Lustig, B. (2012): Freier
Lustig, B. (2012): Freier
Lustig, B. (2012): Freier
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Soziale Arbeit<br />
Zeig mir eine Frau, die freiwillig sagt, ‘I stö‘ mi da<br />
raus, als Hure.‘ –<strong>Freier</strong> und ihre Wahrnehmung<br />
von Zwangsprostitution und Menschenhandel<br />
Benjamin <strong>Lustig</strong><br />
so091022@fhstp.ac.at<br />
Bachelorarbeit 2<br />
Eingereicht zur Erlangung des Grades<br />
Bachelor of Arts in Social Sciences<br />
an der Fachhochschule St. Pölten<br />
Im Mai <strong>2012</strong><br />
Begutachterinnen:<br />
Mag. Dr. Gertrude Eigelsreiter-Jashari<br />
Mag. Christiana Weidel
Eidesstattliche Erklärung<br />
Ich, Benjamin <strong>Lustig</strong>, geboren am 29.9. 1980 in Wien, erkläre,<br />
1. dass ich diese Bachelorbeit selbstständig verfasst, keine anderen als<br />
die angegebenen Quellen und Hilfsmittel benutzt und mich auch sonst<br />
keiner unerlaubten Hilfen bedient habe,<br />
2. dass ich meine Bachelorarbeit bisher weder im In- noch im Ausland in<br />
irgendeiner Form als Prüfungsarbeit vorgelegt habe,<br />
Wien, am 3.5. <strong>2012</strong><br />
Unterschrift
1. Abstract Deutsch<br />
Vorliegende qualitative Forschung widmet sich der Frage, ob, und wie <strong>Freier</strong> aus<br />
Wien bezüglich Menschenhandel und Zwangsprostitution sensibilisiert sind. Es wird<br />
untersucht, inwiefern Wissen über die Problematik ihre Praxis als <strong>Freier</strong> beeinflusst.<br />
Ebenso wird der Frage nachgegangen, wie Prostitutionsformen, -kontexte und -<br />
örtlichkeiten die Wahrnehmung von Anzeichen für Zwangsprostitution und<br />
Menschenhandel erschweren oder gar kaschieren. Ziel ist es, Ansatzpunkte für<br />
Sensibilisierungsarbeit festzustellen, und Organisationen, die sich mit<br />
Menschenhandelsopfern und Prostituierten befassen, Argumente für sozialpolitische<br />
Forderungen zu liefern. Die Forschung wurde mittels vier Leitfadeninterviews mit<br />
<strong>Freier</strong>n aus Wien geführt. Die Ergebnisse der Interviews bilden das Herzstück der<br />
Arbeit. Im Anschluss daran werden sie hinsichtlich der Forschungsfrage interpretiert<br />
und zusammengefasst. Den Abschluss bilden Empfehlungen, abgeleitet aus der<br />
Beantwortung der Forschungsfrage.<br />
2. Abstract English<br />
The qualitative research paper at hand deals with question, if Johns from Vienna are<br />
sensitized and attentive to indications of human trafficking and forced prostitution. It<br />
is reviewed to what extent an awareness of this set of problems is influencing their<br />
practice as Johns. It is furthermore examined how the perception of signs for human<br />
trafficking and forced prostitution is handicapped or even made impossible by<br />
different forms, contexts and localities of prostitution. One of the main goals of this<br />
paper is to isolate starting points for awareness creation programs, the other to<br />
supply organizations caring for victims of human trafficking and forced prostitution<br />
with arguments and research to back up their sociopolitical demands.<br />
The research has been done by 4 guided interviews with johns from Vienna, they<br />
build the core of this paper. The interviews are then centralized and interpreted with<br />
respect to the research question. These interpretations and answers to the research<br />
question result in recommendations, they build the conclusion of this paper.
Inhalt<br />
1.Einleitung ................................................................................................................. 3<br />
2. Begriffsdefinitionen ................................................................................................. 4<br />
2.1 „Prostitution“ ...................................................................................................... 4<br />
2.2 „<strong>Freier</strong>“ .............................................................................................................. 4<br />
2.3 „Menschenhandel“ ............................................................................................. 4<br />
2.4 „Zwangsprostitution“ .......................................................................................... 4<br />
3. Kontextklärung ........................................................................................................ 5<br />
3.1 Forschungskontext- Prostitution in Wien ........................................................... 5<br />
3.2 Forschungsinteresse und Fragestellung ........................................................... 5<br />
3.3 Zugang ............................................................................................................ 10<br />
4. Forschungsprozess .............................................................................................. 12<br />
4.1 Wahl der Untersuchungspersonen und Interviewsituationen .......................... 12<br />
4.2 Die Untersuchungspersonen ........................................................................... 13<br />
4.3 Wahl der Erhebungsmethoden ........................................................................ 14<br />
4.4 Wahl der Auswertungsmethode ...................................................................... 15<br />
4.5 Darstellung der Ergebnisse ............................................................................. 15<br />
5. Die Ergebnisse ..................................................................................................... 15<br />
5.1 „Es hat etwas von Warenkauf.“- Person und Praxis ........................................ 15<br />
5.2 „Ganz was Übles“- <strong>Freier</strong> ................................................................................ 17<br />
5.3 „Wos? Wos? Wos bringt die dazu? Warum moch’n die des?“ - Prostitution als<br />
Resultat von Zwangslagen .................................................................................... 18<br />
5.4 „Es ist nicht sensationell, wenn sich eine verschuldete, fünfundzwanzigjährige<br />
Ungarin in Wien prostituiert.“ – Medienrezeption, Menschenhandel und<br />
Zwangsprostitution ................................................................................................ 19<br />
5.5 „Um‘s Eck, hinter‘m Baum“- Wo findet Zwangsprostitution statt? ................... 20<br />
5.6 „Man lebt ja auch damit, dass irgendwo jetzt einbrochen wird“ -Kenntnis und<br />
Praxis .................................................................................................................... 22<br />
5.7 „Naja, wenn sie wahrscheinlich sagt, ‘Hilf mir‘“ - Eigene Indikatoren für<br />
Zwangsprostitution und Menschenhandel ............................................................. 23<br />
5.8 „Dieselbe Geschichte wie mit schlechter Ware“- Aussagekraft des Service .. 24<br />
5.9 „Da müsst ich z’erst googeln“ –Was tun bei Zwangsprostitution und<br />
Menschenhandel? ................................................................................................. 26<br />
5.10 „Randbezirk unserer gesellschaftlichen Organisation“ – Prostitution und<br />
Kriminalität ............................................................................................................ 27<br />
5.11 „Beschützer, Betreuer oder sonst was“ –Die Personen im Umfeld der<br />
Prostituierten ......................................................................................................... 28
