noch lieber lese ich Bücher.<br />

Dort kann ich total in eine andere Welt<br />

eintauchen und alles um mich herum vergessen.<br />

Deshalb lese ich auch nie Biografien.<br />

Mein Büchergeschmack reicht von<br />

Fantasy- über Sachbücher bis hin zu realitätsnahen<br />

Thrillern.<br />

Im Moment lese ich zum wiederholten Mal<br />

‹Der Mastercode› von Scott McBain. Dieses<br />

Buch behandelt ein für mich sehr aktuelles<br />

Thema. In der Geschichte geben die<br />

Menschen immer mehr ihre Privatsphäre<br />

auf, vernetzen sich über ein Computersystem<br />

namens Mother immer stärker untereinander<br />

und werden bald total abhängig<br />

von diesem System. Sie merken gar nicht,<br />

wie sehr sie sich selber ausliefern, bis sie<br />

zum Schluss eigentlich gar keine Persönlichkeitsrechte<br />

mehr besitzen.<br />

Dieses Thema fasziniert mich, seit sich die<br />

ersten Social-Media-Seiten in meinem Umfeld<br />

breitgemacht haben. Das Buch zeigt<br />

auf, wie wichtig es ist, unsere Privatsphäre<br />

zu schützen. Wir haben selber die Wahl,<br />

was wir von uns preisgeben wollen. Eine<br />

zentrale Frage im Buch ist, ob der einfa-<br />

chere Weg immer der bessere ist. Sollen<br />

wir wirklich alle unsere Daten an nur einem<br />

Ort zusammenführen und speichern<br />

lassen, damit wir beispielsweise nur noch<br />

mit einem Fingerabdruck oder einem Augenscan<br />

bezahlen können – nur um beim<br />

Bezahlen der Monatsmiete oder im Supermarkt<br />

ein paar Sekunden zu sparen? Wie<br />

viel Macht über uns wollen wir den Firmen<br />

geben, die unsere Daten speichern?»<br />

Der Mastercode<br />

Scott McBain<br />

560 Seiten<br />

CHF 15.90<br />

Droemer/Knaur<br />

Der 70-jährige französische Autor Daniel<br />

Pennac kann viel: Seine oft komplex konstruierten<br />

Romane sind genauso gut wie die<br />

witzigen Szenarien, die er für die neuen<br />

Lucky-Luke-Comics schreibt. Jetzt hat sich<br />

dieser vielseitige Mann sogar selber übertroffen:<br />

Der bei Kiepenheuer & Witsch erschienene<br />

Roman «Der Körper meines Lebens»<br />

ist ein echter Geheimtipp und trägt<br />

Züge eines Meisterwerks. Die ihm zugrunde<br />

liegende originelle Idee: Einer beschliesst<br />

im Alter von zwölf Jahren,<br />

ein Tagebuch über seinen<br />

Körper zu führen, weil ihm<br />

dieser Körper ständig<br />

Sorgen macht. Und er<br />

setzt dieses Tagebuch<br />

fast bis zu seinem Tod<br />

mit 87 Jahren fort.<br />

Anhand der beschriebenen<br />

Körperreaktionen,<br />

-funktionen und -fehlfunktionen<br />

erfährt man die ganze Biografie des<br />

Erzählers, und man erhält zugleich unzählige<br />

kluge oder witzige Gedankenanstösse<br />

zu Themen wie Scham, Vergänglichkeit,<br />

Glück und Angst. Dass sich die Geschichte<br />

eines Lebens und einer Epoche anhand von<br />

Körperbeobachtungen schreiben lässt,<br />

klingt abenteuerlich – funktioniert aber<br />

vorzüglich.<br />

JOJO MOYES<br />

«Weit weg und ganz nah»<br />

Einzige<br />

Lesung in der<br />

Schweiz<br />

bei Thalia<br />

in Bern!<br />

Montag,<br />

23. Juni 2014, 20 Uhr<br />

Eintritt CHF 20.–<br />

(mit Thalia Bonuskarte CHF 10.–)<br />

Vorverkauf: Thalia Bern<br />

Telefon 031 320 20 40<br />

christoffelpassage@thalia.ch


8 | NOTIZEN Books Nr. 2/2014 NOTIZEN | 9<br />

Den ehemaligen Chefredaktor des Sonntags-Blicks, Philipp Löpfe, und<br />

den Wirtschaftsexperten des gleichen Blatts, Werner Vontobel, verbindet<br />

eine äusserst weitsichtige Betrachtung der Wirtschaftswelt. Diese<br />

belegen sie auch in ihrem neuesten Gemeinschaftswerk: In<br />

«Wirtschaft boomt, Gesellschaft kaputt» aus dem Orell-Füssli-Verlag<br />

beschäftigen sie sich mit der Frage, was die Globalisierung uns allen<br />

bringt – nachweislich mehr Nach- als Vorteile – und welches Wirtschaftssystem<br />

uns langfristig zufriedener macht. Sie fordern eine<br />

Rückkehr zur lokalen Wirtschaft, aber unter aktuellen Voraussetzungen:<br />

Neue Technologien ermöglichen heute auch kleinen Unternehmen,<br />

konkurrenzfähig vor Ort zu produzieren. Deren lokale Verankerung<br />

trägt dazu bei, dass die Politik wieder das Ruder übernehmen<br />

kann und wir uns alle nicht mehr diffusen globalen Kräften ausgeliefert<br />

fühlen müssen. Ihre spannenden Thesen untermauern die<br />

Autoren mit überraschenden Fakten, die gleich haufenweise<br />

Mythen zertrümmern. Oder haben Sie gewusst,<br />

wie dramatisch in Europa das Wirtschaftswachstum<br />

zurückgegangen ist, seit die<br />

Globalisierung als Seligmacher gilt? Wie von<br />

Sonntags-Blick-Leuten nicht anders zu erwarten,<br />

bleibt das Buch auch für Wirtschaftslaien<br />

stets verständlich.<br />

Die Tatsache, dass Sie unser Magazin<br />

in den Händen halten, zeigt: Sie<br />

schätzen Informationen auf Papier.<br />

Daher dürfte es Ihnen nicht ganz<br />

gleichgültig sein, was mit<br />

der guten alten Tageszeitung<br />

passiert – und daher<br />

dürfte Sie auch eine<br />

Neuerscheinung aus dem<br />

Brandstätter-Verlag interessieren:<br />

«Die Zeitung.<br />

Ein Nachruf». Der ehemalige<br />

Chefredaktor der<br />

österreichischen Tageszeitung<br />

Die Presse, Michael<br />

Fleischhacker, zeichnet darin die lange<br />

Geschichte des Mediums nach, von<br />

den Vorläufern wie den Marktschreiern<br />

bis in die eher triste Gegenwart.<br />

Es lässt sich wohl nur schwer eine besser<br />

geraffte und klüger kommentierte<br />

Zeitungshistorie finden. Als guter<br />

Journalist räumt Fleischhacker auch<br />

gern mit manchem Mythos auf, der<br />

ihm bei seiner Recherche begegnete<br />

– zum Beispiel mit jenem, die Zeitung<br />

sei so etwas wie die «Vierte Macht»<br />

im Staat und für die Demokratie unabdingbar.<br />

Fleischhacker dokumentiert,<br />

woran die Branche<br />

krankt und warum der Tod<br />

der Tageszeitung, wie wir<br />

sie kennen, unausweichlich<br />

ist. Aber wie jeder gute Nekrolog<br />

endet auch dieser<br />

hier versöhnlich: Wohl ist<br />

die Zeitung auf Papier ein<br />

Auslaufmodell, das Prinzip<br />

der Zeitung wird aber überleben.<br />

«Immer schon suchte<br />

sich der Mensch ein Instrument zu<br />

gestalten, das sein kleines Ich in geistigen<br />

Zusammenhang bringt mit der<br />

eigenen Gegenwart und der ihn umgebenden<br />

Welt», zitiert Fleischhacker<br />

einen Medienwissenschaftler aus<br />

den 1930er-Jahren. Also: Die Zeitung<br />

ist tot – es lebe die Zeitung!<br />

Unsere Cover-<br />

Künstlerin<br />

Erstmals lächelt von der Titelseite unseres<br />

Magazins keine Autorin und kein Autor –<br />

und erstmals ist das Cover gezeichnet.<br />

Grund dafür ist der Beitrag «Japanischer<br />

Exportschlager mit einem Schuss<br />

Rock’n’Roll» ab Seite 20 dieser Ausgabe.<br />

Er beschäftigt sich mit den überaus<br />

beliebten japanischen Comics, den<br />

<strong>Manga</strong>, und hat damit das Titelthema<br />

vorgegeben.<br />

Gezeichnet wurde das Books-Cover von<br />

der 18-jährigen Leonie Beckmann aus<br />

Uster. Die Gymnasiastin ist schon seit<br />

vielen Jahren eine begeisterte <strong>Manga</strong>-<br />

Zeichnerin. «Ich lieh in unserer Bibliothek<br />

immer die üblichen Comics aus», erinnert<br />

sie sich an die Anfänge ihrer Leidenschaft.<br />

«Irgendwann war ich damit durch, und es<br />

blieben nur noch die <strong>Manga</strong> übrig. Die<br />

hatten mich zuvor nie angesprochen, weil<br />

sie nur schwarzweiss waren.» Schon der<br />

erste <strong>Manga</strong> löste bei ihr dann aber eine<br />

grosse Begeisterung aus, und bald begann<br />

Leonie Beckmann selber im <strong>Manga</strong>-Stil zu<br />

zeichnen. «Mir gefällt, dass <strong>Manga</strong> eine<br />

richtige Handlung haben, sich in der<br />

Regel über viele Bände erstrecken und<br />

sich eher mit ernsthaften Themen<br />

beschäftigen», begründet sie ihre<br />

<strong>Faszination</strong>.<br />

Heute zeichnet Leonie Beckmann jeden<br />

Tag; mittlerweile hat sie sich ganz auf<br />

<strong>Manga</strong> spezialisiert. Wie die meisten<br />

<strong>Manga</strong>-Zeichner arbeitet die Autodidaktin<br />

auf einem Grafiktablett. «Ich zeichne<br />

darauf wie auf Papier», sagt sie, «nur<br />

kann ich auf dem Tablet einfacher<br />

korrigieren und besser mit Farben<br />

spielen.» An unserem Cover hat sie rund<br />

vier Tage gearbeitet.<br />

Leonie Beckmann hat sich als Zeichnerin ganz auf<br />

<strong>Manga</strong> spezialisiert.<br />

Leute, die das mögen, mögen auch ...<br />

Sie kennen das: Man hat gehofft, ein Buch<br />

ginge nie zu Ende, weil es einem so gut<br />

gefallen hat – aber irgendwann ist die<br />

letzte Seite dann doch gelesen. Zum Glück<br />

kann man sich in<br />

solchen Momenten<br />

an Fachleute wenden,<br />

die einem ein<br />

Buch mit vergleichbaren<br />

Qualitäten<br />

empfehlen. Eine<br />

solche Fachfrau ist<br />

die Bernerin Céline<br />

Tapis. Nach der Matura<br />

absolvierte die<br />

heute 22-Jährige<br />

eine Buchhändlerlehre;<br />

mittlerweile<br />

arbeitet sie zu 50<br />

Prozent bei Stauffacher,<br />

daneben studiert<br />

sie an der Universität<br />

Bern<br />

Germanistik sowie<br />

Interreligiöse Studien.<br />

«Der Bestseller<br />

‹Am Hang› von Markus Werner handelt<br />

von zwei Männern, die einander im Tessin<br />

auf einer Piazza begegnen. Sie treffen<br />

sich fortan regelmässig und reden miteinander<br />

– vor allem über ihre Beziehungen.<br />

Diese Ausgangslage ähnelt jener von<br />

‹Ich nannte ihn Krawatte›, einem Roman<br />

von Milena Michiko Flašar. Die Autorin<br />

lebt in Österreich, ihre Mutter ist aber<br />

Japanerin – und auch der Roman spielt in<br />

Japan. Ich-Erzähler ist ein etwa 20-jähriger<br />

Hikikomori. Mit diesem Begriff werden<br />

in Japan Leute bezeichnet, die dem<br />

enormen Leistungsdruck nicht mehr gewachsen<br />

sind, sich ganz von der Gesell-<br />

Wettbewerbs-Gewinner<br />

schaft zurückziehen und ihr Zimmer<br />

kaum noch verlassen. Je nach Schätzung<br />

sollen in Japan zwischen 50'000 und einer<br />

Million Menschen ein solches Verhalten<br />

zeigen. Zweite<br />

Hauptfigur des Romans<br />

ist ein Geschäftsmann<br />

– eben<br />

‹Krawatte› –, der<br />

seinen Job verloren,<br />

dies seiner<br />

Frau aber noch<br />

nicht gestanden<br />

hat. Er verlässt jeden<br />

Tag rechtzeitig<br />

sein Daheim und<br />

sitzt dann seine Zeit<br />

im Park ab. Als der<br />

junge Hikikomori<br />

beschliesst, seine<br />

Isolation zu durchbrechen,<br />

begegnet<br />

er im Park dem Geschäftsmann.<br />

Mit<br />

der Zeit entwickelt<br />

sich zwischen den<br />

beiden sehr verschiedenen Männern eine<br />

vertrauensvolle Beziehung – sie reden<br />

miteinander wie die beiden Hauptfiguren<br />

von ‹Am Hang›. In ganz kurzen Kapiteln<br />

geht es um Erinnerungen, Beziehungen,<br />

Frustrationen. Und wie bei ‹Am Hang›<br />

gibt es bei ‹Ich nannte ihn Krawatte› keine<br />

Geschichte, die schnurgerade von A<br />

nach B verläuft, dafür aber sehr viel Atmosphäre.<br />

Dieses Buch zu lesen ist ein<br />

bisschen, wie einen schönen Abend mit<br />

Freunden zu verbringen: Man weiss<br />

nachher nicht mehr genau, worum es<br />

ging, aber man weiss, dass es gut war.»<br />

In der letzten Ausgabe von Books verlosten wir unter den Teilnehmenden unseres<br />

Kreuzworträtsel-Wettbewerbs drei Büchergutscheine. Gewonnen haben:<br />

1. Preis: Dena Ziga, 2. Preis: Christof Hiller-Egli, 3. Preis: Brigitte Häfeli,<br />

Unterentfelden Geuensee Birsfelden<br />

Herzliche Gratulation!<br />

Das Lösungswort lautete übrigens «Landesmuseum». Die Gewinnerinnen und Gewinner<br />

der Preise 4 bis 10 werden schriftlich benachrichtigt. Das aktuelle Kreuzworträtsel finden<br />

Sie in dieser Ausgabe auf Seite 48.


10 | Interview Books Nr. 2/2014<br />

Interview | 11<br />

«Man kann dem Leben auf<br />

Dauer nicht entkommen»<br />

© Jim Rakete<br />

Franka Potente scheint ein ganz besonderes Erfolgsrezept zu haben: Sie tut, worauf sie Lust hat – und<br />

kommt damit an. Das dürfte mit ihrem ersten Roman «Allmählich wird es Tag» nicht anders sein. Books<br />

sprach mit der in Los Angeles lebenden Schauspielerin und Schriftstellerin.<br />

Erik Brühlmann<br />

Books: Mit «Allmählich wird es Tag» ist<br />

gerade Ihr erster Roman erschienen –<br />

sind Sie jetzt offiziell Schriftstellerin?<br />

Franka Potente: Ja, irgendwie schon!<br />

Immerhin habe ich während zweier<br />

Jahre viel Zeit und Energie in Recherche,<br />

Schreiben und Überarbeitung investiert.<br />

Ich habe das Handwerk der Schriftstellerin<br />

zwar nicht richtig gelernt, aber es gibt ja<br />

auch viele tolle Schauspieler, die ganz ohne<br />

Schauspielschulen ihre Arbeit ausüben.<br />

Letztlich ist es mir aber egal, wie mich<br />

jemand betitelt. Ich habe einen Roman geschrieben,<br />

der Roman ist erschienen – ich<br />

finde, das spricht für sich.<br />

Ihre ersten schriftstellerischen Versuche<br />

umfassten einen fiktiven Briefwechsel,<br />

ein Fitnessbuch und die Kurzgeschichten-Sammlung<br />

«Zehn». Haben Sie sich<br />

bewusst Schritt für Schritt an einen<br />

Roman herangetastet?<br />

Die Schriftstellerei ist ja nicht mein Hauptberuf,<br />

von daher steigt man als Anfängerin<br />

vielleicht nicht gleich mit einem Drei- oder<br />

Vierhundert-Seiten-Roman ein. Eigentlich<br />

war «Zehn» mein erster richtiger Versuch<br />

als Schriftstellerin, und nach Kurzgeschichten<br />

ist ein Roman oft der nächste<br />

Schritt. Ob ich diesen Schritt ohne die<br />

Ermutigung meines Verlags jetzt schon<br />

gemacht hätte, weiss ich allerdings nicht.<br />

Ist es schwieriger, einen Roman zu<br />

schreiben als eine thematische Kurzgeschichtensammlung?<br />

Ja, schon. Man hat einen weiteren Weg bis<br />

zur letzten Seite vor sich, muss langfristiger<br />

denken und planen, braucht Biografien<br />

für seine Hauptfiguren und so weiter. Alles<br />

ist halt viel aufwändiger, und die Gefahr<br />

ist grösser, dass einem manchmal die<br />

Puste beim Schreiben ausgeht. Wenn das<br />

geschieht, muss man so diszipliniert sein,<br />

sitzen zu bleiben, die überkritischen Stimmen<br />

im Kopf zu ignorieren und einfach<br />

weiterzumachen. Am Ende eines solchen<br />

Tags hat man dann vielleicht 30 Seiten<br />

Mist geschrieben, aber immerhin hat man<br />

etwas geschrieben. So etwas muss man zulassen.<br />

Gelöscht ist ja alles schnell wieder,<br />

und mit etwas Glück findet man anschliessend<br />

im Mist vielleicht sogar einen neuen<br />

Gedanken.<br />

Sie leben schon längere Zeit in Los Angeles.<br />

Denken Sie beim Schreiben noch<br />

Deutsch oder schon Englisch?<br />

Ich glaube beides. Im Alltag spreche ich<br />

Englisch, Deutsch nur selten mit einer<br />

Freundin oder wenn ich in die Heimat anrufe.<br />

Es ist wirklich schon vorgekommen,<br />

dass mir Wörter einfach nicht mehr auf<br />

Deutsch einfielen und ich dachte: Das darf<br />

jetzt ja wohl nicht wahr sein!<br />

«Allmählich wird es Tag» ist die Geschichte<br />

des Bankers Tim Wilkins. Er<br />

ist Ende 40, lebt in Los Angeles, verliert<br />

durch die Krise seinen Job, wird von<br />

seiner Frau verlassen und merkt, dass<br />

er sein Leben eigentlich vollkommen<br />

verpasst hat. Ein ganz anderer Stoff als<br />

bei «Zehn». Stossen Sie damit nicht Ihre<br />

Fans vor den Kopf?<br />

Ich habe das geschrieben, womit ich glücklich<br />

bin – eine Geschichte, die ich auch<br />

selbst lesen würde. Was jetzt geschieht,<br />

darauf habe ich keinen Einfluss mehr,<br />

und ob ein Stoff die Leserinnen und Leser<br />

interessiert, weiss man vorher sowieso nie.<br />

Kritiker gibt es immer, und Kritik nehme<br />

ich auch gern an, wenn sie konstruktiv ist.<br />

Die Prinzipverweigerer dagegen interessieren<br />

mich nicht. Wer einfach nur meckern<br />

will, der soll sich hinsetzen und es besser<br />

machen.<br />

Wie schon bei «Zehn» ist die Sprache<br />

sehr direkt und nüchtern ...<br />

Aber aus einem anderen Grund. Bei<br />

«Zehn» versuchte ich, von einer japa-<br />

Allmählich<br />

wird es Tag<br />

304 Seiten<br />

CHF 29.90<br />

Piper<br />

nischen Warte aus zu schreiben, und in<br />

Japan sind Emotionen nun einmal ein<br />

delikates Thema. Bei «Allmählich wird es<br />

Tag» wollte ich dem Leser eine möglichst<br />

intensive Erfahrung vermitteln. Das Thema<br />

des persönlichen Niedergangs ist ja an<br />

sich schon emotional aufgeladen, da muss<br />

ich mit der Sprache nicht noch zusätzlich<br />

reingrätschen. Ausserdem mag ich es<br />

nicht, wenn einem ein Autor auch noch das<br />

allerletzte Detail haarklein erklärt. Indem<br />

man gewisse Dinge weglässt, gibt man<br />

dem Leser die Möglichkeit, die Lücken mit<br />

seinen eigenen Erfahrungen zu füllen.<br />

Sind Sie selbst auch so direkt?<br />

Ja, schon. Ich mag Struktur und Klarheit.<br />

Wenn jemand mich allzu blumig zutextet<br />

und um den heissen Brei herum redet, bin<br />

ich sofort auf der Hut und denke: So, jetzt<br />

komm aber mal zur Sache! Meine Toleranzgrenze<br />

sinkt diesbezüglich immer mehr.<br />

Trotzdem führen Sie die Leserinnen<br />

und Leser am Anfang hinters Licht: Man<br />

meint, in der ersten Szene nähmen Sie<br />

das Ende der Geschichte vorweg – und<br />

merkt erst viel später, dass dem gar<br />

nicht so ist.<br />

Da habe ich filmisch gedacht. Ursprünglich<br />

war «Allmählich wird es Tag» keine<br />

Roman-, sondern einer Drehbuchidee. Sie<br />

ist schon einige Jahre alt, und das Ganze<br />

hat sich mit der Zeit verlaufen.<br />

Franka Potente<br />

br. Franka Potente wurde 1974 im deutschen Münster<br />

geboren. Nach einer Schauspielausbildung in München und<br />

New York bekam sie 1995 ihre erste Hauptrolle in «Nach<br />

fünf im Urwald». Den Durchbruch schaffte sie 1998 mit<br />

der Hauptrolle in Tom Tykwers Film «Lola rennt». Im<br />

Anschluss wagte Franka Potente den Sprung über den<br />

grossen Teich und spielte dort mit Hollywood-Grössen<br />

wie Johnny Depp («Blow») und Matt Damon («Die<br />

Bourne Identität»). 2004 kehrte sie nach Berlin zurück<br />

und betätigte sich in vielen künstlerischen Bereichen,<br />

unter anderem als Drehbuchautorin und Regisseurin des<br />

Kurzfilms «Der die Tollkirsche ausgräbt».<br />

Ihr literarisches Debüt gab Franka Potente 2005 in Form<br />

des fiktiven Briefwechsels «Los Angeles – Berlin» mit<br />

ihrem Kollegen Max Urlacher. 2009 folgte in Zusammenarbeit<br />

mit ihrem Personal Trainer Karsten Schellenberg der<br />

Fitness-Ratgeber «Kick Ass – Das alternative Workout».<br />

Dreharbeiten zu einem Dokumentarfilm über Underground<br />

Art führten sie 2005 das erste Mal nach Japan. Ihre<br />

Erlebnisse im Land der aufgehenden Sonne bildeten die<br />

Grundlage für die stark beachtete Kurzgeschichtensammlung<br />

«Zehn». Die Schauspielerei hängte Franka Potente<br />

natürlich nie an den Nagel. Sie spielte unter anderem in<br />

den Erfolgsserien «Dr. House», «American Horror Story»<br />

sowie «Psych» und verkörperte Beate Uhse in «Beate<br />

Uhse – Das Recht auf Liebe». Heute lebt Franka Potente<br />

in Los Angeles. Sie ist mit dem Schauspieler Derek<br />

Richardson («Anger Management») verheiratet, mit dem<br />

sie eine gemeinsame Tochter hat.


