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DSM Das Internationale Maritime Museum ... - DIE LINKE in Bremen

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Schifffahrt ohne Leben<br />

Kritik deutscher Schiffahrtsmuseen<br />

<strong>Das</strong> Deutsche Schifffahrtsmuseum Bremerhaven - <strong>DSM</strong><br />

<strong>Das</strong> <strong>Internationale</strong> <strong>Maritime</strong> <strong>Museum</strong> Hamburg - IMM<br />

(„Sammlung Peter Tamm“)<br />

von<br />

Dr. Rolf Geffken<br />

Hamburg / Cadenberge<br />

www.DrGeffken.de<br />

Hamburg Mai 2011


Inhalt<br />

Vorwort… … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … 3<br />

Deutsches Schifffahrtsmuseum auf falschem Kurs –<br />

E<strong>in</strong>e Denkschrift aus dem Jahre 1987… … … … .… … … … … .. 4<br />

Rechtsanwalt übt scharfe Kritik am <strong>Museum</strong><br />

(NORDSEE-ZEITUNG 19.12.1987)… … … … … … ..… … … … 10<br />

<strong>Museum</strong>skritiker vermisst im <strong>Museum</strong> H<strong>in</strong>weise<br />

auf „Blutzoll der Heizer“<br />

(NORDSEE-ZEITUNG 11.8.1988)… … … … … … … … … … … .. 11<br />

Anwalt sieht sich <strong>in</strong> Kritik am Schifffahrtsmuseum bestätigt<br />

(NORDSEE-ZEITUNG 13.11.1991)… … … … … … … … … … … 12<br />

<strong>Das</strong> IMM („Tamm-<strong>Museum</strong>“) 2009… … … … … … … … … … … .13<br />

<strong>Das</strong> <strong>DSM</strong> –24 Jahre nach der <strong>DSM</strong> Kritik<br />

2011 … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … .19<br />

Veröffentlichungsliste… … … … … … … … … … … … … … … … … .22<br />

Der Autor… … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … .23<br />

„Jammer & W<strong>in</strong>d“(Titel)… … … … … … … … … … … … … … … ..24<br />

2


Vorwort<br />

„Der ist Anwalt und kommt aus Hamburg“. So etwa lautete die erste Stellungnahme des<br />

damaligen Direktors des Deutschen Schifffahrtsmuseums als der Verfasser se<strong>in</strong>e erste<br />

kritische Denkschrift zum <strong>DSM</strong> 1987 vorgelegt hatte. Anwalt und Hamburg. Also: Nicht vom<br />

Fach. Ke<strong>in</strong> Historiker und erst recht nicht aus Bremerhaven. Letzteres aber war nun wahrlich<br />

falsch, denn der Verfasser darf Bremerhaven als se<strong>in</strong>e „Heimatstadt“bezeichnen.<br />

„Man muss nicht Schuster se<strong>in</strong>, um zu wissen wo e<strong>in</strong>em der Schuh drückt“, schrieb schon der<br />

grosse deutsche Philosoph Georg Wilhelm Friedrich Hegel <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er „Rechtsphilosophie“als<br />

e<strong>in</strong>ige se<strong>in</strong>er Zeitgenossen me<strong>in</strong>ten, daran Anstoss nehmen zu können, dass er „ja ke<strong>in</strong> Jurist“<br />

sei.<br />

In dieser merkwürdigen Arroganz des verme<strong>in</strong>tlichen „Fachmannes“liegt tatsächlich e<strong>in</strong>e<br />

grosse Verunsicherung, denn dieser bewegt sich selbst auf dünnem Eis: „Wer aus den<br />

deutschen Schifffahrtsmussen ist denn schon e<strong>in</strong>mal selbst zur See gefahren ?“ So fragen<br />

immer wieder Seeleute, wenn sie sich <strong>in</strong> diese Museen verirren sollten. Mit deren<br />

Lebenswirklichkeit haben diese Mussen nämlich meist nur wenig zu tun. Im Gegenteil: Sie<br />

bedienen jene Vorurteile und Legenden, von denen schon B. Traven sagte, diese hätten wie<br />

die ganze sog. Seefahrtsromantik von Anfang an „lediglich <strong>in</strong> der Phantasie der Schreiber<br />

jener Seegeschichten“bestanden.<br />

Der Verfasser legte 1978 se<strong>in</strong>e e<strong>in</strong> Jahr später veröffentlichte Dissertation zum Streik der<br />

Seeleute vor. Sie erhielt die Bewertung „summa cum laude“. Umfangreiche sozialhistorische<br />

Recherchen begleiteten die Arbeit. Gewissermassen als „Nebenprodukt“ der Dissertation<br />

erschien deshalb e<strong>in</strong>ige Jahre später <strong>in</strong> drei Auflagen se<strong>in</strong>e „alternative Geschichte der<br />

deutschen Seeschifffahrt“und zwar unter dem bewusst ironischen Titel „Jammer & W<strong>in</strong>d“<br />

statt: „W<strong>in</strong>djammer“. Die Arbeit und ihre Sicht vom Standpunkt der Seeleute stand von<br />

Anfang an <strong>in</strong> auffälligem Gegensatz zu dem, was das Deutsche Schifffahrtsmuseum <strong>in</strong><br />

Bremerhaven und später das <strong>Internationale</strong> <strong>Maritime</strong> <strong>Museum</strong> <strong>in</strong> Hamburg als „Schifffahrt“<br />

präsentierten: E<strong>in</strong>e Schifffahrt ohne Leben. Schifffahrt als blosse Technikgeschichte und<br />

Technikgeschichte ohne Menschen, ohne Arbeit. E<strong>in</strong> Paradoxon. Auf die Kritik reagierte man<br />

sowohl 1987-1988 und später 2008 <strong>in</strong> Hamburg nur abwehrend. E<strong>in</strong>iges an der Kritik wurde<br />

im Laufe der Jahre <strong>in</strong> Bremerhaven zögerlich umgesetzt. <strong>Das</strong> Meiste jedoch nicht.<br />

Anlässlich e<strong>in</strong>er Veranstaltung des Bremerhavener „Arbeitskreises Literatur und Politik“hat<br />

deshalb der Verfasser noch e<strong>in</strong>mal se<strong>in</strong>e beiden Denkschriften, e<strong>in</strong>en Teil der damaligen<br />

Presseberichterstattung und e<strong>in</strong>e aktuelle Denkschrift zum <strong>DSM</strong> vorgelegt. Daraus ergibt sich,<br />

dass beide Museen bis heute massive Mängel <strong>in</strong> der Darstellung der sozialen Verhältnisse der<br />

Seeschifffahrt aufweisen, weiter die unselige Mar<strong>in</strong>eideologie reproduzieren,<br />

<strong>in</strong>teressengeleitet Konflikte unterschlagen aber auch die militaristische und faschistische<br />

Vergangenheit der grossen Reedereien verschweigen. 24 Jahre nach Vorlage der ersten<br />

Denkschrift besteht unverändert Handlungsbedarf.<br />

Diese Broschüre soll dazu beitragen, dass e<strong>in</strong>e kritische Öffentlichkeit e n d l i c h e<strong>in</strong>e<br />

<strong>in</strong>haltliche Reform der Schifffahrtsmuseen e<strong>in</strong>fordert.<br />

Der Verfasser, Hamburg Mai 2011.<br />

3


„Was ihr den Geist der Zeiten<br />

heißt/<br />

ist im Grunde nur der Herren<br />

eigner Geist.“<br />

Goethe, Faust 1<br />

Deutsches Schifffahrtsmuseum<br />

auf falschem Kurs<br />

E<strong>in</strong>e Denkschrift<br />

aus dem Jahre 1987<br />

Zugegeben: <strong>Das</strong> Deutsche Schifffahrtsmuseum <strong>in</strong> Bremerhaven erfreut sich großer Beliebtheit<br />

<strong>in</strong> der Öffentlichkeit und bei vielen se<strong>in</strong>er Besucher. Doch dies sagt wenig darüber aus, ob das<br />

<strong>DSM</strong> se<strong>in</strong>em selbst gesetzten Auftrag bisher <strong>in</strong> ausreichendem Maße gerecht geworden ist<br />

und ob nicht viel mehr <strong>in</strong> erheblichem Maße se<strong>in</strong>e Darstellungen von E<strong>in</strong>seitigkeit und<br />

Oberflächlichkeit geprägt s<strong>in</strong>d. Ich hoffe, mit me<strong>in</strong>er Denkschrift zum Deutschen<br />

Schifffahrtsmuseum zu e<strong>in</strong>er breiten Diskussion über Aufgaben und Inhalt des <strong>DSM</strong><br />

beizutragen. Grundsätzliche Kritik schließt aus me<strong>in</strong>er Sicht Veränderungen auch im Detail<br />

nicht aus. Zu praktischen Änderungsvorschlägen b<strong>in</strong> ich bereit.<br />

Vor zwanzig Jahren wurde das Kuratorium Schifffahrtsmuseum <strong>in</strong> Bremerhaven gegründet.<br />

In der ersten vom Deutschen Schifffahrtsmuseum herausgegebenen Broschüre, dem sog.<br />

Führer Nr. 1 wird diese Gründung ausdrücklich als „Zusammenfassung aller <strong>in</strong>teressierter<br />

Kreise der Wirtschaft“bezeichnet.<br />

Zwanzig Jahre danach ergibt sich der E<strong>in</strong>druck, dass das <strong>DSM</strong> nicht nur se<strong>in</strong>e Entstehlung<br />

„<strong>in</strong>teressierten Kreisen der Wirtschaft“verdankt, sondern dass auch se<strong>in</strong> Charakter durch das<br />

Interesse bestimmter Wirtschaftskreise geprägt wurde und geprägt wird.<br />

<strong>Das</strong> <strong>DSM</strong> ist se<strong>in</strong>em <strong>in</strong> der Stiftungsurkunde des „Kuratoriums Deutsches<br />

Schifffahrtsmuseum“festgelegten Auftrag, die deutsche Schifffahrtsgeschichte auf a l l e n<br />

ihren Gebieten wissenschaftlich zu erforschen und die g e s a m t e deutsche<br />

Schifffahrtsgeschichte <strong>in</strong> ihren Zusammenhängen anschaulich zu machen, entweder nicht<br />

oder nur sehr e<strong>in</strong>seitig nachgekommen.<br />

Soziale Verhältnisse und Interessengegensätze<br />

Praktisch überhaupt nicht dargestellt ist die Entwicklung der sozialen Verhältnisse an Bord<br />

der Schiffe. Zwar gibt es Veröffentlichungen zu sozialen Randfragen (z.B. Gesundheit an<br />