5.12 „Man setzt voraus, dass die ja eh ein Scheißleben hat“- Zuschreibungen an<br />
die Herkunftsländer ............................................................................................... 29<br />
5.13 „Die Zeiten, wo sich a Hur a goldene Nosn verdient hat, san lang vorbei.“- Der<br />
Preis und was mit dem Geld geschieht ................................................................. 31<br />
5.14 „Extrem grindig“- Hygiene und Gesundheit ................................................... 32<br />
5.15 „Dass irgendwas für die Damen besser wurde, denke ich nicht, warum auch?“<br />
– Das Neue Wiener Prostitutionsgesetz ................................................................ 33<br />
5.16 „Dinge, die man als <strong>Freier</strong> ja ned unbedingt weiß“- Indikatoren für<br />
Menschenhandel und Zwangsprostitution ............................................................. 34<br />
6. Interpretierte Zusammenfassung der Ergebnisse ................................................. 35<br />
6.1 <strong>Freier</strong> sehen sich als gesellschaftlich geächtet, allerdings nicht wegen<br />
möglicher Nutznießerschaft an Zwangsprostitution und Menschenhandel ............ 35<br />
6.2 <strong>Freier</strong> betrachten Prostituierte als Opfer von Zwangslagen. ........................... 36<br />
6.3 Medienberichte tragen nur bedingt zur Sensibilisierung bezüglich<br />
Menschenhandel und Zwangsprostitution bei. ...................................................... 37<br />
6.4 Die Verortung von Zwangsprostitution und Menschenhandel in Wien basiert<br />
kaum auf kolportierten Informationen. ................................................................... 38<br />
6.5 Die Kenntnis von der Existenz von Menschenhandel und Zwangsprostitution<br />
beeinflusst die Praxis der <strong>Freier</strong>. ........................................................................... 39<br />
6.6 Die Befragten haben unterschiedliche eigene Indikatoren für Menschenhandel<br />
und Zwangsprostitution. ........................................................................................ 40<br />
6.7 Negative Gefühlsäußerungen im persönlichen Kontakt werden nur bedingt als<br />
Anzeichen für Zwangsprostitution und Menschenhandel gedeutet. ...................... 41<br />
6.8 <strong>Freier</strong> verfügen in Fällen von Zwangsprostitution und Menschenhandel nicht<br />
über nötige Handlungskompetenzen ..................................................................... 42<br />
6.9 Prostitution befindet sich im kriminellen Kontext. ............................................ 42<br />
6.10 Das Umfeld der Prostituierten profitiert von ihrer Tätigkeit. ........................... 43<br />
6.11 Die Herkunft der Frauen aus bestimmten Ländern wird von manchen <strong>Freier</strong>n<br />
als Indikator für Zwangsprostitution und Menschenhandel gesehen, woraus sich<br />
keine Konsequenzen hinsichtlich ihres Handelns ergeben. .................................. 44<br />
6.12 Der Preis wird von verschiedenen Einflussvariablen bestimmt und verdeutlicht<br />
größtenteils Zwangslagen ..................................................................................... 44<br />
6.13 Die Prostituierte riskiert ihre Gesundheit ....................................................... 45<br />
6.14 Das Prostitutionsgesetz ist ungenügend ....................................................... 45<br />
6.15 Indikatoren für Menschenhandel werden aufgrund der im Bereich der<br />
Prostitution herrschenden Bedingungen nicht als solche erkannt. ........................ 46<br />
7. Beantwortung der Forschungsfrage und abschließende Bemerkungen ............... 46<br />
8. Literatur ................................................................................................................ 51<br />
9. Quellen ................................................................................................................. 53<br />
10. Anhang ............................................................................................................... 54
1.Einleitung<br />
500.000 Mädchen und junge Frauen werden jährlich in Europa Opfer von<br />
Menschenhandel und Zwangsprostitution (vgl. Kreutzer/ Milborn 2008:9). Die Lage<br />
im Zentrum von Europa macht Österreich zum Transit- und Zielland der Ware<br />
Mensch (vgl. Task Force Menschenhandel <strong>2012</strong>:3). Im Raum Wien nehmen laut<br />
Schätzungen täglich 15.000 Männer die Dienste einer Prostituierten in Anspruch<br />
(vgl. Ecpat 2006b). Es ist somit anzunehmen, dass einige dieser <strong>Freier</strong> mit<br />
Prostituierten ins Geschäft kommen, die ihre Arbeit nicht freiwillig ausführen.<br />
Vorliegende qualitative Forschungsarbeit geht der Frage nach, inwieweit männliche,<br />
heterosexuelle <strong>Freier</strong> in Wien bezüglich Menschenhandel und Zwangsprostitution<br />
sensibilisiert sind.<br />
Die Forschung wurde mittels Leitfadeninterviews geführt. Zu Wort kommen vier<br />
heterosexuelle in Wien lebende <strong>Freier</strong>. Hauptaugenmerk dieser Arbeit liegt darin,<br />
festzustellen, ob und wie Wissen über Menschenhandel und Zwangsprostitution ihr<br />
Handeln als <strong>Freier</strong> beeinflusst.<br />
Ebenso wird untersucht, inwiefern die verschiedenen Prostitutionskontexte die<br />
Wahrnehmung der <strong>Freier</strong> hinsichtlich Zwangsprostitution und Menschenhandel<br />
beeinflussen- Das Interesse gilt der Frage, welche Bedingungen im Bereich der<br />
Prostitution ein Erkennen der Problematik erschweren oder fördern.<br />
Die gewonnen Informationen sollen Organisationen, die sich mit<br />
Menschenhandelsopfern und Prostituierten befassen, einerseits bei sozialpolitischen<br />
Forderungen Argumente liefern und andererseits konkrete Ansatzpunkte für<br />
Präventionsarbeit im Sinne von Sensibilisierungsarbeit bieten.<br />
Zu Beginn dieser Arbeit werden verwendete Begriffe definiert, der<br />
Forschungskontext, die daraus resultierende Forschungsfrage und der Zugang zum<br />
Feld werden erläutert. Anschließend wird die Wahl der Untersuchungspersonen<br />
begründet, die Interviewsituationen geschildert und die für diese Arbeit dienlichen<br />
Forschungs-, Erhebungs- und Darstellungsmethoden beschrieben.<br />
Kern vorliegender Arbeit ist Kapitel 5, in dem die Ergebnisse präsentiert werden, dem<br />
folgt eine Zusammenfassung, in der die Ergebnisse hinsichtlich der Forschungsfrage<br />
interpretiert werden. Den Abschluss bildet die Beantwortung der Forschungsfrage<br />
und daraus abgeleitete Empfehlungen.
2. Begriffsdefinitionen<br />
In Folge werden die zum Verständnis relevanten Begriffe definiert.<br />
2.1 „Prostitution“<br />
Das Wiener Prostitutionsgesetz von 2011 definiert „Prostitution“ unter §2. (1) als<br />
„gewerbsmäßige Duldung sexueller Handlungen am eigenen Körper oder die<br />
gewerbsmäßige Vornahme sexueller Handlungen“ (Magistrat der Stadt Wien 2011a).<br />
2.2 „<strong>Freier</strong>“<br />
Das Wiener Prostitutionsgesetz von 2011 definiert „<strong>Freier</strong>“ unter §2. (9) als<br />
„Personen, welche die Dienstleistung einer die Prostitution anbahnenden Person in<br />
Anspruch nehmen oder zu nehmen beabsichtigen“ (ebd.).<br />
2.3 „Menschenhandel“<br />
Im Sinne des „Übereinkommens des Europarats zur Bekämpfung des<br />
Menschenhandels“ bezeichnet „Menschenhandel“ „die Anwerbung, Beförderung,<br />