12 | Interview Books Nr. 2/2014 Im Schaufenster | 13<br />

Die Grundidee ist aber erhalten geblieben.<br />

Die verschachtelte Erzählweise finde ich<br />

unheimlich spannend – es gibt ja in der<br />

Geschichte auch viele Rückblenden. So<br />

bekommt man beim Lesen immer wieder<br />

Hinweise auf das grosse Ganze, und diese<br />

Hinweise interpretiert man für sich. Was<br />

wirklich stimmt, erfährt man erst im Lauf<br />

der Lektüre.<br />

Genau so geht es der Hauptfigur, Tim<br />

Wilkins.<br />

Ja, er ist ein Mensch, der immer tiefer<br />

in eine Extremsituation schlittert und<br />

dabei mit jedem neuen Tag klarer sieht.<br />

Erst verlässt ihn seine Frau aus für ihn<br />

zunächst unerklärlichen Gründen. Dann<br />

wird er aufgrund der Rezession gefeuert,<br />

steht vor dem Nichts, und seine Dämonen<br />

kommen wieder an die Oberfläche. Mich<br />

interessierte, wie ein Mensch in einer<br />

solchen Situation reagiert. Tim merkt Stück<br />

für Stück, dass er in den ganzen Jahren,<br />

in denen er von früh bis spät gearbeitet<br />

hat, von seinem Leben eigentlich nichts<br />

mitbekommen hat.<br />

Und plötzlich trifft ihn die Realität wie<br />

ein Kantholz ...<br />

Das ist aber an sich nicht die wirkliche<br />

Tragik. Viel schlimmer ist doch, dass er<br />

all die Dinge, die auf ihn einprasseln,<br />

hätte erkennen, bemerken und zum Teil<br />

auch verhindern können. Es handelt sich<br />

immerhin um sein Leben! Doch er entschied<br />

sich wegzuschauen. Er hat ja noch<br />

nicht mal mitbekommen, dass seine Frau<br />

etwas mit seinem besten Freund hatte<br />

und dass dieser Freund schon vor zwei<br />

Jahren gestorben ist. Auf Dauer kann man<br />

dem Leben allerdings nicht entkommen;<br />

irgendwann wird man gezwungen, damit<br />

umzugehen.<br />

Glauben Sie denn, dass ein Mensch über<br />

Jahre hinweg verdrängen und wegschauen<br />

kann?<br />

Natürlich! Fast jeder kennt doch scheinbar<br />

glücklich verheiratete Paare, die sich nach<br />

vielen Jahren plötzlich trennen. Spricht<br />

man mit ihnen über die Gründe, wundert<br />

man sich oft: Und das habt ihr nicht kommen<br />

sehen? Andere wiederum ignorieren<br />

ewig lang Zeichen ihres Körpers. Oder sie<br />

bekommen nicht mit, was in ihren Kindern<br />

vorgeht – und sind dann überrascht, wenn<br />

die Probleme da sind. Ich glaube, es liegt in<br />

der Natur des Menschen, Dinge auszublenden,<br />

mit denen er nicht umgehen kann.<br />

... bis man auf dem Boden der Realität<br />

aufschlägt, zumindest?<br />

Manchmal ist das Aufschlagen nötig, damit<br />

man den Blick nach innen und auf sich<br />

selbst richtet. Unser Leben ist so hektisch<br />

und wir sind derart mit unserem äusseren<br />

Dasein beschäftigt, dass uns die Zeit und<br />

die Musse fehlen, uns mit uns selbst zu<br />

beschäftigen.<br />

Als Tim diese Musse aufgedrückt<br />

bekommt, versucht er erst einmal, in<br />

kürzester Zeit alles nachzuholen, was er<br />

verpasst haben könnte, getreu dem Motto:<br />

Sex and Drugs and Rock’n’Roll.<br />

Diese Reaktion habe ich schon oft beobachtet<br />

– bei Männern und bei Frauen. Da<br />

wird erst einmal krampfhaft versucht, die<br />

Stille mit Aktivitäten zu füllen, die man<br />

«immer schon mal machen wollte». Man<br />

zündet sich wieder eine Zigarette an, sitzt<br />

stundenlang vor dem Fernseher, geht auf<br />

wilde Partys und versucht sich einzureden,<br />

dass jetzt alles viel besser ist, weil<br />

einem niemand mehr vorschreibt, was<br />

man zu tun und zu lassen hat. Dass Tim<br />

so extrem überkompensiert, fast bis zum<br />

eigenen Tod, rührt daher, dass er jahrelang<br />

wie ein Roboter für seinen Job funktioniert<br />

hat. Ihn dann ausflippen zu sehen,<br />

ist gleichzeitig komisch und tragisch.<br />

Erst als er körperlich und mental am<br />

absoluten Nullpunkt angekommen ist,<br />

rappelt er sich wieder hoch.<br />

Man muss eben erst etwas verlieren, um<br />

zu erkennen, was einem fehlt. Die Ehe, die<br />

Freunde, seinen Sohn – all das hat Tim für<br />

selbstverständlich genommen, was übrigens<br />

auch sehr menschlich ist und uns<br />

allen passiert. Aber jedes Ende ist immer<br />

auch ein Anfang, eine neue Chance.<br />

Sie betonen oft Tims körperliche Grösse,<br />

dass er in sein bisheriges Leben sozusagen<br />

nicht hineinpasste. Kann denn so<br />

ein Bär von einem Mann derart in sich<br />

zusammenbrechen?<br />

Ja, und zwar gerade weil er so gross ist.<br />

Ein so grosser Mensch fällt immer auf,<br />

kann sich nicht verstecken oder sich mit<br />

seinem Schmerz irgendwo verkriechen.<br />

Ich habe so jemanden interviewt, das war<br />

total spannend, verrückt und auch traurig.<br />

Sein Neuanfang führt Tim nach dem Tod<br />

des verhassten Vaters auch wieder in<br />

den Schoss der Kleinstadtfamilie, also<br />

in den einen Teil seines Lebens, den er<br />

bewusst immer verdrängt hat.<br />

Familie ist Familie, etwas Besonderes.<br />

Es kommt doch oft vor, dass man sich an<br />

einen Familienanlass schleppt, auf den<br />

man keine Lust hat. Und plötzlich ist da<br />

etwas Warmherziges, etwas, bei dem<br />

man sich wohlfühlt. Der Tod des Vaters ist<br />

dabei so eine Art Türöffner. Tims Feindbild<br />

lebt nicht mehr, und das verleiht ihm<br />

eine neue Offenheit gegenüber seiner<br />

Schwester und seinen Verwandten, die er<br />

nun auch anzunehmen bereit ist. Tim ist<br />

zu diesem Zeitpunkt bereits sehr einsam,<br />

deshalb tut ihm der Gang aus der Grossstadt<br />

zurück zu seinen Wurzeln in der<br />

Kleinstadt in Arkansas sehr gut.<br />

Apropos Grossstadt: Los Angeles kommt<br />

als Stadt zuweilen nicht besonders gut<br />

weg. Überzeichnen Sie da ein wenig –<br />

oder haben Sie die Stadt als Zuzügerin<br />

tatsächlich so erfahren?<br />

So schlecht kommt Los Angeles doch gar<br />

nicht weg! Aber ich gestehe: Als ich vor<br />

etwa zehn Jahren herkam, fand ich die<br />

Stadt ziemlich besch...eiden. Mittlerweile<br />

hat sich vieles zum Positiven verändert,<br />

und ich weiss auch, wo die schönen Orte<br />

sind. Letztlich kommt es aber immer auf<br />

das Auge des Betrachters an, wie eine<br />

Stadt wirkt. Fährt man mit dem Auto<br />

irgendwo hin, wirkt die Landschaft bei<br />

klassischer Musik ja auch anders, als<br />

wenn Rammstein aus den Boxen dröhnt.<br />

Und wenn es einem so dreckig geht wie<br />

Tim, kann eine Grossstadt leicht zu einem<br />

Moloch werden.<br />

Was ist denn die sprichwörtliche Moral<br />

von der Geschicht’?<br />

Da ziehe ich mich auf den Standpunkt<br />

der Autorin zurück und überlasse es den<br />

Lesenden, für sich eine Moral von der Geschicht’<br />

zu finden. Meine Arbeit ist getan.<br />

Mir persönlich gefällt jedenfalls der Gedanke,<br />

dass es immer eine zweite Chance<br />

gibt, wenn man sie sucht und bereit ist,<br />

sich der Herausforderung zu stellen.<br />

Am Anfang des Gesprächs sagten Sie,<br />

«Allmählich wird es Tag» sei eigentlich<br />

eine Drehbuchidee gewesen. Wen würden<br />

Sie besetzen?<br />

Damals dachte ich an Tim Robbins, der ja<br />

auch fast zwei Meter gross ist. Auf jeden<br />

Fall müsste es ein Hüne sein. Alle anderen<br />

müssten dann relativ klein sein, damit es<br />

im Film noch dramatischer wirkt.<br />

Und Donald Sutherland in der Rolle des<br />

Vaters?<br />

Gute Idee! «Allmählich wird es Tag» auf<br />

der Kinoleinwand zu sehen, ist jedenfalls<br />

ein Traum von mir.<br />

Zurück zum Start<br />

Der neue Roman von John Grisham, «Die Erbin», wird von Kritikern<br />

als einer seiner besten bezeichnet. Das will etwas heissen,<br />

denn der ehemalige Strafverteidiger schreibt jedes Jahr<br />

einen dicken Justizthriller. Diesmal hat er sich in seinem reichen<br />

Fundus an Figuren bedient – und seinen Erstling fortgesetzt.<br />

Marius Leutenegger<br />

John Grisham ist der wohl weltweit bekannteste<br />

Autor von Justizthrillern. Er<br />

weiss, wovon er schreibt: Über zehn Jahre<br />

lang arbeitete er im US-Bundesstaat Mississippi<br />

als Strafverteidiger mit Spezialgebiet<br />

Körperverletzung. Als er Ende der<br />

1980er-Jahre die Zeugenaussage eines<br />

Vergewaltigungsopfers hörte, spann Grisham<br />

dessen Geschichte weiter – erst im<br />

Kopf, dann auf Papier. Jeden Morgen vor<br />

Öffnung der Kanzlei arbeitete er fortan einige<br />

Stunden lang an einem aufwühlenden<br />

Manuskript: In «Die Jury» erschiesst der<br />

Vater eines vergewaltigten schwarzen<br />

Mädchens die Täter vor dem Gericht, und<br />

der junge Anwalt Jack Brigance übernimmt<br />

dessen Verteidigung. Es geht um Rassenkonflikte<br />

und den Ku-Klux-Klan, um juristische<br />

Tricks, fiese Psychologie, grossartige<br />

Plädoyers, überraschende Zeugenaussagen<br />

und verwirrte Geschworene, die allmählich<br />

die Seite wechseln. Kurzum: In<br />

«Die Jury» steckt alles drin, was einen guten<br />

Justizthriller ausmacht.<br />

25 Jahre nach<br />

«Die Jury» gibt<br />

es jetzt ein<br />

Wiedersehen mit<br />

Jack Brigance.<br />

Dennoch war dem Buch zunächst kein<br />

grosser Erfolg beschieden; die Erstauflage<br />

betrug 1989 gerade einmal 5000 Exemplare.<br />

Doch Grisham hatte Blut geleckt. Sein<br />

zweiter Roman, «Die Firma», schlug dann<br />

ein wie die sprichwörtliche Bombe. Die Geschichte<br />

über einen jungen Anwalt, der sich<br />

plötzlich in äusserst dubiose und gefährliche<br />

Geschäfte verwickelt sieht, konnte sich<br />

1991 sagenhafte 47 Wochen lang an der<br />

Spitze der Bestsellerliste der New York<br />

Times festsetzen. Das dicke Buch wurde<br />

das meistverkaufte des Jahres, und in seinem<br />

Sog wurde dann auch Grishams Erstling<br />

«Die Jury» zum Bestseller.<br />

Der Erfolg motivierte Grisham, den Anwaltsberuf<br />

aufzugeben und ganz auf die<br />

Schriftstellerei zu setzen. Seither veröffentlicht<br />

er praktisch jedes Jahr einen so dicken<br />

wie packenden Justizthriller. «Die Jury»<br />

hat ihn offenbar nie ganz losgelassen, denn<br />

immer wieder tauchen Figuren aus jenem<br />

Roman in anderen Geschichten auf. Und<br />

jetzt, 25 Jahre nach der Erstveröffentlichung<br />

des Erstlings, gibt es in «Die Erbin»<br />

auch ein Wiedersehen mit Jack Brigance.<br />

Der engagierte, kluge, menschenfreundliche<br />

und erst noch gutaussehende junge<br />

Mann ist wohl der Anwalt, der John Grisham<br />

immer gern gewesen wäre und der er<br />

in mancherlei Hinsicht wohl auch war.<br />

Der Fall, der Jack Brigance diesmal beschäftigt,<br />

dreht sich nicht um Gewalt, sondern<br />

um Geld – um sehr viel Geld. Der wegen<br />

einer Krebserkrankung dem Tod<br />

geweihte Seth Hubbard hat sich erhängt.<br />

Weil er ein Menschenfeind wie aus dem<br />

Bilderbuch war, hält sich die Anteilnahme<br />

seiner beiden Kinder Ramona und Herschel<br />

sowie der Enkel in überschaubaren<br />

Grenzen. Bis zwei Bomben platzen: Hubbard<br />

war steinreich – und er vermachte<br />

sein Vermögen in letzter Minute seiner<br />

schwarzen Haushälterin Lettie Lang. Die<br />

Familie enterbte er, im Widerspruch zu einem<br />

früheren Testament.<br />

Der handschriftliche letzte Wille trifft am<br />

Montag nach dem Suizid per Post bei Jack<br />

Brigance ein. Und der hat jetzt die Aufgabe,<br />

das neue Testament gegen eine Horde von<br />

Anwälten durchzusetzen, die von Hubbards<br />

Familie eingesetzt wird. Die juristisch<br />

relevante Frage lautet: War Hubbard<br />

noch urteilsfähig, als er sein riesiges Vermögen<br />

der Haushälterin schenkte und diese<br />

zur reichsten Frau von Mississippi<br />

machte? Gleichzeitig wollen alle wissen:<br />

Ein Gerichtsfall motivierte John Grisham, sich als<br />

Schriftsteller zu versuchen.<br />

Warum hat er Lettie Lang, zu der er anscheinend<br />

keine persönliche Beziehung<br />

hatte, so grosszügig bedacht?<br />

Die Genrebezeichnung «Justizthriller»<br />

passt perfekt zu diesem Roman, denn er ist<br />

spannend von der ersten bis zur letzten<br />

Seite – und das will bei diesem Umfang etwas<br />

heissen. Gut dosiert lässt Grisham eine<br />

Katze nach der anderen aus dem Sack, und<br />

er jongliert gekonnt mit einer imposanten<br />

Vielfalt von Aspekten. Natürlich spielt der<br />

latente Rassismus in den Südstaaten der<br />

USA wieder eine wichtige Rolle, vor allem<br />

aber geht es um Beziehungen – zwischen<br />

Anwälten, zwischen Familienmitgliedern<br />

und Eheleuten, zwischen Menschen, die einander<br />

mögen oder verachten.<br />

Dass die Hauptfigur Jack Brigance kaum<br />

Kanten hat, macht sie eher uninteressant,<br />

aber dafür gibt es wie immer bei Grisham<br />

eine grosse Zahl faszinierender, sorgfältig<br />

herausgearbeiteter Nebencharaktere. Dass<br />

der Autor ein Philanthrop mit ausgeprägtem<br />

Gerechtigkeitssinn ist, merkt man spätestens,<br />

wenn einem auch noch der widerlichste<br />

Anwalt der Hubbard-Familie irgendwie<br />

sympathisch wird – und am Ende jede Figur<br />

das bekommt, was sie verdient.<br />

Die Erbin<br />

701 Seiten<br />

CHF 38.90<br />

Heyne<br />

© Maki Galimberti


14 | SCHÖNE BÜCHER Books Nr. 2/2014 SCHÖNE BÜCHER | 15<br />

Von Stadt und Land<br />

Es gibt Bücher, die sich kaum für den eReader eignen – weil sie ein haptisches Erlebnis bieten<br />

oder sich durch prächtige Bilder und hohe Repräsentanz auszeichnen. Besonders viele solcher<br />

Bände findet man in der Abteilung für Kunst-, Architektur-, Design- und Fotobücher der<br />

Orell-Füssli-Filiale Kramhof in Zürich. Abteilungsleiterin Mirjam Kühnis hat für Books einige<br />

aussergewöhnliche Neuerscheinungen ausgewählt.<br />

Marius Leutenegger<br />

«In ihrem erfolgreichen Buch ‹Bergwärts›<br />

präsentierten Mirko Beetschen und Stéphane<br />

Houlmann 2012 zeitgemässes<br />

Wohnen in den Alpen, in ‹Men’s Homes›<br />

dokumentierten sie 2013, wie 20 kreative<br />

Männer leben. Gerade eben ist das dritte<br />

Buch der beiden nach Zürich ausgewanderten<br />

Berner erschienen: In ‹Wohnort<br />

Zürich› zeigen sie, wie man in Downtown<br />

Switzerland lebt. Nämlich ausserordentlich<br />

vielfältig, im renovierten Handwerkerhaus<br />

ebenso wie in der Luxusvilla, in<br />

«Wohnort Zürich» von Mirko Beetschen und Stéphane<br />

Houlmann zeigt, wie vielfältig man heute in<br />

Downtown Switzerland lebt. © Bruno Helbling<br />

der Fabrikloft oder im Hochhaus-Appartement.<br />

Beetschen und Houlmann porträtieren<br />

auch die Bewohner der schönen Räume<br />

und schaffen auf diese Weise ein<br />

buntes Mosaik vom Leben in der grössten<br />

Schweizer Stadt. Doch es geht in ‹Wohnort<br />

Zürich› nicht allein um Innenausstattung,<br />

sondern auch um die Stadt als Ganzes:<br />

In eindrücklichen Bildern werden die<br />

wichtigsten Monumente und schönsten<br />

Plätze gezeigt – oft aus überraschender<br />

Perspektive –, ein Cityguide verweist zudem<br />

auf die Hotspots in den Bereichen<br />

Architektur, Design, Gastronomie und<br />

Shopping. Der schön gestaltete Band packt<br />

das Flair der Stadt zwischen zwei Buchdeckel<br />

– und ist damit eine Publikation für<br />

alle, die Zürich mögen oder etwas mehr<br />

über die Stadt erfahren möchten.