Bord) und auch e<strong>in</strong>e Ausstellung zum hundertjährigen Bestehen der Seeberufsgenossenschaft,<br />

sowie e<strong>in</strong>e entsprechende Veröffentlichung dazu. Tatsächlich wird aber <strong>in</strong> all diesen<br />

Veröffentlichungen der Arbeitsplatz Schiff nur an se<strong>in</strong>en Rändern beschrieben. Die<br />

eigentlichen<br />

A r b e i t s bed<strong>in</strong>gungen werden entweder überhaupt nicht beschrieben bzw. untersucht oder<br />

aber nur als „technisches“und nicht als soziales bzw. politisches Problem begriffen. Im<br />

4


<strong>Museum</strong> selbst, also im Bereich der museumspädagogischen Darstellung der Problematik<br />

fehlt dieses Thema völlig.<br />

Für beide Bereiche gilt, dass <strong>in</strong>sbesondere die mit diesen sozialen Verhältnissen<br />

zusammenhängenden Interessenkonflikte nicht dargestellt werden. Sie werden vielmehr<br />

vollständig ausgegrenzt. Hierbei handelt es sich <strong>in</strong>sbesondere um den seit Jahrhunderten<br />

evidenten Interessenkonflikt zwischen Schiffssicherheit e<strong>in</strong>erseits und Rentabilitäts<strong>in</strong>teresse<br />

andererseits. Während <strong>in</strong> anderen Seeschifffahrtsländern (trotz kapitalistischer<br />

Produktionsverhältnisse) diese Interessenkonflikte offen und <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er breiten Öffentlichkeit<br />

diskutiert wurden (vgl. z.B. die Diskussion um die sog. Plimsoll-Marke <strong>in</strong> England im 19.<br />

Jahrhundert), geschah dies <strong>in</strong> Deutschland nur sehr begrenzt. Anstatt aber diese Diskussion<br />

aufzugreifen, liegt das Deutsche Schifffahrtsmuseum <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en Darstellungen und <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en<br />

Veröffentlichungen etwa auf dem Niveau der „öffentlichen Me<strong>in</strong>ung“ <strong>in</strong> der kaiserlichen<br />

Mar<strong>in</strong>ezeit: Der Interessenkonflikt wird überhaupt nicht wahrgenommen! Selbst spektakuläre<br />

Schiffsuntergänge, die solche Interessenkonflikte immer wieder für kurze Zeit <strong>in</strong>s<br />

Bewusstse<strong>in</strong> der Öffentlichkeit gerückt haben (wie z.B. die zahlreichen <strong>in</strong> den Protokollen der<br />

Seeämter festgehaltenen Schiffsunglücke oder aus jüngster Zeit der Untergang der Elmar Tres<br />

oder das Fährschiffunglück im Englischen Kanal), werden entweder gar nicht dargestellt oder<br />

aber h<strong>in</strong>sichtlich des ihnen zugrundeliegenden Interessenkonflikts verschwiegen. In der<br />

Veröffentlichung „Arbeitsplatz Schiff“werden die schon mehrere Jahre zuvor <strong>in</strong> alternativen<br />

Veröffentlichungen (u.a. vom Autor) zusammengetragenen Skandale etwa um den Reeder<br />

Laeisz oder Adolf Schiff zwar kurz gestreift, aber nicht weiter kommentiert. Dies, obwohl es<br />

sich dabei immerh<strong>in</strong> um an verantwortlicher Stelle tätige Reeder (z.B. <strong>in</strong> der<br />

Seeberufsgenossenschaft oder im Germanischen Lloyd) handelte. Selbst <strong>in</strong> der Ausstellung<br />

zum hundertjährigen Bestehen der Seeberufsgenossenschaft wird zwar kurz das sog.<br />

Schiffsunglück der „München“ erwähnt, aber auch dort nur als im wesentlichen<br />

„schicksalshaft“ dargestellt, obwohl ausweislich amtlicher Untersuchungen<br />

Besatzungsmitglieder des Schiffes mehrmals bestätigt hatten, dass alle<strong>in</strong> die Rettungsboote<br />

sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em katastrophalen Zustand befanden.<br />

Allgeme<strong>in</strong>e Interessenkonflikte zwischen Seeleuten und Reedern, wie z.B. die Organisation<br />

der Seeleute, die Erkämpfung des Koalitions- und Streikrechts der Seeleute, die Durchsetzung<br />

von Tarifverträgen, das Unterlaufen von Heuern usw. werden überhaupt nicht dargestellt,<br />

obwohl sie auch im <strong>Museum</strong> sehr wohl visualisierbar wäre. Es lässt sich ganz allgeme<strong>in</strong><br />

sagen: Die Gewerkschaft der Seeleute f<strong>in</strong>det e<strong>in</strong>fach nicht statt!<br />

Schattenseiten der Seefahrt<br />

<strong>Das</strong> selbst der allgeme<strong>in</strong>en Öffentlichkeit bekannte alltägliche und praktische Phänomen der<br />

Billig-Flaggen wird ebenfalls nicht dargestellt, obwohl es erhebliche Auswirkungen auf die<br />

sozialen Verhältnisse an Bord hat und <strong>in</strong>sbesondere die <strong>in</strong> den Veröffentlichungen teilweise<br />

genährte Illusion widerlegt, als sei die Entwicklung der sozialen Verhältnisse allenfalls e<strong>in</strong><br />

„technisches“Problem (im Zuge technischer Neuerungen auch bessere Arbeitsverhältnisse an<br />

Bord!). <strong>Das</strong> Gleiche gilt für die spezifische Art der Ausländerbeschäftigung <strong>in</strong> der<br />

Seeschifffahrt, den Status und die Rolle ausländischer Seeleute, sowie deren spezielle<br />

Arbeitsbed<strong>in</strong>gungen.<br />

Auch die Ursachen des wirtschaftlichen Aufstiegs der beiden Großreedereien (Norddeutscher<br />

Lloyd und HAPAG) um die Jahrhundertwende werden nicht dargestellt, sondern es werden<br />

Legendenbildungen weitergestrickt. Insbesondere fehlt e<strong>in</strong>e Darstellung der beiden –schon<br />

nach Selbstzeugnissen Albert Ball<strong>in</strong>s belegbaren –Hauptursachen des Aufstiegs: Des Profits<br />

5


an der gezielt organisierten Auswanderung (heute wird <strong>in</strong> diesem Zusammenhang etwa im<br />

Fall sog. Asylanten gerne von Schlepperorganisationen gesprochen!) und auf der anderen<br />

Seite der Kriegsgew<strong>in</strong>ne vor allem im Russisch-Japanischen Krieg, aber auch im Rahmen der<br />

Kolonialpolitik, sowie während des ersten und des zweiten Weltkrieges.<br />

Es drängt sich der Verdacht auf, als liege die Ausgrenzung dieser Thematik durchaus im<br />

Interesse „aller <strong>in</strong>teressierten Kreise der Wirtschaft“, zu denen das Kuratorium wohl ohneh<strong>in</strong><br />

nur Unternehmerkreise gerechnet hat.<br />

Bloße Objektschau<br />

Nicht ausgegrenzt, sondern überproportional dargestellt, s<strong>in</strong>d im Wesentlichen<br />

Schiffsmodelle, Schiffsbilder und sog. technikgeschichtliche Dokumentationen bzw.<br />

Materialien. Dabei fällt auf, dass sehr viele Kriegsschiffsmodelle ausgestellt s<strong>in</strong>d. Auch <strong>in</strong> den<br />

Orig<strong>in</strong>alen s<strong>in</strong>d Kriegsschiffe mit dem sog. Zwei-Mann-U-Boot nicht nur stark<br />

überrepräsentiert, vielmehr wird diese Schiffsgattung überhaupt nicht h<strong>in</strong>terfragt.<br />

Angeblich sollen die Objekte „für sich“ spreche. Doch das Gegenteil ist richtig: Die<br />

Reduzierung der Kriegsgeschichte auf Technikgeschichte ist ihre gleichzeitige<br />

Verharmlosung. Diese Art e<strong>in</strong>er <strong>in</strong>haltlich verflachenden Darstellung f<strong>in</strong>det sich <strong>in</strong> den<br />

Veröffentlichungen des <strong>Museum</strong>s ebenso wie <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en Ausstellungen. <strong>Das</strong> <strong>Museum</strong><br />

„sammelt“zwar, aber e<strong>in</strong>seitig und gleichzeitig beschränkt. Zu e<strong>in</strong>er <strong>in</strong>haltlich-kritischen<br />

Durchdr<strong>in</strong>gung der Thematik stößt es nicht vor. Tabu-Grenzen erzw<strong>in</strong>gen Oberflächlichkeit.<br />

Diese Oberflächlichkeit ist ke<strong>in</strong> Zufall. Sie ist auch ke<strong>in</strong> Gegensatz zu der andererseits gezielt<br />

betriebenen Ideologieproduktion. Nur mit Hilfe e<strong>in</strong>er oberflächlichen Methode nämlich ist es<br />

möglich, klassische Vorurteile und Legendenbildungen zu erhalten:<br />

Schiffsfetischismus<br />

Die Überbetonung des Schiffes schon im Sprachgebrauch (im Gegensatz zu denjenigen, die<br />

Schiffe fahren, auf ihnen arbeiten und auf ihnen leben müssen) ist <strong>in</strong> den Ausstellungen wie <strong>in</strong><br />

den Veröffentlichungen stets erkennbar. Zum Teil spiegelt sich dies <strong>in</strong> grotesken<br />

Selbstzeugnissen des <strong>Museum</strong>s wider, so z.B. <strong>in</strong> dem Führer Nr. 2, <strong>in</strong> dem es zum Thema<br />

Frachtschiff, das dort mit dem männlichen Geschlecht versehen wird (d e r Frachter), wie<br />

folgt heißt:<br />

„Dieser ist im Grunde von der Öffentlichkeit nie gemäß se<strong>in</strong>er<br />

entscheidenden Bedeutung für unsere ganze Zivilisation<br />

gewürdigt worden. Se<strong>in</strong>e Leistung des weltweiten<br />

Güteraustausches verbrachte er im Stillen, ohne durch<br />

Geschw<strong>in</strong>digkeit oder Größe aufzufallen.“<br />

Bloße Technikgeschichte<br />

Technikgeschichte wird an die Stelle von Sozialgeschichte gesetzt. Die Sozialgeschichte wird<br />

entweder ausgegrenzt oder aber als e<strong>in</strong> re<strong>in</strong> technikgeschichtliches Phänomen begriffen.<br />