Verbringung, Beherbergung oder Aufnahme von Personen durch die Androhung oder<br />
Anwendung von Gewalt oder anderen Formen der Nötigung, durch Entführung,<br />
Betrug, Täuschung, Missbrauch von Macht oder Ausnutzung besonderer Hilflosigkeit<br />
oder durch Gewährung oder Entgegennahme von Zahlungen oder Vorteilen zur<br />
Erlangung des Einverständnisses einer Person, die Gewalt über eine andere Person<br />
hat, zum Zweck der Ausbeutung. Ausbeutung umfasst mindestens die Ausnutzung<br />
der Prostitution anderer oder andere Formen sexueller Ausbeutung, Zwangsarbeit<br />
oder Zwangsdienstbarkeit, Sklaverei oder sklavereiähnliche Praktiken,<br />
Leibeigenschaft oder die Entnahme von Organen“ (Council of Europe o.A.a)<br />
2.4 „Zwangsprostitution“<br />
Eine gesetzliche Definition von „Zwangsprostitution“ ist in österreichischen<br />
Gesetzbüchern nicht zu finden. Somit definiere ich „Zwangsprostitution“ als Folge<br />
von Menschenhandel (s. O.) und/ oder Zuhälterei- „Zuhälterei“ bedeutet laut § 216<br />
des Österreichischen Strafgesetzbuches den „ Vorsatz, sich aus der Prostitution<br />
einer anderen Person eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen“ (JUSLINE GmbH<br />
<strong>2012</strong>a). Darunter fällt die Ausbeutung und Einschüchterung der betroffenen Person,<br />
das Vorschreiben der Bedingungen, unter der diese Prostitution auszuüben hat und
das Abhalten durch Einschüchterung, die Prostitution aufzugeben (vgl. JUSLINE<br />
GmbH <strong>2012</strong>b).<br />
3. Kontextklärung<br />
Vorliegender Abschnitt beschreibt den Forschungskontext, die daraus resultierende<br />
Forschungsfrage und den Zugang zum Feld.<br />
3.1 Forschungskontext- Prostitution in Wien<br />
Laut einer Erhebung des BM.I aus dem Jahre 2007 gibt es in Wien 1500 „registriert<br />
arbeitende Sexdienstleisterinnen“ (ExpertInnenkreis „Prostitution“ 2008:11) meist<br />
„ausländischer Herkunft“ (ExpertInnenkreis „Prostitution“ 2008:12). Laut einer<br />
„Dunkelzifferschätzung“ (ebd.) stehen diesen ca. 3000 nicht registrierte Prostituierte<br />
gegenüber (vgl. ExpertInnenkreis „Prostitution“ 2008:12)<br />
Das Phänomen „Prostitution“ tritt in Wien mannigfaltig zu Tage: Straßenstrich,<br />
Bordelle, Bars, Massage- Studios, Laufhäuser, Escortservices, FKK- Saunen (vgl.<br />
ExpertInnenkreis „Prostitution“ 2008:13), Wohnungsprostitution (vgl. Gasser<br />
2010:13), Studios und Peepshows (vgl. erotikforum.at <strong>2012</strong>b). Hinzu kommt<br />
Geheimprostitution, wie sie z.B. rund um das U- Bahn- Zwischengeschoß am<br />
Westbahnhof vorkommt (vgl. erotikforum.at <strong>2012</strong>b).<br />
Die geschätzte Dunkelziffer der Männer, die täglich im Raum Wien die Dienste einer<br />
Prostituierten in Anspruch nehmen, beläuft sich, wie schon angeführt, auf 15.000<br />
(vgl. Ecpat 2006b).<br />
3.2 Forschungsinteresse und Fragestellung<br />
Die Fragestellung der vorliegenden Forschungsarbeit wurde im Rahmen der<br />
„Projektwerkstatt 1 PT“ zum Thema „Menschenhandel“ des Bachelorstudiums<br />
Soziale Arbeit im Wintersemester 2011entwickelt. Während der ersten Monate des<br />
Semesters sorgte das am 1.11. 2011 in Kraft getretene Neue Wiener<br />
Prostitutionsgesetz für kontroverse Debatten in den Medien. Hierbei zeigte sich der<br />
Facettenreichtum des Phänomens „Prostitution“. Die verschiedenen Sichtweisen zu<br />
Prostituierten, die über Themen wie z.B. „Erlaubniszonen“ oder „rechtliche Auflagen<br />
für Prostitutionslokale“ zu Tage traten (die Prostituierte als Opfer, die Prostituierte als<br />
selbstständige Sexarbeiterin, die Prostituierte als Wohnraum verschmutzender<br />
Störfaktor großstädtischen Lebens usw.), machte deutlich, dass hier sowohl vom
Gesetz als auch von den verschiedenen Akteuren, die in den Medien zu Sprache<br />
kamen, versucht wurde, etwas zu vereinheitlichen, was offenbar so nicht zu<br />
vereinheitlichen ist- „Es gibt nicht ‘die‘ Prostitution und nicht ‘die‘ Prostituierten:<br />
Prostitution wird von teilweise sehr unterschiedlichen Personen bzw. Gruppen<br />
aufgrund unterschiedlicher Motive und Lebenslagen sowie in unterschiedlichem<br />
Kontext an den verschiedensten Orten ausgeübt“ (Helfferich u.a. 2005:15 zit. in Löw/<br />
Ruhne 2011: 42).<br />
Diese Vielfalt und die mit ihr verbundenen Herausforderungen zentrierte ein<br />
mögliches Forschungsvorhaben auf Prostitution in Wien. Auffallend war, dass in den<br />
Debatten immer nur eine, das Phänomen Prostitution bildende Partei, nämlich die<br />
Prostituierten, Erwähnung zu finden schien. Die <strong>Freier</strong> aber als der andere, das<br />
Phänomen ebenso konstituierende Teil, fanden, wenn überhaupt, nur als konturlose,<br />
den Verkehr auf der Felberstraße behindernde Masse Erwähnung. Dies lenkte den<br />
Fokus auf eben jene Personengruppe, auf den, wie die Deutsche<br />
Prostitutiertenvereinigung HYDRA schreibt, eigentlich tabuisierten Teil des<br />
Prostitutionsgeschäfts (vgl. Bilitewski u.a. 1991:II)- die <strong>Freier</strong>.<br />
Nach einer Schätzung von HYDRA gibt es in Deutschland ca. 12 Millionen <strong>Freier</strong>.<br />
HYDRA zufolge machen drei von vier Männern Erfahrungen mit Prostituierten (vgl.<br />
Bilitewski u.a. 1991:20). Im Gegensatz zu Deutschland liegen für ganz Österreich<br />
keine vergleichbaren Zahlen durch Schätzungen oder Forschungsergebnisse vor<br />
(vgl. Gasser 2010:52).<br />
Das „verborgene“ Dasein der <strong>Freier</strong> schlägt sich auch in der Forschung nieder-<br />
Österreichische Studien zum Thema „<strong>Freier</strong>“ existieren schlichtweg nicht.<br />
Literatur über <strong>Freier</strong> aus dem deutschsprachigen Raum ist spärlich gesät (vgl. Grenz<br />
2007:18). Am besten kann dies durch den Umstand verdeutlicht werden, dass die<br />
oben erwähnten, von Hydra 1991, also vor einundzwanzig Jahren (!) veröffentlichten,<br />
geschätzten (!) Daten und Forschungsergebnisse nach wie vor in einschlägigen<br />
Diplomarbeiten und Büchern auch noch nach der Jahrtausendwende Eingang finden.<br />
(Zum Beispiel „Ware Frau. Auf den Spuren moderner Sklaverei“ von Kreutzer und<br />
Milborn (2008) oder „Zwangsprostituierte mit afrikanischen Migrationshintergrund in<br />
Österreich“ von Hannah- Isabella Gasser (2010) oder „Prostitution.<br />
Herstellungsweisen einer anderen Welt“ von Löw und Ruhne (2011).)<br />
Untersuchungen, die sich explizit mit <strong>Freier</strong>n und Menschenhandel befassen, sind im<br />
deutschsprachigen Raum nicht zu finden, allerdings finden <strong>Freier</strong> in der Literatur zum
Thema als Teil des Problems Erwähnung. Sie sind die „Endverbraucher der<br />
sexuellen Dienstleistungen der Zwangsprostituierten“ (Gasser 2010:64). Immer<br />
wieder stellt sich die Frage, wie <strong>Freier</strong> dem Phänomen Menschenhandel<br />
gegenüberstehen. Dies wird unterschiedlich beantwortet. Ackermann, Bell und<br />
Koelges gehen in „Verkauft, versklavt zum Sex gezwungen : Das große Geschäft mit<br />
der Ware Frau“ davon aus, dass <strong>Freier</strong> Prostituierte nicht ernst nehmen, da sie sie<br />
„grundsätzlich für durchtrieben halten“ (Ackermann u.a. 2005:81) und in ihnen ein<br />
„funktionierendes ‚Sex- Spielzeug‘“ (ebd.) sehen, wodurch blinde Flecken hinsichtlich<br />
der Wahrnehmung von Zwangsprostitution entstehen (vgl. Ackermann u.a. 2005:81).<br />
Kreutzer und Milborn hingegen kommen in „Ware Frau. Auf den Spuren moderner<br />
