Senioren - Stiftung Diakoniestation Kreuztal
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kommt bis Freitag<br />
Kindheitserinnerungen<br />
Als ich etwa fünf Jahre alt war, schienen mir die Erwachsenen<br />
ziemlich einfältig zu sein: Meine Oma rührte Teig und<br />
backte Kuchen! Ich hätte den Teig roh gegessen. Ich durfte<br />
nicht. Aber Oma war doch schon alt und konnte machen, was<br />
sie wollte. Mein Opa wurde mit den Worten „Mach äwe mol<br />
det Geld klän“ zum Kaufmann geschickt. Warum schnitt er es<br />
nicht einfach mit der Schere in zwei Teile? Unbegreiflich!<br />
Ein Fälscher war der Polizei ins Netz gegangen und ins Gefängnis<br />
gewandert. Mir stockte das Blut in den Adern, denn auch ich<br />
war eine raffinierte Geldmacherin und hatte schon stundenlang<br />
Münzen mit Butterbrotpapier und Bleistift gefälscht. Auch<br />
hatte ich Scheine fabriziert, die ungeheuer wertvoll waren, weil<br />
jeder eine „1“ und sechs! Nullen hatte. Geldfälschen war eine<br />
meiner Lieblingsbeschäftigungen. Nun sollte alles umsonst<br />
gewesen sein? Ha, das hatte die Polizei sich so gedacht! Ich<br />
verlegte meine Werkstatt von der Küche auf den „Ollern“, wo<br />
keine Polizei mich sehen konnte und heimliche Schauer über<br />
meinen Rücken rieselten, wenn ich an meine List dachte.<br />
Auch mit dem Lottospielen war das so eine Sache: Opa und<br />
Oma füllten jede Woche zwei Häuschen auf einem Schein mit<br />
je sechs Kreuzchen aus. Das kostete kein Vermögen und sie<br />
warteten mit Spannung am Wochenende auf einen Gewinn.<br />
Auch ich spielte Lotto. Ich sehe mich noch am Tisch sitzen und<br />
gewissenhaft alle 49 Zahlen ankreuzen. Meinen Opa hatte ich<br />
dahingehend auch schon belehrt! Wie konnte er auf einen Gewinn<br />
hoffen, wenn er nur sechs Kreuzchen machte? Da würde<br />
er in 100 Jahren nie die richtigen Zahlen treffen! Mit den Scheinen<br />
marschierten wir zur Lottostelle in Ferndorf. Der „Lotto-<br />
Onkel“ zog in seiner Küche eine Schublade auf, stempelte den<br />
Schein, es wurde noch ein Schwätzchen gehalten und schon<br />
zockelten wird wieder nach Hause. Dort holte Opa seine Geldbörse<br />
und bezahlte mir meinen Lottogewinn aus: 10 Pfennig! Er<br />
gewann nie – was sagt uns das? Hätte er mal auf mich gehört!<br />
Auch war ich sehr reiselustig. Sobald mich das Reisefieber<br />
packte, eilte Opa in den Schuppen und zog den alten Leiterwagen<br />
in den Gartenweg, verkeilte ihn und schon saß ich in<br />
der herrlichsten Eisenbahn, Kutsche oder Auto, je nach dem,<br />
wo meine Reise hinführte. Meistens fuhr ich nach Borneo, ab<br />
und an auch nach Sumatra. Der Klang dieser Worte hatte es<br />
mir angetan. Mit meiner Freundin zusammen machte das Spiel<br />
noch mehr Spaß. Alte Kochtöpfe, Decken und ein Regenschirm<br />
gehörten zu unserer Ausrüstung. Ständig hielten wir in Omas<br />
Garten an, um Kohlrabi und Möhren zu ernten. Reisen macht<br />
hungrig. Oft waren wir berühmte Doktoren. Wir beluden unser<br />
Fahrzeug mit selbstgebrauten Arzeneien aus Blumen, Blättern<br />
und Erde und brachten armen Menschen Heilung. Auf dem<br />
Wagen operierten wir auch unsere Puppen.<br />
Ja, die Puppen: Meine Puppe Lotte verschwand immer im<br />
November um sich beim Christkind neu einzukleiden. Sie war<br />
sehr verwöhnt und trug nur die schicksten Sachen. Eines schönen<br />
Weihnachten bekam Lotte von meiner Oma einen selbst<br />
gestrickten rosa Baumwollschlüpfer – mit Zwickel! Man stelle<br />
sich mal den Schreck vor!! Lotte und ich stimmten sofort ein<br />
Geschrei an und wurden dafür aus dem Zimmer verfrachtet.<br />
Heute sind Lotte und ich 50 Jahre älter und vernünftiger. Lotte<br />
muss nun auch an ihre Gesundheit denken und trägt mit<br />
dankbarer Gelassenheit die warme Unterwäsche.<br />
Ich bin sehr dankbar für die vielen Erinnerungen an meine<br />
Großeltern und meine schöne Kindheit!<br />
62 Erinnerungen - Kindkeitserinnerungen Erinnerungen - Kindheitserinnerungen 63<br />
Ingrid Linde