Interessenkonflikte s<strong>in</strong>d ihr fremd. Es wird e<strong>in</strong>e heile und harmonische Arbeitswelt, die<br />

allenfalls von äußeren Schicksalsschlägen bee<strong>in</strong>trächtigt wird, vorgegaukelt. E<strong>in</strong> Interesse<br />

daran können nur diejenigen haben, die Interessenkonflikte vor allem <strong>in</strong> der Seeschifffahrt zur<br />

Durchsetzung ihrer eigenen Interessen vermeiden wollen. Besonders die deutschen Reeder<br />

6


haben hier e<strong>in</strong>e traurige Tradition vorzuweisen. Er<strong>in</strong>nert sei hier an die Ausgaben des<br />

Reederorgans „Hansa“aus dem Frühjahr 1933, <strong>in</strong> denen die „Wiederherstellung von Ordnung<br />

und Gesittung“ durch die Nazis vor allem <strong>in</strong> der Seeschifffahrt begrüßt wurde und die<br />

Beseitigung der Koalitionsfreiheit mit den Worten bejubelt wurde:<br />

„Wir nehmen es willig <strong>in</strong> Kauf, wird der Augiasstall nur völlig<br />

gere<strong>in</strong>igt. Nur jetzt nicht auf halbem Wege stehen bleiben.“<br />

<strong>Das</strong> war ke<strong>in</strong> bloßer „Zeitgeist“. Noch nach dem zweiten Weltkrieg schrieb der offizielle<br />

Chronist des Norddeutschen Lloyds 1957 über diese Zeit:<br />

„Im Betriebe wurde sehr wohl empfunden, dass ... hier im<br />

Innern Krise und Unruhe überwunden (!) waren dass bei der<br />

Leitung wieder die Flotte (!) und ihre Besatzung im Zentrum des<br />

Planens und Arbeitens standen und ihr wieder une<strong>in</strong>geschränkt<br />

die Sorge zugewandt wurde, sie sie als das eigentliche Rückgrat<br />

der Reederei brauchte.“<br />

Mit ger<strong>in</strong>gen Mitteln hätten solche Sachverhalte im <strong>Museum</strong> oder aber <strong>in</strong> den<br />

Veröffentlichungen dargestellt werden können.<br />

Hierzu hätte es nicht e<strong>in</strong>es Millionenaufwandes (wie z.B. für das U-Boot „Wilhelm Bauer“)<br />

bedurft! Es war und ist nicht e<strong>in</strong>e Frage des Geldes, ob solche Fragen dargestellt werden,<br />

sondern des Standpunktes und des dah<strong>in</strong>terstehenden Interesses.<br />

Der Umstand, dass die Traditionsfahne e<strong>in</strong>es Seemannsvere<strong>in</strong>s sich überhaupt im <strong>Museum</strong><br />

bef<strong>in</strong>det, ist lediglich darauf zurückzuführen, dass e<strong>in</strong> gutgläubiger Seemann diese Fahne dem<br />

<strong>Museum</strong> zur Verfügung stellte. Dort verschwand sie für Jahre im Archivkeller, bevor sie nach<br />

Protesten ausgestellt wurde. Allerd<strong>in</strong>gs wird zur Geschichte dieser Fahne, zu ihrem<br />

historischen und sozialen H<strong>in</strong>tergrund nichts gesagt. Sie hängt kommentarlos <strong>in</strong> der Nähe der<br />

Traditionsfahnen der kaiserlichen Kriegsmar<strong>in</strong>e und wird von dem uniformierten Besucher<br />

des <strong>Museum</strong>s schnell mit diesen verwechselt. Dabei wäre alle<strong>in</strong> die Geschichte dieser Fahne<br />

höchst <strong>in</strong>teressant gewesen: Sie war nämlich immerh<strong>in</strong> der Zeit des „Tausendjährigen<br />

Reiches“, jener Zeit der „Ordnung und Gesittung“, von der e<strong>in</strong> Reederorgan schwelgte, von<br />

ihren Verfolgern versteckt worden.<br />

Mar<strong>in</strong>eideologie<br />

Die <strong>in</strong>sbesondere im Zusammenhang mit der massiven Aufrüstung der kaiserlichen Flotte <strong>in</strong><br />

der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts e<strong>in</strong>setzende Ideologieproduktion <strong>in</strong> Sachen Mar<strong>in</strong>e<br />

(„mar<strong>in</strong>eblau“) wird im <strong>Museum</strong> nicht h<strong>in</strong>terfragt. Im Gegenteil: Es wird die <strong>in</strong> jener Zeit<br />

gezielt betriebene Legendenbildung <strong>in</strong> vielen Bereichen fortgesetzt. So wird es für s<strong>in</strong>nvoll<br />

gehalten, z.B. die heroisierende und sogar schon <strong>in</strong> politischen Karikaturen (zu Recht) als<br />

geistlos <strong>in</strong>terpretierte Malkunst des kaiserlichen Hofmalers Bordt kommentarlos auszustellen.<br />

Dabei haben se<strong>in</strong>e Werke unzweifelhaft <strong>in</strong>sbesondere auch über den Grad ihrer damaligen<br />

Verbreitung zur Verharmlosung des Krieges und damit zugleich zur Kriegsbegeisterung e<strong>in</strong>er<br />

ganzen Generation beigetragen.<br />

Unverständlich ist auch die breite Übernahme e<strong>in</strong>er Sammlung Bernartz, die mit ihren<br />

Kriegsschiffsmodellen offensichtlich dem oberflächlichen Interesse an Schiffsmodellen Tribut<br />

zollen soll.<br />

7


Schiffsromantik<br />

Die vierte Legende, an der weiterh<strong>in</strong> gearbeitet wird, ist die sog. Segelschiffsromantik bzw.<br />

die sog. romantische Seite der Seeschifffahrt schlechth<strong>in</strong>. Alle diejenigen, die zur See<br />

gefahren s<strong>in</strong>d oder die Angehörige auf See lassen mussten, wissen, was es mit dieser Art von<br />

Romantik auf sich hat. B. Traven hat dazu das Nötige geschrieben, als der feststellte, „dass<br />

solche Romantik nie bestanden hat“und dass diese vielmehr <strong>in</strong> der Phantasie der Schreiber<br />

von Seegeschichten wurzelte, die manchen jungen Menschen h<strong>in</strong>weglockten zu e<strong>in</strong>em Leben,<br />

<strong>in</strong> dem er „körperlich und seelisch zugrunde gehen musste, weil er nichts sonst dafür<br />

mitbrachte, als se<strong>in</strong>en K<strong>in</strong>derglauben an die Ehrlichkeit und die Wahrheitsliebe der<br />

Geschichtenschreiber.“<strong>Das</strong> <strong>DSM</strong> aber, dessen Aufgabe die kritische Durchleuchtung a l l e r<br />

Teile der Seefahrtsgeschichte wäre, betreibt <strong>in</strong> diesem Zusammenhang nicht das, was der<br />

klassische Auftrag e<strong>in</strong>es <strong>Museum</strong>s wäre: Aufklärung, H<strong>in</strong>terfragung der H<strong>in</strong>tergründe,<br />

Aufhellung.<br />

Ausblick<br />

Noch gibt es e<strong>in</strong>e (immer kle<strong>in</strong>er werdende) bundesdeutsche Handelsflotte. Der Tag kann<br />

kommen, an dem es zwar e<strong>in</strong> Deutsches Schifffahrtsmuseum <strong>in</strong> Bremerhaven, aber ke<strong>in</strong>e<br />

deutsche Flagge mehr auf den Weltmeeren gibt. Die Flaggen der Reedereien, die für diese<br />

Entwicklung und viele andere soziale Missstände verantwortlich s<strong>in</strong>d, wehen auf e<strong>in</strong>em<br />

eigens für sie vorgesehenen Platz des <strong>DSM</strong>. Manches Objekt wurde von ihnen für das <strong>DSM</strong><br />

zur Verfügung gestellt. In den Informationen des Fördervere<strong>in</strong>s kamen bisher nicht etwa<br />

Gewerkschafter und Seeleute zu Wort, sondern Vertreter des Verbandes Deutscher Reeder,<br />

der Werften, kurz Manager der Wirtschaft. So konnte e<strong>in</strong> solcher Autor etwa unter dem<br />

sche<strong>in</strong>bar neutralen Titel „Schifffahrt im Wandel der Zeiten“ gegen „überzogene<br />

Besetzungsvorschriften“ wettern und den sog. Billig-Flaggen-Reedern noch<br />

„Verantwortungsbewusstse<strong>in</strong>“besche<strong>in</strong>igen.<br />

Vom Verband Deutscher Reeder dürfen dabei deutlich lobbyistische Forderungen aufgestellt<br />

werden. Über die Heuern <strong>in</strong> der Seeschifffahrt heißt es schon <strong>in</strong> der Ausgabe der „Schifffahrt“<br />

von 1980 (!), die Heuern <strong>in</strong> der bundesdeutschen Seeschifffahrt seien „im Weltmaßstab“zu<br />

hoch. Mehrzweckbesatzungen müssten e<strong>in</strong>geführt werden. Die Besatzungen müssten vor<br />

allem reduziert werden (12-Mann-Schiff), sog. Bemannungsvorschriften müssten geändert<br />

werden. Eile sei geboten.<br />

Eile! Die Geschichte zeigt: Eile, die oft bezahlt wurde mit dem Leben vieler Seeleute.<br />

Verursacht nicht durch Schicksalsschläge, sondern durch das Profi<strong>in</strong>teresse von Reedern.<br />

Niemand erwartet vom <strong>DSM</strong> e<strong>in</strong>e Parte<strong>in</strong>ahme ausschließlich für die Seeleute. Die<br />

Alternative Klassenkampf-<strong>Museum</strong> oder Objektschau ist Uns<strong>in</strong>n. Aber auch der versteckte<br />

Klassenkampf von oben ist nicht der Auftrag e<strong>in</strong>es <strong>Museum</strong>s. Ausgewogenheit wäre schon<br />

e<strong>in</strong> Fortschritt.<br />

Viele Zusammenhänge und H<strong>in</strong>tergründe lassen sich nicht mit bloßen Modellen darstellen.<br />

Kommentare, H<strong>in</strong>weise, Tafeln s<strong>in</strong>d unerlässlich. <strong>Das</strong> ist ke<strong>in</strong> „aufgeschlagenes Buch“, aber<br />

e<strong>in</strong> <strong>Museum</strong>, das nicht nur tote Gegenstände, sondern den Gegenstand <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em sozialen<br />