Sklaverei von Afrika nach Europa.“ zu dem Schluss, „Die Allermeisten wissen von<br />
Zwangsprostitution- und es ist ihnen egal“ (Kreutzer/ Milborn 2008:75).<br />
Aber gegenüber welchen Anzeichen für Zwangsprostitution gibt es blinde Flecken in<br />
der Wahrnehmung der <strong>Freier</strong>?<br />
Der Verein LEFÖ hat eine Liste von Indikatoren zusammengestellt, die die zentralen<br />
Elemente von Frauenhandel und Ausbeutung beschreiben als Grundlage zur<br />
Identifizierung von Betroffenen (vgl. LEFÖ 2011b). Diese lauten wie folgt:<br />
• „Schlechter körperlicher Zustand- Anzeichen von Gewalt<br />
• Pass/Personalausweis abgenommen (‘aufbewahrt‘)<br />
• Verschüchtertes Verhalten, Angst (z.B. vor Rache) Depressivität- apathisches<br />
Verhalten<br />
• Hinweise oder Aussagen, daß [sic] Person kontrolliert wird<br />
• Isolierung- kaum Freundinnen im Land, nicht orientiert, keine Kenntnis der<br />
Landessprache<br />
• Person wurde eingesperrt oder sonst an der freien Bewegung gehindert durch<br />
Einschüchterung, massive Kontrolle aller Wege etc. (Drohungen werden von<br />
TäterInnen ausgesprochen: daß [sic] sie bei Behörden im Zielland gemeldet<br />
wird, daß [sic] die Familien über ihre Arbeit oder über andere unangenehme<br />
Dinge informiert werden. Sie wird zu kriminellen Taten gezwungen)<br />
• Kein Geld<br />
• (…)<br />
• Exzessive Arbeitsstunden, keine freien Tage, kein Urlaub<br />
• Kein Lohn/ Bezahlung unter dem Mindestlohn<br />
• Keine Möglichkeit die Arbeit aufzugeben; Abhängigkeit
• Extrem schlechte Arbeitsbedingungen ((…) Arbeit ohne Condom)<br />
• Kein Arbeitsvertrag, Dienstzettel oder Ähnliches<br />
• Gewaltandrohung oder Ausübung von Gewalt, auch gegen die Familien“<br />
(LEFÖ 2011a)<br />
Ackermann, Bell und Koelges zitieren aus den Erzählungen deutscher <strong>Freier</strong>: Einer<br />
empört sich, dass „das mollige Modell“ (Ackermann u.a. 2005:76) gegen seinen<br />
„ausdrücklichen Wunsch“ (ebd.) das Licht ausmacht, ein anderer registriert, dass die<br />
„null Prozent professionell“ (Ackermann u.a.2005:80) wirkende Russin aus dem<br />
Bordell mit starker Fluktuation von Ukrainerinnen und Moldawierinnen sein Trinkgeld<br />
versteckt (vgl . Ackermann u.a. 2005:81). „All das“, kommentieren die Autorinnen,<br />
„hätte den Männern zu denken geben können- wenn sie weitergedacht hätten“<br />
(Ackermann u.a. 2005:81).<br />
Die <strong>Freier</strong> aus „Ware Frau“ hingegen sind informiert, alle 19 für das Buch befragten<br />
<strong>Freier</strong> sind der Meinung, dass am Straßenstrich Frauen zu finden sind, die zur<br />
Prostitution gezwungen werden, einige wissen sogar, dass nigerianische<br />
Menschenhandelsopfer mittels Schulden gezwungen werden, auf den Strich zu<br />
gehen (vgl. Kreutzer/ Milborn 2008:75), was ein <strong>Freier</strong> mit „Umso mehr Geld die<br />
Blackys verdienen, umso eher können sie an ihrer Situation etwas ändern“ (Kreutzer/<br />
Milborn 2008:75) kommentiert.<br />
Obige Beispiele von Nicht- Wahrnehmen von Anzeichen für Zwangsprostitution und<br />
Menschenhandel, aber auch von Wissen über die Problematik sind inhaltlich<br />
mehrfach in <strong>Freier</strong>- Foren im Netz zu finden, Varianten bestehen in den<br />
verschiedenen Härtegraden des Zynismus, in dem sie formuliert werden. Auf<br />
www.erotikforum.at, einer österreichischen Internetplattform mit ca. 190.000<br />
registrierten UserInnen (vgl. Essl Gmbh <strong>2012</strong>b), auf der sowohl private als auch<br />
gewerbliche Anzeigen aufgegeben werden, tauschen sich <strong>Freier</strong> aus ganz Österreich<br />
und über die Ländergrenzen hinaus über das Service 1 der von ihnen besuchten<br />
Prostituierten aus. Ein <strong>Freier</strong> empört sich : „Also ich hatte mal eine, die sich echt<br />
nicht entblödet hat, sich in der Missio den Kopfpolster über's Gesicht zu halten. Das<br />
war mir dann aber echt zuviel des "Guten", ich bin aufgestanden, hab ich [sic]<br />
angezogen und bin wortlos gegangen. Okay, hinausgeschmissenes Geld, aber ein<br />
Mindestmaß an Achtung sich selbst gegenüber hat man wohl auch als <strong>Freier</strong>, oder?“<br />
<br />
Für vorliegende Arbeit wurde der feldeigene Begriff „Service“ übernommen.
(erotikforum.at <strong>2012</strong>a) Ein anderer antwortet auf die Frage eines Users, warum die<br />
Afrikanerinnen am Straßenstrich jedem Auto zuwinken (erotikforum.at <strong>2012</strong>b), mit<br />
„Das ist die Geldnot und das Gelernte (durch die Schlepper), welches sie zu diesem<br />
(unnötigen) Schritt treibt...leider“ (erotikforum.at <strong>2012</strong>a).<br />
Die Frage drängt sich auf, warum <strong>Freier</strong> trotz Anzeichen, die auf Zwang deuten<br />
ließen, das Vorliegen einer möglichen Zwangslage nicht in Erwägung ziehen und<br />
warum manche <strong>Freier</strong> durchaus Kenntnisse über herrschende Zwangslagen<br />
besitzen, sie dies allerdings offenbar nicht davon abhält, Prostituierte genau in den<br />
Bereichen aufzusuchen, in denen sie Zwang verorten.<br />
Kehren wir einen Moment Menschenhandel und Zwangsprostitution den Rücken und<br />
wenden uns dem Feld zu, in dem sie geschehen, der Prostitution.<br />
Die Soziologinnen Martina Löw und Renate Ruhne beschreiben in ihrem Buch<br />
„Prostitution- Herstellungsweisen einer anderen Welt“, erschienen 2011, wie<br />
Prostitution durch diverse, hauptsächlich subtile Ausgrenzungsmechanismen „in der<br />
öffentlichen Wahrnehmung als ein Feld des ‚Anderen‘ und des ‚Anormalen‘<br />
(re)produziert wird“ (Löw/Ruhne 2011:11).<br />
Die Ausgrenzung wird durch die „abgrenzende Konstruktion einer ‚normalen‘ Welt<br />
mit ‚normaler Sexualität‘ und einem ‚normalen Verhältnis der Geschlechter‘“ (Löw/<br />
Ruhne 2011:11f) vollzogen und ist räumlich festgeschrieben.- Prostitution geschieht<br />
in „‘anderen‘ Quartieren“ (Löw/Ruhne 2011:12). Sie wird aus der öffentlichen<br />
Wahrnehmung in Bordelle oder an bestimmte Orte gedrängt, wie die Autorinnen<br />
durch das Beispiel der Versuche der Bekämpfung der Straßenprostitution in Frankfurt<br />
verdeutlichen (vgl. Löw/ Ruhne 2011:71- 103).<br />
Die Konzentration von Prostitution auf bestimmte städtische Areale lagert diese in<br />
einen „‘anderen‘ Bereich des Sozialen“ (Löw/ Ruhne 2011:14) aus. Besagte Areale<br />
und Räume sind mit Unsicherheit und Angst aufgeladen, wodurch eine weitere<br />
Abgrenzung vom Normalen vollzogen und Anormalität (re)produziert wird (vgl.<br />
Löw/Ruhne 2011:14). Was weiters Prostitution als Feld des Anderen konstruiert,<br />
ist der mehr oder weniger bewusste Ausschluss positiver Gefühle, wie z.B. Liebe, die<br />
der partnerschaftlichen Sexualität vorbehalten bleiben (vgl. Löw/ Ruhne 2011:15).<br />
Dazu kommt, dass Prostituierte die Illusion erzeugen, dass sie, unabhängig davon,<br />
ob es auch tatsächlich stimmt, dem <strong>Freier</strong> „lustvoll zugewandt“ “(Löw/ Ruhne<br />
2011:18) scheinen und ihm „positiv und offen“ (Löw/ Ruhne 2011:18)
gegenüberstehen. <strong>Freier</strong> sind somit im Unklaren darüber, was wahr und was Illusion<br />
ist und das alles in einem Gewerbe, das überdies in dem Ruf steht, unmoralisch zu<br />
sein (vgl. Löw/ Ruhne 2011:17f). Ein weiterer ausgrenzender Faktor ist der Umstand,<br />
dass das Feld als unhygienisch oder verschmutzt gilt, wodurch eine weitere<br />
Trennung erzeugt wird: „In einer modernen Gesellschaft, die Hygiene zu ihrer<br />