16 | SCHÖNE BÜCHER Books Nr. 2/2014 SCHÖNE BÜCHER | 17<br />

Die Vielfalt von Zürich mag für die Schweiz<br />

verblüffend sein – mit jener von New York<br />

lässt sie sich nicht vergleichen. Das beweist<br />

der kleine Fotoband<br />

‹New York is ...›<br />

der Zürcherinnen Nadine<br />

Ottawa und Nuria<br />

Furrer. Gemeinsam<br />

machten sich die Fotografin<br />

und die Journalistin<br />

auf nach New<br />

full of laws<br />

York, um dort auf der<br />

Strasse wildfremde Personen<br />

anzusprechen<br />

und sie zu bitten, den<br />

Satz ‹New York is ...›<br />

zu vervollständigen.<br />

Wer Auskunft gab, wurde porträtiert;<br />

Nuria Furrer sagt, die Bereitschaft<br />

der New Yorker, an diesem<br />

Projekt teilzunehmen, sei enorm<br />

gewesen, niemand habe eine Mitwirkung<br />

abgelehnt. Natürlich haben<br />

sich die beiden Frauen eher<br />

auf etwas ungewöhnlichere Erscheinungen<br />

fokussiert, das macht<br />

madness<br />

ihr Buch denn auch sehr bunt, abwechslungsreich<br />

und eindrücklich.<br />

Weil die Porträtierten immer<br />

vor einem neutralen Hintergrund<br />

aufgenommen wurden, kommt<br />

man kaum auf die Idee, dass hier<br />

auf belebten Strassen und Plätzen<br />

fotografiert wurde. Ich finde die<br />

Kombination dieser ungewöhnlichen Porträts<br />

und der kurzen, oft überraschenden<br />

Aussagen spannend. Die Bilder laden<br />

dazu ein, sich zu überlegen, was für Menschen<br />

hier gezeigt werden. Diese geben ja<br />

eigentlich sehr wenig von sich preis, nur<br />

ein paar Worte und ihr Gesicht, aber das<br />

reicht auf jeden Fall, um Neugierde auszulösen.<br />

Ich empfehle das Buch allen, die<br />

New York mögen oder sich gern mit guter<br />

Porträtfotografie beschäftigen.<br />

a pot of gold<br />

Bleiben wir im städtischen Umfeld – aber<br />

ändern wir den Fokus in die grüne Richtung:<br />

Mein nächster Tipp ist ‹An die Töpfe,<br />

gärtnern, los!› von Gudrun Ongania. Die<br />

Autorin ist Gründerin von Vegandthecity,<br />

einer Organisation, die sich ganz dem<br />

Stadtgärtnern verschrieben hat und die in<br />

einem Shop in Zürich die entsprechenden<br />

Produkte anbietet. Das tolle Buch fasst alles<br />

zusammen, was es rund um Gemüseanbau<br />

in der Stadt und auf dem Balkon zu wissen<br />

«An die Töpfe, gärtnern, los!»<br />

von Gudrun Ongania vermittelt<br />

alles, was es über das Stadtgärtnern<br />

zu wissen gibt.<br />

© Johanna Muther,<br />

Haupt Verlag 2014<br />

the world's best<br />

playground<br />

«New York is …» zeigt das Allerbeste,<br />

was die Weltstadt zu bieten hat: ihre<br />

Einwohnerinnen und Einwohner.<br />

© Kerber-Verlag 2014<br />

gibt. Mit seinen vielen Checklisten, Faustregeln<br />

und leicht verständlichen Anleitungen<br />

eignet es sich ideal für Anfänger. Welcher<br />

Garten passt zu mir? Welche Pflanzen<br />

gehören in welche Gefässe? Wie gedeihen<br />

Tomaten im winzigen Garten? Das Ideenbuch<br />

stellt auch viele Stadtgärten im deutschen<br />

Sprachraum vor und liefert erst<br />

noch gute Rezepte. Schliesslich soll man ja<br />

auch wissen, was man mit dem Stadtgemüse<br />

alles anstellen kann!<br />

Nun gehen wir noch ein bisschen weiter<br />

hinaus ins Grüne. Hermann Hesse war<br />

eine Doppelbegabung – als Schriftsteller<br />

und Maler. Vor allem während seiner Tessiner<br />

Zeit von 1919 bis zu seinem Tod<br />

1962 schuf Hesse ein umfangreiches bildnerisches<br />

Werk aus Aquarellen, Illustrationen<br />

und Zeichnungen. Die Umgebung<br />

seines Wohnorts Montagnola in der Nähe<br />

von Lugano war und ist ja auch mehr als<br />

malerisch. Verwaltet wurde das bildnerische<br />

Werk des Literaturnobelpreisträgers<br />

von dessen 2003 verstorbenem Sohn Heiner<br />

Hesse, der selber Illustrator war und<br />

der auch das Hermann-Hesse-Museum in<br />

Montagnola ins Leben rief. Aus dem Nachlass<br />

von Heiner Hesse wurde jetzt eine<br />

schöne Wanderausstellung konzipiert:<br />

‹Mit Feder und Farbe›. Parallel zur Ausstellung<br />

ist ein Buch erschienen, das die<br />

schönsten Skizzen, Zeichnungen und<br />

Aquarelle von Hermann Hesse zeigt. Darüber<br />

hinaus gibt das Buch Einblick in die<br />

Beziehung zwischen Hermann und Heiner<br />

Hesse, und auch der Enkel des Schriftstellers,<br />

Silver Hesse, kommt ausführlich<br />

zu Wort. Mich haben bei diesem Buch vor<br />

allem die Aquarelle von Hesse angesprochen;<br />

sie sind sehr farbenfroh und fangen<br />

die Atmosphäre des Tessins gut ein. Die<br />

Werke sind aber alles andere als oberflächlich;<br />

zur Malerei fand Hesse aufgrund<br />

eines Rats seines Psychiaters, und<br />

man spürt, wie wichtig für ihn das bildnerische<br />

Schaffen war und wie sehr er sich<br />

mit seiner Umgebung auseinandersetzte.<br />

Schade, wird diese Ausstellung nur in<br />

Deutschland gezeigt.»<br />

Bildende Kunst vom Literaturnobelpreisträger<br />

Hermann Hesse.<br />

Oben: «Noranco», Aquarell, 1922.<br />

Unten: «Verso Arasio», Aquarell,<br />

Bleistift und Kreide, 1925.<br />

© Hermann-Hesse-Editionsarchiv<br />

Volker Michels, Oenbach am Main<br />

Mirjam Kühnis, 38, leitet die Kunst-,<br />

Architektur-, Design- und Fotobuch-<br />

Abteilung in der Orell-Füssli-Filiale Kramhof<br />

Zürich. Neben klassischen Bildbänden<br />

bietet die Abteilung auch viele originelle<br />

Neuerscheinungen zu sämtlichen Themen<br />

rund um Mode, Inneneinrichtung, Fotografie<br />

und Style – sowie unzählige Bücher, die<br />

sich zum Schenken eignen.<br />

Wohnort Zürich<br />

Mirko Beetschen,<br />

Stéphane Houlmann<br />

208 Seiten<br />

CHF 74.90<br />

dva<br />

New York is ...<br />

Nadine Ottawa,<br />

Nuria Furrer<br />

160 Seiten<br />

CHF 34.90<br />

Christof Kerber<br />

An die Töpfe,<br />

gärtnern, los!<br />

Gudrun Ongania<br />

192 Seiten<br />

CHF 39.90<br />

Haupt<br />

Hermann Hesse:<br />

Mit Feder und<br />

Farbe<br />

Werke aus dem<br />

Nachlass Heiner<br />

Hesse<br />

175 Seiten<br />

CHF 35.90<br />

Hatje Cantz


18 | BUCHTIPPS Books Nr. 2/2014 Im Schaufenster | 19<br />

Christos Tsiolkas<br />

Barrakuda<br />

Danny ist ein Schwimmtalent und<br />

voller Ehrgeiz. So hat er auch seinen<br />

Spitznamen «Barrakuda» erhalten –<br />

aggressiv wie ein Raubfisch kämpft<br />

der Junge aus der Working Class um<br />

Erfolg und Anerkennung. Als ihm ein<br />

Stipendium die Tür zu einer Eliteschule<br />

in Melbourne öffnet, scheint sich<br />

das harte Training auszuzahlen. Doch<br />

dann scheitert Danny – an seinen<br />

Erwartungen und jenen der anderen.<br />

«Barrakuda» ist ein Roman über<br />

einen Aussenseiter, der in der modernen<br />

Leistungsgesellschaft seinen<br />

Platz sucht. Autor Christos Tsiolkas<br />

zeichnet ein kritisches Bild von Australien,<br />

wo er als Sohn griechischer<br />

Einwanderer geboren wurde. Sein<br />

letzter Roman «Nur eine Ohrfeige»<br />

wurde ein Weltbestseller und erhielt<br />

mehrere Auszeichnungen. Auch<br />

«Barrakuda» wurde von den englischen<br />

Kritikern bereits hochgelobt.<br />

467 Seiten<br />

CHF 33.90<br />

Klett-Cotta<br />

ISBN 978-3-608-98013-4<br />

Ildikó von Kürthy<br />

Sternschanze<br />

Nicola Lubitz hatte alles – jetzt hat<br />

sie nichts mehr. Ein Babyfon, eine unpassende<br />

Kostümierung und extrem<br />

ungünstige Umstände haben aus ihr<br />

über Nacht eine Frau ohne Mann,<br />

ohne Geld und ohne nennenswertes<br />

Selbstbewusstsein gemacht. Im Hamburger<br />

Stadtteil Sternschanze findet<br />

sie eine neue Wohnung und neue<br />

Freunde, doch das bietet ihr nur eine<br />

Rettung auf Zeit.<br />

Der neue Roman der Autorin von<br />

«Mondscheintarif» ist die Geschichte<br />

einer Frau, die wieder bei null<br />

anfangen muss. Es geht um Hoffnung<br />

und darum, wie man sie am besten<br />

aufgibt. Es geht um Sex, Betrug,<br />

Verzeihen, Augenlid-Korrekturen,<br />

Liebe und Hornhaut an den Fersen.<br />

Um das Leben einer ganz normalen<br />

Frau eben.<br />

320 Seiten<br />

CHF 28.90<br />

Wunderlich<br />

ISBN 978-3-8052-5055-9<br />

Jojo Moyes<br />

Weit weg und<br />

ganz nah<br />

Mit ihrem Roman «Ein ganzes halbes<br />

Jahr» landete die britische Schriftstellerin<br />

Jojo Moyes letztes Jahr einen<br />

Riesencoup. Radio SRF 2 bezeichnete<br />

es als «den schönsten und traurigsten<br />

Liebesroman des Jahres», und die<br />

Rezensentin der New York Times war<br />

nach der Lektüre des Buchs gar in Tränen<br />

aufgelöst; eine Million Exemplare<br />

der deutschen Ausgabe ging über den<br />

Ladentisch.<br />

Nun setzt Moyes neustes Werk «Weit<br />

weg und ganz nah» zum Sturm auf die<br />

Bestsellerlisten an – ein Roman über<br />

eine Frau, deren Leben alles andere<br />

als rund läuft. Bis ihr ein unverhoffter<br />

Geldsegen und eine ebenso<br />

unverhoffte Begegnung einen Ausweg<br />

aufzeigen, sie aber in ein tiefes Dilemma<br />

stürzen.<br />

544 Seiten<br />

CHF 22.90<br />

Rowohlt<br />

ISBN 978-3-499-26736-9<br />

Claude Cueni<br />

Script Avenue<br />

Der Basler Autor Claude Cueni hat<br />

sich mit historischen Romanen einen<br />

Namen gemacht. In seinem neuen Buch<br />

ist aber nicht ein Druidenlehrling oder<br />

ein Henker wider Willen die Hauptfigur<br />

– sondern er selbst. In «Script Avenue»<br />

erzählt Cueni seine Biografie, und die<br />

steht seinen fiktiven Erzählungen in<br />

nichts nach.<br />

Die Lebensgeschichte von Claude<br />

Cueni ist eine Geschichte über die<br />

Flucht aus dem religiösen Wahn im<br />

schweizerischen Jura in eine eigene,<br />

fantastische Welt – die Welt der Script<br />

Avenue. Und es ist die Geschichte<br />

eines grossen Überlebenswillens. Vor<br />

fünf Jahren erhielt Cueni den Bescheid,<br />

dass er an Leukämie erkrankt ist, und<br />

trotz einer Knochenmarktransplantation<br />

ist er noch immer schwer krank.<br />

672 Seiten<br />

CHF 44.90<br />

Wörterseh<br />

ISBN 978-3-03763-043-3<br />

Mitgefühl für einen<br />

Betrüger<br />

In ihrer Heimat Dänemark ist Anna Grue ein Star – ihre Bücher<br />

über Detektiv Dan Sommerdahl sind Bestseller. Mit «Der Judaskuss»<br />

liegt jetzt der zweite Sommerdahl-Krimi auf Deutsch vor.<br />

Die Geschichte über einen mysteriösen Mord und einen gerissenen<br />

Heiratsschwindler überzeugt durch raffinierte Perspektivenwechsel.<br />

Thomas Mäder<br />

Anna Grue weckt Sympathien für einen Hochstapler.<br />

Klassischer kann ein Krimi kaum beginnen:<br />

mit einem Mord. Das Opfer ist ein junger IT-<br />

Nerd, der brutal erschlagen in einem Gartenschuppen<br />

entdeckt wird. Warum der junge<br />

Mann sterben musste, bleibt lang im<br />

Dunkeln, in dem die Polizei in diesem Fall<br />

tappt. Und Anna Grues Romanheld Dan<br />

Sommerdahl hat zunächst andere Pläne, als<br />

erneut den Detektiv zu spielen. Noch immer<br />

ist er von einem Burnout gezeichnet, der ihn<br />

bei seiner früheren Arbeit als Kreativdirektor<br />

einer Werbeagentur ereilte. Mittlerweile<br />

hat er sich als Werbetexter selbstständig gemacht,<br />

und er versucht, mit langen Joggingtouren<br />

die Geister der Vergangenheit zu vertreiben.<br />

Sein fester Entschluss, nicht mehr<br />

der «kahlköpfige Detektiv» zu sein, zu dem<br />

ihn die Zeitungen nach Aufklärung des letzten<br />

Falls stilisierten, gerät allerdings ins Wanken,<br />

als ihn seine Tochter Laura um Hilfe<br />

bittet: Ihre Lieblingslehrerin am Internat ist<br />

einem Heiratsschwindler aufgesessen. Der<br />

junge Mann, der sich Jakob Heurlin nannte,<br />

hat sich mit ihren Lottomillionen aus dem<br />

Staub gemacht. Seiner Tochter zuliebe übernimmt<br />

Sommerdahl den Fall.<br />

Gebrochene Herzen, leere Konten<br />

Bei seinen Ermittlungen stösst Dan Sommerdahl<br />

bald auf weitere Frauen, denen<br />

der angebliche Jakob Heurlin Liebe vorgegaukelt<br />

hatte und die am Ende mit einem<br />

gebrochenen Herzen und einem leeren<br />

Bankkonto dasassen. Eine der älteren<br />

Frauen musste die Affäre mit dem jungen<br />

Liebhaber gar mit dem Leben bezahlen.<br />

Nach und nach zeigen sich Verbindungen<br />

zwischen dem Mord am jungen Informatiker<br />

und dem gerissenen Heiratsschwindler,<br />

dessen wechselnde Identitäten immer die<br />

gleichen Initialen J.H. aufweisen. Und immer<br />

stärker rückt eine obskure Sekte in den<br />

Vordergrund, bei welcher der getötete junge<br />

Mann und seine Mutter Mitglied waren.<br />

Dan Sommerdahls Jugendfreund, Kommissar<br />

Flemming Torp, gelingt es nur mit<br />

Mühe, die Mauer des Schweigens um die<br />

Sekte zu durchbrechen.<br />

Zwischen Abscheu und Verständnis<br />

Das Verhör, bei dem diese Mauer zu bröckeln<br />

beginnt, geht unter die Haut. Mit<br />

nüchterner Selbstverständlichkeit erzählen<br />

die Sektenmitglieder darüber, wie im religiösen<br />

Wahn Familien auseinander gerissen<br />

und ungehorsame Kinder brutal gezüchtigt<br />

werden. Die Sekte mag erfunden sein, doch<br />

die geschilderten Vorgänge entsprechen einer<br />

tatsächlich existierenden Realität. So<br />

richtig zu Hochform läuft Anna Grue dann<br />

aber bei der Schilderung des Heiratsschwindlers<br />

J.H. auf. Viele Kapitel des<br />

Buchs sind aus seiner Perspektive erzählt.<br />

Je tiefer sich Anna Grue ins Innenleben von<br />

J.H. vorwagt, desto stärker wird das Bild<br />

des eiskalten Betrügers aufgeweicht. Der<br />

Mann, der so tiefe und ehrliche Liebe vorzutäuschen<br />

weiss, erhält im Lauf des Buchs<br />

mehr und mehr ein menschliches Antlitz.<br />

So empfindet man als Leser irgendwann<br />

Mitleid mit diesem schicksalsgebeutelten<br />

betrügerischen Gigolo und bringt schliesslich<br />

sogar etwas Verständnis für seine Taten<br />

auf. Anna Grue profitiert hier von einer<br />

Art «Catch-me-if-you-can»-Effekt. Wie bei<br />

dem im Film porträtierten Hochstapler<br />

empfindet man auch bei diesem Betrüger<br />

stets ein gewisses Mass an Bewunderung<br />

für die Raffinesse und die Unverfrorenheit<br />

der Schwindeleien, wenn auch J.H. im Gegensatz<br />

zu Frank W. Abagnale um einiges<br />

mehr Schaden anrichtet. Dennoch bleibt<br />

man gespalten zwischen Bewunderung,<br />

Abscheu und Mitleid für den jungen Mann.<br />

Im Körper eines Igels<br />

Geschickt arbeitet Anna Grue mit Perspektivenwechseln.<br />

Im Vorgängerroman «Die<br />

guten Frauen von Christianssund» schilderte<br />

sie den Mord zu Beginn aus der Ich-<br />

Perspektive, in «Der Judaskuss» erahnen<br />

wir aufgrund der Sicht eines Igels, dass<br />

eine Leiche im Gartenschuppen liegt. Stark<br />

ist auch der innere Monolog der betrogenen<br />

Kunstlehrerin Ursula. Wie sie über beide<br />

Ohren verliebt ihr Glück kaum fassen<br />

kann, erhält man einen Eindruck davon,<br />

warum J.H. so erfolgreich ist mit seinem<br />

Schwindel. Hauptfigur der Erzählung bleibt<br />

aber der Werber und Detektiv wider Willen<br />

Dan Sommerdahl. Eigenartigerweise gelingt<br />

es Anna Grue bei ihm weniger gut als<br />

bei den Nebenfiguren, einen überzeugenden<br />

Charakter zu zeichnen: Zu aufgesetzt<br />

wirkt oft sein Macho-Gehabe, und auch die<br />

Eifersucht auf Kommissar Flemming Torp,<br />

den Ex-Liebhaber seiner Frau, mag man<br />

Sommerdahl nicht recht abnehmen. Dem<br />

Lesevergnügen tut dies aber keinen Abbruch.<br />

Denn die geschickt portionenweise<br />

immer weiter aufgefächerten Hintergründe<br />

der Betrügereien und letztlich auch des<br />

Mords am jungen Informatiker halten die<br />

Spannung über die ganze Länge des Buchs<br />

aufrecht. Und Dan Sommerdahl, so versprach<br />

Anna Grue unlängst der Zeitung<br />

Welt, soll sich im Lauf der auf zehn Bände<br />

angelegten Serie charakterlich weiterentwickeln.<br />

Es ist der Autorin zuzutrauen,<br />

dass der Freizeit-Detektiv auch an Tiefe gewinnen<br />

wird.<br />

Der Judaskuss<br />

476 Seiten<br />

CHF 29.90<br />

Atrium


ich es<br />

gespürt.<br />

20 | <strong>Manga</strong> Books Nr. 2/2014 <strong>Manga</strong> | 21<br />

SOLANIN © 2006 Inio ASANO / SHOGAKUKAN<br />

… immer stärker<br />

geworden.<br />

Japanischer Exportschlager<br />

mit einem Schuss<br />

Rock’n’Roll<br />

nah_bei_dir_inhalt_01_01.indd 144<br />

Übergrosse Augen, süsse Stupsnasen und putzige Monster: So stellen sich Nichteingeweihte<br />

einen japanischen <strong>Manga</strong> vor. Die Comics, die nicht nur in ihrem Heimatland ein gigantischer<br />

Erfolg sind, präsentieren sich aber äusserst vielfältig. Books beleuchtet ein Phänomen, das<br />

heute weltweit eine riesige Fangemeinde in den Bann schlägt.<br />

Kennen Sie «Naruto», «Dragonball» und<br />

«Sailor Moon»? Nein? Dann sind Sie wohl<br />

kein <strong>Manga</strong>-Fan, denn diese Titel gehören<br />

zu den bekanntesten der japanischen Comic-Kultur.<br />

Bei uns wird Sie vermutlich<br />

niemand scheel anschauen wegen Ihrer<br />

Unkenntnis, in Japan wäre das aber ganz<br />

anders: Dort sind <strong>Manga</strong> ein echter Wirtschaftsfaktor<br />

und aus dem Buch- und Zeitschriftenhandel<br />

nicht mehr wegzudenken.<br />

Die Serie «One Piece», schon seit einiger<br />

Zeit der absolute Renner unter den <strong>Manga</strong>,<br />

verkaufte sich bis 2012 in Japan fast unglaubliche<br />

250 Millionen Mal. Statistisch<br />

gesehen besass damit jeder Einwohner,<br />

… ist<br />

dieses<br />

Gefühl …<br />

K<br />

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c<br />

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K<br />

nah_bei_dir_inhalt_01_01.indd 93<br />

Erik Brühlmann<br />

Und<br />

seitdem<br />

…<br />

13.10.2010 11:06:21 Uhr<br />

jede Einwohnerin des Inselstaats zwei<br />

Bände dieser Reihe! Es heisst nicht umsonst,<br />

dass in Japan mehr Papier für <strong>Manga</strong><br />

als für Toilettenpapier verwendet wird.<br />

Am Anfang waren Mönche<br />

Dass Menschen Geschichten in Bildern erzählen,<br />

ist eine uralte Tradition in vielen<br />

Kulturkreisen der Welt. Folgt man der<br />

<strong>Manga</strong>-Spur durch die Zeit, so stösst man<br />

im 8. Jahrhundert auf erste comicartige<br />

Zeichnungen im Horyu-Tempel in Nara;<br />

rund 200 Jahre später findet man satirische<br />

Karikaturen auf Papierrollen des buddhistischen<br />

Mönchs Sojo Toba. Ab dem 17.<br />

13.10.2010 11:04:12 Uhr<br />

Jahrhundert entstehen Holzschnittbilder,<br />

die sich um das unbeschwerte Leben und<br />

sexuelle Ausschweifungen drehen und sich<br />

grosser Beliebtheit erfreuen. Um diese Zeit<br />

herum taucht auch der Begriff «<strong>Manga</strong>»<br />

das erste Mal auf: Die «Hokusai-<strong>Manga</strong>»<br />

von Katsushika Hokusai zeigen in 15 Bänden<br />

skizzenhaft gezeichnete Szenen der<br />

japanischen Gesellschaft und Kultur der<br />

späten Edo-Zeit. Als erster Vorläufer moderner<br />

<strong>Manga</strong> gilt schliesslich die 1902 gezeichnete<br />

Geschichte «Tagosakus und Mokubes<br />

Besichtigung von Tokyo» von<br />

Rakuten Kitazawa.<br />

Aufschwung nach dem Krieg<br />

Nach dem Zweiten Weltkrieg beginnt dann<br />

die moderne <strong>Manga</strong>-Kultur Japans. Es entsteht<br />

eine regelrechte Industrie mit zahlreichen<br />

kleinen Verlagen. Eine wichtige<br />

Rolle bei dieser Entwicklung spielt Osamu<br />

Tezuka, ein Arzt, der nebenher als Zeichner<br />

für verschiedene Verlage arbeitet und<br />

dabei die Grundlagen des modernen <strong>Manga</strong><br />

legt. Bis zu seinem Tod 1989 zeichnet<br />

Osamu Tezuka rund 700 Geschichten – mit<br />

ein Grund, weshalb er in Japan als «Gott<br />

des <strong>Manga</strong>» tituliert wird. Die <strong>Manga</strong> und<br />

ihre filmischen Pendants, die Anime, treffen<br />

offenbar exakt den Nerv der Zeit. «Anders<br />

als zum Beispiel Comics in den USA<br />

haben sich <strong>Manga</strong> schnell zu einer Industrie<br />

entwickelt, in die sehr viel Geld fliesst<br />

und die enorme Gewinne abwirft», sagt<br />

Joachim Kaps. Er ist Geschäftsführer von<br />

«Tokyopop», einem der drei grossen <strong>Manga</strong>-Verlage<br />

Deutschlands. Es gibt in Japan<br />

zwei verschiedene Absatzkanäle: Einerseits<br />

bis zu 1000 Seiten umfassende wöchentliche<br />

oder zweiwöchentliche Magazine,<br />

die sehr billig an jedem Kiosk<br />

zu kaufen sind und jeweils Vorabdrucke<br />

der neusten Kapitel verschiedener<br />

Serien beinhalten; andererseits Taschenbücher,<br />

welche diese Kapitel im<br />

Abstand von mehreren Monaten in<br />

qualitativ hochwertiger Form nochmals<br />

zusammenfassen und um Bonuskapitel<br />

ergänzen. Diese Kombination aus Neugier<br />

auf das nächste Kapitel und Sammelleidenschaft<br />

der Taschenbücher schlägt sich<br />

in den Verkaufszahlen nieder: Allein die<br />

Taschenbücher haben 2012 in Japan einen<br />

Umsatz von umgerechnet 2,3 Milliarden<br />

Franken erzielt.<br />

Die Eroberung der alten Comic-Welt<br />

Die <strong>Manga</strong>-Kultur ist in der westlichen<br />

Welt lange Zeit unbekannt geblieben. «Die<br />

amerikanischen und europäischen<br />

Märkte hatten Japan ganz einfach<br />

nicht auf dem Radar – weder im Comic-<br />

noch im Literaturbereich», so<br />

Kaps. Dies änderte sich erst mit einem<br />

Anime namens «Akira», der<br />

1988 erschien und auf einem <strong>Manga</strong><br />

basiert. Der Film weckte auch in<br />

den USA und in Europa die Neugier<br />

der Comic-Gemeinden. Der eigentliche<br />

Durchbruch erfolgte bei uns<br />

aber erst vor etwa 18 Jahren, als die<br />

Serien «Dragonball» und «Sailor Moon»<br />

aus Japan importiert wurden. Mitentscheidend<br />

für den durchschlagenden Erfolg war<br />

wohl, dass «Sailor Moon» ein Kundensegment<br />

ansprach, das in der westlichen Comicwelt<br />

bis anhin zu kurz gekommen war:<br />

die Mädchen. Zu jener Zeit arbeitete Joachim<br />

Kaps bei Carlsen; dort erlebte er den<br />

unverhofften <strong>Manga</strong>-Boom hautnah mit.<br />

«Anfangs war der Buchhandel noch äusserst<br />

skeptisch, ob überhaupt jemand so<br />

etwas würde lesen wollen», erinnert er<br />

sich. «Die ersten Jahre zeigten dann aber<br />

schier unglaubliche Wachstumsraten bei<br />

den Umsätzen. Es war, als würde man einen<br />

Kuchen in einen Saal voller ausgehungerter<br />

Jugendlicher stellen.» Mittlerweile<br />

sind <strong>Manga</strong> aus den Buchhandlungen Europas<br />

nicht mehr wegzudenken. An der<br />

diesjährigen Leipziger Buchmesse belegten<br />

die drei grossen <strong>Manga</strong>-Verlage – Tokyopop,<br />

Carlsen und Egmont – gar eine<br />

Erfolgreiche <strong>Manga</strong>-Serien: Der Zweibänder «Solanin» (links)<br />

und die Endlos-Reihe «Death Note».<br />

«<strong>Manga</strong> haben sich<br />

schnell zu einer Industrie<br />

entwickelt,<br />

in die sehr viel<br />

Geld fliesst und die<br />

enorme Gewinne<br />

abwirft.»<br />

DEATH NOTE © 2003 by Tsugumi Ohba, Takeshi Obata / SHUEISHA Inc.


22 | <strong>Manga</strong> Books Nr. 2/2014<br />

manga | 23<br />

… die<br />

Gerechtigkeit!<br />

eigene Halle. «Und diese Halle war berstend<br />

voll», freut sich Joachim Kaps. «Die<br />

deathnote_inhalt_01_01.indd 129<br />

Verkaufszahlen unterstreichen diese Beliebtheit:<br />

Etwa 65 Prozent aller im Buchhandel<br />

erzielten Comic-Umsätze entfallen<br />

auf <strong>Manga</strong>; nur wenn ein neuer ‹Asterix›<br />

erscheint, ändert sich dieses Verhältnis<br />

kurzzeitig. Bei Tokyopop liegen wir derzeit<br />

satte 23 Prozent über dem Vorjahr.»<br />

Ich<br />

bin…<br />

<strong>Manga</strong> sind traditionellerweise schwarzweiss – hier ein Ausschnitt aus der Serie «Death Note».<br />

Der <strong>Manga</strong>, das unbekannte Lesewesen<br />

Nimmt man als unbedarfter Leser einen<br />

<strong>Manga</strong> zur Hand, erlebt man einige Überraschungen.<br />

Zunächst fällt auf, dass nur<br />

das Cover farbig ist. «Der Grund dafür ist,<br />

dass <strong>Manga</strong> in für Comic-Verhältnisse unglaublich<br />

kurzer Abfolge produziert werden»,<br />

erklärt Kaps. Wöchentlich werden<br />

pro Serie 25 oder 30 Seiten produziert – da<br />

bleibt einfach keine Zeit, die Geschichten<br />

zu kolorieren. «Oft gibt es neben dem Cover<br />

noch zwei oder vier farbige Bildseiten<br />

in einem Taschenbuch», ergänzt Kaps.<br />

«Diese definieren, wie die Figuren aussehen.<br />

Alles weitere erledigt die Fantasie der<br />

Lesenden.» Das sei im Markt kein Nachteil,<br />

ganz im Gegenteil: Die ersten <strong>Manga</strong>,<br />

die in den USA und Europa verkauft wurden,<br />

seien nachträglich koloriert worden,<br />

um sie dem bekannten bunten Comic-Erscheinungsbild<br />

anzugleichen. Schnell<br />

machten die Fans aber klar, dass sie lieber<br />

das Original wollten. Stutzig wird man<br />

auch, wenn man zu lesen beginnt und die<br />

Geschichte zunächst wenig Sinn ergibt –<br />

bis man merkt, dass der gewohnte Anfang<br />

des Buchs eigentlich das Ende der Geschichte<br />

ist. <strong>Manga</strong> werden nämlich von<br />

rechts nach links und von hinten nach vorn<br />

gelesen! Dies entspricht der traditionellen<br />

japanischen Leserichtung. Doch weshalb<br />

passt man die Leserichtung nicht den europäischen<br />

Gewohnheiten an? «Das wurde<br />

am Anfang versucht», erzählt Kaps.<br />

«Carlsen veröffentlichte damals das deutsche<br />

‹Dragonball› in japanischer, Egmont<br />

das deutsche ‹Sailor Moon› in europäischer<br />

Leserichtung.» Dafür mussten alle<br />

Seiten gespiegelt werden. «Ein Kollege aus<br />

Japan kommentierte dies so: Wir spiegeln<br />

die Mona Lisa ja auch nicht, wenn sie bei<br />

uns ausgestellt wird!» Das Publikum teilte<br />

diese Ansicht, sodass Egmont wieder umstellen<br />

musste. Vielleicht sei es ein bisschen<br />

wie beim Rock’n’Roll, mutmasst<br />

Kaps: Die Kids wollten etwas haben, was<br />

sich den Erwachsenen nicht sofort erschliesst.<br />

Eine aktive Szene<br />

Die <strong>Manga</strong>-Szene zeichnet sich durch eine<br />

äusserst treue und vor allem aktive Leserschaft<br />

aus – auch in künstlerischer Hinsicht.<br />

Kaps: «Damals bei Carlsen waren<br />

wir uns gewohnt, vielleicht einmal im Monat<br />

einen Brief eines Fans zu bekommen.»<br />

Z<br />

Z<br />

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R<br />

R<br />

…<br />

Ich<br />

bin…<br />

Bis zum<br />

nächsten<br />

Mal, Kira...<br />

<strong>Manga</strong>-Glossar<br />

02.08.2006 9:12:11 Uhr<br />

<strong>Manga</strong>: Der Begriff bedeutet im Japanischen<br />

einfach Comic; aus westlicher<br />

Sicht meint er Comics,<br />

die aus Japan stammen.<br />

<strong>Manga</strong>ka: Ein <strong>Manga</strong>-Künstler. In Japan leben<br />

rund 3000 hauptberufliche<br />

<strong>Manga</strong>ka; 90 Prozent von ihnen<br />

sind aber auf Nebenjobs angewiesen,<br />

um ihren Lebensunterhalt<br />

bestreiten zu können.<br />

Shojo: <strong>Manga</strong> für Mädchen.<br />

Shonen: <strong>Manga</strong> für Jungs.<br />

Josei: <strong>Manga</strong> für junge Frauen.<br />

Seinen: <strong>Manga</strong> für junge Männer.<br />

Ein Geheimtipp von<br />

Joachim Kaps, Geschäftsführer<br />

von «Tokyopop»:<br />

Solanin<br />

abgeschlossen in 2 Bänden<br />

Inio Asano<br />

206 Seiten<br />

CHF 19.90<br />

Tokyopop<br />

«Ein absoluter Geheimtipp ist der Autor<br />

Inio Asano, der eher ältere und auch<br />

erwachsene Leser anspricht. Seine ‹Solanin›-<br />

Reihe handelt vom Alltag japanischer Jugendlicher<br />

in einem düsteren, aber durchaus<br />

zeitgemässen Umfeld und ist auch etwas für<br />

Leser, die sich zu alt fühlen für Teenager-<br />

Vampire und Fantasy-Stories.»<br />

DEATH NOTE © 2003 by Tsugumi Ohba, Takeshi Obata / SHUEISHA Inc.<br />

Dies änderte sich mit «Dragonball»: «Plötzlich<br />

trafen waschkörbeweise Briefe und<br />

nachgezeichnete Figuren und Szenen ein<br />

– wir wussten gar nicht, wie uns geschah<br />

und wie wir damit umgehen sollten!» Ein<br />

Farbtupfer auf jeder Messe oder Convention<br />

sind jeweils die Cosplayer. Was zunächst<br />

nach einem Thema für «50 Shades of<br />

Grey» klingt, ist eigentlich ganz harmlos:<br />

Cosplay ist die Kurzform von Costume Play<br />

und bedeutet nichts anderes, als dass besonders<br />

eifrige Fans versuchen, sich mithilfe<br />

von meist selbst geschneiderten Kostümen<br />

in ihre Lieblingsfiguren zu verwandeln.<br />

«Eine solche Hingabe kenne ich aus keinem<br />

anderen Literaturbereich», sagt Kaps.<br />

Ihre Begeisterung lassen <strong>Manga</strong>-Fans auch<br />

die <strong>Manga</strong>ka – die Zeichner – spüren. Kaps:<br />

«<strong>Manga</strong>ka haben unter den Fans einen<br />

enormen Stellenwert. Das sehen wir jedes<br />

Mal, wenn wir japanische Zeichner zu<br />

deutschen Festivals einladen und die Signierstunden<br />

völlig überlaufen sind.»<br />

Immer mehr Zeichnerinnen<br />

Interessant ist, dass sich, anders als in den<br />

männlich dominierten amerikanischen<br />

und europäischen Comicszenen, weibliche<br />

und männliche <strong>Manga</strong>ka etwa die Waage<br />

halten. Zwar war die <strong>Manga</strong>-Kunst anfangs<br />

ebenfalls eine reine Männerdomäne. Dies<br />

änderte sich jedoch, als die ersten Frauen<br />

Geschichten für Mädchen zeichneten.<br />

Schnell merkten die Leserinnen, dass sich<br />

Zeichnerinnen besser in ihre Gedankenund<br />

Gefühlswelt hineinversetzen konnten<br />

als Zeichner, was schnell zu einem Aufschwung<br />

weiblicher <strong>Manga</strong>ka führte. Kaps:<br />

«Mittlerweile stehen auch hinter so mancher<br />

erfolgreichen Serie für Jungs Zeichnerinnen.»<br />

In Europa steckt die professionelle<br />

<strong>Manga</strong>-Zeichnerei noch in den Kinderschuhen.<br />

«Langsam entwickelt sich aber<br />

etwas», sagt Kaps, «und eine junge Zeichnerin<br />

wie Anna Hollmann hat mittlerweile<br />

auch schon einen beachtlichen Bekanntheitsgrad<br />

erreicht.» Wer nun daran denkt,<br />

vielleicht selbst eine Karriere als <strong>Manga</strong>ka<br />

einzuschlagen, sei jedoch gewarnt: «Einen<br />

200-Seiten-<strong>Manga</strong> zu zeichnen, ist ein Knochenjob,<br />

der weit über das Nachzeichnen<br />

bekannter Figuren hinausgeht!» Zum Vergleich:<br />

Ein Asterix-Band hat 48 Seiten –<br />

und erscheint in einem Rhythmus von rund<br />

drei Jahren ...<br />

Empfehlungen von<br />

Chiara Schäppi<br />

Chiara Schäppi,<br />

21, absolviert in<br />

der Buchhandlung<br />

Stauffacher in Bern<br />

ihre Buchhändler-<br />

Lehre. Das <strong>Manga</strong>-<br />

Fieber wurde bei<br />

ihr durch «Dragonball»<br />

ausgelöst.<br />

«In der Schulbibliothek<br />

war immer ein Gerangel darum,<br />

wer welchen Band ausleihen durfte!», erinnert<br />

sie sich. Ihr absoluter Lieblings-<br />

<strong>Manga</strong> sei aber «Death Note». «Die Geschichte<br />

ist sehr düster und handelt von<br />

einem Highschool-Jungen, der das Buch<br />

eines Todesgotts findet. Wen er dort einträgt,<br />

stirbt, und zwar auf die Weise, die<br />

der Junge bestimmt. Er beginnt, Gott zu<br />

spielen, weil es auf der Welt ja so viele böse<br />

Menschen gibt, die den Tod verdienen.<br />

Schnell merkt er aber, dass die Dinge nicht<br />

so einfach sind, wie er sie gern hätte. Eine<br />

wahnsinnig spannende Story!» In der<br />

Buchhandlung Stauffacher sind die Endlos-Serien<br />

sehr beliebt: die Piratenserie<br />

«One Piece» zum Beispiel oder die Ninja-<br />

Saga «Naruto». Chiara Schäppi: «Beide<br />

Shonen bieten viel Action und Abenteuer.<br />

Ebenfalls ein Renner ist ‹Detektiv Conan›.<br />

Darin geht es allerdings nicht um den Barbaren,<br />

sondern um einen detektivisch veranlagten<br />

Highschool-Jungen, der von einer<br />

Verbrecherorganisation mittels eines<br />

Serums in einen sechsjährigen Jungen mit<br />

dem Wissen eines 17-Jährigen verwandelt<br />

wird.» Für die weibliche Leserschaft ab<br />

etwa 15 Jahren empfiehlt Chiara Schäppi<br />

«Nah bei dir». «Dieser <strong>Manga</strong> behandelt<br />

alle Themen, die Mädchen im Teenageralter<br />

beschäftigen: die erste Liebe, die Probleme<br />

in der Schule, Schein und Sein und so<br />

weiter.» Und etwas für Erwachsene sei<br />

«Vertraute Fremde» von Jiro Taniguchi.<br />

«Alle seine Geschichten sind sehr ruhig,<br />

ohne viel Action, und sie handeln meist von<br />

alltäglichen Themen. Zeichnerisch gesehen<br />

ist dies so etwas wie ein Crossover<br />

zwischen <strong>Manga</strong> und Graphic Novel. <strong>Manga</strong><br />

wie diese räumen mit dem Vorurteil auf,<br />

dass <strong>Manga</strong> nur etwas für Kinder sind!»<br />

Death Note<br />

abgeschlossen in 12<br />

Bänden<br />

Takeshi Obata /<br />

Tsugumi Ohba<br />

192 bis 208 Seiten<br />

ca. CHF 13.00<br />

Tokyopop<br />

One Piece<br />

bislang 69 Bände<br />

Eiichiro Oda<br />

192 bis 256 Seiten<br />

ca. CHF 10.00<br />

Carlsen<br />

Naruto<br />

bislang 63 Bände<br />

Masashi Kishimoto<br />

192 bis 208 Seiten<br />

ca. CHF 10.00<br />

Carlsen<br />

Detektiv Conan<br />

bislang 79 Bände<br />

Gosho Aoyama<br />

192 Seiten<br />

ca. CHF 12.00<br />

Egmont <strong>Manga</strong><br />

Nah bei dir – Kimi<br />

ni Todoke<br />

bislang 19 Bände<br />

Karuho Shiina<br />

192 Seiten<br />

ca. CHF 13.00<br />

Tokyopop<br />

Vertraute Fremde<br />

Jiro Taniguchi<br />

409 Seiten<br />

CHF 32.90<br />

Carlsen


24 | Spezial – Zu Berge! Books Nr. 1/2014 Spezial – Zu Berge! | 25<br />

Books<br />

Spezial<br />

Zu Berge!<br />

Die Alpen sind Lebensraum, Erholungsgebiet, Wirtschaftsfaktor<br />

– und ein literarisches Thema. Max Frisch<br />

schrieb 1946 in sein Tagebuch: «Die plötzliche Lust<br />

zum Klettern, überhaupt die Gier, den Dingen wieder<br />

näher zu kommen.» Diese Lust packt viele Autorinnen<br />

und Autoren. In unserem Spezial zeigen wir Neues<br />

und neuerschienenes Altes aus der Alpenliteratur.