Kontext –und d.h. im realen Leben –darstellt.<br />

8


Ich b<strong>in</strong> bereit, dafür e<strong>in</strong>e Reihe praktischer Vorschläge zu unterbreiten. Wer sollte etwas<br />

gegen e<strong>in</strong> lebendiges und zugleich der historischen Wahrheit verpflichtetes <strong>Museum</strong> haben?<br />

„Wunderwaffe“2-Mann-U-Boot, Januar 1945. Ohne Kommentar im <strong>DSM</strong><br />

9


Bericht über den „Alternativen Rundgang“im <strong>DSM</strong> mit der Gewerkschaft Erziehung<br />

und Wissenschaft 1988<br />

11


Bestätigung der Kritik durch die AG der Deputation für Wissenschaft und Kunst 1991<br />

12


<strong>Das</strong> IMM („Tamm- <strong>Museum</strong>“)<br />

2009<br />

Kaum war 2009 der Pulverdampf medialer Kritik am „<strong>Museum</strong> Tamm“<strong>in</strong> Hamburg<br />

verzogen, nahmen die Kritiker den größten Teil ihrer Kritik wieder zurück und setzten<br />

das „<strong>Internationale</strong> <strong>Maritime</strong> <strong>Museum</strong> Hamburg“ – wie die Sammlung des<br />

Mar<strong>in</strong>eliebhabers Peter Tamm jetzt heißt –wieder <strong>in</strong>s verme<strong>in</strong>tlich rechte Licht. Doch<br />

der Verfasser, der vor 20 Jahren bereits durch e<strong>in</strong>e Denkschrift zum „Deutschen<br />

Schifffahrtsmuseum“ (<strong>DSM</strong>) <strong>in</strong> Bremerhaven als „<strong>Museum</strong>skritiker“ bekannt wurde<br />

und der <strong>in</strong> 3 Auflagen unter dem Titel „Jammer & W<strong>in</strong>d“e<strong>in</strong>e alternative Geschichte<br />

der deutschen Seeschifffahrt veröffentlichte, kommt <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Analyse des Tamm-<br />

<strong>Museum</strong>s zu dem Ergebnis, dass Kritik am IMM mehr als berechtigt ist aber offenbar<br />

bislang nicht die wirklichen Mängel des <strong>Museum</strong>s erfasste. Während die ästhetisch<br />

gelungene Form täuscht, bleiben Inhalt, Präsentation und Konzept auf dem Niveau<br />

e<strong>in</strong>er „Allerweltsicht“der Seefahrt stehen und verlieren sich sogar bisweilen im Banalen<br />

bis offensichtlich Falschem.<br />

Die Sammlung Tamm und der Kaispeicher B<br />

Um es gleich vorwegzunehmen: Es ist legitim und begrüßenswert, dass e<strong>in</strong> Sammler von<br />

historischen Gegenständen der Schifffahrt se<strong>in</strong>e Sammlung der Öffentlichkeit zugänglich<br />

macht. Es bedarf auch ke<strong>in</strong>er Rechtfertigung, dass für die Präsentation dieser Sammlung<br />

öffentliche Mittel zur Verfügung gestellt wurden. Ob die <strong>in</strong> Hamburg erzielte Höhe der<br />

Gelder gerechtfertigt ist, mag allerd<strong>in</strong>gs bezweifelt werden. Es bedarf aber auch ke<strong>in</strong>er<br />

Rechtfertigung, dass dafür der sog. Kaispeicher B <strong>in</strong> der Hamburger Speicherstadt zur<br />

Verfügung gestellt wurde. Die Art und Weise des Umbaus dieses Kaispeichers ist e<strong>in</strong>e<br />

architektonische Meisterleistung. Die Präsentation der Sammlung Tamm <strong>in</strong>nerhalb dieses<br />

Kaispeichers ist <strong>in</strong> ästhetischer und formaler H<strong>in</strong>sicht gelungen. Die zehn Stockwerke, auf<br />

denen sich die Sammlung präsentiert, erwecken <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung mit der weitgehend erhaltenen<br />

Architektur des Kaispeichers den E<strong>in</strong>druck ehemaliger „Schiffs-Decks“und vermitteln gerade<br />

durch ihre abgedunkelte Ersche<strong>in</strong>ung und die vielfältige Verwendung der Materialien Holz<br />

und Eisen e<strong>in</strong>en fast s<strong>in</strong>nlich wahrnehmbaren E<strong>in</strong>druck über das, was man „ehemalige<br />

Schifffahrt“laienhaft nennen könnte.<br />

Die nicht e<strong>in</strong>gelöste Botschaft<br />

Es ist das e<strong>in</strong>e, e<strong>in</strong>e Sammlung zu präsentieren, das andere aber, e<strong>in</strong>e solche Sammlung mit<br />

e<strong>in</strong>er Botschaft zu versehen, die die Sammlung selbst nicht vermittelt und nicht vermitteln k a<br />

n n. <strong>Das</strong> Motto des <strong>Museum</strong>s lautet: „Was die Menschheit dem Meer verdankt“. Auch der<br />

Begriff „maritim“ erweckt den E<strong>in</strong>druck, als wolle das <strong>Museum</strong> sozusagen e<strong>in</strong>e Art<br />

„Meeresmuseum“se<strong>in</strong>, d.h. die Beziehung zwischen Mensch und Meer darstellen oder gar<br />

untersuchen wollen. Doch diese Botschaft wird <strong>in</strong> ke<strong>in</strong>er Weise e<strong>in</strong>gelöst. Im Gegenteil: Der<br />

verme<strong>in</strong>tliche Wunsch, zu e<strong>in</strong>er „Klärung“dieses Verhältnisses zu kommen, endet letztlich<br />

nur dar<strong>in</strong>, das vieldiskutierte Verhältnis zwischen Mensch und See zu verklären und<br />

zuzudecken, als es auch nur ansatzweise aufzudecken. Immerh<strong>in</strong> versucht das <strong>Museum</strong><br />

anders als andere Schifffahrtsmuseen oder bloße Schiffsmuseen, auch die Reflexion des<br />

Phänomens Meer und Seefahrt <strong>in</strong> der Weltliteratur aufzugreifen. Der Bezug wird aber nur<br />

13


durch großflächig wiedergegebene Zitate unterschiedlichster Autoren dokumentiert.<br />

Weitergeführt wird er nicht. Schon an dieser Stelle fällt im Übrigen auf, dass vor allem die<br />

sozialkritischen Schifffahrtsautoren, wie vor allem B. Traven, aber auch englische Autoren<br />

des 19. Jahrhunderts praktisch kaum vorkommen. Unter der Decke großflächiger Tafeln lugt<br />

die eigentliche Substanz des <strong>Museum</strong>s immer wieder hervor: Schiffsmodelle, Schiffsmodelle,<br />

Schiffsmodelle. Daneben nautische Instrumente, Modelle von Leuchttürmen, Mar<strong>in</strong>emalerei<br />

und dann vor allem: Waffen. Was aber i s t Schifffahrt? Und bis zu welchem Grad i s t die<br />

Sammlung Tamm Schifffahrt und nicht etwa nur e<strong>in</strong> Ausschnitt aus diesem Phänomen?<br />

Was ist Seefahrt?<br />

<strong>Das</strong>s Seefahrt ohne Menschen undenkbar ist, ist e<strong>in</strong>e Banalität. Und doch: Die Fetischisierung<br />

des Gegenstands Schiff und damit se<strong>in</strong>e Loslösung von den eigentlichen sozialen Wurzeln<br />

dieses Gegenstandes ist Legende. Schiffe haben „Namen“, Schiffe werden „getauft“, Schiffe<br />

gehen auf „Jungfernfahrt“, es gibt sogar „Schiffsfriedhöfe“. Die Wissenschaft hat die<br />

Aufgabe, Vorurteilen und Legenden die Realität entgegenzusetzen. Begriffe müssen<br />

h<strong>in</strong>terfragt werden. Doch die Sammlung Tamm schafft dieses nicht. Will sie es überhaupt?<br />

Alle<strong>in</strong> die Frage, was „die Menschheit dem Meer verdankt“, zeigt, dass <strong>in</strong> ihr das soziale<br />

Verhältnis der Menschen zum Meer umgekehrt wird. <strong>Das</strong> Meer wird zum bestimmenden<br />

Element. Der Mensch ist <strong>in</strong> dieses Phänomen „geworfen“. Er spielt offensichtlich ke<strong>in</strong>e aktive<br />

Rolle. <strong>Das</strong> Meer ist „aktiv“. Diese Umkehrung des realen Verhältnisses zwischen Mensch<br />

und Meer f<strong>in</strong>det sich im gesamten <strong>Museum</strong> und ist letztlich auch verantwortlich für die fast<br />

vollständige Ausgrenzung und Ausscheidung wirtschaftlicher und sozialer Phänomene der<br />

Schifffahrt, ohne die die tatsächliche Schifffahrt aber gar nicht verstehbar ist. Wäre<br />

Schifffahrt e<strong>in</strong> re<strong>in</strong>es Verkehrssystem, und nicht etwa vor allem e<strong>in</strong> System sozialer<br />

Verhältnisse i n e<strong>in</strong>em Verkehrssystem, so wäre diese Sichtweise konsequent. Sie ist aber<br />

def<strong>in</strong>itiv falsch, unwissenschaftlich, ja irrational. Sie „sp<strong>in</strong>nt“ im Grunde genommen den<br />

<strong>in</strong>sbesondere unter Schifffahrtslaien beliebten Schiffsfetischismus <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en verschiedenen<br />

Formen fort. Wäre dieses nur e<strong>in</strong> didaktischer Ansatz, <strong>in</strong>dem man die vorhandenen Vorurteile<br />

der Schifffahrtslaien (die ja überwiegend das <strong>Museum</strong> besuchen) aufgreift, um sie dann mit<br />

der Realität zu konfrontieren und zu h<strong>in</strong>terfragen, so wäre dieser Ansatz durchaus akzeptabel.<br />

Tatsächlich aber wird der Ansatz nicht h<strong>in</strong>terfragt. Es bleibt vielmehr bei diesem Ansatz. <strong>Das</strong><br />

grobe Missverhältnis zwischen den gegenständlichen Phänomenen der Schifffahrt und ihrer<br />

sozialen Dimension wird schon dar<strong>in</strong> deutlich, dass m<strong>in</strong>destens 97 % der Gesamtfläche des<br />