Selbstbestimmung nutzt, wird Prostitution im Lichte von Schmutz zum räumlich wie<br />
symbolisch ausgelagerten Anderen. Der geringere soziale Status von Prostituierten<br />
lässt diese zu Idealgestalten im Verschmutzungsdiskurs werden.“ (Löw/<br />
Ruhne 2011:16)<br />
Ausgehend von den oben nur kurz zusammengefassten<br />
Ausgrenzungsmechanismen, Feldeffekten und Feldzuschreibungen interessieren die<br />
Auswirkungen der Prostitutionskontexte,- orte etc. auf die Wahrnehmung von <strong>Freier</strong>n<br />
bezüglich Indikatoren für Zwangsprostitution bzw. Menschenhandel.<br />
Wenn beispielsweise das Frankfurter Bahnhofsviertel, in dem Prostitution ausgeübt<br />
wird, trotz der dort herrschenden sozialen Kontrolle als gefährlich empfunden<br />
wird (vgl., Löw/ Ruhne 2011:107), interessiert folgendes: Werden Indikatoren für<br />
Zwangsprostitution bzw. Menschenhandel in derlei anderen Gegenden mit anderen<br />
Normalitäten aufgrund der negativen Feldeffekte und Zuschreibungen überhaupt als<br />
solche wahrgenommen und wenn ja, wie? Gleichzeitig stellt sich die Frage, welche<br />
Bedingungen im Feld herrschen, die den <strong>Freier</strong>n beim Nicht- Wahrnehmen der<br />
Indikatoren befriedigende Rationalisierungsstrategien anbieten.<br />
All diese Überlegungen und Fragestellungen münden in die Forschungsfrage „Wie<br />
sensibilisiert sind <strong>Freier</strong> bezüglich Menschenhandel und Zwangsprostitution?“<br />
Ziel dieser Arbeit ist nicht die moralische Entlastung der <strong>Freier</strong>.<br />
Ziel ist es, die lebensweltliche Wahrnehmung der <strong>Freier</strong> von Prostitution<br />
dahingehend zu untersuchen, dass für Aufklärungs- und Präventionsarbeit konkrete,<br />
von der Zielgruppe ausgehende (!) Ansatzpunkte gefunden werden. Ferner erhebt<br />
diese Arbeit den Anspruch, Organisationen, die sich mit Prostituierten und Opfern<br />
von Menschenhandel und Zwangsprostitution befassen, Argumente zur<br />
Untermauerung ihrer sozialpolitischen Forderungen zu liefern.<br />
3.3 Zugang<br />
Zu Beginn der Recherche lag das Hauptaugenmerk auf Literatur zu den Themen<br />
„Menschenhandel“ und „Prostitution“. Letztere erwies sich in den Gesprächen mit
den <strong>Freier</strong>n als aufschlussreicher, da Zwangsprostitution im Kontext der Prostitution<br />
geschieht. Auch konnte dadurch eine Betrachtungsweise des Phänomens erzeugt<br />
werden, die <strong>Freier</strong>n nicht von vornherein Mittäterschaft unterstellt.<br />
Neben der wissenschaftlichen Literatur erwies sich überdies der Wienbereich von<br />
www.erotikforum.at als sehr relevant. Die dort veröffentlichten Erfahrungsberichte<br />
boten die Möglichkeit, sich abseits von Wissenschaft und Medien ein Bild des<br />
<strong>Freier</strong>alltags in Wien zu machen. Ebenfalls konnte durch das Lesen von Themen<br />
über Bereiche, in denen man bis zu einem gewissen Grad von möglichen Fällen von<br />
Zwangsprostitution und Menschenhandel ausgehen kann, erste Einblicke in den<br />
Umgang und die Wahrnehmung von <strong>Freier</strong>n bezüglich Menschenhandel und<br />
Zwangsprostitution gewonnen werden. Zum Beispiel lässt „Ware Frau“ von Kreutzer<br />
und Milborn den Rückschluss zu, dass es sich bei vielen der nigerianischen<br />
Prostituierten im Wiener Prater um Menschenhandelsopfer handelt (vgl. Kreutzer/<br />
Milborn 2008:36f), weshalb das „Blackies“ Thema über eben jene Gruppe von<br />
Prostituierten (vgl. erotikforum.at <strong>2012</strong>b) regelmäßig gelesen wurde. Als besonders<br />
wichtig für die Entwicklung von Fragestellung und der einzunehmenden<br />
Forscherposition erwiesen sich Berichte über den illegalen Strich rund um das U3-<br />
Zwischengeschoß am Wiener Westbahnhof (vgl. erotikforum.at <strong>2012</strong>b): Mein<br />
Nachhauseweg von der Fachhochschule führt mich mehrmals pro Woche über den<br />
Westbahnhof und ich habe nie auch nur ansatzweise etwas von dortigen<br />
Geschehnissen mitbekommen. Relativ zeitgleich mit ersten Überlegungen,<br />
vorliegende Arbeit betreffend, war in den Medien zu lesen, dass ein bulgarischer<br />
Menschenhändlerring im besagten Bereich des Westbahnhofs Frauen zur<br />
Prostitution zwang (vgl. Möseneder 2011). Ab diesem Zeitpunkt las ich die Beiträge<br />
zum Westbahnhof- Thema und machte es mir zur Angewohnheit, den Westbahnhof<br />
über einen Umweg zu verlassen, der mich an den Orten vorbeiführte, an denen laut<br />
Forum die Anbahnungen vor sich gingen.<br />
Erst nach einigen Wochen gelang es mir, die dortigen Vorgänge, die heimlichen<br />
Anbahnungen inmitten von PassantInnen, WachturmverkäuferInnen und<br />
Obdachlosen zu erkennen. Diese Ausschnitte einer Geheimwelt, deren Zeichen,<br />
Gesten und AkteurInnen mir fremd waren, versinnbildlichte meinen Standpunkt als<br />
unwissender Außenstehender und trugen wahrscheinlich mehr zur<br />
Herangehensweise an diese Arbeit bei als die weiter oben zusammengefasste<br />
Literatur.
Das Feld zeigte sich hier tatsächlich als eine andere Normalität, als eine Zweitwelt,<br />
die ich, im Gegensatz zu den vor dem U-Bahnabgang oder unten in der Station<br />
wartenden <strong>Freier</strong>n, nicht verstand. Deshalb wurde deutlich, dass ich in Letzteren für<br />
vorliegende Arbeit Experten eines schwer zugängliches Feldes sehen musste.<br />
4. Forschungsprozess<br />
Folgender Abschnitt gibt einen Überblick über die Auswahl der<br />
Untersuchungspersonen, die Interviewsituationen und die Wahl der Erhebungs- und<br />
Auswertungsmethoden.<br />
4.1 Wahl der Untersuchungspersonen und Interviewsituationen<br />
Der Anspruch, mindestens drei <strong>Freier</strong> für Interviews zu gewinnen, erschien zu Beginn<br />
aus mehreren Gründen schwierig, wenn nicht gar unmöglich. Dennoch stellte sich,<br />
nachdem ich eine Rund- SMS an meinen Bekanntenkreis verschickt hatte, heraus,<br />
dass es in Anbetracht der Anzahl von Männern aus Wien, die täglich Prostituierte<br />
aufsuchen, nicht sonderlich schwer ist, jemanden zu finden, der jemanden kennt, der<br />
einen Kontakt herstellen könnte. Und dies umso mehr, wenn man viele Menschen<br />
kennt, die in der Gastronomie arbeiten und somit über einen großen Bekanntenkreis<br />
verfügen.<br />
Was die Auswahl der Interviewpersonen anging, hatte ich zu Beginn nicht den<br />
Eindruck, mir Präferenzen hinsichtlich Alter, bevorzugter Prostitutionsform etc. leisten<br />
zu können. In der Rund- SMS erkundigte ich mich, ob jemand einen heterosexuellen,<br />
<strong>Freier</strong> aus Wien kennt, der aus seinem <strong>Freier</strong>sein kein Geheimnis macht und bereit<br />
wäre, sich anonym interviewen zu lassen. Auf diese Weise gelang es, zu I1 2 ,I2 und<br />
I3 Kontakt herzustellen. Die erste Kontaktaufnahme erfolgte über eine E-Mail, in der<br />
ich mein Erkenntnisinteresse schilderte. Hierbei war es wegen des zukünftigen<br />
Gesprächsverlaufs wichtig, einerseits eine akzeptierende Haltung anzudeuten, da ich<br />
nicht wollte, dass die Interviewpersonen ihren Alltag als <strong>Freier</strong> in bestimmten<br />
Punkten beschönigten, weil sie möglicherweise erwarteten, ich würde sie z.B. nach<br />
feministischen Interpretationsmustern beurteilen. Andererseits war es wichtig, immer<br />
wieder auf die Themen Zwangsprostitution und Menschenhandel zurückzukommen,<br />
da ich mögliche „coming- out" 3 - Interviews verhindern wollte.<br />
<br />
Interviewperson 1 etc.