26 | Spezial – Zu Berge! Books Nr. 1/2014<br />

Spezial – Zu Berge! | 27<br />

immer wieder<br />

atemberaubend<br />

Es gab immer schon gute Gründe<br />

für eine Schweiz-Reise. Jetzt gibt es<br />

1.000 Gründe mehr: Tipps und Ziele<br />

fürs ganze Jahr. Sehenswürdigkeiten<br />

und Events, Shoppingtipps und<br />

Restaurants, Bergwanderungen und<br />

Seen – das Buch führt in die schönsten<br />

Regionen der Alpenrepublik.<br />

Die Tipps wenden sich an Familien<br />

mit Kindern und Urlauber, die aktiv<br />

ihre Zeit gestalten, für Feinschmecker,<br />

die das Typische lieben und Kulturinteressierte.<br />

480 Seiten für Schweiz-<br />

Fans und solche, die es werden wollen.<br />

Eine grosse Leinwand<br />

In der Aufklärung entwickelte sich ein wissenschaftliches und<br />

literarisches Interesse an den Alpen. Seither werden die Berge<br />

bereist und beschrieben – und als Symbol für alle möglichen<br />

Weltanschauungen benutzt.<br />

Benjamin Gygax<br />

Einst waren die Alpen einfach ein Ort, an<br />

dem das Leben hart und gefährlich war.<br />

Und wer in den Bergen lebte, galt damals<br />

als arm und rückständig. Zwar konnten es<br />

einige wenige Bergler mit der Säumerei<br />

und der Milchwirtschaft bis ins 19. Jahrhundert<br />

zu Wohlstand bringen, doch die<br />

meisten führten wirklich ein Leben, das<br />

der allgemeinen Vorstellung entsprach: In<br />

einer bedrohlichen Umwelt kämpften sie<br />

täglich um das Nötigste. Nur wer dazu gezwungen<br />

war, riskierte auch noch Kopf<br />

und Kragen auf Schneefeldern und in Felswänden.<br />

Doch schon im 18. Jahrhundert<br />

erwachte ein neues, nicht wirtschaftlich<br />

begründetes Interesse an der Bergwelt. Mit<br />

der Aufklärung begannen Gelehrte, die<br />

Phänomene aus der belebten und unbelebten<br />

Natur zu beschreiben.<br />

Spezial<br />

zu berge!<br />

Mit Moral und Wissenschaft<br />

Der Berner Universalgelehrte Albrecht von<br />

Haller war von der Bergwelt fasziniert.<br />

Nachdem er sie in einer Reise durchquert<br />

hatte, beschrieb er sie 1729 in seiner Dichtung<br />

«Die Alpen». Als Wissenschaftler seiner<br />

Zeit beschränkte er sich nicht auf die<br />

sachliche Beschreibung von Naturphänomenen,<br />

sondern hielt auch philosophische<br />

und moralische Gedanken fest. Damit lieferte<br />

er der aufkommenden Gebirgsbegeisterung<br />

kräftig Nahrung. Und dieser Begeisterung<br />

verfiel auch sein Neffe: Der Genfer<br />

Naturforscher und Philosoph Horace Bénédict<br />

de Saussure erforschte die Geografie,<br />

Geologie und Botanik der Alpen. 1787 bestieg<br />

er dazu sogar den Mont Blanc. Ab<br />

1779 begann de Saussure, seine Forschung<br />

im vierbändigen Werk «Voyages dans les<br />

Alpes» zu publizieren. Damit erwarb er sich<br />

den Ruf als Begründer der naturwissenschaftlichen<br />

Alpenforschung.<br />

Von den Alpen in die Welt<br />

In ganz Europa stieg die Begeisterung für<br />

die Alpen aber mit der Literatur. Johann<br />

Wolfgang von Goethe brachte die Tell-Sage<br />

aus seinen Reisen durch die Schweiz mit<br />

und machte Friedrich Schiller damit bekannt.<br />

Dieser verarbeitete die Sage zu einem<br />

Stück, das Goethe 1804 als Regisseur<br />

auf die Bühne des Weimarer Hoftheaters<br />

brachte. Zum Ruhm der Schweizer Bergwelt<br />

trug auch Lord Byron viel bei. Nach<br />

einem Skandal übersiedelte er 1816 von<br />

London nach Cologny am Genfersee. Hier<br />

vertrieb er sich mit dem Ehepaar Percy und<br />

Mary Shelley die düsteren Nächte am See<br />

mit grusligen Geschichten – Mary Shelley<br />

erfand dabei die Frankenstein-Erzählung.<br />

Eine vielseitige Kulisse<br />

Mitte des 19. Jahrhunderts waren die Alpen<br />

endgültig zu einem symbolhaften Ort geworden,<br />

mit dem Autorinnen und Autoren<br />

alles mögliche verbinden konnten. Johanna<br />

Spyri knüpfte an die moralische Verklärung<br />

von Rousseau an, als sie ihre Romanfigur<br />

Heidi 1880 zum Alpöhi nach Maienfeld<br />

schickte. Bei Conan Doyle ging es düsterer<br />

zu. Der Anblick der Reichenbachfälle bei<br />

Meiringen brachte ihn auf die Idee, seinem<br />

Romanhelden Sherlock Holmes ein fulminantes<br />

Ende im Wasserfall zu bereiten. Ein<br />

Kuraufenthalt brachte auch Thomas Mann<br />

auf die Idee, sich der Berge für seine Literatur<br />

zu bedienen. Der Autor begleitete seine<br />

Frau Katia 1912 ins Waldsanatorium in Davos.<br />

Seine Eindrücke verarbeitete er zum<br />

1924 erschienenen Roman «Der Zauberberg».<br />

Die Alpen bieten eben eine riesige<br />

Leinwand, auf die jede Epoche ihre Ängste,<br />

Mythen und Wertvorstellungen projizieren<br />

kann. Deshalb üben sie bis heute<br />

eine grosse Anziehungskraft auf Reisende<br />

aus. Und deshalb überrascht es nicht, dass<br />

Berglandschaften seit ihrer «Entdeckung»<br />

durch die Aufklärer auch eine beliebte Kulisse<br />

für Geschichten abgeben.<br />

Miss Jemimas Journal<br />

Die Engländerin Jemima Morell unterhält uns mit der humorvollen<br />

Beschreibung ihrer Schweizreise. Ihr Reisetagebuch von 1863<br />

bezaubert auch heute noch, weil es uns jene Neugier und Abenteuerlust<br />

vermittelt, die auch uns vor Reisen in die Ferne befällt. Mit<br />

seiner irritierenden Mischung aus Vertrautem und längst Vergangenem<br />

lässt es uns zudem unsere Heimat neu sehen.<br />

Benjamin Gygax<br />

Eine junge Frau unternimmt eine Reise<br />

durch die Schweiz und führt dabei Tagebuch.<br />

Das klingt wenig interessant. Doch<br />

die Neuerscheinung «Miss Jemimas Journal»<br />

ist ein Genuss. Das Tagebuch einer Reise<br />

durch die Alpen von Jemima Morell entstand<br />

vor rund 150 Jahren, ist 1963 auf<br />

Englisch erschienen und liegt jetzt auch auf<br />

Deutsch vor. Seine Verfasserin, Miss Morell,<br />

gehörte zu jener Minderheit in viktorianischer<br />

Zeit, die einerseits über genügend Mittel<br />

für eine Reise verfügte und andererseits<br />

die nötige Abenteuerlust besass, um aus kulturellem<br />

Interesse und zum Vergnügen zu<br />

reisen.<br />

Die Geburt des Pauschaltourismus<br />

Die 31-jährige Tochter eines englischen Pastors<br />

schloss sich 1863 einer achtköpfigen<br />

Reisegruppe von Thomas Cook an und<br />

schrieb damit Geschichte. Denn der Reiseleiter<br />

bot die erste geführte Gruppenreise<br />

durch die Schweiz an und eröffnete damit<br />

das Kapitel des Pauschaltourismus. Thomas<br />

Cook war unter anderem als Gemüsehändler<br />

und Tischler tätig gewesen und wurde<br />

später baptistischer Prediger. Als er für eine<br />

Abstinenzlerveranstaltung 1841 eine günstige<br />

Extrafahrt mit der Eisenbahn organisierte,<br />

erkannte er das Potenzial geführter<br />

Reisen zu Pauschalpreisen. 1846 bot er Reisen<br />

nach Schottland an, 1851 nach London,<br />

1853 nach Dublin und zwei Jahre später<br />

erstmals auf den Kontinent. 1863 organisierte<br />

er die «First Conducted Tour of Switzerland»,<br />

an der eben auch Jemima Morell<br />

teilnahm. Die Rundreise führte vom 25. Juni<br />

bis zum 17. Juli 1863 mit dem Schiff über<br />

den Kanal, mit dem Zug für einen Zwischenhalt<br />

nach Paris und von da nach Genf. Hier<br />

war erst mal Schluss mit der bequemen Eisenbahn.<br />

Denn auch wenn die Schweiz heute<br />

für sich beansprucht, ein Bahn-Land zu<br />

sein – damals gab es nur einige wenige Strecken<br />

durchs Mittelland. Also ging es mit der<br />

Postkutsche, zu Fuss, auf Maultieren und im<br />

Schiff weiter durchs Wallis, hinüber ins Berner<br />

Oberland und dann über Luzern und<br />

Solothurn nach Neuchâtel. Von dort kehrte<br />

die Gruppe in ihre Heimat zurück.<br />

Reisende mit viel Humor und spitzer Feder: Jemima<br />

Morell nahm an der «First Conducted Tour of<br />

Switzerland» von Thomas Cook teil.<br />

Der «Junior United Alpine Club»<br />

Es sind mehrere Dinge, die das rund 150<br />

Seiten schmale Buch so bezaubernd machen.<br />

Miss Jemima Morell unterhält uns<br />

mit Humor und der leisen Ironie, die ihre<br />

Landsleute so schön kultivieren. Das beginnt<br />

schon vor der Abreise: Als Damen<br />

von Welt treibt die Reiseteilnehmerinnen<br />

die Frage nach dem angemessenen Gepäck<br />

um, und Miss Morell hält stolz fest:<br />

«Madame Angeville und Mrs. Winkworth<br />

mögen den Mont Blanc und die Jungfrau<br />

bezwungen haben, die Damen Misses Jemima,<br />

Sarah, Eliza und Mary jedoch haben<br />

die weltumspannend wichtige Gepäckfrage<br />

gelöst und beanspruchen für sich, mit weniger<br />

Bagage in die Alpen gereist zu sein als<br />

je ein Tourist zuvor, und die Hotelportiers<br />

schmeichelten ihnen unwissentlich mit der<br />

süssen Frage: ‹Wo sind Ihre Schachteln?›»<br />

Humor und leisen Spott lässt die Tagebuchschreiberin<br />

auch anklingen, wenn sie ihre<br />

Reisegruppe «Junior United Alpine Club»<br />

tauft. Der Name ist eine Abwandlung des<br />

elitären Londoner «Alpine Club», der sechs<br />

Jahre zuvor als weltweit erster seiner Art<br />

gegründet worden war und bis 1974 keine<br />

Frauen aufnahm. Sie spottet: «Dem Beirat<br />

des J. U. Alpine Club liegt es fern, sich in<br />

ungebührlicher Weise über die Rückständigkeit<br />

anderer Vereine bezüglich der Anpassung<br />

an die jüngsten Neuerungen in der<br />

Kunst des Reisens zu mokieren.» Damit<br />

spielt sie auf die Empfehlung des Vorsitzenden<br />

des Alpine Club an, vorerst noch keine<br />

Knickerbocker auf Europareisen zu tragen,<br />

da die Hosen noch zu wenig bekannt seien.<br />

Ausgelassen ins Unbekannte<br />

Auch wenn Jemima Morells Reisebericht<br />

inzwischen über 150 Jahre alt ist, erkennen<br />

wir uns darin wieder. Der Text strahlt<br />

jene jugendliche Ausgelassenheit und<br />

Abenteuerlust aus, die Reisende auch heute<br />

erfasst: Dieses Gefühl, als wäre alles<br />

möglich und als würde Grosses warten.<br />

Das beginnt schon bei den Reisevorbereitungen:<br />

«Nachdem der Vorsitzende, auf<br />

der Kante eines Reisekoffers sitzend, darum<br />

gebeten hatte, es möge nicht mehr als<br />

die Hälfte der Anwesenden zur selben Zeit<br />

reden, ging der Club zur Tagesordnung<br />

über», spottet die Autorin. Trotz einiger<br />

Strapazen ist die Reisegruppe auch unterwegs<br />

für Spässe zu haben, so zum Beispiel<br />

auf dem Gemmipass bei Leukerbad: «Hier<br />

nahmen uns am 3. Juli 1863 unter brennender<br />

Sonne zwei Mitglieder des Junior<br />

United Alpine Club, die sich einen Vorsprung<br />

verschafft hatten, mit Schneebällen<br />

unter Beschuss und beraubten somit eine<br />

ähnliche Kampagne, die wir als Dank für<br />

vorangegangene Wohltaten für sie geplant<br />

hatten, ihrer Frische.» Die Reisegruppe<br />

war aufgebrochen, vor allem die Natursehenswürdigkeiten<br />

der Schweiz zu bewundern.<br />

Doch besichtigt werden nicht nur<br />

Panoramen, Gletscher und Wasserfälle. Im<br />

französischen Bonneville studiert man die<br />

Bekanntmachungen zu öffentlichen Wahlen,<br />

die am Rathaus angeschlagen sind,<br />

eine Parade einer Wehrpflichtigengruppe<br />

und natürlich die Dorfkirche. In Grindelwald<br />

erkunden die Reisenden auf einem<br />

Spaziergang durch den Friedhof die Gräber<br />

und darauf verzeichnete Todesursachen.<br />

Und zum Abschluss der Reise erstehen<br />

die Gentlemen in Neuchâtel eine Uhr.<br />

Die Dritte Welt in den Alptälern<br />

Vieles kommt uns heute noch bekannt vor,<br />

doch die Engländer bereisten damals ein<br />

ganz anderes Land. Miss Jemima beschreibt<br />

die Armut: «Weil wir gerne ein<br />

Chalet von innen sehen wollen, betreten wir


28 | Spezial – ZU BERGE!<br />

Spezial – ZU BERGE! | 29<br />

eines unter dem Vorwand des Durstes, der<br />

uns aber schnell vergeht, als ein schmutziges<br />

kleines Kind auf ein gesprungenes Fass<br />

mit trübem Arve-Wasser deutet, in dem offenbar<br />

das einzige Trinkgefäss des Hauses<br />

schwimmt, nämlich ein alter fleckiger Topf;<br />

Möbel gibt es keine, die diesen Namen verdient<br />

hätten, nur ein oder zwei kleine Fässer,<br />

ein Hocker und ein abgestützter Tisch,<br />

alles kündet von der bitteren Armut der<br />

Bauern.» Als Ursache für die Armut im Wallis<br />

sieht Jemima Morell «Aberglaube, Unwissenheit<br />

und die unsauberen Gebräuche<br />

der Menschen»; sie würden diese wunderschöne<br />

Gegend zu einer der ärmsten und<br />

melancholischsten in ganz Nordeuropa machen.<br />

Was die Engländer in der Schweiz erleben,<br />

kommt unserer Reiseerfahrung in<br />

anderen Kontinenten nahe: «Wir landeten<br />

in Weggis, und wäre jeder Mann, Junge und<br />

Maultiertreiber, der sich dort auf uns stürzte,<br />

eine Wespe gewesen und jedes Wort ein<br />

Stich, Weggis hätte unsere sterblichen Überreste<br />

aufnehmen müssen.» Auch die fliegenden<br />

Händlerinnen, die während der ganzen<br />

Reise auf der Strasse Kirschen anbieten,<br />

sind ein kleines Ärgernis: «Diese Kirschverkäufer<br />

betrachten uns als ihre legitime Beute<br />

[…] und wenden alle Kunst und Kniffe auf,<br />

um uns zu Käufern zu machen.»<br />

Die Essenz des Reisens<br />

Miss Jemimas Journal beschreibt in vielem<br />

die Essenz des Reisens: die Vorfreude, die<br />

Neugier, das Unterwegs-Sein. In einem Fazit<br />

beschreibt sie, wie die Eindrücke während<br />

der Reise die Welt ihrer Gedanken<br />

und Gefühle erweitert hätten. Diese Erfahrungen<br />

hätten sie «für alle Anstrengungen<br />

und unvermeidlichen Unannehmlichkeiten,<br />

die zum Reisen in einem fremden Land dazugehören,<br />

überreich entschädigt.» Diese<br />

Zusammenfassung klingt zwar etwas pathetisch,<br />

doch wenn Miss Morell die Gefahren<br />

der Reise beschreibt, findet sie zur Ironie<br />

zurück: «Die Gefahren der Alpentouristik<br />

lassen sich in zwei Kategorien unterteilen,<br />

die realen und die imaginierten, und im<br />

Rückblick sollte sich erweisen, dass die unseren<br />

allesamt zu letzteren zählten.»<br />

Miss Jemimas Journal<br />

Jemima Morell<br />

150 Seiten<br />

CHF 25.90<br />

Rogner & Bernhard<br />

Neuerscheinungen: Von Bergen, Enten und Kühen<br />

Die Ducks in den Alpen<br />

Jan Gulbransson<br />

56 Seiten<br />

CHF 18.90<br />

Egmont Ehapa<br />

Miss Jemimas Reisegruppe bewältigte Distanzen von<br />

bis zu 40 Kilometern zu Fuss. So lange müssen die<br />

Protagonisten einer anderen Neuerscheinung gar<br />

nicht unterwegs sein, um Plattfüsse zu bekommen.<br />

Donald Duck und seine Verwandten jagen durch<br />

die Alpen, um den Nachfahren eines Elefanten von<br />

Hannibal zu suchen: «Die Ducks in den Alpen» heisst<br />

ein informatives Abenteuer des deutschen Zeichners<br />

Jan Gulbransson.<br />

Wandern und Geniessen in<br />

den Schweizer Alpen<br />

Heinz Staffelbach<br />

192 Seiten<br />

CHF 39.90<br />

AT<br />

Wer selbst eine Reise in die Berge plant, kann sich<br />

über eine Neuerscheinung aus dem AT-Verlag<br />

freuen: «Wandern und Geniessen in den Schweizer<br />

Alpen» heisst der Führer von Heinz Staffelbach.<br />

Nach Regionen geordnet, hat der Autor und<br />

Fotograf Anregungen für 45 Wochenendtouren<br />

zusammengestellt. Die Touren sind ausführlich<br />

beschrieben, auf einer Übersichtskarte eingezeichnet,<br />

mit Tipps für Übernachtungen ergänzt und mit<br />

schönen Fotos gut angepriesen.<br />

Kuhle Schweizer – Swiss<br />

Stars<br />

Sonja Lacher<br />

128 Seiten<br />

CHF 49.90<br />

AS<br />

Was wäre eine Bergwanderung ohne einen kurzen<br />

Halt auf der Weide und dem Kratzen einer rauen<br />

Kuhzunge auf dem verschwitzten Arm? Das vertraute<br />

Tier hat die Fotografin Sonja Lacher in ihrem<br />

Buch «Kuhle Schweizer» ins beste Licht gerückt.<br />

Die Neuerscheinung mit dem nicht ganz so coolen<br />

Titel zeigt schwarz-weisse Fotografien von Kühen<br />

verschiedenster Rassen. Sonja Lacher zeichnet ein<br />

stimmungsvolles Bild des Tiers in seiner natürlichen<br />

Umgebung. Sparsame Texte vermitteln einige Fakten<br />

zum Leben der Tiere und ihrer Bedeutung<br />

in der Landwirtschaft.<br />

Die Schweizer Kuh<br />

Marc Valance<br />

211 Seiten<br />

CHF 64.90<br />

hier+jetzt<br />

Von einer ganz anderen Seite nähert sich Autor<br />

Marc Valance dem Thema. Für sein 2013 erschienenes<br />

Buch «Die Schweizer Kuh» interessiert ihn das<br />

Tier als Nationalikone und Symbol in der Politik,<br />

Werbung und im Sport. Der Band versammelt teils<br />

altvertraute und teils überraschende Bilder von<br />

Kühen.<br />

Alpenmärchen<br />

Eva-Maria Wilhelm<br />

128 Seiten<br />

CHF 29.90<br />

Fona<br />

Die Alpen zeigen sich von ihrer märchenhaften<br />

Seite in einer Neuerscheinung des Fona-Verlags: Für<br />

«Alpenmärchen» hat Eva-Maria Wilhelm Märchen<br />

und Sagen aus dem Alpenraum und speziell aus der<br />

Schweiz gesammelt und nach Themen geordnet. Es<br />

gibt Geschichten über die Tiere der Bergwelt, alle<br />

möglichen Fabelwesen oder einfach über Melker<br />

und Sennerinnen. Die einprägsamen Illustrationen<br />

stammen von der Berner Grafikerin Karin Widmer.<br />

Gipfel – Col – Valle<br />

Franz Hohler<br />

Noëlle Revaz<br />

Giovanni Orelli<br />

180 Seiten<br />

CHF 24.90<br />

Limmat<br />

Spezial<br />

zu berge!<br />

Ein sehr schweizerisches Buch ist soeben im<br />

Limmat-Verlag erschienen – wie schweizerisch es<br />

ist, verdeutlicht bereits der Titel: «Gipfel – Col –<br />

Valle» heisst es in guter mehrsprachiger Tradition.<br />

Die Westschweizer Schriftstellerin Noëlle<br />

Revaz, der Deutschschweizer Franz Hohler und<br />

der Tessiner Autor Giovanni Orelli haben dafür<br />

Texte zusammengetragen, die im Magazin «Echo»<br />

erschienen sind. Sie handeln alle von den Bergen<br />

oder vom Unterwegs-Sein zu Fuss, werfen aber<br />

sehr unterschiedliche Schlaglichter auf verschiedene<br />

Landschaften, Unternehmungen und Themen.<br />

Bild: Marco Volken<br />

«Dem<br />

Gefängnis<br />

entrinnen»<br />

Emil Zopfi klettert und schreibt<br />

seit vielen Jahren. In seinem<br />

Buch «Dichter am Berg» stellt er<br />

22 Autorinnen und Autoren vor,<br />

die über die Berge schrieben.<br />

Benjamin Gygax<br />

Emil Zopfi, geboren 1943, studierte Elektrotechnik<br />

und veröffentlichte 1977 seinen ersten Roman.<br />

Er lebt als freischaffender Schriftsteller in Zürich<br />

und ist passionierter Sportkletterer.<br />

«Books»: Wie sind Sie zum Alpinismus<br />

gekommen?<br />

Emil Zopfi: Ich war schon als Junger ein<br />

Extremkletterer; das war meine Initiation<br />

und mein Ausbruch. Ich hatte eine beengte,<br />

schwere Jugend – ich verlor meine<br />

Mutter im Alter von 8 Jahren, fand keine<br />

Lehrstelle. Und dann die Berge! Doch damals<br />

konnte man im Winter nicht klettern,<br />

denn es gab noch keine Kletterhallen. In<br />

dieser Jahreszeit hatte ich unglaublich<br />

zu leiden, das Klettern hatte mich süchtig<br />

gemacht. Bald merkte ich aber: Wenn ich<br />

die Touren im Kopf nachvollziehe und alles<br />

aufschreibe, kann ich sie noch einmal<br />

erleben und meine Entzugserscheinungen<br />

mildern. So begann ich zu publizieren,<br />

erst in den Blättern des Alpen-Clubs und<br />

alpinen Zeitschriften. «Die Wand der Sila»<br />

war 1986 mein erster Kletterroman.<br />

Was hat Sie dazu bewegt, die 22 Porträts<br />

von Schweizer Autorinnen und<br />

Autoren zusammenzustellen?<br />

Ich organisiere alle zwei Jahre einen Tag<br />

für alpine Literatur, die «Bergfahrt» in<br />

Amden. Das begann 2004 zum hundertsten<br />

Geburtstag von Ludwig Hohl. Dessen<br />

Erzählung «Bergfahrt» ist der grosse<br />

Klassiker der Schweizer Alpinliteratur.<br />

Zwei Jahre später nahmen wir uns Max<br />

Frisch vor, danach Hans Morgenthler.<br />

Dieses Jahr geht es unter anderem um<br />

Franz Hohler. So bin ich ins Thema<br />

gerutscht. Irgendwann spürte ich, dass<br />

ich es in einem Buch vertiefen möchte.<br />

Es stellt markante Bergautoren des 20.<br />

Jahrhunderts vor, darunter auch jüngere<br />

wie Roland Heer und Oswald Oelz. Frauen<br />

zu finden war ein wichtiges Anliegen –<br />

und Ella Maillard war dann eine grosse<br />

Entdeckung.<br />

Haben Sie etwas gefunden, das die so<br />

verschiedenen Autorinnen und Autoren<br />

verbindet?<br />

Als Antwort kann ich Ludwig Hohl zitieren.<br />

In seiner Erzählung «Bergfahrt» stellt<br />

der Protagonist die Frage: «Warum steigt<br />

ihr auf Berge?» Die Antwort fällt ihm<br />

in einer ausweglosen Situation in einer<br />

Felswand ein: «Um dem Gefängnis zu entrinnen.»<br />

Ich glaube, dies verbindet alle:<br />

Man will ausbrechen aus einer Enge, sei<br />

sie nun familiär wie bei Hohl, sozial wie<br />

bei Lorenz Saladin oder wie beim Walliser<br />

Maurice Chappaz: Dieser beschreibt sehr<br />

schön, wie er Sehnsucht nach dem Meer<br />

hatte und dann die Gletscherwelt als<br />

«Meer vor meiner Haustüre» entdeckte.<br />

Das ist wohl die Essenz: die Suche nach<br />

etwas Befreiendem. Deshalb geht man<br />

auch Risiken ein. Einen Ausbruch gibt es<br />

nicht ohne Risiko.<br />

Wann begann das literarische Interesse<br />

an den Alpen?<br />

Wenn im 19. Jahrhundert jemand einen<br />

Berg erstmals bestieg, schrieb er ein Buch<br />

darüber. Es gibt viele Bücher von Alpenpionieren,<br />

die einerseits Forschungsberichte<br />

sind, aber auch eine literarische<br />

Qualität besitzen: etwa der Bericht von<br />

Johannes Hegetschweiler über den Tödi<br />