<strong>Museum</strong>s den gegenständlichen Phänomenen, vor allem den Schiffen selbst, gewidmet s<strong>in</strong>d,<br />

nicht aber den Menschen, die mit der Seefahrt zu tun haben und letztlich Seefahrt betreiben,<br />

vor allem den Seeleuten.<br />

Natur und Interessen<br />

<strong>Das</strong> unkritische, ja <strong>in</strong>aktive Verhältnis von Meer und Schifffahrt bzw. Natur und Mensch, das<br />

<strong>in</strong> dem e<strong>in</strong>gangs erwähnten Motto bereits se<strong>in</strong>en Ausdruck f<strong>in</strong>det, spiegelt sich auch <strong>in</strong> der<br />

offiziellen Literatur und Eigendarstellung des <strong>Museum</strong>s wieder: In dem offiziellen Führer von<br />

Gretzschel/Zapf („Was die Menschheit dem Meer verdankt – e<strong>in</strong> Rundgang durch das<br />

<strong>in</strong>ternationale maritime <strong>Museum</strong> Hamburg“) heißt es gleich e<strong>in</strong>gangs: „Schiffsunglücke gibt<br />

es, solange es Schiffe gibt. Zu allen Zeiten s<strong>in</strong>d Menschen <strong>in</strong> Seenot geraten, sei es aufgrund<br />

menschlicher Unzulänglichkeit, sei es durch Stürme, aus denen es selbst mit seemännischem<br />

Können ke<strong>in</strong> Entr<strong>in</strong>nen mehr gab.“(S. 29). Gerade die sog. Schiffskatastrophen oder anders<br />

formuliert, gerade das System der sog. Schiffssicherheit aber ist e<strong>in</strong> perfekter Indikator, ob<br />

und <strong>in</strong>wieweit soziale und wirtschaftliche Interessen <strong>in</strong> der Seeschifffahrt erkannt wurden. So<br />

ist die Feststellung von Peter Tamm selbst <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Vorwort „Jede Neuerung der Schifffahrt<br />

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achte den Menschen e<strong>in</strong>en Schritt voran und veränderte se<strong>in</strong> Leben“nur e<strong>in</strong>e Bezeichnung<br />

der technischen Möglichkeiten der Schifffahrt. Sie hat aber mit der sozialen Realität an Bord<br />

der Schiffe nur begrenzt etwas zu tun. Die Geschichte der meisten Schiffskatastrophen<br />

(darunter vieler Katastrophen, die nie ganz aufgeklärt werden konnten), ist und bleibt vor<br />

allem e<strong>in</strong>e Frage nach den wirtschaftlichen Interessen der Reeder. Dazu hat schon August<br />

Bebel vor der Wende zum 20. Jahrhundert im Deutschen Reichstag Ausführungen gemacht.<br />

Er zitierte aus dem Brief des Reeders Adolf Schiff aus Elsfleth, der darüber schwadronierte,<br />

„leider“sei bei e<strong>in</strong>em Schiffsunglück die Mannschaft gerettet worden, denn so habe er nur<br />

e<strong>in</strong>en Teil der Versicherungssumme erhalten… 1 <strong>Das</strong> von den Reedern immer wieder<br />

hochgehaltene Bild, man säße doch „<strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Boot“, erlitt vor allem <strong>in</strong> der sich dynamisch<br />

entwickelten kapitalistischen Seeschifffahrt des 19. und 20. Jahrhunderts e<strong>in</strong>en Bruch: Schnell<br />

mussten viele tausende Seeleute erfahren, dass sie mitnichten „<strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Boot“saßen, sondern<br />

dass ihr Interesse an der Erhaltung ihres Lebens das re<strong>in</strong>e Profit<strong>in</strong>teresse der Unternehmer<br />

nicht aufwiegen konnte. Zwar widmet das IMM dem Thema Schiffssicherheit und<br />

Schiffsklassifikation immerh<strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Ausstellungswand von etwa fünf Metern Länge. Doch<br />

auch dort wird das Thema Schiffskatastrophen und Schiffssicherheit auf e<strong>in</strong>e merkwürdig<br />

technische Weise unhistorisch und ohne jeden Bezug zu den sozialen und wirtschaftlichen<br />

Interessen dargestellt. Dadurch wird die Darstellung def<strong>in</strong>itiv unvollständig und somit falsch.<br />

So ist etwa die Darstellung der Lademarke – <strong>in</strong> Deutschland mit dem Begriff GL –<br />

ke<strong>in</strong>eswegs nur e<strong>in</strong>e technische Klassifikation. Sie war und ist vielmehr Errungenschaft des<br />

Kampfes der Seeleute um mehr Schiffssicherheit. Ursprünglich e<strong>in</strong>geführt und durchgesetzt<br />

von dem englischen Politiker Plimsoll, der sich die Proteste und Anliegen tausender von<br />

Seeleuten zu Eigen machte, und mit dieser Marke die gezielte und oft bewusste Überladung<br />

von Schiffen verh<strong>in</strong>dern wollte. Was für den Außenstehenden als „Naturkatastrophe“daher<br />

kam, war nämlich –wie man im 19. und 20. Jahrhundert noch sehr genau wusste –meist<br />

nichts anderes als e<strong>in</strong>e Katastrophe, die beim optimalen E<strong>in</strong>satz der schon damals<br />

vorhandenen technischen Möglichkeiten vermeidbar gewesen wäre. Anders als heute wurde<br />

dies von den Vertretern des Kapital<strong>in</strong>teresses <strong>in</strong> der Seeschifffahrt meist gar nicht<br />

verschwiegen. So war es der Reeder (und Hamburger Mäzen) Laeisz, von dem der Satz<br />

überliefert ist, ob man e<strong>in</strong>e „hübsche“Unfallverhütungsvorschrift mehr oder weniger mache,<br />

sei doch letztlich egal. Die Welt wolle schließlich betrogen se<strong>in</strong>. 2 Dieses Zitat stand an der<br />

Wiege der deutschen Seeberufsgenossenschaft. E<strong>in</strong> Umstand, der über die relative Bedeutung<br />

der Natur <strong>in</strong> Bezug auf Schiffskatastrophen mehr sagt als jede Statistik. Warum weder dieses<br />

Zitat noch diese H<strong>in</strong>tergründe im IMM wiedergegeben werden, ja die Besucher noch nicht<br />

e<strong>in</strong>mal <strong>in</strong>direkt darauf gestoßen werden, kann der unbefangene Besucher nur erraten.<br />

Ähnliches gilt für die sog. Routen-Planung. Sie wird als technische Möglichkeit von e<strong>in</strong>em<br />

bestimmten historischen Zeitpunkt an dargestellt. Nicht aber dargestellt wird, dass oft auf sie<br />

verzichtet wurde und dass dieser Verzicht mit Menschenleben bezahlt werden musste und<br />

dass diese Menschenleben re<strong>in</strong>en wirtschaftlichen Interessen geopfert wurden. Davon war<br />

auch e<strong>in</strong> Hamburgisches Schiff betroffen, nämlich die MS München, die <strong>in</strong> den eisigen Fluten<br />

des Atlantik Anfang der 80er Jahre unterg<strong>in</strong>g, obwohl der Kapitän bei Berücksichtigung der<br />

Routenplanung e<strong>in</strong>e sichere Strecke hätte zurücklegen können 3 .<br />

Seeleutebewegung<br />

In diesem Zusammenhang ist es bezeichnend, dass das <strong>Museum</strong> mit ke<strong>in</strong>em Wort den Kampf<br />

der Seeleute um ihre sozialen Rechte und Arbeitsbed<strong>in</strong>gungen auch nur ansatzweise erwähnt.<br />

1 vgl. Geffken, Jammer & W<strong>in</strong>d, Hamburg 3. Auflage 1988, S. 33<br />

2 ebenda<br />

3 a.a.O., S. 69<br />

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Die „Seeleutebewegung“ existiert für das <strong>Museum</strong> nicht. Auf e<strong>in</strong>er Tafel, die die<br />

„Meilenste<strong>in</strong>e auf dem Weg zur sozialen Absicherung der Seeleute“auflistet, wird gerade<br />

e<strong>in</strong>mal die Seemannsordnung von 1872 erwähnt. Die Seemannsordnung von 1902 f<strong>in</strong>det<br />

ke<strong>in</strong>e Erwähnung. <strong>Das</strong> Seemannsgesetz von 1957 ebenfalls nicht. Die E<strong>in</strong>richtung von<br />

Seebetriebsräten und Bordvertretungen durch das Betriebsverfassungsgesetz von 1972 wird<br />

auch nicht erwähnt. Der Manteltarifvertrag für die deutsche Seeschifffahrt wird nicht erwähnt.<br />

Der Kampf der ITF gegen Billigflaggen wird ebenfalls nicht erwähnt.<br />

Letzteres ist schon e<strong>in</strong>igermaßen grotesk: Während die Flaggen aller Schifffahrtsnationen<br />

aufgereiht im Treppenhaus des <strong>Museum</strong>s zu sehen s<strong>in</strong>d und selbst der Laie weiß, dass der<br />

Begriff der „Flagge“ mit dem der Seeschifffahrt unauflöslich verbunden ist, werden die<br />

Begriffe „Billigflaggen“oder „Ausflaggung“oder „Flaggenflucht“vermieden. Sie existieren<br />

e<strong>in</strong>fach nicht. <strong>Das</strong> Gleiche gilt für das Thema „Zweites Schiffsregister“. E<strong>in</strong>e ganze Region<br />

und e<strong>in</strong> ganzer Berufsstand waren bei der E<strong>in</strong>führung dieses sog. Zweiten Schiffsregisters<br />

aufgestanden. Sogar der Quizmaster Hans-Joachim Kulenkampf hatte sich auf Initiative des<br />

Verfassers engagiert. Die Gegner dieses Registers, das e<strong>in</strong>zig die E<strong>in</strong>führung von Dump<strong>in</strong>g-<br />

Arbeitsbed<strong>in</strong>gungen auf Schiffen deutscher Flagge zum Ziel hatte, prophezeiten damals, dass<br />

über Jahrzehnte h<strong>in</strong>weg seemännisches Know-how an der Küste verloren gehen würde und<br />

nach 20 bis 25 Jahren die Reeder händer<strong>in</strong>gend Seeleute suchen würden. Was ist e<strong>in</strong>getreten?<br />

Genau dies: Seeleute werden händer<strong>in</strong>gend gesucht. Und dies trotz e<strong>in</strong>er weiter hohen<br />