Alle drei Personen willigten interessiert ein, in zwei Fällen mit der Begründung, dem<br />
schlechten <strong>Freier</strong>bild etwas entgegensetzen zu wollen. Ich kann nicht beurteilen, ob<br />
der Umstand, dass wir gemeinsame Bekannte hatten, die Selbstdarstellung der<br />
<strong>Freier</strong> während den Interviews beeinflusst hat. Die Gespräche dauerten im Schnitt<br />
ca. 90 Minuten und verliefen sachlich und themenzentriert.<br />
Parallel zu den Rund- SMS suchte ich auf www.erotikforum.at nach<br />
Interviewpersonen. Hier konnte ich mir Präferenzen leisten. Die Personen sollten<br />
eine hohe Anzahl von Postings bzw. geposteten Erfahrungsberichten besitzen und<br />
Prostitutionsformen in Anspruch nehmen, die im weitesten Sinne mit<br />
Menschenhandel und Zwangsprostitution in Zusammenhang gebracht werden<br />
konnten.<br />
Ich schrieb also <strong>Freier</strong> an, die sich z.B. zu den afrikanischen Prostituierten im Prater<br />
oder zum Geheimstrich am Westbahnhof äußerten. I4 erklärte sich schließlich dazu<br />
bereit, mich mit unterdrückter Nummer auf einem von der FH St. Pölten finanzierten<br />
Wertkartenhandy anzurufen, um sich auf diesem Weg interviewen zu lassen.<br />
Zu Beginn der Interviews sicherte ich den Beteiligten Anonymität zu, I4 versprach ich,<br />
seinen User- Namen nicht bekannt zu geben. Ebenso wurde ausgemacht, dass ich<br />
Details, die Rückschlüsse auf ihre Identität liefern würden, nachträglich aus den<br />
Audioaufzeichnungen herausschneiden würde. Eine Interviewperson wollte nicht,<br />
dass das Interview mitgeschnitten wird, weshalb ich das Gespräch auf meinem<br />
Netbook mitschrieb. Im Anschluss schickte ich der interviewten Person das<br />
Transkript zu, um zu überprüfen, dass korrekt verschriftlicht wurde, was sie gesagt<br />
hatte.<br />
4.2 Die Untersuchungspersonen<br />
Alle interviewten Personen leben in Wien.<br />
• I1 ist 33 Jahre alt, Architekt und besucht Prostituierte ausschließlich in Peep-<br />
Shows (vgl. I1 Z:313- 314)<br />
• I2 ist 43 Jahre alt, Buchhalter in einem Konzern und bevorzugt den<br />
„Straßenstrich mit angenehmem Club nachher“ (I2 Z:130).<br />
• I3 ist 61 Jahre alt, Yogalehrer und nimmt hauptsächlich den Straßenstrich in<br />
Kombination mit einem Hotelbesuch in Anspruch (vgl. I3 Z:455).<br />
• I4 gab über Alter und Beruf keine Auskünfte. Er hat über 8000 Postings auf<br />
www.erotikforum.at verfasst. Dort beschreibt er sich im Rahmen zahlreicher
Erfahrungsberichte zu verschiedenen Prostitutionsformen öfters als „älter“. Er<br />
ist sowohl mit dem illegalen Strich am Westbahnhof vertraut als auch mit der<br />
Straßen- und Wohnungsprostitution in Wien. In letzter Zeit ist er „eher<br />
Asialadenkonsument“ (I4 Z:124).<br />
4.3 Wahl der Erhebungsmethoden<br />
Die Daten wurden mittels Leitfadeninterview erhoben. Der Vorteil dieser Methode<br />
liegt darin, dass Leitfragen in Interviewfragen, die „an den Alltag des<br />
Interviewpartners anschließen“(Gläser/ Laudel 2009: 142), übersetzt werden. Der<br />
Interviewleitfaden bildet „eine Art Gerüst“ (Gläser/ Laudel 2009: 142), schreibt also<br />
nicht vor, wann welche Frage wie gestellt werden soll und ermöglicht somit ein<br />
Nachfragen bzw. Abweichungen vom Leitfaden (vgl. Gläser/Laudel 2009: 142).<br />
Mittels des Leitfadeninterviews sollte abgebildet werden, wie die <strong>Freier</strong> das Feld<br />
Prostitution wahrnehmen. Hierbei wurde davon ausgegangen, dass die<br />
verschiedenen Prostitutionsformen, -kontexte und -örtlichkeiten bestimmte<br />
Wahrnehmungsmuster konstruieren, die sich positiv oder negativ auf die<br />
Wahrnehmung von Indikatoren für Zwangsprostitution und Menschenhandel<br />
auswirken können.<br />
Insgesamt wurden in den Interviews 15 Frageblöcke zu den Bereichen „<strong>Freier</strong>“,<br />
„Erfahrungen“, „Information“, „Menschenhandel/ Zwangsprostitution“, „Prävention/<br />
Reaktion“, „Prostitutionsgesetz“, „Raum/ Örtlichkeiten“, „Prostitutionsformen“, „Feld<br />
Prostitution“, „Künstlichkeit“, „Herkunft der Prostituierten“, „Preis“, „Hygiene und<br />
Gesundheit“, „Zuhälter/ Aufpasser/ Bordellbesitzer“, „Indikatoren für<br />
Menschenhandel“ bearbeitet.<br />
Die als Erzählanregungen formulierten Interviewfragen wurden anhand der unter 3.2.<br />
beschriebenen Literatur und Überlegungen erstellt. Auf die unterschiedlichen<br />
Erfahrungshintergründe der Personen wurde bezüglich der Auswahl der Fragen aus<br />
dem Fragenkatalog flexibel reagiert.<br />
Am Ende der Interviews wurden die Interviewpersonen mit einer Liste von als Fragen<br />
formulierte Indikatoren für Menschenhandel und Zwangsprostitution konfrontiert. Die<br />
Liste wurde anhand der ILO- Studie „Operational indicators of trafficking in human<br />
beings“ , der oben zitierten Indikatoren von LEFÖ und der Schilderungen der<br />
Lebensumstände von Menschenhandelsopfern aus der Literatur zum Thema<br />
Menschenhandel, wie z.B. „Ware Frau“ von Kreutzer und Milborn, erarbeitet.
Dadurch sollten mögliche Erinnerungen aktiviert werden, nachdem der Fragebogen<br />
die die Problematik konstruierenden und konstituierenden Aspekte bereits<br />
abgearbeitet hatte. Ebenso bot die Liste die Möglichkeit herauszufinden, ob derartige<br />
Listen das Potential haben, <strong>Freier</strong> zu sensibilisieren und ob die Indikatoren im Alltag<br />
der <strong>Freier</strong> dieselbe Eindeutigkeit besitzen wie auf dem Papier.<br />
Alle Interviews liegen als Transkripte vor. Beim Transkribieren wurde der Wiener<br />
Dialekt beibehalten, um Authentizität zu gewähren. Ebenso wurden grammatikalische<br />
Fehler der Interviewpersonen nicht richtig gestellt.<br />
4.4 Wahl der Auswertungsmethode<br />
Die Auswertung der erhobenen Daten wurde durch die strukturierte<br />
Inhaltsanalyse Philipp Mayrings (vgl. Mayring 2010: 65) vollzogen. Ziel der<br />
inhaltlichen Strukturierung Mayrings ist es, „bestimmte Themen, Inhalte, Aspekte aus<br />
dem Material herauszufiltern und zusammenzufassen“ (Mayring 2010: 98), wodurch<br />
sich das Verfahren zur Beantwortung der Forschungsfrage, „„Wie sensibilisiert<br />
sind <strong>Freier</strong> bezüglich Menschenhandel und Zwangsprostitution?“ als geeignet<br />
erwiesen hat.<br />
4.5 Darstellung der Ergebnisse<br />
Die Ergebnisse werden mittels der anhand von Mayrings strukturierter Inhaltsanalyse<br />
(vgl. Mayring 2010: 65) gebildeten Kategorien dargestellt und durch Ankerbeispiele<br />
veranschaulicht.<br />
5. Die Ergebnisse<br />
Im folgenden werden die Ergebnisse der Forschung dargelegt und zur besseren<br />
Nachvollziehbarkeit mit Ankerbeispielen illustriert.<br />
5.1 „Es hat etwas von Warenkauf.“- Person und Praxis<br />
I1 besucht ausschließlich Peepshows (vgl. I1 Z:313- 314), die er als „Vending<br />
machiene- Variante“ (I1 Z:40) der Prostitution beschreibt- „Es is‘, wie einen<br />
Kaugummi aus’m Automaten ziehen.“(I1 Z:43) Man sucht sich am „Karussell“ 4 eine<br />
<br />
Drehbühne einer Peepshow mit angrenzenden Kabinen, in denen sich potentielle <strong>Freier</strong><br />
aufhalten.