oder jener von Goethe über seine Furka-<br />

Wanderung. Später sind stärker literarisch<br />

motivierte Werke entstanden. Hans<br />

Morgenthalers «Ihr Berge» von 1916 ist<br />

sicher ein Markstein. Spannend ist auch<br />

Christian Klucker, der um 1900 als Bergführer<br />

tätig war. Damals ging die Zeit der<br />

Führer als Begleiter der Alpenpioniere zu<br />

Ende, denn die Pioniere kletterten immer<br />

besser und brauchten keine Helfer mehr.<br />

Klucker merkte, dass er schreiben musste,<br />

um für seine hervorragenden Leistungen<br />

im Bergell gewürdigt zu werden. Er hat<br />

sich sein Buch «Erinnerungen eines Bergführers»<br />

unter Schmerzen abgerungen<br />

und schuf sich so ein Denkmal.<br />

Wieso wurden ausgerechnet die Alpen<br />

zu einem kraftvollen Symbol – auch in<br />

der Literatur?<br />

Es gibt sicher auch literarische Werke<br />

über den Bodensee. Aber die Alpen haben<br />

in der Schweiz eine besondere Bedeutung,<br />

weil man sie von überall her sieht. Schon<br />

Jakob Stutz beschreibt im 19. Jahrhundert,<br />

wie er als Knabe vom Zürcher Oberland<br />

aus die Alpen sieht und sich vorstellt:<br />

Er möchte ein Vogel sein und über die<br />

Berge nach Mailand fliegen. Die Alpen<br />

sind eben auch Barrieren, die es zu überwinden<br />

gilt. In den 1980er-Jahren forderte<br />

die Jugendbewegung «Freie Sicht aufs<br />

Mittelmeer». Die Alpen verstellen uns den<br />

Weg ins «Land, wo die Zitronen blühn».<br />

Während des 20. Jahrhunderts entwickelten<br />

sich die Alpen auch zum<br />

Inbegriff der Schweizer Identität und<br />

Selbstbehauptung. Autoren wie Max<br />

Frisch, Friedrich Dürrenmatt oder Paul<br />

Nizon schrieben gegen das Gefühl der<br />

Enge an. Haben sie unser Verhältnis zu<br />

den Alpen verändert?<br />

In dieser literarischen Tradition gerieten<br />

Berge in Verruf als Hort des konservativen<br />

Schweiz-Bildes mit Réduit und Rütli. Ich<br />

empfinde es so, dass die alpine Literatur<br />

immer noch von gewissen Kreisen abgelehnt<br />

wird. Auch ich werde von vielen als<br />

«Alpenheini» angesehen. Doch die alpine<br />

Literatur ist oft auch eine urbane Literatur,<br />

auch die Erschliessung der Alpen<br />

erfolgte aus dem Unterland durch Städter.<br />

Man kann die alpine Welt als Spiegel der<br />

urbanen betrachten.<br />

Welche Entwicklungen sehen Sie für die<br />

Bergliteratur in Zukunft?<br />

Im Alpinismus hat sich viel verändert,<br />

und die Alpen-Club-Hütten haben ihre<br />

ursprüngliche Funktion als Schutzhütten<br />

verloren. Heute kommen viele Wanderer<br />

und Familien. Man isst gut, es gibt<br />

Lesungen, Bergtheater oder Kunst in der<br />

Landschaft. Es ist für mich spannend zu<br />

verfolgen, wie die Alpen heute selber zu<br />

einem Kulturraum werden.<br />

Dichter am Berg<br />

Emil Zopfi<br />

376 Seiten<br />

CHF 39.90<br />

AS


30 | Buchtipps Books Nr. 2/2014 BUCHtipps | 31<br />

FRANZ HOHLER<br />

Immer höher<br />

RUTH MICHEL-RICHTER,<br />

KONRAD RICHTER<br />

Wandern wie<br />

gemalt –<br />

Graubünden<br />

GABRIELLE ALIOTH<br />

Ausgewandert<br />

THOMAS RICKENMANN<br />

z‘Alp<br />

Alain Ducasse<br />

Nature<br />

Akira Himekawa<br />

The Legend of<br />

Zelda – Hyrule<br />

Historia<br />

JENNI FAGAN<br />

Das Mädchen<br />

mit dem<br />

Haifischherz<br />

HARRY SCHEFFER<br />

Fussballgötter<br />

Franz Hohler wandert, geht und klettert<br />

schon lange mit Leidenschaft –<br />

nun hat er darüber geschrieben. Von<br />

einem Gipfel nur wenige hundert<br />

Meter über Meer führt Hohler die<br />

Leserinnen und Leser in seinen Erlebnisberichten<br />

immer höher auf Vierund<br />

auch einen Fünftausender.<br />

Aber da gibt es keine Dramen am<br />

Berg, keine spektakulären Rettungsaktionen<br />

– nur «ganz gewöhnliche<br />

Bergtouren». Es handelt sich hier also<br />

keineswegs um ein klassisches Stück<br />

reisserischer Bergliteratur, aber die<br />

Touren sind so hautnah geschildert,<br />

dass man sich wünscht, man wäre<br />

selbst dabei gewesen. Und Franz<br />

Hohler wäre nicht Franz Hohler,<br />

würde sich in die Bergromantik nicht<br />

auch handfeste Kritik mischen.<br />

Die Berge waren schon immer ein<br />

beliebtes Motiv für Künstlerinnen<br />

und Künstler. Mit diesem Buch wird<br />

die künstlerische <strong>Faszination</strong> der<br />

Bündner Alpen hautnah erlebbar.<br />

14 Wanderungen führen zu den<br />

Standorten bekannter und weniger<br />

bekannter Gemälde, Skizzen, Stiche<br />

und Tourismusplakate. Angepeilt<br />

werden die Vorlagen für Werke von<br />

Giovanni Segantini, Alois Carigiet, den<br />

drei Giacometti und vielen mehr. Den<br />

historischen Gemälden gegenüber<br />

stehen aktuelle Fotografien der<br />

Motive.<br />

Das Buch spricht Wanderer und<br />

Kunstliebhaber gleichermassen an.<br />

Entlang der abwechslungsreichen<br />

Wanderrouten werden die Künstler<br />

vorgestellt, ihre Beziehung zum Kanton<br />

Graubünden und ihre Bedeutung<br />

in der Kunstentwicklung ihrer Zeit<br />

beschrieben.<br />

Gegenwärtig diskutiert die Schweiz<br />

heiss über die Einwanderung. Dabei<br />

war die Schweiz bis vor dem Zweiten<br />

Weltkrieg noch ein Auswandererland.<br />

Viele flüchteten vor der Armut, die<br />

weite Teile des Landes im Griff hatte.<br />

Über diese heute etwas in Vergessenheit<br />

geratene lange Periode der<br />

Auswanderung berichtet Gabrielle<br />

Alioth.<br />

Die Autorin, die selber vor 30 Jahren<br />

nach Irland auswanderte, beschreibt<br />

das Schicksal von Erneuerern, von<br />

denen heute kaum mehr jemand<br />

weiss, dass sie einst aus der kleinen<br />

Schweiz in die grosse Welt zogen.<br />

Alioth erzählt aber auch von denen,<br />

die in dieser grossen Welt krank<br />

wurden vor Heimweh, die als Erfinder<br />

brillierten und weggingen, weil ihnen<br />

die Schweiz zu eng war.<br />

Der Alpaufzug ist wohl für die meisten<br />

Schweizer Bergbauern das grösste und<br />

aufregendste Ereignis des Jahres. Doch<br />

das Ritual ist nicht einfach nur schöne<br />

Tradition, sondern harte Arbeit. Das<br />

zeigt «z’Alp» eindrücklich. Dokumentarfilmer<br />

Thomas Rickenmann hat dafür<br />

drei Bauernfamilien auf der jährlichen<br />

Wanderung ins Sommerdomizil<br />

begleitet.<br />

Schon allein die Bilder der imposanten<br />

Berglandschaft des Alpsteins, der<br />

Schwyzer Voralpen und der Engstligenalp<br />

im Berner Oberland rechtfertigen<br />

den Kauf der DVD. Mit seinem<br />

Film gelingt Dokumentarfilmer Thomas<br />

Rickenmann aber auch ein tiefer<br />

Einblick in die Tradition des Alpaufzugs<br />

– eine Tradition, die in allen drei<br />

gezeigten Regionen der Schweiz anders<br />

gelebt wird.<br />

Alain Ducasse ist nicht irgendein<br />

Spitzenkoch – sondern der weltweit<br />

einzige Koch, der mit gleich dreimal<br />

drei Michelin-Sternen ausgezeichnet<br />

wurde. Er gilt heute als einer der<br />

grössten Meister am Herd.<br />

Und Alain Ducasse ist auch ein Mann<br />

mit einer Mission. «Als Spitzenkoch<br />

sehe ich es als meine Aufgabe an, all<br />

die ursprünglichen Aromen der Natur<br />

wieder aufzuspüren, denn schliesslich<br />

verdanken wir einer gesunden<br />

Ernährung einen Grossteil unserer<br />

Lebensqualität», sagt er. In seinem<br />

neuen Kochbuch zeigt er, wie man<br />

mit Gemüse, Getreide und Obst raffinierte<br />

Rezepte auf den Tisch zaubert,<br />

und er ergänzt seine Rezepte mit<br />

Kommentaren zu gesundheitlichen<br />

und kulinarischen Besonderheiten.<br />

1986 erblickte Link das flackernde<br />

Licht der Gamekonsolenwelt. Der<br />

kleine, grün gewandete Videospielheld<br />

machte sich auf der Nintendo-<br />

Konsole NES zum ersten Mal auf<br />

den Weg, Prinzessin Zelda zu retten.<br />

Mittlerweile gilt das Spiel mit seinen<br />

zahlreichen Fortsetzungen und<br />

insgesamt über 60 Millionen verkauften<br />

Einheiten als die erfolgreichste<br />

Action-Adventure-Reihe überhaupt.<br />

Zum 25. Geburtstag des Game-<br />

Klassikers erschien ein Artbook, das<br />

nun seit kurzem auch auf Deutsch<br />

erhältlich ist. Darin werden alle<br />

Bewohner des Königreichs Hyrule<br />

vorgestellt und die Hintergründe zur<br />

Entstehungsgeschichte des Spiels aufgezeigt.<br />

Definitiv zum Must-have für<br />

jeden Zelda-Fan wird das Buch durch<br />

eine brandneue <strong>Manga</strong>-Geschichte<br />

über die Abenteuer von Link.<br />

Die 15-jährige Anais Hendricks sitzt<br />

mit blutverschmierter Schuluniform auf<br />

dem Rücksitz eines Polizeiautos. Sie<br />

ist auf dem Weg ins Panoptikum, eine<br />

Besserungsanstalt für schwer erziehbare<br />

Jugendliche. Und das wegen einer<br />

Tat, an die sie sich nicht erinnern kann.<br />

Für Anais ist das Panoptikum die letzte<br />

Station einer langen Odyssee durchs<br />

Sozialsystem; es ist aber auch der Ort,<br />

wo sie in den anderen Jugendlichen fast<br />

so etwas wie eine Familie findet.<br />

Die schottische Schriftstellerin Jenni<br />

Fagan beschreibt in ihrem Debütroman<br />

eine Gesellschaft, die Problemjugendliche<br />

einfach wegsperrt. Sie sicherte sich<br />

damit einen Platz auf der Liste der 20<br />

besten englischsprachigen Autorinnen<br />

und Autoren unter 40.<br />

«Das Runde gehört ins Eckige» – das<br />

stimmt, aber im Profifussball geht es<br />

noch um viel mehr. Das zeigt Harry<br />

Scheffer in diesem Insiderreport aus<br />

der Welt des Spitzenfussballs auf<br />

eindrückliche Weise. Der Autor analysiert<br />

die Erfolgsrezepte von Spielern,<br />

Klubs und Trainern und zeichnet dabei<br />

ein kritisches Bild der Branche und<br />

ihren Auswüchsen.<br />

Die dafür nötigen Insiderkenntnisse<br />

erworben hat sich Harry Scheffer<br />

in einer jahrelangen Tätigkeit als<br />

aktiver Fussballer, Jugendtrainer und<br />

Spielervermittler. Er ist heute einer<br />

der am besten vernetzten Förderer<br />

der internationalen Fussballwelt. Für<br />

sein Buch hat er mit Top-Trainern wie<br />

Arsène Wenger oder Pep Guardiola<br />

diskutiert, und er lässt auch Spitzenspieler<br />

zu Wort kommen.<br />

160 Seiten<br />

400 Seiten<br />

192 Seiten<br />

DVD<br />

400 Seiten<br />

274 Seiten<br />

330 Seiten<br />

223 Seiten<br />

CHF 29.90<br />

CHF 43.90<br />

CHF 37.90<br />

98 min<br />

CHF 39.90<br />

CHF 41.90<br />

CHF 28.90<br />

CHF 29.90<br />

AS<br />

Rotpunktverlag<br />

FONA<br />

CHF 26.90<br />

FONA<br />

Tokyopop<br />

Antje Kunstmann<br />

Orell Füssli<br />

ISBN 978-3-906055-19-0<br />

ISBN 978-3-85869-594-9<br />

ISBN 978-3-03781-059-0<br />

EAN 0610696667984<br />

ISBN 978-3-03780-475-9<br />

ISBN 978-3-8420-0859-5<br />

ISBN 978-3-88897-925-5<br />

ISBN 978-3-280-05526-7


32 | Kaffeepause Books Nr. 2/2014 Kaffeepause | 33<br />

Heilige Mörderin<br />

Keigo Higashino<br />

315 Seiten<br />

CHF 28.90<br />

Klett-Cotta<br />

Das Krokodil<br />

Maurizio de Giovanni<br />

333 Seiten<br />

CHF 29.90<br />

Kindler<br />

Reiner Wein<br />

Martin Walker<br />

432 Seiten<br />

CHF 33.90<br />

Diogenes<br />

Die Debatte<br />

Was machen Buchhändler in der Kaffeepause? Sie plaudern<br />

über Neuerscheinungen. Zum Beispiel im Bagels im St. Galler<br />

Rösslitor, der grössten Buchhandlung der Ostschweiz. Books<br />

hat sich dort zu Bettina Zeidler und Dario Widmer gesetzt.<br />

Marius Leutenegger<br />

Books: In unserer heutigen Debatte<br />

sprechen wir über drei Krimis. Ihr habt<br />

je eine Empfehlung mitgebracht, dann<br />

schauen wir uns auch noch einen soeben<br />

erschienen Bestseller an. Dario, fass<br />

bitte deine Empfehlung zusammen.<br />

Dario Widmer (DW): «Heilige Mörderin»<br />

von Keigo Higashino spielt in Japan und<br />

beginnt mit einem Ehekrach: Ein Paar hat<br />

vereinbart, sich zu trennen, sollte die Frau<br />

nicht innerhalb einer Frist schwanger<br />

werden. Diese Frist ist nun abgelaufen,<br />

und der Mann eröffnet seiner Frau, sie zu<br />

verlassen. Was er nicht weiss, wir aber<br />

sofort erfahren: Die Frau hat beschlossen,<br />

ihren Mann mit Arsen umzubringen. Zwei<br />

Tage später wird der Mann tatsächlich<br />

vergiftet aufgefunden. Die Witwe hat ein<br />

wasserdichtes Alibi: Sie war zur Zeit, als<br />

der Mann das tödliche Gift einnahm, weit<br />

weg in den Ferien. Der Fall geht an Inspektor<br />

Kusanagi. Ihm sind wir bereits im<br />

Roman «Verdächtige Geliebte» begegnet,<br />

diesmal wird er von einer Assistentin<br />

begleitet.<br />

Bettina Zeidler (BZ): Diese Utsumi finde<br />

ich eine spannende Figur. Sie benimmt<br />

sich eigentlich sehr unjapanisch, stellt<br />

ständig alles in Frage und fordert ihren<br />

Chef immer wieder heraus.<br />

DW: Genau! Sie steht auch den Theorien<br />

von Kusanagi kritisch gegenüber. Dieser<br />

findet nämlich heraus, dass der vergiftete<br />

Ehemann ein Verhältnis mit der Freundin<br />

seiner Frau hatte. Die Geliebte war die<br />

Letzte, die den Mann noch lebend sah, und<br />

für Kusanagi ist klar, dass sie die Mörderin<br />

ist. Doch Utsumi bleibt skeptisch. Schliesslich<br />

holt sie Professor Yukawa ins Team,<br />

einen unsympathischen Naturwissenschaftler,<br />

der schon früher mit Kusanagi<br />

zusammengearbeitet hat.<br />

BZ: Und dieser Professor bringt dann eine<br />

völlig neue Perspektive in die Ermittlungen.<br />

Ganz allmählich zieht sich die Schlinge<br />

um die Ehefrau zusammen.<br />

Das heisst, bei diesem Krimi handelt es<br />

sich nicht um einen klassischen «Whodunit»<br />

im Stil von Agatha Christie, bei<br />

dem es darum geht, wer der Mörder ist<br />

– sondern eher um Suspense im Sinne<br />

Hitchcocks: Die Spannung ergibt sich<br />

daraus, dass wir mehr wissen als die<br />

Protagonisten der Geschichte?<br />

DW: Ja, Keigo Higashino arbeitet in seinen<br />

Krimis immer so: Wir wissen, wer der<br />

Mörder oder die Mörderin ist, doch die<br />

Polizei tappt im Dunkeln.<br />

BZ: Das tut sie hier ja auch nicht von<br />

ungefähr. Nach und nach erfahren wir<br />

nämlich, wie unglaublich raffiniert der<br />

Plan war, den die Ehefrau ausheckte. Sie<br />

hat den perfekten Mord verübt und ein<br />

volles Jahr auf ihr Ziel hingearbeitet.<br />

Aber ist das denn spannend?<br />

DW: Ungeheuer: Wir wissen ja nicht alles<br />

und wollen ebenfalls unbedingt erfahren,<br />

wie die Frau den Mord plante. Es ist faszinierend<br />

zu sehen, mit welcher Selbstsicherheit<br />

sie der Polizei gegenübertritt.<br />

Sie muss sich nicht fürchten, überführt zu<br />

werden.<br />

BZ: Mir gefiel die Konsequenz, wie diese<br />

hochintelligente Frau einen Mord durchzieht,<br />

wie sie ständig kleine Puzzlestücke<br />

zu ihrem Alibi hinzugefügt hat. Ich finde,<br />

Higashino hat das alles genial konstruiert.<br />

Was ist eigentlich heilig an dieser<br />

Mörderin?<br />

BZ: Gemeint ist wohl «scheinheilig», weil<br />

sie so gut schauspielert – aber das klingt<br />

weniger gut.<br />

Dario, warum hast du diesen Titel für<br />

unsere Debatte ausgewählt?<br />

DW: Ich las schon das erste Buch von<br />

Higashino, das auf Deutsch erschien –<br />

«Verdächtige Geliebte» –, und war davon<br />

fasziniert. Higashinos Krimis sind nicht<br />

nur intelligent, sondern auch sehr atmosphärisch.<br />

Es gibt heute ja viele Krimis,<br />

die an einem bestimmten Ort spielen, in<br />

vielen Fällen erscheint mir das Lokale aber<br />

eher als austauschbare Kulisse. «Heilige<br />

Mörderin» ist hingegen durchdrungen von<br />

Japan. Mittlerweile gibt es drei Romane<br />

um Inspektor Kusanagi, und es wird wohl<br />

noch einer übersetzt werden.<br />

BZ: Das hoffe ich doch! «Heilige Mörderin»<br />

ist einfach gut. Ich würde ja gern etwas Negatives<br />

sagen, aber es gibt wirklich nichts<br />

zu mäkeln: guter Plot, gute Figuren, gute<br />

Atmosphäre.<br />

Ich nehme an, auch am nächsten Buch,<br />

über das wir reden, hast du wenig auszusetzen:<br />

«Das Krokodil» von Maurizio de<br />

Giovanni ist deine Empfehlung.<br />

BZ: Obwohl ich eher ein Kind des Nordens<br />

bin und mich dieser italienische Krimi auf<br />

den ersten Blick nicht sehr interessierte.<br />

Aber er gefiel mir dann wahnsinnig gut.<br />

Nach dem Lesen der letzten Seite konnte<br />

ich zuerst einmal eine Minute lang überhaupt<br />

nichts sagen, denn am Ende kommt<br />

es zu einem Showdown, der mich sehr<br />

berührte.<br />

Fang doch bitte am Anfang an.<br />

BZ: Im ersten Kapitel fährt der Tod in<br />

Neapel ein. Ein Mann steigt am Bahnhof<br />

aus dem Zug, und wir wissen, dass er<br />

Morde verüben will. Sein Gegenspieler ist<br />

Kommissar Giuseppe Lojacono. Er wurde<br />

von Sizilien nach Neapel strafversetzt, weil<br />

er der Mafia vertrauliche Informationen<br />

weitergegeben haben soll. Seit dieser Affäre<br />

liegt auch Lojaconos private Situation im<br />

Argen, denn seine Frau und seine Tochter<br />

haben sich von ihm abgewandt. Dann werden<br />

nacheinander drei junge Menschen<br />

getötet. Nach dem ersten Mord an einem<br />

Drogendealer fällt der Verdacht auf die<br />

Camorra, doch die folgenden Opfer haben<br />

mit der Camorra sicher nichts zu tun.<br />

DW: Es gibt mehrere Erzählstränge, die<br />

sich immer stärker verdichten. Es geht um<br />

den Kommissar, um die drei jungen Menschen<br />

– und um den Mörder. Jedes Kapitel,<br />

in dem er im Mittelpunkt steht, wird mit<br />

einem Brief an seine Geliebte eröffnet.<br />

BZ: Mit der Zeit erfahren wir immer mehr<br />

über seine Gründe für die Morde. Und es<br />

sind Gründe, die sein Verhalten ein wenig<br />

nachvollziehbarer machen.<br />

Was ist mit dem titelgebenden Krokodil<br />

gemeint?<br />

DW: Ein Krokodil hat, so erfährt man, eine<br />

besondere Jagdtechnik: Es beobachtet sein<br />

Opfer in der Regel sehr genau, und es muss<br />

sehr geduldig sein, bis es endlich schnell<br />

zuschlagen kann – dann nämlich, wenn<br />

sich das Opfer in Sicherheit wiegt und sich<br />

dem Wasser nähert. So verhält sich auch<br />

der Mörder: Er beobachtet seine Opfer<br />

sehr genau, und es muss alles stimmen,<br />

damit er zuschlagen kann. Denn er hat<br />

eine sehr alte Waffe, die ihn zwingt, ganz<br />

nah an die Opfer heranzukommen.<br />

Wie geht die Geschichte weiter?<br />

BZ: Lojacono erkennt durch einen Tipp von<br />

aussen, dass es dem Mörder eigentlich gar<br />

nicht um die jungen Leute geht – sondern<br />

um deren Eltern. Aber wir wollen nicht zu<br />

viel verraten. Jedenfalls wird die Sache von<br />

Kapitel zu Kapitel klarer, aber auch dramatischer,<br />

bis zum erwähnten Showdown,<br />

der einem wirklich den Atem raubt. Ich<br />

bekam da kaum noch den Mund zu. Dieses<br />

Buch las ich an einem Sonntagnachmittag<br />

in einem Stück, und ich glaube, das muss<br />

man auch tun, um diesen Effekt zu haben.<br />

Man muss sich richtig hineingeben – und<br />

dann ist die Sache genial.<br />

Dario, wie fandest du das Buch?<br />

DW: Eigentlich lese ich keine Krimis, und<br />

als ich «Das Krokodil» aufschlug, dachte<br />

ich: Ach nein, dieser Einstieg mit dem Tod,<br />

der in Neapel einfährt, ist so platt und konstruiert!<br />

Aber ich erkannte dann schnell,<br />

dass dieses Buch unglaublich gut geschrieben<br />

und extrem spannend ist.<br />

BZ: Und es ist auch sehr, sehr dramatisch.<br />

Mir können Bücher manchmal gar nicht<br />

brutal genug sein, ich liebe die sogenannten<br />

Schlachtplatten, aber dieser Schluss<br />

hier ging mir wirklich nahe.<br />

DW: Das ist jedenfalls ein richtig böser<br />

italienischer Krimi, wie ich noch nie einen<br />

gelesen habe.<br />

Während der «Krokodil»-Autor Maurizio<br />

de Giovanni noch kaum bekannt ist,<br />

gehört Martin Walker zu den Bestsellern:<br />

Seine Figur Bruno, Chef de police im<br />

französischen Périgord, hat eine riesige<br />

Fangemeinde. Jetzt ist der sechste Bruno-Roman<br />

erschienen: «Reiner Wein».<br />

Wer fasst ihn zusammen?<br />

DW: Bruno, Polizeichef des Provinznests<br />

Saint-Denis, lebt auf einem Bauernhof mit<br />

einem kleinen Gemüsegarten, mit Hund,<br />

Pferd und Hühnern. Eines Tages erreicht<br />

ihn der Anruf des Pfarrers: Ein Mann ist<br />

gestorben, und in dessen Händen fand<br />

Dario Widmer, 21, lebt in Bühler in<br />

Appenzell Ausserrhoden. Seine Lehre zum<br />

Buchhändler absolvierte er im Rösslitor,<br />

heute arbeitet er in der Orell-Füssli-Filiale<br />

Kramhof in Zürich. Er hat schon seit jeher<br />

ein grosses Interesse an Literatur.<br />

Dario Widmer:<br />

«Eigentlich lese ich keine<br />

Krimis, und als ich ‹Das<br />

Krokodil› aufschlug,<br />

dachte ich: Ach nein, dieser<br />

Einstieg mit dem Tod,<br />

der in Neapel einfährt, ist<br />

so platt und konstruiert!<br />

Aber ich merkte schnell,<br />

dass dieses Buch unglaublich<br />

gut geschrieben und<br />

extrem spannend ist.»<br />

Bettina Zeidler:<br />

«Walker will den guten<br />

Krimi schreiben, will<br />

Historisches und Kulinarisches<br />

einflechten<br />

und auch noch eine Liebesgeschichte<br />

anklingen<br />

lassen. Er will alles gut<br />

machen, aber durch die<br />

Fülle bleibt am Ende alles<br />

oberflächlich.»<br />

Bettina Zeidler, 49, lebt in St. Gallen. Sie<br />

arbeitet in der Abteilung Belletristik der St.<br />

Galler Buchhandlung Rösslitor, die zu Orell<br />

Füssli Thalia gehört. Am liebsten liest sie<br />

skandinavische Krimis und Thriller.