Arbeitslosigkeit <strong>in</strong> Deutschland. <strong>Das</strong> IMM versucht noch nicht e<strong>in</strong>mal, hierfür e<strong>in</strong>e Erklärung<br />

zu f<strong>in</strong>den. Es grenzt und klammert dieses Thema vollständig aus. Dabei könnten Seeleute<br />

aller Dienstgrade hierzu e<strong>in</strong>e eigene Geschichte erzählen: Die katastrophalen Erfahrungen mit<br />

e<strong>in</strong>er Vielzahl deutscher Reeder vor allem <strong>in</strong> den 70er und Anfang der 80er Jahre sowie die<br />

E<strong>in</strong>führung des sog. Zweiten Schiffsregisters, führten jedem Seemann vor Augen, welche<br />

ungewisse Zukunft ihn an Bord der Schiffe erwarten würde. Schlimmer noch: <strong>Das</strong> völlige<br />

Des<strong>in</strong>teresse der politisch Verantwortlichen und der kle<strong>in</strong>en Gruppe der Seeleute offenbarte<br />

e<strong>in</strong>mal mehr, dass Deutschland weiterh<strong>in</strong> k e i n e maritime Nation war und ist und dass die<br />

Stimme der Seeleute –also derer, ohne die Seefahrt weiterh<strong>in</strong> undenkbar war und ist –ke<strong>in</strong><br />

besonderes Gewicht <strong>in</strong> der Öffentlichkeit und <strong>in</strong> der Politik hatte.<br />

<strong>Das</strong> e<strong>in</strong>zige, was das IMM zum Thema „Soziale Verhältnisse“ <strong>in</strong> der Seeschifffahrt<br />

präsentiert, ist das Thema „Weihnachten an Bord“. Dabei vermengt es –wie so oft –immer<br />

wieder die sog. Kriegsmar<strong>in</strong>e mit den Bed<strong>in</strong>gungen <strong>in</strong> der zivilen Seeschifffahrt. Völlig<br />

abwegig s<strong>in</strong>d die Angaben etwa zum E<strong>in</strong>satz von „Ärzten“ und „Pfarrern“ <strong>in</strong> der<br />

Seeschifffahrt. Solche völlig s<strong>in</strong>gulären Ersche<strong>in</strong>ungen hätten im Gegensatz zu anderen<br />

Sachverhalten noch nicht e<strong>in</strong>mal der Erwähnung bedurft. <strong>Das</strong>s sie erwähnt werden, zeigt die<br />

<strong>in</strong>haltliche und offensichtlich auch persönliche Ferne der Urheber der Exposition zu den<br />

Seeleuten. Themen wie z.B. „Verpflegungsrolle“ oder „von der Mehr-Mann-Kab<strong>in</strong>e“ zur<br />

Durchsetzung von E<strong>in</strong>-Personen-Kab<strong>in</strong>en, Frauen an Bord von Schiffen, Reduzierung und<br />

Abschaffung des Landgangs, Alkoholismus an Bord von Schiffen usw. f<strong>in</strong>den ke<strong>in</strong>e<br />

Erwähnung, obwohl dieses die Themen s<strong>in</strong>d, die den Alltag der Seeleute weiterh<strong>in</strong><br />

bestimmen. Vor allem aber werden die sozialen Gegensätze und wirtschaftlichen<br />

Widersprüche <strong>in</strong> der Seeschifffahrt vollständig ausgeklammert. Es ist unverkennbar, dass<br />

Peter Tamm hier se<strong>in</strong>e eigene Position als Unternehmer zum Maßstab se<strong>in</strong>er Sichtweise der<br />

Seeschifffahrt gemacht hat. <strong>Das</strong> ist durchaus zulässig. Es sollte aber nicht beim Publikum der<br />

E<strong>in</strong>druck erweckt werden, als sei e<strong>in</strong>e solche Sichtweise objektiv. Natürlich f<strong>in</strong>den die<br />

ke<strong>in</strong>eswegs seltenen Streiks <strong>in</strong> der Seeschifffahrt ebenfalls ke<strong>in</strong>e Erwähnung .Auch der Streik<br />

der Seefahrtsstudenten zur Reform der Ausbildung (der Anfang der 70er Jahre schließlich<br />

erfolgreich war!) f<strong>in</strong>det ke<strong>in</strong>e Erwähnung. Erst recht f<strong>in</strong>det der weltweite (!) und nun schon<br />

seit über 40 Jahren andauernde Kampf der <strong>Internationale</strong>n Transportarbeiterförderation gegen<br />

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Billigflaggen ke<strong>in</strong>e Erwähnung. Vielfältige Darstellungen zu diesem Thema hätten<br />

vorgenommen werden können. Fast alle nicht nur im Zusammenhang mit dem Thema<br />

Dump<strong>in</strong>g-Heuern, sondern vor allem im Zusammenhang mit dem Thema Schiffssicherheit.<br />

Piraterie und Auswanderung<br />

Es verwundert deshalb nicht, dass auch beim Thema Piraterie e<strong>in</strong>e gewissermaßen zeitlose<br />

und <strong>in</strong>teressenneutrale Sichtweise vorherrscht. Piraterie hat es „immer“gegeben. <strong>Das</strong> ist die<br />

Sichtweise des IMM. <strong>Das</strong> Phänomen der Loslösung der Seeleute vom mittelalterlichen<br />

Schiffseigentum (Karl Marx nannte das die sog. ursprüngliche Akkumulation) und deren<br />

Flucht und Ausweg <strong>in</strong> die Piraterie werden nicht erwähnt. Überhaupt werden die Ursachen für<br />

Konflikte <strong>in</strong> der Seeschifffahrt nicht weiter untersucht. Zwar wird immerh<strong>in</strong> der<br />

Matrosenaufstand von 1918 dargestellt und es werden sogar die Forderungen der<br />

Aufständischen mit e<strong>in</strong>em Orig<strong>in</strong>altext wiedergegeben. Die eigentlichen Ursachen aber<br />

werden noch nicht e<strong>in</strong>mal angedeutet.<br />

H<strong>in</strong>ter all dem steckt die Meidung der Darstellung und Schilderung von sozialen Gegensätzen<br />

und Konflikten, vor allem aber auch von wirtschaftlichen Gegensätzen. So gerade auch beim<br />

Thema Auswanderung. <strong>Das</strong>s die deutsche Passagierschifffahrt „groß“ wurde durch e<strong>in</strong>e<br />

letztlich europaweit organisierte Auswanderung (man könnte auch von organisiertem<br />

Menschenhandel sprechen), f<strong>in</strong>det natürlich ke<strong>in</strong>e Erwähnung. Auch die se<strong>in</strong>erzeit von Albert<br />

Ball<strong>in</strong> selbst zugegebenen „Kriegsgew<strong>in</strong>ne“ der Reederei Hapag etwa im Russisch-<br />

Japanischen Krieg f<strong>in</strong>den ke<strong>in</strong>e Erwähnung. <strong>Das</strong>s die Auswanderer auf den sog.<br />

Zwischendecks ebenso Objekt re<strong>in</strong>er wirtschaftlicher Interessen von Reedereien waren wie<br />

die auf den Schiffen selbst tätigen Seeleute, wird mit ke<strong>in</strong>em Wort erwähnt und mit ke<strong>in</strong>em<br />

Bild dargestellt, obwohl es Bilder und Worte dazu genug geben würde.<br />

Mar<strong>in</strong>eideologie und die Ästhetik der Waffen<br />

E<strong>in</strong> <strong>in</strong>ternationales maritimes <strong>Museum</strong> <strong>in</strong> Deutschland hätte vor allem die Aufgabe<br />

darzustellen, wie spätestens seit der Wilhelm<strong>in</strong>ischen Flottenpolitik e<strong>in</strong>e systematische<br />

Mar<strong>in</strong>eideologie <strong>in</strong> der deutschen Öffentlichkeit zur Verklärung der Sichtweise der<br />

Verhältnisse <strong>in</strong> der Schifffahrt beigetragen hat (und noch heute nachwirkt!). <strong>Das</strong> Mar<strong>in</strong>eblau,<br />

Mar<strong>in</strong>euniform von K<strong>in</strong>dern, Romantisierung der Verhältnisse an Bord von Schiffen,<br />

Verklärung des Verhältnisses von See und Seeleuten (vor allem <strong>in</strong> den Darstellungen des<br />

Mar<strong>in</strong>emalers Bordt). All das ist nicht Gegenstand des <strong>Museum</strong>s, obwohl das <strong>Museum</strong> selbst<br />

Produkt dieser Ideologie ist. Der Wahnwitz, e<strong>in</strong>e Flottenmacht aufzubauen, ohne schon<br />

geografisch e<strong>in</strong>e klassische Seefahrtsnation se<strong>in</strong> zu können, wird weder dargestellt noch<br />

bewertet. Die Forcierung dieses Wahns<strong>in</strong>ns durch die von Deutschen erstmals e<strong>in</strong>gesetzte<br />

völkerrechtswidrige U-Boot-Waffe wird nicht dargestellt und nicht kommentiert. U-Boote<br />

und sonstige Kriegsschiffe ersche<strong>in</strong>en im Wesentlichen als technisches Phänomen<br />

(„Schiffsmuseum“). Zwar f<strong>in</strong>den an e<strong>in</strong>igen Stellen die notwendigen Folgen des Krieges<br />

Erwähnung. So auch Schilderungen von Erich Maria Remarque. Aber die penetrant<br />

vorgetragene Ästhetik der Waffen hebt diese m<strong>in</strong>imalen Korrekturen wieder auf. Die<br />

Präsentation von Handfeuerwaffen <strong>in</strong> meterlangen Vitr<strong>in</strong>en, ist weder schifffahrtstypisch,<br />

noch steht sie überhaupt im sachlichen Zusammenhang mit der Seeschifffahrt. <strong>Das</strong> gilt erst<br />

recht für das Wandbild, auf dem die Menschheitsgeschichte quasi als Geschichte des<br />

Waffengangs referiert wird. E<strong>in</strong> Satz wie „Schusswaffen gehörten … stets zur unmittelbaren<br />

Bordausrüstung“ 4 verklärt und verdeckt zugleich den Sachverhalt. Seefahrt hatte und hat<br />

4 u.a. S. 90<br />

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autoritäre Strukturen. Sie war aber nie per se militärisch oder gar militaristisch. Hier werden<br />

wieder zivile Seefahrt und Kriegsmar<strong>in</strong>e vermengt. Völlig unverständlich ist auch die<br />