Prostituierte aus und bestellt sie anschließend mittels Knopfdruck in eine<br />
„Solokabine“ (vgl. Z:283- 286). Die meisten Prostituierten beschreibt er als „eher<br />
arrogant“ (I1 Z:459), was ihm gefällt (vgl. I1 Z:461)- „Man lässt sich eher auf die<br />
Spielregeln (…) der Prostituierten ein als umgekehrt.“ (I1 Z:551- 552)<br />
I2 frequentiert sowohl den Straßenstrich als auch Clubs (vgl. I1 Z:130). Während der<br />
Straßenstrich oft keine „Infrastruktur“ (I1 Z:136) bietet, haben Clubs den Nachteil,<br />
dass das „Angebot“ (I1 Z:134) beschränkt ist. Die Kombination Straßenstrich- Club<br />
ist, „wie wenn man in einer gut sortierten Weinhandlung an Weinen vorbeigehen<br />
(…)und den Wein dann in einer angenehmen Atmosphäre trinken kann“ (I2 Z:130-<br />
133). Ebenso bietet diese Variante das „ideale Preis- Leistungsverhältnis“ (I2 Z:138).<br />
Er unterhält sich viel mit den Frauen (vgl. Z:313), natürlich hat Prostitution etwas von<br />
„Warenkauf“ (I 2Z:230), aber er sieht in dem Verhältnis <strong>Freier</strong>- Prostituierte die<br />
„Spezialform einer Beziehungsform. Es ist was Reziprokes- je angenehmer,<br />
freundlicher und großzügiger ein <strong>Freier</strong> ist, desto bereitwilliger wird auch das<br />
Mädchen reagieren“ (I2 Z:225- 227).<br />
I3 frequentiert den Straßenstrich bzw. die dortigen Studios und Hotels (vgl. I3 Z:455).<br />
Die Räumlichkeiten, die er mit den Prostituierten, die er sich ausgesucht hat,<br />
aufsucht, sind „teuer“ (I3 Z:173) und „schmutzig“ (ebd.): „(…),ganz dünne Wände, wo<br />
man jeden Huster hört, aus Sperrholz mit billigen Betten aus’m, was weiß ich,<br />
Möbelix (…), mit Spannleintüchern und einem winzigen Fetzerl, mit dem man dann a<br />
Dusche nehmen soll.“ (I3 Z:283- 286) Hier herrscht eine kalte und aggressive<br />
Stimmung (vgl. I3 Z:298): “Es geht einem alles andere als so, dass man Lust hätte,<br />
eine Frau zu besteigen.“ (I3 Z:298- 299) Er spricht viel mit den Prostituierten, manche<br />
setzen sich auch nur zum Aufwärmen und Plaudern in sein Auto. (vgl. I3 Z:655- 657).<br />
In diesem Zusammenhang beschreibt er sich als „Charmeur (…) und Routenier“ (I3<br />
Z:658). Lange Zeit war er „besessen“ (I3 Z:177) vom „Professor Higgins Syndrom“ (I3<br />
Z:178)- „Das Mädchen von der Straße in den ersten Stock zu hieven (…), eine<br />
wirklich G’scheite und Liebe zu finden, die halt unglücklicherweise do is“ (I3 Z: 179-<br />
180).<br />
I4 ist <strong>Freier</strong> wegen seinem „männlichen Jagttrieb“ (I4 Z:261). Früher war dieser<br />
stärker ausgeprägt, weshalb er hauptsächlich am Straßenstrich interessiert war (vgl.<br />
I4 Z:272- 274), in letzter Zeit ist er aber „eher Asialadenkonsument“ (I4 Z:124), hat<br />
aber auch am Geheimstrich am Westbahnhof Erfahrungen gemacht (vgl. I3 Z:611-<br />
612) Er bevorzugt asiatische Prostituierte, weil man bei ihnen „ein gutes Service
kriegt, des (…)zum Teil nicht nur Theater ist“ (I4 Z:465- 466) Seine Tätigkeit als<br />
<strong>Freier</strong> ist eng mit dem Internet verknüpft, wo er Erfahrungsberichte veröffentlicht und<br />
sich mit anderen <strong>Freier</strong>n über die Prostituierten austauscht. Er ist seit 2008 auf<br />
www.erotikforum.at registriert (vgl. I4 Z:283) und hat mittlerweile über 8000 Beiträge<br />
verfasst (vgl. I4 Z:309- 311).<br />
5.2 „Ganz was Übles“- <strong>Freier</strong><br />
Peepshow- Besuche sind für I1 negativ besetzt: „Man is‘ in einem absoluten Rausch,<br />
sonst würde man das (…) nicht machen, allein nur wegen der Hygiene (…), dann<br />
denkt man sich nachher, ‘Mein Gott, was hab‘ ich g’macht?‘“ (I1 Z:607- 611).<br />
Manchmal sieht er sich die Homepages der Peep- Shows an, „um das dann eben<br />
nicht zu tun“ (I1 Z:302- 303). Als <strong>Freier</strong> ist man ein Außenseiter, es ist schambehaftet<br />
(vgl. I1 Z:3- 12), „weil unsere Gesellschaft sagt, dass man Frauen einfach nur<br />
ansprechen muss.“ (I1 Z:12-13)<br />
Laut I2 ist es „in den letzten 20, 30 Jahren zu einer Problematisierung des<br />
<strong>Freier</strong>status‘ gekommen“ (I2 Z:6-7), was er auf die Frauenbewegung zurückführt (vgl.<br />
I2 Z:5-8). Männern wird nicht mehr „das Recht zugebilligt, gewisse Bedürfnisse zu<br />
befriedigen“ (I2 Z:11), was, wie z.B. in Schweden auch über die Gesetzgebung<br />
passiert. <strong>Freier</strong>sein ist „etwas geworden, was gesellschaftlich verurteilt oder<br />
geächtet wird“ (I2 Z:18- 19)<br />
Wie I1hat I3 ein ambivalentes Verhältnis zum <strong>Freier</strong>sein: „Es is eigentlich entstanden<br />
durch die Notwendigkeit, dort durchzufahren. Durch die Veränderung meines<br />
Wohnsitzes und durch sehr viel Leid, das ich durchgemacht hab‘, als mein Vater<br />
starb und meine Mutter ins Altersheim kam. Also irgendwie, I’m a loser baby, so why<br />
don’t you kill me und da is ma’ dann anfällig für sowas.“ (I3 Z:590- 594)<br />
Prostituierte in Anspruch zu nehmen, resultiert für ihn aus der „Entfremdung“ (I3 Z:7)<br />
in unserer Gesellschaft und gleichzeitig aus den Ansprüchen, die sie an ihre<br />
Mitglieder stellt- Wer keine Partnerin hat, ist „therapiebedürftig“ (I3 Z:384) und wird<br />
dem Rollenbild als „Aufreißer“ (I3 Z:390) nicht gerecht (vgl.I3 Z:381- 391).<br />
Gleichzeitig betrachtet die Gesellschaft „Hurenböcke“ (I3 Z:17) als „unmoralisch und<br />
unchristlich und böse“ (I3 Z:17- 18).<br />
Auch I4 sieht sich als Außenseiter, der anonym bleiben muss und sich kaum<br />
jemandem anvertrauen sollte (vgl. I4 Z:9-10), da man als <strong>Freier</strong> aus Sicht der<br />
Gesellschaft „ganz was Übles ist“ (I4 Z:11). Besonders Frauen sind gegenüber
„Paysex“ (I4 Z:6) negativ eingestellt, weil oft eheliche Untreue damit verbunden ist<br />
(vgl. I4 Z:14- 18).<br />
5.3 „Wos? Wos? Wos bringt die dazu? Warum moch’n die des?“ - Prostitution<br />
als Resultat von Zwangslagen<br />
Alle Interviewpersonen sehen den Schritt in die Prostitution als Ergebnis von<br />
Zwangslagen, die allerdings nicht unbedingt kriminelle Ursachen im Sinne von<br />
Zwangsprostitution oder Menschenhandel haben. Bezeichnenderweise sprechen alle<br />
hauptsächlich von Frauen, die nicht aus Österreich kommen.<br />
I1 geht davon aus, dass Prostitution immer “auf eine gewisse Art (…) Zwang ist“ (I1<br />
Z:253- 255), resultierend aus finanziellen Notlagen (vgl. I1 Z:259), womöglich aber<br />