34 | Kaffeepause Books Nr. 2/2014 BUCHtipps | 35<br />

Bettina Zeidler und Dario Widmer: Ausnahmsweise dreimal einer Meinung.<br />

man uralte Banknoten. Genau solche<br />

Banknoten wurden im Zweiten Weltkrieg<br />

bei einem Überfall der Résistance geraubt.<br />

Bruno will sich um den Fall kümmern.<br />

Dann wird das Haus eines reichen Engländers<br />

geplündert – das ist Fall Nummer<br />

zwei für Bruno –, und schliesslich findet ein<br />

Homosexueller seinen Verlobten ermordet<br />

auf – Fall drei. Doch das ist noch längst<br />

nicht alles, mit dem sich der Chef de police<br />

in diesem Buch herumschlagen muss.<br />

Nebenbei veranstaltet er ständig Gourmet-<br />

Festessen für die Kollegen, er geht reiten<br />

und verabredet sich mit verschiedenen<br />

Damen.<br />

BZ: Und dann muss er auch noch ein Pferd<br />

erschiessen. Schon bald musste ich mir jedenfalls<br />

Notizen machen, wer zu welchem<br />

Strang gehört und welche Rolle spielt.<br />

DW: Das ist mir genau gleich gegangen. Immer<br />

wieder kommen neue Personen hinzu,<br />

man verliert wirklich den Überblick.<br />

BZ: Ja, mir fallen jetzt ständig weitere<br />

Stränge ein. Da gibt es doch auch noch die<br />

Frau des Bürgermeisters, die Krebs hat<br />

und stirbt. Und dann beginnt der Bürgermeister<br />

auch noch ein Techtelmechtel mit<br />

einer Historikerin, die zufälligerweise ein<br />

Buch über die Résistance und genau jene<br />

Banknoten schreibt, die beim Toten von<br />

Fall eins gefunden wurden.<br />

DW: Genau. Ganz zu schweigen von den<br />

politischen Aspekten, die Walker aufrollt.<br />

BZ: Und von den Geschichten, mit denen<br />

er zeigt, wie schwierig es Homosexuelle<br />

einst in einer so ländlichen Gegend hatten.<br />

Das alles ist einfach viel zu konstruiert.<br />

Ich habe irgendwann begriffen, worum es<br />

geht, war aber stets mehr damit beschäftigt,<br />

Personen zuzuordnen. Es gibt einfach<br />

zu viele Verknüpfungen, zu viel von allem.<br />

Ich kam mir zuweilen selber vor wie ein<br />

Kommissar in einem Krimi, der vor einer<br />

grossen Flipchart voller gelber Zettel steht<br />

und versucht, alle Details in einen Zusammenhang<br />

zu bringen.<br />

Aber es gibt doch sicher auch Gutes<br />

über den Roman zu sagen?<br />

DW: Man spürt, dass der Schotte Walker<br />

Nimm dir Zeit für<br />

die schönsten Seiten<br />

des Sommers.<br />

den Périgord liebt, in dem seine Romane<br />

spielen – er lebt ja selber dort. Die Atmosphäre<br />

einer kleinen Provinzstadt fängt er<br />

gut ein.<br />

BZ: Und man merkt, dass er kulinarisch<br />

ambitioniert ist und etwas von gutem<br />

Essen und Weinen versteht – da kann er<br />

punkten. Hie und da ist auch eine Gestalt<br />

geglückt, etwa jene des Bürgermeisters.<br />

Aber ich bin mit diesem Buch einfach nicht<br />

zurechtgekommen. Ich las schon früher<br />

einmal einen Bruno-Krimi und fand den<br />

eigentlich ganz charmant, aber dieser<br />

Roman hier ist völlig überladen. Man spürt<br />

genau, Walker will den guten Krimi schreiben,<br />

will Historisches und Kulinarisches<br />

einflechten und auch noch eine Liebesgeschichte<br />

anklingen lassen. Er will alles gut<br />

machen, aber durch die Fülle bleibt am<br />

Ende alles oberflächlich.<br />

DW: Als es dann auch noch um Schüler<br />

ging, die sich in geheime Datenbanken<br />

hacken, war es mir dann definitiv zu viel.<br />

Ist das Buch denn wenigstens spannend?<br />

BZ: Also ich fand es eher verwirrend.<br />

Nun, die Bruno-Fangemeinde ist gross<br />

und wird sich wohl auch von eurem<br />

Urteil den Spass nicht verderben lassen.<br />

Wem kann man dieses Buch ausserdem<br />

empfehlen?<br />

DW: Ich würde es vielleicht meinem Vater<br />

empfehlen. Er könnte den Lokalkolorit und<br />

die kulinarischen Aspekte schätzen.<br />

BZ: Ja, ich bin überzeugt, dass sich dieses<br />

Buch eher für ältere Leute eignet – auch<br />

deshalb, weil die Geschichte nicht sehr<br />

blutig ist. Junge Leute wird man mit Bruno<br />

wohl kaum begeistern können.<br />

Ragougneau, Alexis<br />

Die Madonna<br />

von Notre-<br />

Dame<br />

In der Kathedrale von Notre-Dame<br />

stirbt eine Frau während der Morgenmesse.<br />

Bald ist ein Verdächtiger<br />

gefunden, doch Pater Kern lässt der<br />

Fall keine Ruhe. Er macht sich zusammen<br />

mit einer jungen Staatsanwältin<br />

auf die Suche nach der Wahrheit und<br />

kommt in den Gewölben der Kathedrale<br />

einem unglaublichen Geheimnis<br />

auf die Spur.<br />

«Die Madonna von Notre-Dame»<br />

ist eine Art Krimi-Adaption des<br />

«Glöckners von Notre-Dame», nur<br />

dass hier die Hauptfigur kein buckliger<br />

Glöckner, sondern ein kleinwüchsiger<br />

Pater ist. Dass Alexis Ragougneau<br />

seinen Debütroman in der berühmten<br />

Pariser Kathedrale angesiedelt hat,<br />

ist aber nicht blosse Hommage an<br />

Victor Hugo – Ragougneau kennt sich<br />

als ehemaliger Aufseher der Notre-<br />

Dame bestens in den altehrwürdigen<br />

Gemäuern aus.<br />

Andrea Camilleri<br />

Der Tanz der<br />

Möwe<br />

Im neusten Fall des sizilianischen<br />

Commissario Montalbano ist dessen<br />

Lieblingsmitarbeiter Fazio verschwunden.<br />

Montalbano findet Fazio zwar<br />

unter abenteuerlichen Umständen<br />

wieder, doch dieser kann sich an<br />

nichts erinnern – auch nicht an die<br />

beiden Toten neben ihm. Bald stellt<br />

der Kommissar fest, dass die Mafia<br />

ihre Hände im Spiel hat. Und er<br />

merkt zu spät, dass er eine wichtige<br />

Verabredung verpasst hat ...<br />

Die Kriminalromane mit Commissario<br />

Montalbano stürmen in Italien<br />

regelmässig die Bestsellerlisten, und<br />

auch im deutschsprachigen Raum hat<br />

sich der sizilianische Autor Andrea<br />

Camilleri eine riesige und stetig wachsende<br />

Fangemeinde geschaffen. Mit<br />

«Der Tanz der Möwe» wird er diese<br />

nicht enttäuschen – denn im neuen<br />

Roman steckt alles drin, was ein guter<br />

Montalbano braucht!<br />

M. J. Arlidge<br />

Eene Meene<br />

Ein perfider Killer entführt Paare und<br />

stellt sie vor eine grausame Entscheidung.<br />

Eingesperrt in einem Raum, in<br />

dem niemand ihre Schreie hört, gibt<br />

es nur eine Möglichkeit zu entkommen:<br />

Einer bringt den anderen um.<br />

Sonst sterben beide eines natürlichen,<br />

qualvollen Todes. Detective Inspector<br />

Helen Grace und ihr Team ermitteln<br />

fieberhaft, denn die Abstände zwischen<br />

den Taten werden kürzer.<br />

M. J. Arlidge hat die letzten 15 Jahre<br />

als Drehbuchautor für die BBC gearbeitet.<br />

Seit fünf Jahren betreibt er eine<br />

eigene Produktionsfirma, die vor allem<br />

auf Krimiserien spezialisiert ist. «Eene<br />

Meene» ist sein erster Roman und<br />

der Auftakt zu einer Thrillerserie um<br />

Detective Inspector Helen Grace.<br />

Judith Winter<br />

Siebenschön<br />

«Theo hat versagt.» Erstaunt blickt<br />

Christina Höffgen auf. Wer ist Theo?<br />

Sie liest weiter. «Du solltest dich lieber<br />

beeilen. Die Adresse lautet: Fordstrasse<br />

237. Ihr Name ist Jennifer.» Der<br />

rätselhafte Brief lässt Christina nicht<br />

mehr los. Gemeinsam mit ihrem Mann<br />

fährt sie zur angegebenen Adresse,<br />

auch wenn sie nicht daran glaubt, dort<br />

tatsächlich eine Jennifer zu finden. Ein<br />

grosser Irrtum ...<br />

Die Kriminaldirektion Frankfurt am<br />

Main spannt die beiden Kommissarinnen<br />

Emilia Capelli und Mai Zhou<br />

zusammen, um die bizarrste Mordserie<br />

aufzuklären, welche die Stadt je erlebt<br />

hat. Unterschiedlich wie Tag und<br />

Nacht, misstrauen die beiden Frauen<br />

einander auf Anhieb. Doch sie müssen<br />

sich zusammenraufen, denn bald jagen<br />

sie den Killer, der seine Morde als grausige<br />

Themenwelten inszeniert.<br />

256 Seiten<br />

272 Seiten<br />

368 Seiten<br />

431 Seiten<br />

CHF 22.90<br />

CHF 31.90<br />

CHF 15.90<br />

CHF 15.90<br />

List<br />

Bastei Lübbe<br />

Rowohlt<br />

dtv<br />

Besuche auch unsere Starbucks Coffeehouses<br />

in den Orell Füssli Buchhandlungen im Kramhof<br />

und am Bellevue in Zürich.<br />

ISBN 978-3-471-35114-7<br />

ISBN 978-3-7857-2499-6<br />

ISBN 978-3-499-23835-2<br />

ISBN 978-3-423-21489-6


36 | Fantastisch! Books Nr. 2/2014 Fantastisch! | 37<br />

«‹Zeitsplitter› von Cristin Terrill erzählt<br />

eine Zeitreisegeschichte mit einem besonderen<br />

Kniff. Bei den beiden Hauptfiguren<br />

Marina und Em handelt es sich um eine<br />

einzige Person – vor vier Jahren hiess Em<br />

noch Marina. In der Zeit, als Marina zu Em<br />

wurde, ereigneten sich schlimme Dinge<br />

und wurde die Zeitmaschine erfunden. Em<br />

will nun mit der Zeitmaschine zurückreisen<br />

und die Zukunft verändern. Das bedeutet<br />

allerdings, dass sie James, den sie<br />

als Marina liebte, töten muss. Dabei wird<br />

sie unterstützt von Finn, dem einst besten<br />

Freund von James. Em und Marina dürfen<br />

einander keinesfalls begegnen, damit das<br />

Zeitgefüge nicht durcheinandergerät.<br />

Die Geschichte klingt so kurz zusammengefasst<br />

etwas kompliziert, was sie aber<br />

nicht ist. Cristin Terrill hat eine besondere<br />

Ausgangslage geschaffen, um die bei Zeitreisegeschichten<br />

üblichen logischen Probleme<br />

zu umschiffen: Die Zukunft teilt sich<br />

bei ihr in mehrere Stränge auf, und deshalb<br />

kann man aus der Zukunft kommend auch<br />

die Vergangenheit verändern – weil es dann<br />

immer noch viele mögliche Zukünfte gibt.<br />

Fantastisch!<br />

Eine Mitarbeiterin von Orell Füssli Thalia präsentiert Neuerscheinungen und Geheimtipps<br />

aus dem Fantasy-Genre: Bücher für alle, die sich gern in fremde Welten entführen lassen.<br />

Marius Leutenegger<br />

Das Buch gefiel mir ausserordentlich gut,<br />

weil es einen starken Sog hat und sprachlich<br />

überzeugt. Dystopien – düstere Zukunftsvisionen<br />

– sind momentan ja sehr<br />

beliebt, was sich zum Beispiel am riesigen<br />

Erfolg von ‹Panem›, ‹Die Bestimmung› und<br />

all ihrer Epigonen zeigt. Und auch Zeitreisegeschichten<br />

liegen im Trend; man denke<br />

nur an die Beliebtheit von ‹Rubinrot›. ‹Zeitsplitter›<br />

springt aber nicht einfach auf einen<br />

fahrenden Zug auf, sondern ist eigenständig<br />

und originell. Das Buch eignet sich<br />

für alle ab zwölf Jahren – nun ja, für alle<br />

Mädchen und Frauen ab zwölf Jahren,<br />

Jungs werden sich mit der weiblichen<br />

Hauptfigur und deren Liebeswirren wohl<br />

kaum identifizieren können.<br />

Die Deutsche Nina Blazon, von der zum<br />

Beispiel ‹Der Bund der Wölfe› oder ‹Faunblut›<br />

stammen, gehört zu meinen Lieblingsautorinnen.<br />

Ich habe deshalb sofort ihr neuestes<br />

Werk ‹Der dunkle Kuss der Sterne›<br />

verschlungen. Und ich bin nicht enttäuscht<br />

worden. Die Geschichte spielt in der Stadt<br />

Ghan. Hauptfigur ist Canda, eine Hohe. Die<br />

Hohen sind immer mit zwei bis vier ausser-<br />

ordentlichen Gaben ausgestattet und bilden<br />

die oberste Kaste Ghans. Canda kann zum<br />

Beispiel sehr gut mit Zahlen umgehen, und<br />

sie hat eine besondere Ausstrahlung: Sie<br />

glänzt. In der Nacht vor ihrer Hochzeit mit<br />

Tian, der ebenfalls ein Hoher ist, durchlebt<br />

sie einen schlimmen Albtraum. Am nächsten<br />

Tag ist Tian verschwunden, und Canda<br />

hat ihren Glanz verloren.<br />

Die Familie verstösst Canda, aber sie kann<br />

eine Vereinbarung mit der Herrscherin, der<br />

Mégana, treffen: Canda darf Tian ausserhalb<br />

von Ghan suchen gehen. Dabei wird<br />

sie vom geheimnisvollen Amad begleitet.<br />

Erstmals lernt Canda die Welt ausserhalb<br />

der Stadt kennen. Wie immer bei Nina Blazon<br />

gibt es mittendrin einen entscheidenden<br />

Wendepunkt, bei dem man erkennt,<br />

dass vieles ganz anders ist, als man bisher<br />

meinte. In ‹Der dunkle Kuss der Sterne›<br />

geht es um ein schreckliches Geheimnis,<br />

das die Gaben der Hohen betrifft. Mehr will<br />

ich hier aber nicht verraten. Das Wiedersehen<br />

mit Tian ist jedenfalls nicht ganz so erfreulich,<br />

wie sich das Canda zuvor vorgestellt<br />

hat.<br />

«Es scheint für<br />

Fantasy-Autorinnen<br />

und -Autoren<br />

beinahe Pficht zu<br />

sein, möglichst<br />

schwere Wälzer<br />

zu verfassen und<br />

diese dann auch<br />

noch endlos lange<br />

fortzusetzen.»<br />

Der Schreibstil von Nina Blazon ist einfach<br />

wunderbar märchenhaft. Ein grosser Teil<br />

des Buchs spielt in der Wüste, und da passt<br />

ihr Ton perfekt: Man fühlt sich an orientalische<br />

Märchen erinnert. Vielleserinnen<br />

und -leser können dieses Buch schon mit<br />

zwölf Jahren lesen, grundsätzlich eignet es<br />

sich aber eher für etwas ältere – und wohl<br />

ebenfalls eher für weibliche – Jugendliche.<br />

Und man sollte Fantasy schon sehr mögen,<br />

wenn man dieses Buch zu lesen beginnt:<br />

Die Fantasieelemente sind dominant.<br />

‹Der dunkle Kuss der Sterne› hat über 500<br />

Seiten, das ist fürs Fantasy-Genre schon<br />

fast wenig. In den letzten Jahren ist der<br />

Umfang von Fantasy-Geschichten nämlich<br />

geradezu explodiert. Es scheint für die Autorinnen<br />

und Autoren beinahe Pflicht zu<br />

sein, möglichst schwere Wälzer zu verfassen<br />

und diese dann auch noch endlos lange<br />

fortzusetzen. Man denke zum Beispiel an<br />

die Saga ‹Das Lied von Feuer und Eis› von<br />

George R.R. Martin oder an Stephenie<br />

Meyers ‹Biss›-Erzählungen. An der Überlänge<br />

gibt es nichts auszusetzen, solange<br />

sie nicht mit Langeweile einhergeht. Aber<br />

es gibt natürlich auch viele Leute, die gern<br />

einmal etwas Kürzeres lesen. Für diese<br />

habe ich einen ganz besonderen Tipp: ‹Die<br />

Seele des Königs› von Brandon Sanderson.<br />

Der US-amerikanische Autor schreibt ansonsten<br />

ebenfalls Reihen; bekannt wurde<br />

er bei uns vor allem durch die Serie ‹Nebelgeboren›.<br />

Doch Sanderson kann auch anders:<br />

‹Die Seele des Königs› enthält drei<br />

abgeschlossene Kurzromane von ihm. Die<br />

Geschichten haben nichts miteinander zu<br />

tun, das Personal ist jeweils ganz anders.<br />

Die erste Geschichte spielt in der Welt von<br />

Elantris, die Sanderson für seinen Debütroman<br />

erfand; die Erzählung hat mit<br />

dem Roman aber nichts zu tun. In ihrem<br />

Zentrum steht eine Verbrecherin, die auf<br />

frischer Tat ertappt wird. Schnell erkennt<br />

der Berater des Königs, dass die junge<br />

Frau vielleicht das Königreich retten könnte:<br />

Ihre magischen Fähigkeiten könnten<br />

helfen, den König wieder gesund zu machen.<br />

Schlecht an den drei Geschichten ist eigentlich<br />

nur, dass sie nicht länger sind,<br />

denn man würde jedesmal gern weiterlesen.<br />

Brandon Sanderson schreibt sehr<br />

flüssig, er benötigt nur ein paar Wörter<br />

oder Sätze, um in den Köpfen seiner Leserinnen<br />

und Leser starke Bilder entstehen<br />

zu lassen. Dieses Buch ist etwas für alle<br />

Fantasy-Fans – uneingeschränkt auch für<br />

Männer!»<br />

So sehen sie aus, die Fantasy-Schöpfer: Cristin Terrill, Nina Blazon und Brandon Sanderson.<br />