Präsentation der Seeleuteuniformen. Auch sie differenzieren wieder <strong>in</strong> ke<strong>in</strong>er Weise zwischen<br />

ziviler Seefahrt und Kriegsmar<strong>in</strong>e. Der Satz, Uniformen dienten „der Unterscheidung und<br />

Orientierung <strong>in</strong>nerhalb e<strong>in</strong>er hirarchischen Gesellschaft, daher haben sie für das Leben an<br />

Bord große Bedeutung“ 5 sche<strong>in</strong>t nicht für die Wirklichkeit gedacht zu se<strong>in</strong>. In der zivilen<br />

Seefahrt drückt sich seit m<strong>in</strong>destens 30 Jahren die Kompetenz und Autorität von Seeleuten an<br />

Bord nur noch ganz selten durch Uniformen aus. <strong>Das</strong> weiß jeder, der mit der Seefahrt zu tun<br />

hat. Allerd<strong>in</strong>gs weiß es der Laie nicht. Deshalb ist auch dies e<strong>in</strong>e zutiefst laienhafte<br />

Vorstellung, die das IMM bedient und perpetuiert, anstatt sie zu h<strong>in</strong>terfragen.<br />

Peter Tamm schreibt <strong>in</strong> dem <strong>Museum</strong>sführer, „seit me<strong>in</strong>er K<strong>in</strong>dheit ist die Schifffahrt e<strong>in</strong> Teil<br />

me<strong>in</strong>es Lebens“ 6 . Er stand am Hamburger Hafen und beobachtete die Schiffe. Gut. <strong>Das</strong><br />

haben viele vor und viele nach ihm getan. Haben all diese die Seefahrt verstanden? Oder aber<br />

haben sie nur das Bild verstanden, das sie sich selbst von dem Gegenstand ihres Interesses<br />

machten? Peter Tamm hat als hanseatischer Kaufmannssohn und späterer Unternehmer s e i n<br />

e Sicht der Seefahrt. <strong>Das</strong> ist legitim und verständlich. Diese Sicht aber hat nichts mit e<strong>in</strong>er<br />

wissenschaftlichen Betrachtung der Seefahrt zu tun. Sie ist extrem e<strong>in</strong>seitig. Verklärend.<br />

Gegensätze ausgrenzend. Mar<strong>in</strong>e und Handelsschifffahrt vermengend. Sie ist ideologielastig<br />

und zutiefst unternehmerorientiert.<br />

Die Kritik am Tamm-<strong>Museum</strong> war und ist berechtigt. Aber die bisherige Kritik griff viel zu<br />

kurz. Nach den Seh-Leuten sollten jetzt die Seeleute zu Wort kommen und die Wissenschaft.<br />

Praxis und Theorie werden nämlich bestätigen: <strong>Das</strong> IMM sollte sich wieder <strong>in</strong> „Sammlung<br />

Peter Tamm“ umbenennen. Etwas mehr Bescheidenheit wäre angebracht. Es ist k e i n<br />

„<strong>Internationale</strong>s <strong>Maritime</strong>s <strong>Museum</strong>“. Es ist die Seefahrt, wie der Laie sie sich vorstellt:<br />

romantisch, verklärt, bisweilen fürchterlich, aber eben doch auch schön. Auf jeden Fall aber<br />

e<strong>in</strong>e Veranstaltung, bei der Menschen nur am Rande auftreten, also e<strong>in</strong>e Schifffahrt ohne<br />

Leben.<br />

5 u.a. am Ende S. 87<br />

6 S. 14<br />

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<strong>Das</strong> <strong>DSM</strong> –<br />

24 Jahre nach der „<strong>DSM</strong>-Kritik“<br />

2011<br />

Vierundzwanzig Jahre nach der Kritik am Deutschen Schifffahrtsmuseum hat sich dieses nur<br />

ger<strong>in</strong>gfügig gewandelt. Gleich e<strong>in</strong>gangs des <strong>Museum</strong>s prangen an der sog. Schiffshalle die<br />

Themenbereiche. Was fehlte: Sozialgeschichte der Seeschifffahrt, Arbeitskonflikte <strong>in</strong> der<br />

Seeschifffahrt, Migration und Seeschifffahrt, Militärismis und Seeschifffahrt, Faschismus und<br />

Seeschifffahrt. Stattdessen: Walfang, Schiffsarchäologie, Nassholzkonservierung,<br />

mittelalterliche Handelsplätze, Sportboote usw.<br />

Gewisse Änderungen hat das <strong>Museum</strong> erfahren durch e<strong>in</strong>ige Stelltische, auf denen versucht<br />

wird, Aspekte, wie Ernährung, Gesundheit, Arbeitsunfälle und Schiffssicherheit darzustellen.<br />

Immerh<strong>in</strong> wird nun auch im Gegensatz zur damaligen Situation (!) wenigstens die sog.<br />

Plimsoll-Marke dargestellt. <strong>Das</strong> Problem der Überladung von Schiffen und der dadurch<br />

verstärkten Gefahren für die Menschen an Bord wird nicht mehr ausgespart. Allerd<strong>in</strong>gs: Die<br />

dah<strong>in</strong>terstehenden Interessenkonflikte zwischen Reedern und Seeleuten werden nicht e<strong>in</strong>mal<br />

ansatzweise angesprochen. „Sozial“wird allenfalls verstanden Anerkennung der Tatsache,<br />

dass sich an Bord der Schiffe Menschen befunden haben, die natürlich untere<strong>in</strong>ander oder<br />

schon aus existentiellen Gründen gewisse soziale Probleme hatten oder mit sich brachten. <strong>Das</strong><br />

aber hat mit sozialen Konflikten, mit Interessengegensätzen oder gar mit der Austragung von<br />

Konflikten nichts zu tun.<br />

Besonders hilflos ist dabei die schon vor e<strong>in</strong>iger Zeit <strong>in</strong> das <strong>DSM</strong> gestellte Schaufensterpuppe<br />

e<strong>in</strong>es Heizers vor dem Kessel des Raddampfers Meissen. Diese Schaufensterpuppe sagt über<br />

die Arbeits- und Lebensbed<strong>in</strong>gungen der Kohlentrimmer und Heizer auf den großen<br />

Dampfschiffen ungefähr so viel aus wie die Lokomotive e<strong>in</strong>er Modelleisenbahn über die<br />

Arbeit e<strong>in</strong>es Lokomotivführers. Die Selbstmordrate der Heizer auf den großen Dampfschiffen<br />

des ausgehenden 19. Jahrhunderts, der verzweifelte Kampf der Kohlentrimmer und Heizer um<br />

bessere Lebens- und Arbeitsbed<strong>in</strong>gungen, all das bleibt weiterh<strong>in</strong> ausgeblendet.<br />

Ausgeblendet bleibt <strong>in</strong>sbesondere auch der Kampf der Seeleute um mehr Schiffsicherheit.<br />

<strong>Das</strong> berühmte Zitat von August Bebel, der im Reichstag die unselige Äußerung des Reeders<br />

Schiff wiedergab („leider wurde die Mannschaft gerettet“), fehlt völlig.<br />

Ebenso fehlt bei der Frage von Krankheit und Arbeitsunfällen e<strong>in</strong> E<strong>in</strong>gehen auf die Rolle des<br />

Reeders Laeisz und dessen berühmtem Zitat „E<strong>in</strong>e hübsche Unfallverhütungsvorschrift oder<br />

weniger. <strong>Das</strong> macht doch nichts. Die Welt will betrogen se<strong>in</strong>.“<br />

Entsprechendes gilt für die Auflistung juristischer Normen, etwa der Seemannsordnung von<br />

1872 und der verme<strong>in</strong>tlichen juristischen Fortschritte dieser Gesetze. Der militaristische<br />

Charakter der Seemannsordnungen wird völlig ausgeblendet. Ebenso der Kampf der<br />

Seeleutebewegung g e g e n die Seemannsordnung und die schließliche Durchsetzung der<br />

Seemannsordnung von 1902 aufgrund von politischen Ause<strong>in</strong>andersetzungen, nicht zuletzt<br />

auch des Hafenarbeiter- und Seeleutestreiks von 1896/97.<br />

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All das fehlt weiterh<strong>in</strong>. All das hätte nicht „durch e<strong>in</strong> aufgeschlagenes Buch“dargestellt<br />

werden müssen (so der E<strong>in</strong>wand von Direktor Ellmers), sondern z.B. auch durch<br />

großformatige Bilder etwa über den Seeleute- und Hafenarbeiterstreik von 1986/97, über den<br />

Debattenbeitrag von August Bebel im Reichstag oder e<strong>in</strong>ige Ausgaben der Zeitschrift<br />

„Seemann“, wie sie seit längerem faksimiliert von der Gewerkschaft ÖTV (der<br />

Vorgängergewerkschaft der Gewerkschaft ver.di) vorliegen.<br />

Demgegenüber nehmen nach wie vor großformatige Schiffsbilder, die Heroisierung von<br />

Schiffen bis h<strong>in</strong> zu ihrer Fetischisierung sehr großen Raum e<strong>in</strong>. Die „Kessel“auf der Meissen<br />

reflektieren auch nicht im Ansatz die katastrophalen Arbeitsbed<strong>in</strong>gungen, unter denen diese<br />

Menschen arbeiten mussten. Auch wenn diese kaum s<strong>in</strong>nlich wahrnehmbar simuliert werden<br />

können, so wäre doch z.B. durch großformatige Aufnahmen und H<strong>in</strong>weisschilder e<strong>in</strong>e<br />

gewisse Nachvollziehbarkeit möglich.<br />

Demgegenüber ist die Schiffsmodellsammlung nach wie vor im gesamten <strong>Museum</strong> dom<strong>in</strong>ant,<br />

obwohl auf sie me<strong>in</strong>es Erachtens fast ganz verzichtet werden könnte. Völlig überflüssig<br />

ersche<strong>in</strong>en die kitschigen Wandgemälde e<strong>in</strong>er Reederei über die „4 Erdteile“, die<br />

kostspieligen Raum beanspruchen und über ke<strong>in</strong>erlei historischen Aussagewert verfügen.<br />

Pe<strong>in</strong>lich ist die Darstellung der Geschichte des Norddeutschen Lloyd. Auch hier wird<br />

lediglich heroisiert. Zwei D<strong>in</strong>ge fehlen vollkommen: 1. <strong>Das</strong> E<strong>in</strong>gehen auf die Tatsache, dass<br />

der Norddeutsche Lloyd noch um die Jahrhundertwende sog. schwarze Listen führte, nach<br />

denen Gewerkschaftsmitglieder von e<strong>in</strong>er E<strong>in</strong>stellung ausgeschlossen waren, 2. die Rolle der<br />

Reederei bei der Machtergreifung der Nazis. Im Gegenteil: In Bezug auf den<br />

Nationalsozialismus wird lediglich ausgeführt, dass jüdische Besatzungsmitglieder entlassen<br />

wurden und dass der „Spielraum der Reederei e<strong>in</strong>geschränkt“wurde. Wie bitte? Es war das<br />

Reederorgan Hansa, das 1933 die Nazis anfeuerte mit dem Schlachtruf: „Nur nicht auf<br />

halbem Wege stehenbleiben. Jetzt die Stunde nutzen, <strong>in</strong> der alles gewagt werden kann!“<br />

Irgende<strong>in</strong>e Art von Aufarbeitung des Faschismus, der militaristischen E<strong>in</strong>stellung der Reeder,<br />

ihrer reaktionären Innen- und Außenpolitik (darunter <strong>in</strong>sbesondere auch ihres Anteils am<br />

Kolonialismus), ihrer Rolle als Kriegsgew<strong>in</strong>nler (<strong>in</strong>sbesondere der Hapag etwa im Russisch-<br />

Japanischen Krieg) fehlt. Stattdessen: Großformatige Gemälde über die Reedereidirektoren,<br />

über Schiffe, Schiffe, Schiffe. Seeleute fehlen ganz.<br />

Weiterh<strong>in</strong> dom<strong>in</strong>ant gewissermaßen als Gipfel des Fetischismus die nun immer noch nicht<br />

„fertige“Kogge, die seit über dreißig Jahren konserviert wird und offenbar dann erst im 22.<br />

Jahrhundert zu besichtigen ist.<br />

Überflüssig ersche<strong>in</strong>en die Angaben zu „Pflichten und Rechten der Seeleute“. Wie Seeleute<br />

ihre Rechte überhaupt um die Jahrhundertwende geltend machen konnten, wird nicht<br />

dargelegt. Pe<strong>in</strong>lich ist, dass aus juristischen Normen auf den sozialen Sachverhalt geschlossen<br />

wird. Man muss nicht Historiker se<strong>in</strong>, um zu wissen, dass dieses Uns<strong>in</strong>n ist.<br />

Pe<strong>in</strong>lich auch die Militariasammlung des Herrn Bernartz. Darunter vor allem die<br />

Ansammlung der Blei-Modelle, aber auch der Gemälde von Bordt, dessen unseliges Wirken<br />

als Kriegsverherrlichungsmaler noch nicht e<strong>in</strong>mal <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Kurzkommentar erwähnt wird.<br />

Besonders bedenklich ist nicht etwa nur die Abwesenheit e<strong>in</strong>er Aufarbeitung des Faschismus<br />

<strong>in</strong> der Seeschifffahrt, sondern die an mehreren Stellen sichtbare Verherrlichung ausgerechnet<br />

des NS-Schiffes Wilhelm Gustloff.<br />

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Völlig überdimensioniert ist die Sammlung der Segelboote <strong>in</strong> der Bootshalle. Höchst<br />

problematisch nach wie vor ist die praktisch völlig fehlende Kommentierung des Kle<strong>in</strong>st-U-<br />

Boots Seehund. Alle<strong>in</strong> der Satz, dass „nur etwa fünfzig Boote ab Januar 1945 zum E<strong>in</strong>satz“<br />

gekommen wären, spricht Bände: Im anuar 1945 war der Krieg bereits entschieden. Es<br />

handelte sich also um e<strong>in</strong>e „Wunderwaffe“. <strong>Das</strong>s die E<strong>in</strong>sätze „normalerweise höchstens fünf<br />

Tage“gedauert haben sollen, ist e<strong>in</strong>igermaßen beruhigend, wenn man an die hohe Quote der<br />

Todesfälle denkt und an die Tatsache, dass diese Männer damit fast e<strong>in</strong>e Woche bewegungsund<br />

regungslos unter Extremstbed<strong>in</strong>gungen verharren mussten und lediglich als<br />

Kanonenfutter dienten. Die Reduktion dieses Phänomens auf e<strong>in</strong>e re<strong>in</strong>e Technikangelegenheit<br />

(„Stahlbau, geschweißt, Verdrängung 14,9 Tonnen usw.) ist mehr als nur pe<strong>in</strong>lich.<br />

Überflüssig auch die Sammlung von Rangabzeichen der Volksmar<strong>in</strong>e der DDR. Dies um so<br />

mehr, als die Ausstellung ohne jede Kommentierung und Erläuterung des H<strong>in</strong>tergrunds der<br />

Entstehung der Volksmar<strong>in</strong>e der DDR erfolgt.<br />

Besonders extrem ist allerd<strong>in</strong>gs ausgerechnet die bildhafte Verherrlichung des „Vaters“der<br />

Mar<strong>in</strong>eideologie, nämlich von Kaiser Wilhelm II., die Darstellung se<strong>in</strong>er Nordlandfahrten und<br />

se<strong>in</strong> Konterfei <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em großformatigen Gemälde, statt auf das Phänomen der<br />

Mar<strong>in</strong>eideologie, dessen Auswirkungen bis heute zu beobachten s<strong>in</strong>d, sozial und<br />

ideologiekritisch e<strong>in</strong>zugehen.<br />

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Publikationen von Rolf Geffken zum Themenkomplex:<br />

Seeschifffahrt<br />

1977 „Stadt ohne Burgen und Schlösser –Vorurteile und Urteile über die<br />

Geschichte der Stadt Bremerhaven und ihres Umlandes“, Sendung bei<br />

RADIO BREMEN. Erstmals ausgestrahlt am 14.5.1977<br />

1979 „Mehr Jammer als W<strong>in</strong>d –Zur Geschichte der deutschen<br />

Seemannsbewegung“, Sendung bei RADIO BREMEN. Erstmals<br />

ausgestrahlt am 28.4.1979<br />

1979 „Seeleutestreik und Hafenarbeiterboykott –Rechtsprobleme des Streiks<br />

an Land und auf See“, Dissertation Universität <strong>Bremen</strong>, Marburg VAG-<br />

Verlag<br />

1987 „Ausländische Seeleute –Ausländische Flagge“, <strong>in</strong>: AiB, 1/87, S. 11 ff.<br />

1988 „Jammer & W<strong>in</strong>d –E<strong>in</strong>e Alternative Geschichte der deutschen<br />

Seeschifffahrt“, VAR-Verlag, 3. Auflage<br />

1988 „Arbeitsplatz Schiff –Kritische Anmerkungen zum ersten Versuch<br />

e<strong>in</strong>er Sozialgeschichte der Seeschifffahrt. Über e<strong>in</strong>e Sozialgeschichte,<br />

die nicht se<strong>in</strong> darf !, <strong>in</strong>: tageszeitung, Berl<strong>in</strong>, 26.8.1988, S. 11-12<br />

1989 „Seeschifffahrt als <strong>in</strong>ternationales Wirtschaftsgebiet –Über<br />

Ausflaggung, Offene Register, Freizonen und EG-B<strong>in</strong>nenmarkt“, <strong>in</strong>:<br />

Demokratie und Recht (DuR), S. 52-63<br />

1989 „<strong>Internationale</strong>s Seeschiffahrtsregister –Gutachterliche Stellungnahme<br />

gegenüber dem Verkehrsausschuss des Deutschen Bundestages und<br />

Analyse der H<strong>in</strong>tergründe des deutschen Zweitregisters, Hamburg<br />

(Hrsg. DAG - Schiffahrt)<br />

2009 Schifffahrt ohne Leben –E<strong>in</strong>e Denkschrift zum <strong>Internationale</strong>n<br />

<strong>Maritime</strong>n <strong>Museum</strong> („Sammlung Peter Tamm), VAR-Verlag<br />

2011 Seeleute vor Gericht –Authentische Er<strong>in</strong>nerungen e<strong>in</strong>es Anwalts aus<br />

den 1980er Jahren, NW-Verlag Bremerhaven<br />

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Der Autor:<br />

Dr. Rolf Geffken, Fachanwalt und Autor <strong>in</strong> Hamburg und Cadenberge seit 1977. Leiter des<br />

Instituts für Arbeit –ICOLAIR. Lehrbeauftragter an der Universität Oldenburg.<br />

Der Autor vertrat seit se<strong>in</strong>er Zulassung als Anwalt im Jahre 1977 viele deutsche und<br />

ausländische Seeleute. Er promovierte 1978 über das Thema „Seeleutestreik und<br />

Hafenarbeiterboykott“an der Universität <strong>Bremen</strong> und veröffentlichte <strong>in</strong> drei Auflagen e<strong>in</strong>e<br />

alternative Geschichte der deutschen Seeschifffahrt unter dem Titel „Jammer & W<strong>in</strong>d“. 1988<br />

war Sachverständiger im Verkehrsausschuss des Bundestages bei der Schaffung des<br />

„<strong>Internationale</strong>n Seeschifffahrtsregisters“. Zudem legte der Autor 1987 und 2008 kritische<br />

Denkschriften zum Deutschen Schifffahrtsmuseum <strong>in</strong> Bremerhaven und zum <strong>Internationale</strong>n<br />

<strong>Maritime</strong>n <strong>Museum</strong> <strong>in</strong> Hamburg vor.<br />

Neben zahlreichen Fachveröffentlichungen v.a. zum Arbeitsrecht <strong>in</strong> Deutschland (zuletzt:<br />

„Prekarisierung der Normalarbeit“<strong>in</strong> „Arbeitsunrecht“, Hrsg. Werner Rügemer) und zu Ch<strong>in</strong>a<br />

(u.a.: „Arbeit <strong>in</strong> Ch<strong>in</strong>a“, NOMOS 2004 und „Der Preis des Wachstums“, VSA-Verlag 2005)<br />

erschienen u.a. von ihm die Lehrerbiografie „E<strong>in</strong> Norddeutsches Jahrhundert“, 3. Auflage<br />

2009 im VAR-Verlag und se<strong>in</strong> Erstl<strong>in</strong>gsroman „Shanghai Angel <strong>in</strong> Germany“im Schardt-<br />

Verlag Oldenburg 2010. Ende 2011 erschien im Bremerhavener NW-Verlag se<strong>in</strong> Erzählband<br />

„Seeleute vor Gericht“, <strong>in</strong> denen Geffken se<strong>in</strong>e langjährigen Erfahrungen als Seeleuteanwalt<br />

verarbeitet.<br />

Adresse: Lüneburger Tor 7, 21073 Hamburg<br />

Mehr zum Autor unter: www.DrGeffken.de<br />

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