Katharina Kromer, 29, lebt in Wutach<br />

etwa eine halbe Stunde von Schaffhausen<br />

entfernt. Seit vier Jahren arbeitet sie bei<br />

Thalia Schaffhausen. Buchhändlerin wurde<br />

sie, «weil ich schon immer sehr gern las<br />

und nicht studieren wollte». Am liebsten<br />

liest sie Bücher wie jene, die sie hier<br />

vorstellt: Fantasy-Romane für Jugendliche<br />

und Erwachsene.<br />

Zeitsplitter –<br />

Die Jägerin<br />

Cristin Terrill<br />

332 Seiten<br />

CHF 22.90<br />

Boje<br />

Der dunkle<br />

Kuss der<br />

Sterne<br />

Nina Blazon<br />

527 Seiten<br />

CHF 25.90<br />

cbt<br />

Die Seele des<br />

Königs<br />

Brandon<br />

Sanderson<br />

446 Seiten<br />

CHF 22.90<br />

Heyne


38 | FANTASTISCH Books Nr. 2/2014 FILMTIPPS | 39<br />

Weitere Tipps aus dem Fantasy-Genre<br />

Angelina Rubli,<br />

28, ist im Kanton<br />

Schaffhausen aufgewachsen,<br />

wohnt<br />

in Dachsen und arbeitet<br />

bei Orell<br />

Füssli am Bellevue.<br />

«Das erste Geschenk,<br />

an das ich<br />

mich erinnern<br />

kann, war das Buch ‹Ronja Räubertochter›»,<br />

erzählt sie. «Von da an wollte ich nur<br />

noch lesen – und Buchhändlerin werden.»<br />

Angelina verschlingt etwa drei bis vier Bücher<br />

pro Woche; eigenartigerweise liest sie<br />

bei jedem Buch immer zuerst das Ende. Ihr<br />

Tipp: «Plötzlich Prinz» von Julie Kagawa.<br />

«In der Buchreihe ‹Plötzlich Fee› musste die<br />

Hauptfigur Megan Chase ihren kleinen Bruder<br />

Ethan aus dem Feenreich Nimmernie<br />

retten. Dieser Ethan ist jetzt die Hauptfigur<br />

einer neuen, eigenständigen Reihe. Inzwischen<br />

ist er 17 Jahre alt. Er kann Feen sehen;<br />

das macht ihn einerseits einsam, weil<br />

ihn alle für einen Freak halten, andererseits<br />

ziemlich reizbar, weil die Feen ihn ständig<br />

ärgern. Immer mehr Mischwesen aus<br />

Mensch und Fee verschwinden auf unerklärliche<br />

Weise. Um herauszufinden, was<br />

mit ihnen geschieht, muss Ethan nach Nimmernie<br />

zu seiner Schwester reisen. Auf dieser<br />

Reise begleitet ihn ein Mädchen aus<br />

seiner neuen Schule. Schafft sie es, sein<br />

Herz zu erwärmen? Und wie wird Ethans<br />

erstes Zusammentreffen mit Megan nach<br />

fast zwölf Jahren ausfallen? Für mich war<br />

es ein Muss, den Auftakt zu dieser neuen<br />

Reihe zu lesen. Ich fand ‹Plötzlich Fee› super<br />

– und ‹Plötzlich Prinz› ist genauso spannend.<br />

Nur die Liebesgeschichte könnte<br />

noch etwas prickelnder sein. Dieses Buch<br />

empfehle ich allen, denen die Reihe ‹Plötzlich<br />

Fee› gefiel, die frech geschriebene Fantasy<br />

mögen und sich für Feen-Geschichten<br />

erwärmen können. Jungs wird dieses Buch<br />

wohl eher nicht so in den Bann schlagen.»<br />

Plötzlich Prinz<br />

Julie Kagawa<br />

480 Seiten<br />

CHF 25.90<br />

Heyne<br />

Kai Mader, 32,<br />

wohnt in einem<br />

kleinen Vorort von<br />

Basel auf deutscher<br />

Seite. Weil er<br />

gern liest, stieg er<br />

vor etwa zehn Jahren<br />

mit einem<br />

Praktikum in den<br />

Buchhändler-Beruf<br />

ein. Seit vier Jahren leitet er die Fantasy-<br />

Abteilung bei Thalia, die mit Abstand grösste<br />

ihrer Art in Basel. Sein Tipp: «König der<br />

Dunkelheit» von Mark Lawrence. «Seit die<br />

Mutter und der jüngere Bruder von Prinz<br />

Jorg Ankrath bei einem Überfall ermordet<br />

wurden, sinnt dieser auf Rache. Doch sein<br />

Vater, der König, zog ein Handelsabkommen<br />

der Vergeltung vor. Deshalb schloss sich<br />

Jorg in Band eins dieser Trilogie – ‹Prinz der<br />

Dunkelheit› – einer Räuberbande an. Nach<br />

Jahren auf der Strasse hat er nun sein Erbe<br />

angetreten. Als König ist Jorg schwer gefordert,<br />

denn eine mächtige Armee marschiert<br />

auf sein Reich zu, angeführt von einem<br />

scheinbar unbesiegbaren Krieger. Dieser<br />

Roman hebt sich durch die Schreibweise<br />

und den Hauptcharakter von anderen Fantasy-Büchern<br />

ab. Der Autor erzählt die Geschichte<br />

aus Sicht von Jorg; man sieht die<br />

Welt durch dessen Augen und erfährt genau,<br />

warum der König so handelt, wie er es<br />

tut. Jorgs Gedankengänge sind so eindrücklich<br />

beschrieben, dass man als Leser selbst<br />

schlimmste Taten fast als notwendig erachtet.<br />

Das Buch eignet sich für die Liebhaber<br />

düsterer Fantasy und ist eine echte Entdeckung<br />

für Vielleser: Endlich wieder einmal<br />

ein ganz neuer Schreibstil, ein mitreissender<br />

und vielschichtiger, aber durchwegs<br />

böser Held – und eine Welt, die grosse Überraschungen<br />

bietet! Dieses Buch hat mich so<br />

gefesselt wie schon seit langer Zeit keines<br />

mehr. Der Abschlussband der Trilogie,<br />

‹Kaiser der Dunkelheit›, erscheint Anfang<br />

Juni.»<br />

König der Dunkelheit<br />

Mark Lawrence<br />

604 Seiten<br />

CHF 21.90<br />

Heyne<br />

Ramona Gilomen,<br />

24, wohnt in Grenchen<br />

und arbeitet<br />

bei Stauffacher in<br />

Bern. Sie hat sich<br />

zur Buchhändlerin<br />

ausbilden lassen,<br />

weil sie sehr gern<br />

liest und ihre Freude<br />

am Gelesenen<br />

gern weitergibt. Am allerliebsten sind ihr<br />

Fantasybücher und Comics – kein Wunder<br />

also, arbeitet sie bei Stauffacher in der Comic-<br />

und Fantasyabteilung. Ihr Tipp: «Die<br />

Brücke der Gezeiten» von David Hair. «Zwei<br />

Kontinente sind miteinander einzig durch<br />

eine Brücke verbunden, die nur alle zwölf<br />

Jahre erscheint. Auf den Kontinenten leben<br />

unterschiedliche Kulturen; die eine wirkt<br />

mittelalterlich-westlich, die andere eher<br />

orientalisch. Die beiden Kulturen führten<br />

schon zwei Kriege gegeneinander, und es ist<br />

klar: Erscheint die Brücke wieder, wird der<br />

dritte Krieg ausbrechen. Die Geschichte<br />

dieses Buchs lässt sich kaum zusammenfassen;<br />

es bildet den Anfang eines neuen<br />

grossen Epos im Stil von ‹Das Lied von Feuer<br />

und Eis› oder ‹Die Kinder des Nebels›,<br />

und die neue Reihe lässt sich auch in vielerlei<br />

Hinsicht mit dem Welterfolg von George<br />

R.R. Martin vergleichen. Es gibt zahlreiche<br />

Figuren, die wir allmählich kennenlernen,<br />

viele kleine Geschichten, viel Atmosphäre.<br />

Das Buch absorbiert einen sehr. Seine eigentliche<br />

Hauptfigur ist die Brücke, und das<br />

finde ich sehr originell. Wie bei ‹Das Lied<br />

von Feuer und Eis› spürt man, dass grosse<br />

Dinge geschehen werden, aber diese kündigen<br />

sich jetzt erst leise an. Besonders gut<br />

gefiel mir auch die Sprache von David Hair;<br />

es ist nicht leicht, ein sprachlich etwas anspruchsvolleres<br />

Fantasy-Buch zu finden,<br />

‹Die Brücke der Gezeiten› ist diesbezüglich<br />

aber überzeugend. Ich hoffe, der Autor kann<br />

das Niveau auch bei den folgenden Bänden<br />

halten. Band 2 erscheint Ende Juni.»<br />

Die Brücke der Gezeiten<br />

01. Ein Sturm zieht auf<br />

David Hair<br />

510 Seiten<br />

CHF 22.90<br />

Penhaligon<br />

BIOGRAFIE<br />

Saving Mr. Banks<br />

Walt Disney will seit über 20 Jahren<br />

mit allen Mitteln das Lieblingsbuch<br />

seiner Töchter auf die Leinwand bringen:<br />

Mary Poppins. Doch die widerspenstige<br />

Romanautorin P. L. Travers<br />

will ihre geliebte Titelheldin nicht<br />

für eine Verfilmung freigeben. Zwei<br />

Wochen lang ringen die beiden um<br />

Drehbuch, Musik und die Unterschrift<br />

unter dem Vertrag. Und die Autorin<br />

stellt immer neue Forderungen – weil<br />

sie aus gutem Grund eine sehr enge<br />

Beziehung zu ihrer Figur hat.<br />

Nach einer wahren Begebenheit<br />

erzählt «Saving Mr. Banks» die bislang<br />

kaum bekannte Geschichte der<br />

explosiven Begegnung zwischen dem<br />

Hollywood-Produzenten und der<br />

australisch-britischen Autorin. Unter<br />

der Regie von John Lee Hancock<br />

brillieren Tom Hanks und Emma<br />

Thompson in den Hauptrollen.<br />

130 Minuten<br />

DVD: CHF 17.90<br />

Blu-ray: CHF 22.90<br />

vorläufiges Cover<br />

ABENTEUER<br />

Der Medicus<br />

England im 11. Jahrhundert. Aufgrund<br />

einer aussergewöhnlichen Gabe<br />

fühlt Rob Cole als kleiner Junge, dass<br />

seine kranke Mutter sterben wird.<br />

Hilflos muss er zusehen, wie sich<br />

seine Vorahnung erfüllt. Auf sich<br />

allein gestellt, schliesst er sich einem<br />

fahrenden Bader an, der ihm neben<br />

Taschenspielertricks auch die Grundlagen<br />

der mittelalterlichen Heilkunde<br />

nahebringt. Rob erkennt die Grenzen<br />

der einfachen Praktiken schnell. Eines<br />

Tages erfährt er vom berühmten<br />

Universalgelehrten Ibn Sina, der im<br />

fernen Persien Medizin lehrt – und<br />

er beschliesst, sich dort zum Arzt<br />

ausbilden zu lassen.<br />

Regisseur Philipp Stölzl hat den<br />

Roman von Noah Gordon kongenial<br />

verfilmt – mit Ben Kingsley und Tom<br />

Payne in den Hauptrollen. 2-Disc-<br />

Spezial-Edition.<br />

155 Minuten<br />

DVD: CHF 22.90<br />

Blu-ray: CHF 26.90<br />

KOMÖDIE<br />

Recycling Lily<br />

Der stille Einzelgänger Hansjörg Stähli<br />

ist Müllinspektor eines malerischen<br />

Städtchens. Er achtet peinlich genau<br />

darauf, dass sich alle an die Regeln<br />

halten, und jagt seit Wochen einen<br />

unbekannten Abfallsünder, der illegal<br />

Müllsäcke entsorgt. Nichts ist ihm<br />

wichtiger als Sauberkeit – ausser<br />

vielleicht die Kellnerin Lily Frei, in die<br />

er unsterblich verliebt ist.<br />

Hansjörgs ruhiges Leben gerät völlig<br />

aus den Fugen, als er eines Tages<br />

feststellt, dass die Abfallsünderin<br />

Lilys Tochter Emma ist. Er erlässt der<br />

Mutter die Busse und beginnt Lily zu<br />

hofieren, doch ohne Erfolg. Hansjörg<br />

ahnt nicht, ist, dass Emma aus purer<br />

Not zur Abfallsünderin wurde. Ihre<br />

Mutter Lily ist nämlich ein Messie. Ein<br />

«trashiger Spass» (NZZ) des Lausanner<br />

Regisseurs Pierre Monnard.<br />

95 Minuten<br />

DVD: CHF 22.90<br />

Blu-ray: CHF 26.90<br />

DOKUMENTATION<br />

On the Way to<br />

School<br />

Ob gefährlich nah an einer Elefantenherde<br />

vorbei, über steinige Gebirgspfade,<br />

durch unwegsame Flusstäler<br />

oder mit dem Pferd durch die Weite<br />

Patagoniens – Jackson (11) aus Kenia,<br />

Zahira (12) aus Marokko, Samuel<br />

(13) aus Indien und Carlito (11) aus<br />

Argentinien haben eines gemeinsam:<br />

Ihr Schulweg ist sehr lang und voller<br />

Gefahren. Doch mit Eigensinn und<br />

noch mehr Einfallsreichtum räumen<br />

die Kinder alle Hindernisse aus dem<br />

Weg.<br />

Der Dokumentarfilm verzaubert<br />

mit seinen Protagonisten: Die vier<br />

Kinder überraschen mit Leidenschaft,<br />

Neugier und viel Energie. Regisseur<br />

Pascal Plisson erzählt eine globale<br />

Bildungsgeschichte. Mit viel Gespür<br />

für Situationskomik porträtiert er<br />

seine kleinen Helden und feiert ganz<br />

nebenbei die Bildung.<br />

75 Minuten<br />

DVD: CHF 22.90<br />

Blu-ray: CHF 26.90


40 | Im Schaufenster Books Nr. 2/2014 Mein Buch | 41<br />

© M. Werneke<br />

Suchen Sie sich einen aus!<br />

Wie gelangt jemand an die Spitze eines grossen Unternehmens?<br />

Braucht es dazu Vitamin B und Glück – oder muss man einfach<br />

einem Rezept folgen? Frank Arnolds neues Buch «Der beste<br />

Rat, den ich je bekam» legt jedenfalls nahe, dass es einen bestimmten<br />

Schlüssel braucht. Auch wenn dieser für jeden Menschen<br />

ein bisschen anders aussieht.<br />

Erik Brühlmann<br />

Fast täglich erhält man von allen Seiten<br />

Ratschläge. Viele sind unbrauchbar, manche<br />

helfen in bestimmten Situationen. Nur<br />

wenige Tipps sind so universell und grundlegend,<br />

dass sie einen im Leben wirklich<br />

weiterbringen könnten. Unter dem Titel<br />

«Der beste Rat, den ich je bekam» präsentiert<br />

der Wirtschaftswissenschaftler und<br />

Unternehmensberater Frank Arnold nun<br />

die gesammelten «Mütter aller Ratschläge»<br />

prominenter Wirtschaftsvertreter. Das<br />

Buch ist spannender Lesestoff und hilfreicher<br />

Ratgeber zugleich.<br />

Warren Buffett, dem «Orakel von Omaha».<br />

Natürlich brauchen alle etwas mehr als den<br />

Rat von Lehrmeistern, Mentoren, Vätern<br />

oder Ehepartnern, um erfolgreich zu sein.<br />

Dennoch ist es spannend zu lesen, welche<br />

grundlegenden Gedanken diese Menschen<br />

antreibt – auch für Lesende, die nichts mit<br />

den Teppichetagen von Grosskonzernen zu<br />

tun haben oder haben wollen.<br />

Einfache Leitlinien zum Erfolg<br />

Richard Branson, Gründer der Unternehmensgruppe<br />

Virgin, erhielt vor der Gründung<br />

von «Virgin Atlantic» zum Beispiel<br />

einen ganz simplen Rat von einem ehemaligen<br />

Piloten aus dem Zweiten Weltkrieg:<br />

«Mach dich zum Narren – sonst überlebst<br />

du nicht.» Branson folgte dem Rat, benutzte<br />

sich selbst als Werbefigur für seine Fluggesellschaft<br />

und hatte Erfolg. Eine ebenso<br />

einfache wie schwierige Maxime befolgt<br />

Urs Berger, Präsident des Schweizerischen<br />

Versicherungsverbands (SVV). Es gehe im<br />

Geschäftsleben darum, den Mittelweg zu<br />

finden zwischen «Türen offenlassen», um<br />

sich keine Kompromisse zu verbauen, und<br />

«Türen zuschlagen», wenn Kompromisse<br />

gegen die persönliche Überzeugung gehen.<br />

Barbara Kux, von 2008 bis 2013 die erste<br />

Frau im Vorstand von Siemens, plädiert dagegen<br />

für den Blick von oben: Es gelte, so<br />

ein Ratschlag, den sie gar zweimal bekam,<br />

einen Blick «aus dem Hubschrauber» auf<br />

das grosse Ganze zu werfen, um einzelne<br />

Entscheidungen richtig treffen zu können.<br />

Ehrenpräsident der Nesté AG, findet, dass<br />

man die Menschen einfach so nehmen<br />

müsse, wie sie sind: «Bleiben wir also realistisch<br />

und bescheiden in unseren gesellschaftlichen<br />

und politischen Entwürfen<br />

und richten wir uns an den Menschen aus,<br />

wie sie sind.» Für Hublot-Verwaltungsratspräsident<br />

Jean-Claude Biver wiederum<br />

dreht sich alles um die Antwort auf die Frage:<br />

Welche Spur will ich nach meinem Tod<br />

hinterlassen? Der ehemalige US-Aussenminister<br />

Colin Powell schliesslich rät, sich<br />

jeden Tag darauf zu konzentrieren, das<br />

Beste zu geben, denn «man wird kein guter<br />

General, wenn man nicht vorher ein guter<br />

Oberleutnant war».<br />

«Man wird kein<br />

guter General,<br />

wenn man nicht<br />

vorher ein guter<br />

Oberleutnant war.»<br />

Ein «Ratgeber plus»<br />

Ist «Der beste Rat, den ich je bekam» ein<br />

Buch der Kategorie Ratgeber? In gewissem<br />

Sinn schon, denn es gewährt Einblicke in<br />

die Leitlinien deren, die «es» geschafft haben.<br />

Im Gegensatz zu herkömmlichen Ratgebern<br />

reklamiert das Buch jedoch nicht<br />

für sich, die einzig wahre und gültige Ratschlag-Sammlung<br />

zu sein. Allein die Vielfalt<br />

der Beiträge und der beteiligten Menschen<br />

zeigt ja, dass unzählige Wege nach Rom<br />

führen – und dass Rom für jeden woanders<br />

liegt. Das Buch erreicht aber auch eine Leserschaft,<br />

die sich für Zeitgeschehen interessiert.<br />

Denn in so manchem Kapitel steckt<br />

hinter dem Ratschlag eine Anekdote, die<br />

einen schmunzeln oder gar staunen lässt.<br />

Oder wussten Sie, dass Jean-Claude Biver<br />

einst ein überzeugter Hippie war?<br />

«Ich ‹wohne› gern in<br />

einem Buch»<br />

Wir möchten von Kundinnen und Kunden wissen: Welches ist Ihr liebstes<br />

Buch? Heute antwortet Doris Gautschi aus Brugg.<br />

Die Filiale von Thalia in Brugg befindet<br />

sich mitten in einer Fussgängerzone – ideal,<br />

um beim Einkaufen einen Zwischenstopp<br />

einzulegen und sich die neuesten<br />

Bücher anzusehen. Doris Gautschi allerdings<br />

ist keine Gelegenheitskundin: «Die<br />

Filiale ist quasi mein zweites Zuhause!»,<br />

gesteht sie lachend. Das klingt zwar nach<br />

einer beeindruckenden Privatbibliothek,<br />

doch die 46-jährige Lehrerin aus Brugg relativiert:<br />

«Ich behalte längst nicht jedes<br />

Buch, das ich lese. So bleibt die Sammlung<br />

einigermassen überschaubar.»<br />

Doris Gautschi schreibt und veröffentlicht<br />

selbst Lyrik, liest aber nicht die ganze Zeit<br />

Gedichte. «Vor allem wenn ich in einer<br />

Schreibphase bin, würde das meine Kreativität<br />

zu sehr einschränken», sagt sie.<br />

Dennoch kann sie natürlich nicht ganz von<br />

den Lyrikern lassen – sie mag zum Beispiel<br />

Werke von Elisabeth Borchers, Inger<br />

Christensen oder Walter Helmut Fritz. Krimis<br />

liest Doris Gautschi hingegen sozusagen<br />

am laufenden Band. Diese Bücher finden<br />

jedoch kaum Eingang in ihre<br />

Sammlung. «Es ist seltsam: Einerseits faszinieren<br />

mich Geschichten, in denen das<br />

Gute gewinnt und das Böse bestraft wird»,<br />

sagt Doris Gautschi. «Andererseits kann<br />

ich zu diesen Büchern keine wirkliche Beziehung<br />

aufbauen, und ich weiss genau,<br />

dass ich keinen Krimi ein zweites Mal lesen<br />

werde.»<br />

Anders die Bücher, die sie nicht weggibt.<br />

«Sie gehören keinen bestimmten Genres<br />

an, sondern sind einfach Bücher, die mich<br />

zum Nachdenken anregen, bei denen ich<br />

einzelne Seiten mehrmals lese oder mir<br />

Notizen mache.» Der «Erstkontakt» entstehe<br />

dabei meist durch faszinierende oder<br />

ungewöhnliche Titel oder auch besondere<br />

Buchcover. «Es sind oft poetische Bücher,<br />

die einen offenen Rahmen haben und mir<br />

erlauben, mich innerhalb der Geschichten<br />

auszubreiten», sagt sie. «Ich ‹wohne› gern<br />

in einem Buch und schaffe mir darin Platz<br />

für mich selbst.»<br />

Ein solches Buch ist auch «Unter dem Tagmond»<br />

der Neuseeländerin Keri Hulme.<br />

«Dies ist vermutlich die gewaltigste und<br />

eindrücklichste Geschichte, die ich je gelesen<br />

habe», schwärmt Doris Gautschi.<br />

«Mein absolutes Lieblingsbuch!» Die Geschichte<br />

um einen Mann, eine Frau und einen<br />

Jungen, die eine Art Familie bilden,<br />

ohne wirklich zusammenzugehören, sei<br />

jenseits jeglicher Norm und in jeder Beziehung<br />

einzigartig, so die Lehrerin. Zwölf<br />

Jahre lang schrieb Hulme an der Geschichte,<br />

weitere sechs Jahre gingen ins Land, bis<br />

sie einen Verlag fand, der das Manuskript so<br />

akzeptierte, wie es war. «Das Buch ist ungeschliffen,<br />

ehrlich und urtümlich, gleichermassen<br />

berührend und hart», zeigt sich<br />

Doris Gautschi begeistert, warnt aber auch:<br />

«‹Unter dem Tagmond› ist eines dieser Bücher,<br />

die man entweder liebt oder nicht erträgt<br />

– etwas dazwischen gibt es nicht.»<br />

Unter dem Tagmond<br />

Keri Hulme<br />

654 Seiten<br />

CHF 16.90<br />

S. Fischer<br />

Sammelsurium der grossen Köpfe<br />

Insgesamt 104 Führungspersönlichkeiten<br />

aus aller Welt geben in diesem Buch kurz<br />

und prägnant ihre wichtigsten Ratschläge<br />

preis. Dass die Tipps aus berufenen Mündern<br />

kommen, zeigt sich allein schon an<br />

den Namen, die im Buch vorkommen: vom<br />

AXA-Manager Thomas Buberl bis zu Hewlett-Packard-CEO<br />

Meg Whitman, von Starbucks-Präsident<br />

Howard Schultz bis zu<br />

Fast schon philosophisch<br />

«Der beste Rat, den ich je bekam» enthält<br />

aber auch Ratschläge, die über das Geschäftsgebaren<br />

hinausgehen und fast<br />

schon philosophischen Ausmasses sind.<br />

Holcim-CEO Bernard Fontana beispielsweise<br />

ist überzeugt: «Führung verändert<br />

das Leben derjenigen, die geführt werden,<br />

aber noch viel mehr das Leben der Führungskräfte<br />

selbst.» Und Helmut Maucher,<br />

Der beste<br />

Rat, den ich je<br />

bekam<br />

240 Seiten<br />

CHF 24.90<br />

Hanser<br />

LORENZ KEISER<br />

«Chäs und Brot & Rock ’n’ Roll»<br />

FR 9. MAI – SA 31. MAI<br />

20.00 Uhr<br />

GESCHWISTER PFISTER<br />

Die Geschwister Pfister in der Toskana<br />

FR 23. MAI – SO 25. MAI<br />

20.00 Uhr, SO 17.00 Uhr<br />

Kartenbestellung und weitere Infos: www.casinotheater.ch oder Telefon 052 260 58 58<br />

HUTZENLAUB & STÄUBLI<br />

«Reif für den Oscar»<br />

DI 17. JUN – DO 19. JUN<br />

20.00 Uhr


42 | ereader Books Nr. 2/2014<br />

ereader | 43<br />

Der neue tolino vision<br />

im Taschenformat<br />

Ein eReader ist so etwas wie ein fast endloses Bücherregal, das in jeder Tasche<br />

Platz findet. tolino vision, der neue eReader von Orell Füssli Thalia, vergrössert das<br />

Lesevergnügen jetzt gleich noch einmal: mit einem ergonomischem Design und<br />

einer noch einmal verbesserten E-Ink-Technologie.<br />

Schutz und Saft<br />

Bei einem Buch zeugt die Abgegriffenheit<br />

von seiner Beliebtheit. Bei einem eReader<br />

mit seinen Tausenden von Büchern will<br />

man Alterungsspuren lieber gering halten.<br />

Dafür gibt es passende Schutzhüllen zum<br />

tolino vision.<br />

Der Akku des tolino vision hält fast ewig –<br />

doch irgendwann braucht auch er neuen<br />

Saft. Mit dem kompakten USB-Ladegerät<br />

lässt sich der eReader an jeder Steckdose<br />

aufladen. Das dazu benötigte USB-Kabel ist<br />

beim tolino vision schon dabei.<br />

Der stilsichere Blickfang: tolino vision Tasche Ultra<br />

Slim, erhältlich in diversen Farben. CHF 34.90<br />

Ich<br />

coache<br />

.selbst!<br />

mich<br />

Einfach aufladen: USB-Ladegerät tolino eReader.<br />

CHF 11.50<br />

ISBN 978-3-<br />

86910-487-4<br />

CHF 32.90<br />

Schneller lesen<br />

Der Prozessor im neuen tolino vision ist<br />

1 Gigahertz schnell. Das virtuelle Stöbern<br />

im integrierten Thalia-eBook-Shop<br />

wird damit noch mehr beschleunigt.<br />

Länger lesen<br />

Die E-Ink-Technologie ist äusserst sparsam<br />

im Energieverbrauch. Deshalb hält<br />

der Akku des tolino vision bis zu 7 Wochen.<br />

Mehr lesen<br />

Im 2 Gigabyte grossen Speicher finden<br />

bis zu 2000 eBooks Platz. Wem das noch<br />

nicht genug ist, der erweitert sein Regal<br />

mittels Speicherkarte um bis zu 32 Gigabyte<br />

– und schafft so Platz für weitere<br />

32‘000 Bücher. Oder er nutzt die kostenlose<br />

Cloud.<br />

Schärfer lesen<br />

Auch auf dem tolino vision riecht ein eBook<br />

nicht nach Papier. Aber es sieht fast so aus<br />

wie ein gedrucktes Buch. Die revolutionäre<br />

E-Ink-Carta-Technologie sorgt für ein perfektes<br />

Schriftbild. Und die stufenlos verstellbare<br />

Hintergrundbeleuchtung macht<br />

sogar die Nachttischlampe überflüssig.<br />

Schöner lesen<br />

Der tolino vision überzeugt mit schlichtem<br />

Design ohne überflüssige Ecken und Kanten.<br />

Der neue eBook-Reader liegt auch besser<br />

in der Hand als alle früheren Geräte. Es<br />

ist gut 8 Millimeter dünn, rund 16 Zentimeter<br />

lang und 11 Zentimeter breit. Und bei<br />

einem Gewicht von weniger als 180 Gramm<br />

verkommt auch stundenlanges Lesen nicht<br />

zur Kraftübung.<br />

Unabhängiger lesen<br />

Selbst ohne tolino vision ist das Lieblingsbuch<br />

immer da: beim kurzen Schmökern in<br />

der Smartphone-App im Tram beispielsweise<br />

oder sogar beim heimlichen Lesevergnügen<br />

am Computer im Büro. Dafür sorgt<br />

die ThaliaCloud, das 25 Gigabyte grosse<br />

Bucharchiv in der Datenwolke. So abgesichert<br />

geht auch garantiert kein eBook mehr<br />

verloren – und selbst das Buchzeichen<br />

rutscht nie mehr zwischen den Seiten heraus.<br />

Denn dank der Cloudspeicherung und<br />

-synchronisierung ist es auf jedem Gerät<br />

gleich am richtigen Ort: für ein Lesevergnügen<br />

ohne Unterbruch.<br />

ISBN 978-3-<br />

86910-500-0<br />

CHF 29.90<br />

ISBN 978-3-<br />

86910-501-7<br />

CHF 29.90<br />

Den tolino vision gibt’s für CHF 156.– in den Filialen von Orell Füssli, Thalia, Stauffacher, Meissner,<br />

ZAP sowie im Rösslitor – oder im Internet auf thalia.ch, buch.ch und books.ch. Immer mehr Filialen<br />

verfügen zudem über eigene eBook Shops. Dort kann man die Geräte nach Herzenslust testen<br />

oder sich bei Kauf, Einrichtung und technischen Problemen beraten lassen.<br />

www.humboldt.de


44 | kINDERWELT Books Nr. 2/2014<br />

KINDERWELT | 45<br />

© Moritz-Verlag<br />

Sonne, Wasser, Abenteuer<br />

© cbj<br />

Der Sommer ist eine Saison, in der viele gern lesen – er ist aber auch ein vielfältiges Buch-<br />

Thema. Nicole Stäuble, unsere Fachfrau für Kinderbücher aus der Orell-Füssli-Filiale in<br />

Frauenfeld, stellt einige besonders gelungene Geschichten mit sommerlicher Atmosphäre vor.<br />

«Wir alle haben wohl schöne Kindheitserinnerungen<br />

an den Sommer – an die Zeit,<br />

als die Luft förmlich nach Freiheit duftete,<br />

wir uns im See abkühlten, bis spät am<br />

Abend draussen spielten und die Ferien in<br />

vollen Zügen genossen. Kein Wunder, handeln<br />

viele Geschichten für Kinder in dieser<br />

herrlichen Jahreszeit!<br />

Ein typisches Sommer-Bilderbuch ist ‹Vorsicht,<br />

Krokodil› von Lisa Moroni. Es erzählt<br />

von Tora, die mit ihrem Vater zelten geht.<br />

Zuerst findet Tora den Ausflug langweilig,<br />

denn er beginnt mit einer Einkaufstour<br />

und einer langen Anfahrt. Und als sie mit<br />

ihrem Vater in der Wildnis ankommt, will<br />

Tora endlich ein paar wilde Tiere sehen, sie<br />

entdeckt aber überhaupt nichts. Der Vater<br />

findet, sie müsse eben ein bisschen genauer<br />

schauen – und fortan macht Tora überall<br />

tun bis morgen früh. Ich bin so froh, dass du da<br />

bist. Ich hatte schon Angst, du schaffst es nicht<br />

rechtzeitig.«<br />

Benjamin hätte gerne gefragt »wofür rechtzeitig?«,<br />

aber da hatte er schon den ersten Bissen<br />

in den Mund geschoben.<br />

»Cornelius kann dir so lange Gesellschaft<br />

leisten.« Und damit verschwand Tante Phil aus<br />

der Hintertür.<br />

Ben sah sich in der Küche um und fragte sich,<br />

wann dieser Cornelius wohl auftauchen würde.<br />

»Na, mit diesen Haaren siehst du zumindest aus<br />

wie ein Wood.«<br />

Ben zuckte beim Klang der Stimme zusammen<br />

und sah sich nach dem Sprecher um. Doch es gab<br />

nichts außer dieser Dodofigur. Es sei denn …<br />

»Du lebst?«<br />

»Allerdings.«<br />

»Aber … aber du bist ein Dodo!«<br />

»Und du bist ein Junge. Aber ich werfe dir das<br />

nicht vor. Jedenfalls nicht sehr.«<br />

Ben vergaß sein Essen und starrte ihn an. »Aber<br />

du bist ausgestorben.«<br />

Marius Leutenegger<br />

die wildesten Kreaturen aus: Wurzeln werden<br />

zu Schlangen, Felsen zu Nilpferden,<br />

Baumstümpfe zu Elfen, Bäume zu Giraffen.<br />

Und ein Baumstamm entpuppt sich gar als<br />

ein gefährliches Krokodil, das den Vater<br />

fressen will!<br />

Die liebevollen Illustrationen von Eva<br />

Eriksson machen dieses Buch zu einem<br />

ganz besonderen Vergnügen – für Kinder<br />

wie auch für die vorlesenden Erwachsenen.<br />

Die feinen Zeichnungen sind farblich<br />

wunderschön, und sie kombinieren auf<br />

ganz selbstverständliche Weise Reales mit<br />

Fantasievollem. Aber auch die Geschichte<br />

finde ich sehr attraktiv und voller Sommer-<br />

Atmosphäre. In Tora kann ich mich leicht<br />

hineinfühlen, denn mir geht es wie ihr:<br />

Überall meine ich Tiere oder Gesichter zu<br />

entdecken.<br />

Benjamin Wood 24 weiss das zu Beginn nicht - aber er ist ein Beastologe, ein Spezialist für Bestien. Erst bei<br />

seiner Tante erkennt er sein Talent.<br />

Auch das nächste Buch hat eine Hauptfigur,<br />

mit der man sich leicht identifizieren<br />

kann: ‹Benjamin Wood – Beastologe 01.<br />

Die Suche nach dem Phönix› von Robin L.<br />

LaFevers. Der etwa zehnjährige Benjamin<br />

ist der Sohn eines Forscherehepaars. Die<br />

Eltern sind spurlos im Eismeer bei Alaska<br />

verschwunden, und darum soll Benjamin<br />

jetzt bei seiner Tante leben. Kaum ist er bei<br />

ihr angekommen, heisst es allerdings:<br />

Pack die Koffer gar nicht erst aus, morgen<br />

gehen wir auf grosse Reise! Tatsächlich<br />

fliegen die beiden tags darauf mit einem<br />

Doppeldecker in die Wüste. Dort will die<br />

Tante ein Phönix-Ei finden – und sie eröffnet<br />

Benjamin, dass er einer der letzten<br />

Beastologen sei, ein Spezialist für Bestien.<br />

Dann überschlagen sich die Ereignisse:<br />

Die Tante wird von Beduinen entführt, und<br />

der Phönix kommt angeflogen. Zum Glück<br />

ist Benjamin nicht allein, denn inzwischen<br />

hat er Freundschaft mit einem kleinen<br />

Gremlin geschlossen.<br />

Dieser Auftakt zu einer hoffentlich langen<br />

Serie bietet eine richtig tolle Abenteuergeschichte,<br />

die sich sehr gut für Kinder eignet<br />

– denn sie ist nie wirklich unheimlich, aber<br />

immer sehr spannend. Das Buch hat mir<br />

sehr gut gefallen, und ich finde es auch<br />

sehr sommerlich. Kein Wunder, es spielt ja<br />

auch in der Wüste; wer es in der Badi liest,<br />

wird daher so richtig mitschwitzen mit<br />

Benjamin. Dieser Bub ist eine überaus<br />

sympathische Figur, ein Zweifler, der sich<br />

nicht allzu viel zutraut, aber dennoch nie<br />

aufgibt und auch dann den Mut nicht verliert,<br />

wenn es ungemütlich wird.<br />

‹Benjamin Wood› finde ich super – und sogar<br />

supersuper ist ‹Die sagenhafte Saubande›<br />

von Nina Weger. Der neunjährige Matheo<br />

ist ein Aussenseiter, seit er gesagt hat,<br />

er verstehe die Sprache der Tiere. Das<br />

Mit Fantasie wird für Tora ein vermeintlich langweiliger Ausflug zu einem Abenteuer.<br />

glaubt ihm natürlich keiner, aber Matheo<br />

hat nicht gelogen. Da er in der Stadt lebt, hat<br />

er allerdings wenig Kontakt zu Tieren. Richtig<br />

kennen tut er eigentlich nur die ziemlich<br />

fiese Katze der Tante, und ihretwegen<br />

fürchtet sich Matheo vor allen Tieren.<br />

Um diese Angst zu besiegen, soll er nun<br />

während der Sommerferien mit seiner<br />

Tante einen Zoo besuchen. Schon die Fahrt<br />

zum Zoo ist lustig, denn Matheo und seine<br />

Tante machen im Zug Bekanntschaft mit<br />

einer netten Dame, die zwei witzige Pudel<br />

hat – Matheo muss ständig kichern, weil er<br />

die Hunde versteht, und die Frauen begreifen<br />

überhaupt nicht, was der Bub denn so<br />

lustig findet. Schliesslich gehen alle zusammen<br />

in den Zoo. Dort hat sich gerade eine<br />

Katastrophe ereignet: Ein Känguru wurde<br />

entführt. Matheo macht sich mit den Pudeln<br />

auf die Suche und bekommt schon bald Unterstützung<br />

vom pensionierten Spürschwein<br />

Max und von Polly, einem Mädchen mit einer<br />

ziemlich grossen Klappe. Dieser Krimi<br />

mit Tieren ist sehr lustig und sehr speziell.<br />

Die Charaktere sind hervorragend gestaltet,<br />

angefangen bei den beiden Kindern,<br />

die eigentlich Aussenseiter und schon gar<br />

keine Helden sind, über das Spürschwein<br />

Max bis zu den hochintelligenten Pudeln.<br />

Und die Autorin schafft es immer wieder,<br />

einen auf eine falsche Fährte zu führen.<br />

Das letzte Buch, das ich heute empfehle,<br />

stammt von der schwedischen Autorin Katharina<br />

Mazetti: ‹Die Karlsson-Kinder –<br />

Spukgestalten und Spione›. In diesem Buch<br />

steckt alles drin, was eine richtige Sommergeschichte<br />

ausmacht. Hauptfiguren<br />

sind die Schwestern Julia und Daniella sowie<br />

deren Cousins George und Axel. Weil<br />

ihre Mütter alle anderweitig beschäftigt<br />

sind, verbringen die vier Kinder ihre Ferien<br />

bei Tante Frida, die allein auf einer kleinen<br />

Insel und in einer eigenen Welt lebt.<br />

Die Tante ist Künstlerin, und eines Tages<br />

muss sie wegen einer Fälschungsgeschichte<br />

aufs Festland. Die vier Kinder bleiben<br />

also allein zurück.<br />

Kaum ist die Tante weg, ereignen sich seltsame<br />

Dinge. Lebensmittel verschwinden,<br />

ein Kinderschuh taucht auf, in der Nacht<br />

ertönen unheimlich Geräusche. Am nächsten<br />

Morgen beschliessen die Kinder, die<br />

ganze Insel abzusuchen. Tatsächlich finden<br />

sie schon bald eine Feuerstelle mit<br />

warmer Asche. Noch eigenartiger wird alles,<br />

als sie beim Einkaufen auf dem Festland<br />

einem Mann begegnen, der Fälschungen<br />

von Tante Fridas Kunstwerken<br />

verkauft ...<br />

Das Buch verströmt eine sehr schöne Sommerstimmung.<br />

Die Heile-Welt-Atmosphäre<br />

erinnert mich fast ein wenig an Werke von<br />

Astrid Lindgren – hier erhält man aber<br />

noch einen zusätzlichen Schuss Spannung.<br />

Auch dieses Buch bildet den Auftakt zu einer<br />

Serie, die nächste Folge ist bereits auf<br />

September angekündigt.»<br />

Nicole Stäuble, 41, ist Buchhändlerin bei<br />

Orell Füssli in Frauenfeld; sie hat einen<br />

vierjährigen Sohn. «Ich machte bereits<br />

meine Lehre zur Buchhändlerin bei Orell<br />

Füssli», erzählt sie. Schon in der Lehre<br />

seien Kinder- und Jugendbücher für sie<br />

das Grösste gewesen, denn «dieser Bereich<br />

ist so vielseitig und fast so etwas wie<br />

eine Buchhandlung in der Buchhandlung!»<br />

Ausserdem könne man die Kundinnen<br />

und Kunden, die Kinderbücher suchten,<br />

richtig beraten: «Die meisten Leute sind<br />

dankbar für Empfehlungen, weil sie sich<br />

mit den Neuerscheinungen nicht so gut<br />

auskennen.»<br />

Vorsicht,<br />

Krokodil<br />

Lisa Moroni (Text)<br />

und Eva<br />

Eriksson (Illustrationen)<br />

32 Seiten<br />

CHF 19.90<br />

Moritz<br />

Benjamin Wood –<br />

Beastologe 01.<br />

Die Suche nach<br />

dem Phönix<br />

Robin L. LaFevers<br />

160 Seiten<br />

CHF 14.90<br />

cbj<br />

Die sagenhafte<br />

Saubande<br />

Nina Weger<br />

221 Seiten<br />

CHF 15.90<br />

Oetinger<br />

Die Karlsson-<br />

Kinder –<br />

Spukgestalten<br />

und Spione<br />

Katharina<br />

Mazetti<br />

204 Seiten<br />

CHF 16.90<br />

dtv<br />

14.11.2013 16:35:14<br />

loge_CS55.indd 24-25 14.11.2013 16:35:16


46 | KOCHBÜCHER Books Nr. 2/2014 KOCHBÜCHER | 47<br />

Wider die<br />

Verschwendung<br />

Wer Nahrungsmittel geschickt einsetzt, vermeidet nicht nur unnötige<br />

Abfälle. Neue Kochbücher zeigen, dass dies auch zu besonders<br />

schmackhaften und günstigen Gerichten führen kann.<br />

Markus Ganz<br />

Man mag von Jamie Oliver und seiner<br />

Selbstvermarktung halten, was man will.<br />

Aber mit «Cook clever mit Jamie» ist dem<br />

mit Fernsehsendungen weltberühmt gewordenen<br />

Koch ein Wurf geglückt. Dies sei<br />

sein erstes Kochbuch, zu dem ihn sein Publikum<br />

gedrängt habe, erklärte der Autor<br />

von bisher 14 Bestsellern in einem Interview.<br />

Er sei der Nachfrage nach Rezepten<br />

für gute Mahlzeiten, die den Geldbeutel<br />

schonen, gern nachgekommen. Denn er sei<br />

ohnehin überzeugt, dass «die besten Gerichte<br />

dieser Welt dort entstanden sind, wo<br />

die Mittel knapp waren».<br />

Oft ist weniger<br />

mehr und<br />

das richtige<br />

Wissen das<br />

Entscheidende.<br />

Günstig und originell<br />

Jamie Oliver verspricht, die vorgestellten<br />

Gerichte seien nicht nur leicht nachkochbar,<br />

sondern kosteten pro Person auch weniger<br />

als ein durchschnittliches Fast-Food-<br />

Menü. Und er betont, dass dies ohne<br />

Verzicht möglich sei. Es gehe darum, clever<br />

einzukaufen und nichts zu verschwenden.<br />

Mit bestechenden Tipps zur Vorratspflege<br />

im Tiefkühler und im Kühlschrank<br />

zeigt er, wie man persönlich etwas gegen<br />

die «irrsinnige Vergeudung» machen kann.<br />

Denn die englische Durchschnittsfamilie<br />

werfe pro Jahr Lebensmittel im Wert von<br />

1000 Franken weg; in anderen Ländern<br />

sieht es ähnlich aus. Das Grundthema des<br />

Buchs widerspiegelt sich auch in den Rezepten,<br />

in denen typischerweise immer<br />

wieder originelle Ideen aufblitzen. Im vegetarischen<br />

Teil etwa schlägt Jamie Oliver<br />

ein Gericht namens «Zombie-Hirn» vor,<br />

ein als Ganzes gebackener Sellerie mit<br />

Pilzsauce und Rollgerste. Um Tiefkühlvorräte<br />

von Fisch aufzuräumen, empfiehlt er<br />

einen Fischauflauf mit Erbsen in der Kartoffelstockkruste.<br />

Im Zentrum der Fleischkapitel<br />

aber steht die Idee von «Ausgangsrezepten»,<br />

die er mit Rezepten zu den<br />

eingeplanten Resten kombiniert. Er schlägt<br />

zum Beispiel einen Rinderbraten mit Rinderbrust<br />

vor, «die bescheidene Schwester<br />

von Roastbeef». Er macht aber gleich zwei<br />

Kilo, damit genügend Reste für andere,<br />

ebenfalls vorgestellte Gerichte bleiben, etwa<br />

ein indonesisches Rendang-Curry oder ein<br />

scharfes marrokanisches Tajine.<br />

Alles wird verwertet<br />

Wie Jamie Oliver will auch Lisa Casali verhindern,<br />

dass Lebensmittel «als Ausschuss<br />

in der Tonne statt auf dem Teller» landen.<br />

Die italienische Foodbloggerin und Autorin<br />

legt aber in «Grün kochen? (Öko-)Logisch!»<br />

noch mehr Wert auf Nachhaltigkeit und<br />

Ökologie. Dem Thema Verschwendung widmet<br />

sie gleich einen ganzen Buchteil – von<br />

der Analyse bis zu Tipps zur Vermeidung.<br />

Zudem präsentiert sie ausschliesslich<br />

fleischlose Rezepte. Das zentrale Anliegen<br />

von Lisa Casali ist, dass nicht nur die «edlen»<br />

Bestandteile von Lebensmitteln verwendet<br />

werden, sondern auch Schnittreste,<br />

Schalen, Blätter und so weiter. Diese Art von<br />

Küche sei nicht nur gesund und schmackhaft,<br />

man spare damit auch über 20 Prozent<br />

Geld. Im Buchteil «Grün kochen» zeigt sie<br />

anhand einzelner Lebensmittel wie Artischocken,<br />

wie man diese besser verwerten<br />

kann; dies führt zu Rezepten wie Artischocken-Tartelettes,<br />

Spätzle mit Artischocken-<br />

Blättern oder Mezzelune mit Artischocken-<br />

Crème. Im Buchteil «Grüne Menüs» schlägt<br />

sie dann ganze Kombinationen von Gerichten<br />

für verschiedene Anlässe wie einen<br />

Brunch, einen Fernsehabend oder einen<br />

Besuch der Schwiegereltern vor.<br />

Köstliche Nebenprodukte<br />

Auch Bernadette Wörndl geht es ums<br />

«Grosse und Ganze», wie sie in der Einleitung<br />

zu ihrem vegetarischen Kochbuch<br />

«Von der Schale bis zum Kern»<br />

schreibt. Oft sei weniger mehr und das<br />

richtige Wissen das Entscheidende. Niemand<br />

würde einen halben Kopf frischen<br />

Brokkoli entsorgen, behauptet sie. Doch<br />

das Gleiche mache man, wenn man die<br />

Brokkolistängel wegwerfe. Entsprechend<br />

hat auch sie ihr schön aufgemachtes<br />

Kochbuch in Kapitel zu einzelnen<br />

Lebensmitteln unterteilt. Bei der Artischocke<br />

beispielsweise erklärt sie, wie<br />

man die verschiedenen Teile für verschiedene<br />

Gerichte verwenden kann.<br />

Wenn sich Haufen von abgezupften Artischockenblättern<br />

in ihrer Küche angesammelt<br />

hätten, sei es Zeit für eine Artischockenblättersuppe.<br />

Und wenn sie<br />

Babyartischocken in Weisswein und Olivenöl<br />

geschmort habe, entstehe ein herrlicher<br />

Sud, wie gemacht für Vinaigrettes,<br />

Dressings oder Marinaden. Und wie<br />

wär’s danach mit Espresso-Birnen mit<br />

einer Fenchelblüten-Panna-Cotta? Die<br />

Rüstreste der Birne samt Schale und<br />

Kerngehäuse landen selbstverständlich<br />

nicht im Abfall, sondern ergeben nebenbei<br />

einen delikaten Sirup.<br />

Cook clever mit Jamie –<br />

Günstig einkaufen, bewusst<br />

essen, alles verwerten<br />

Jamie Oliver<br />

287 Seiten<br />

CHF 37.90<br />

Dorling Kindersley<br />

Grün kochen? (Öko-)<br />

Logisch! – Nichts mehr<br />

verschwenden, weniger<br />

ausgeben<br />

Lisa Casali<br />

260 Seiten<br />

CHF 19.90<br />

Goldmann<br />

Von der Schale bis zum<br />

Kern – Vegetarische Rezepte,<br />

die aufs Ganze gehen<br />

Bernadette Wörndl<br />

191 Seiten<br />

CHF 44.90<br />

Brandstätter<br />

Für Sie probiert: Rinderbraten<br />

Rezept aus dem nebenan besprochenen Buch «Cook clever mit Jamie»<br />

Für 6 Personen inklusive Reste, Zubereitungszeit: 4½ bis 5½ Stunden<br />

Zubereitung:<br />

Den Backofen auf 170° C vorheizen. Einen<br />

grossen Bräter auf dem Herd stark erhitzen.<br />

Die Rinderbrust kräftig salzen und<br />

pfeffern, 1 Schuss Olivenöl in den Bräter<br />

geben und das Fleisch rundherum anbräunen.<br />

Inzwischen die Zwiebeln schälen<br />

und in Ringe schneiden. Den Bräter<br />

vom Herd nehmen und die Zwiebeln unter<br />

dem Fleisch verteilen. Die Brust auf der<br />

Fettseite mit dem Senf bestreichen und<br />

den Grossteil des Rosmarins darüberzupfen.<br />

Mit einem nassen Stück Pergamentpapier<br />

zudecken und den Bräter mit zwei<br />

Lagen Alufolie fest verschliessen. Die Rinderbrust<br />

im Ofen braten – etwa 4 Stunden,<br />

wenn sie tranchiert wird, rund 5 Stunden,<br />

wenn das Fleisch in Stücke zerpflückt<br />

werden soll.<br />

Die Kartoffeln schälen, grössere halbieren,<br />

und 12 Minuten vorgaren, abtropfen lassen.<br />

In einer ofenfesten Form mit 1 Schuss<br />

Öl, etwas Salz und Pfeffer und dem restlichen<br />

Rosmarin vermengen und für 1 Stunde<br />

30 Minuten unter der Brust in den Ofen<br />

schieben. Karotten und Steckrübe schälen,<br />

würfeln und 20 Minuten in Salzwasser<br />

weich kochen. Abtropfen lassen, zurück in<br />

den Topf geben und mit der Butter zerstampfen.<br />

Abschmecken und warm stellen.<br />

Den Braten auf ein Schneidebrett legen<br />

und zudecken, die Kartoffeln warm stellen.<br />

Die Ofentemperatur auf 250° C erhöhen.<br />

Den Bräter bei mittlerer Hitze auf<br />

den Herd stellen und im Bratfett 2 El Mehl<br />

anschwitzen. Konfitüre, Essig, 400 ml kochendes<br />

Wasser und ausgetretenen<br />

Fleischsaft dazugeben und köcheln lassen,<br />

bis die Konsistenz stimmt. Inzwischen<br />

ein 12er-Muffinblech mit Pflanzenöl<br />

einfetten und im Ofen vorheizen. In einem<br />

Krug 100 g Mehl und 1 Prise Salz mit den<br />

Eiern verquirlen. Nach und nach die Milch<br />

unterrühren. Den Teig drei Viertel hoch in<br />

die Vertiefungen des Muffinblechs giessen<br />

und 10 Minuten im Ofen backen, bis er<br />

goldbraun und aufgegangen ist. Die Rinderbrust<br />

tranchieren oder in Stücke zerpflücken,<br />

die Hälfte als Rest zurücklegen.<br />

Den Braten mit der Sauce, Kartoffeln, Gemüse<br />

und den Yorkies servieren.<br />

© 2013 Jamie Oliver<br />

Zutaten:<br />

2 kg Rinderbrust<br />

Olivenöl<br />

2 grosse Zwiebeln<br />

2 TL Senf<br />

1 Bund frischer<br />

Rosmarin (30 g)<br />

1,5 kg Kartoffeln<br />

500 g Karotten<br />

1 Steckrübe<br />

1 EL Butter<br />

140 g Mehl<br />

2 EL Rotweinessig<br />

1 EL Schwarze-Johannisbeer-Konfitüre<br />

Pflanzenöl<br />

2 grosse Eier<br />

100 ml fettarme Milch<br />

© Jamie Oliver Enterprises Limited, Foto: David Loftus


48 | WETTBEWERB Books Nr. 2/2014 VERANSTALTUNGEN | 49<br />

Das Literatur-Kreuzworträtsel<br />

Unter den richtigen Lösungen verlosen wir Gutscheinkarten von Orell Füssli Thalia:<br />

1. Preis: CHF 200.–, 2. Preis: CHF 100.–, 3. Preis: CHF 50.–, 4. bis 10. Preis: je CHF 20.–.<br />

MAI<br />

27.<br />

Thalia Basel 20 h<br />

Veranstaltungen<br />

4.<br />

7.<br />

Stauffacher Bern 15 h<br />

Kinderkiste – Erzähl- und Bastelstunde<br />

Stauffacher Bern 10 h<br />

7.<br />

Thalia Bern 17.30 h<br />

«Über das Sammeln und Aufbewahren»<br />

Berner WissenschaftsCafé; öffentlicher Vortrag<br />

und Diskussion<br />

26. Orell Füssli Frauenfeld 10.30 h<br />

Märlischtund<br />

AUGUST<br />

30.<br />

Märlischtund<br />

Orell Füssli Frauenfeld 10.30 h<br />

Children’s Hour<br />

SEPTEMBER<br />

27.<br />

«Blocher braucht die SP – als<br />

Gegner»<br />

Buchvernissage mit Helmut Hubacher<br />

Thalia Bern 20 h<br />

10.<br />

23.<br />

Kunsteisbahn Margarethen Basel 18.30 h<br />

«Zwei Eisclowns erobern die Welt<br />

– Buddy Elias und Otti Rehorek»<br />

Buchvernissage mit Peter Bollag<br />

Thalia Bern 20 h<br />

3. Stauffacher Bern 20 h<br />

«Morgengeschichten»<br />

Buchvernissage mit Pedro Lenz<br />

✁<br />

Lösungswort:<br />

Vorname / Name<br />

«Noah»<br />

Einzige Schweizer Lesung mit Sebastian Fitzek<br />

31.<br />

Märlischtund<br />

31.<br />

Orell Füssli Frauenfeld 10.30 h<br />

Stauffacher Bern 15 h<br />

«Bierwandern – Die erfrischendste<br />

Art, die Schweiz zu entdecken»<br />

Buchpräsentation und Bierdegustation mit<br />

Monika Saxer<br />

JUNI<br />

2.<br />

2.<br />

Thalia Bern 17.30 h<br />

«Findet uns das Glück?»<br />

Berner WissenschaftsCafé; öffentlicher<br />

Vortrag und Diskussion<br />

Rösslitor St. Gallen 20 h<br />

Literaturcafé mit der Frauenzentrale<br />

25.<br />

«Weit weg und ganz nah»<br />

Einzige Schweizer Lesung mit Jojo Moyes<br />

Stauffacher Bern 15 h<br />

L’heure qui conte – lectures pour<br />

les enfants<br />

28. Orell Füssli Frauenfeld 10.30 h<br />

Märlischtund<br />

JULI<br />

2.<br />

5.<br />

Kramhof Zürich 18-19 h<br />

Signierstunde mit Starkoch<br />

Andreas Caminada<br />

Stauffacher Bern 10 h<br />

Children’s Hour<br />

6.<br />

Kramhof Zürich 13-15 h<br />

Theo der Bär besucht die Kinderwelt<br />

27.<br />

Märlischtund<br />

Orell Füssli Frauenfeld 10.30 h<br />

OKTOBER<br />

4.<br />

Kramhof Zürich 13-15 h<br />

Theo der Bär besucht die Kinderwelt<br />

25.<br />

Märlischtund<br />

Orell Füssli Frauenfeld 10.30 h<br />

Adresse<br />

Bis zum 15. Juli 2014 in einer Filiale von Orell Füssli, Thalia, Stauffacher, ZAP oder bei<br />

Rösslitor Bücher abgeben – oder per E-Mail senden an: books@books.ch.<br />

Über den Wettbewerb wird keine Korrespondenz geführt.<br />

PLZ / Ort<br />

E-Mail<br />

Mehr Veranstaltungen finden Sie auf www.books.ch, www.thalia.ch und www.buch.ch


50 | KOLUMNE Books Nr. 2/2014 LANDESMUSEUM | 51<br />

Schweizer Autorinnen und<br />

Autoren erzählen in Books,<br />

warum sie schreiben.<br />

Heute: Isolde Schaad<br />

Lorna hat ihren Vater getötet und weiss<br />

nicht warum. Wer ist Lorna? Ein weltläufig<br />

sich produzierendes Neutrum, das etwas in<br />

mir ausbrütet, von dem ich bisher keinen<br />

Dunst hatte. Es ist ja so, dass Sprache uns<br />

anspringt, uns Autorinnen und Autoren, die<br />

hellhörig sind für den Klang, den Rhythmus<br />

von Sätzen, daraus ist die konkrete Poesie<br />

entstanden oder in Frankreich der Nouveau<br />

roman. Ich bin hingegen eine unverbesserliche<br />

Realistin, die der nahen und fernen Umgebung<br />

den Puls fühlt.<br />

Lorna hat ihren Vater getötet: ein Satz, der<br />

eine Behauptung enthält, die man hochtrabend<br />

gesagt dekonstruieren kann. Da guckt<br />

mir bereits Vater Freud über die Schulter<br />

und näselt: Sonnenklar, diese Lorna ist dein<br />

Über-Ich, das führt endlich aus, was im Unbewussten<br />

deiner Teenagerjahre schwelte.<br />

Unsinn, entgegne ich, und bitte nimm die<br />

Pfeife aus dem Mund, bevor du mit mir<br />

sprichst. Vatermorde sind etwas für Söhne<br />

und nichts für mich.<br />

Ein Vorname reicht für eine Kolumne – an<br />

einer These bossle ich gern ein paar Stunden<br />

herum. Wie aber, wenn diese Lorna<br />

nach vierzehn Tagen noch immer in meiner<br />

Hirnrinde spukt? Wenn ich sie reflektierend<br />

nicht erledigen konnte, oder soll ich drastischer<br />

meucheln sagen, denn das ist ja das<br />

Fatale und gleichzeitig Faszinierende an unserm<br />

Beruf, er ködert unsere niederen Instinkte,<br />

er kitzelt unsere geheimsten Wünsche,<br />

bis wir sie schliesslich literarisch<br />

ausreizen, sie schreibend gestehen; unser<br />

Beruf macht uns zu all dem, was Erziehung<br />

und Anstand uns im wirklichen Leben versagen.<br />

Der Krimi-Boom ist ein Symptom dafür.<br />

Das brave, mittelprächtige Helvetien<br />

generiert jene Giftmischerinnen, Raufbolde,<br />

Mörderinnen, Banditen und Killer, die locker<br />

in unserem Schreibhändchen sitzen<br />

und den günstigsten Moment abwarten, um<br />

uns in die Tasten zu springen. Und jetzt also<br />

diese Lorna, von der es heisst, sie habe ihren<br />

Vater umgebracht. Ich ahne bereits, warum<br />

sie das tat, sie will ein grosses Ding gedreht<br />

haben und mich hinterher zu ihrer Komplizin<br />

machen. Mit antiker Grossspurigkeit will<br />

sie mir ihren Freud unterjubeln, den ich<br />

eben los geworden bin. Diese Hexe stellt sich<br />

schon im Morgengrauen vor mich hin, wenn<br />

ich somnambul in die Küche tappe, um dort<br />

am Beruhigungstee zu nippen, den ich um<br />

Mitternacht stehen liess.<br />

Lorna scheint demnach mein Schreibschicksal<br />

zu werden. In diesem Fall braucht<br />

sie einen Nachnamen, zum Beispiel Meredith,<br />

klingt gut, Lorna Meredith enthält<br />

schon ein Versprechen, sie könnte eine Unternehmensberaterin<br />

aus Detroit sein, frisch<br />

geschieden und zu allem bereit. Ich muss sie<br />

wochenlang ertragen: die Inkubationszeit<br />

der werdenden Prosa. Nachdem sie mich<br />

verführt hat, wird sie mir ihre wahre Identität<br />

eröffnen: Sie ist die Wiedergängerin von<br />

Penthesilea in der zigsten Generation, die<br />

Königin der Amazonen, die nach Amerika<br />

auswanderte, bevor der neue Kontinent entdeckt<br />

worden ist.<br />

Wieso Detroit? Da buchstabiere ich besser<br />

zurück und verpflanze die Geschichte in<br />

eine europäische Metropole, die uns die soziale<br />

Kontrolle erspart. Die britische Kapitale<br />

mit ihrem Influx bietet sich an: ein Schauplatz,<br />

der weitläufig und reichhaltig genug<br />

ist, um vielen Schreibenden zu dienen. Jetzt<br />

bin ich also in London mit zwei Wörtern, die<br />

Namen sind. Sie liefen mir zu, vielleicht aus<br />

der Werbung oder aus dem Blättern in einem<br />

Kioskroman am Flughafen, den ich<br />

dann liegen liess: Sie müssen einen Grund<br />

haben, der in meiner eigenen Biografie begraben<br />

liegt. Namen sind Futterale, die man<br />

uns überzieht, das scheint für die meisten<br />

Menschen ein automatischer Vorgang zu<br />

sein, ich aber habe eine Jugend lang damit<br />

gehadert. Daher geht es in dieser Story darum,<br />

zu erfahren, ob Namen Schicksale haben,<br />

ob sie sogar Schicksal sind.<br />

Wenn das Leitmotiv steht, sagt mir das Erzählen<br />

selbst, wo es lang will. Das ist die<br />

Eigendynamik des Schreibens, sie ist das<br />

eigentliche Glück der Autorin. Als Abenteuer,<br />

das losgelöst von Zeit und Raum im Kopf der<br />

Verfasserin spielt. Das Ergebnis heisst «Unmässige<br />

Klimazone» und beginnt auf Seite<br />

83 in meinem neuen Buch.<br />

Isolde Schaad<br />

Isolde Schaad, 69, studierte Kunstgeschichte,<br />

Ethnologie und Publizistik an den<br />

Universitäten von Zürich und Cambridge.<br />

1984 erschien ihr Debüt «Knowhow am<br />

Kilimandscharo». Soeben wurde sie für ihr<br />

publizistisches und literarisches Schaffen<br />

mit der Ehrennadel des Kantons Zürich<br />

ausgezeichnet. Ihr neues Buch:<br />

Am Äquator<br />

267 Seiten<br />

CHF 37.90<br />

Limmat<br />

© AYSE YAVAS<br />

RAUS.<br />

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Erhältlich in folgenden Buchhandlungen:<br />

Orell Füssli, Rösslitor, Thalia, Stauffacher und ZAP sowie bei Thalia.ch und Buch.ch

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