auch aus nicht näher spezifizierten „illegalen Komponenten“ (I1 Z:262)- „wenn da so<br />
ein neunzehnjähriges bulgarisches Mädl is, geh bitte, da müss ma uns nix<br />
vormachen (…), dass die hier studiert und so“ (I1 Z: 160- 162). Die Peepshow-<br />
Prostituierten sind seiner Meinung nach nicht von der „Lederjacken- Russenmafia“<br />
(I1 Z:637) nach Wien gebracht worden, sondern folgten Empfehlungen von bereits<br />
hier tätigen Freundinnen (vgl.I1 Z:636- 639), da sie hier mehr verdienen als als<br />
„Billaverkäuferin“ (I1 Z:736) in der Heimat (vgl. I1 Z:733- 736).<br />
Auch I2 geht davon aus, dass die meisten Frauen hier Prostitution ausüben, weil sie<br />
damit in kurzer Zeit weitaus mehr Geld verdienen können als als Verkäuferin in<br />
einem Drogeriemarkt in ihren Heimatländern (vgl. I2 Z: 148- 152). Für die meisten ist<br />
es eine Art „Pendlerjob“ (I2 Z:154), den sie ausüben, um ihre Familien zu<br />
unterstützen. Weder ist er der Meinung, Prostitution sei immer das Resultat<br />
physischer Gewalt- diese Variante vermutet er in einem „Randbezirk“ (I2 Z:148)-<br />
noch sieht er darin eine normale Dienstleistung (vgl. I2 Z:266- 268): „I frog mi sehr<br />
wohl mitunter, was bringt jetzt ein hübsches, intelligentes Mädchen dazu, mit alten<br />
Säcken ins Bett zu geh’n, (…)wenn ich jetzt unterstelle, dass sie ned quasi mit<br />
physischer Gewalt dazu gezwungen wird. Wos? Wos? Wos bringt die dazu? Warum<br />
moch’n die des? Und letztlich kann i ma nur vorstellen, dass das eine Art von Zwang<br />
is (...). Sei es der geringere Zwang, an bestimmten Lebensstandard aufrechterhalten<br />
zu müssen oder zu wollen, sei es Zwang durch Verpflichtung durch einen Freund.<br />
Also das is irgendwie ein Spektrum von Zwängen. Das beginnt mit solchen, wo man<br />
sich leichter befreien könnte, bis zu denen, aus denen man sehr schwer rauskommt“<br />
(I2 Z:273- 281)
Familiäre Probleme und Erfahrungen mit männlicher Gewalt sind laut I3 oft<br />
Grundvoraussetzungen für Frauen, Prostituierte zu werden (vgl. I3 Z:519- 520). Die<br />
meisten befinden sich in „Drucksituationen“ (I3 Z:545) psychologischer oder<br />
finanzieller Natur. Von manchen könne er sich vorstellen, dass sie tatsächlich unter<br />
kriminellem Zwang stehen (vgl. I3 Z:545- 547), andere haben aufgrund ihres<br />
Asylstatus keine andere Arbeitsmöglichkeit als Prostitution (vgl. I3 Z:88). Zwang ist<br />
dennoch auf jeden Fall immer ein Faktor- „Zeig mir ein Frau (…), die freiwillig (…)<br />
sagt, ‘I stö‘ mi da raus, als Hure.‘, (…)das ist (…) nicht angenehm (…), die müssen<br />
unter (…) enormem Druck stehen.“ (I3 Z:548- 551). Die „Drucksituationen“ (I3 Z:545)<br />
sind manchmal auch am Verhalten der Frauen zu erkennen: „Wann die<br />
hundertausendmal beim heruntergekurbelten Fenster‚ ‘Fickään- blasen.‘ sagt, ‘Wix’nblasen.‘,<br />
dann kriegt das sowas Automatenhaftes, Abstoßendes. Da hab ich schon<br />
amal einen Zustand erlebt, da hab ich das so abstoßend gefunden, dass ich grob<br />
werden wollte. (…)Die hat sich festgekrallt an dem Auto, da denk ich mir, irgendein<br />
Zwang ist da (…), ein materieller (…), die ham ja nichts, keine Sozialversicherung,<br />
kein Einkommen, (…) living from hand to mouth.“ (I3 Z:276- 284)<br />
Auch I4 berichtet davon, dass die Frauen pendeln, da sie in der Heimat zuwenig<br />
verdienen würden, um ihre Familien zu erhalten (vgl. I4 Z:471- 506). Die wenigen, oft<br />
schon älteren Österreicherinnen, die es noch gibt, versuchen durch Prostitution einen<br />
„gewissen Lebensstil“ (I4 Z:574) aufrecht zu erhalten, weil sie nicht rechtzeitig<br />
umgestiegen sind (vgl. I4 Z:563- 575), sonst würden sie es „klarerweise nicht<br />
machen“ (I4 Z:574- 575). Weniger leicht erklärbar ist es, wenn Männer ein (Mit)grund<br />
für die Ausübung der Tätigkeit sind. Hier ist die „Bandbreite“ (I4 Z: 543) groß<br />
zwischen „Zwang und (…) vielleicht nur sehr sehr sanftem Zwang (…)Es soll ja<br />
Damen geben(…), die wirklich so verliebt sind (…), dass sie (…)alles machen, um<br />
gemeinsam mit ihm ein schönes Leben zu haben, zumindest reden sie sich‘s ein (…)<br />
Also es gibt sicher (…) genügend, (…)die liefern einen Teil des Geldes ab, (…) mit<br />
mehr oder weniger Zwang (…) ab.“ (I4 Z:543- 551)<br />
5.4 „Es ist nicht sensationell, wenn sich eine verschuldete,<br />
fünfundzwanzigjährige Ungarin in Wien prostituiert.“ – Medienrezeption,<br />
Menschenhandel und Zwangsprostitution<br />
Außerhalb von Wien befindet sich ein Bordell, von dem I1 als „terminpornbabes“ (I1<br />
Z:194) spricht. Auf www.erotikforum.at hat er gelesen, dass die Besitzer einer
Zweigstelle in London wegen Menschenhandels verhaftet wurden. Die Frauen von<br />
„terminpornbabes“ spielen teilweise in Pornos der Firma „Private“ mit (vgl. I1 Z:194-<br />
205), sehen „überdurchschnittlich gut“ (I1 Z:194) aus und ein Besuch ist „relativ billig“<br />
(I1 Z:197). Wie sich in weiteren Abschnitten zeigen wird, leitet I1 aus dem Londoner<br />
Fall viel ab, zum Beispiel geht er davon aus, dass gutes Aussehen der Prostituierten,<br />
verbunden mit niedrigem Preis, ein Indikator für Zwangsprostitution ist. (vgl.I2 Z: 194-<br />
208).<br />
I2 leitet hingegen aus Medienberichten keine Präzedenzfälle ab, da es in den Medien<br />
die Tendenz gibt, die negativen Seiten der Prostitution hervorzuheben (vgl. I2 Z:55-<br />
56):„Es ist nicht sensationell, wenn sich eine verschuldete, fünfundzwanzigjährige<br />
Ungarin in Wien prostituiert, um (…) sich die Zähne regulieren zu lassen, aber es ist<br />
sensationell, wenn eine sechzehnjährige Litauerin unter Vorspiegelung falscher<br />
Tatsachen nach Wien gelockt wird und der der Pass abgenommen wird und die<br />
geschlagen wird, das ist sensationell.“(I2 Z:54- 59) Obwohl er einräumt, dass es<br />
solche Fälle natürlich gibt, ist er der Meinung, dass solche Berichte oft „naiv“ (I2:77)<br />
gelesen werden. Zum Beispiel kann die Angabe, Opfer von Menschenhandel zu sein,<br />
auch eine Schutzbehauptung gegenüber der Ausländerpolizei darstellen (vgl. I2<br />
Z:47- 69).<br />
I3 liest keine Medienberichte über Menschenhandel und Zwangsprostitution, da er in<br />
seinem früheren Beruf im weitesten Sinne damit zu tun hatte und ihn die<br />
Tatenlosigkeit der Politik ärgert (vgl. I3 Z:573- 583).<br />
I4 hat über www.erotikforum.at vom Menschenhandelsfall am Westbahnhof (s.o.)<br />
mitbekommen. Seiner Erfahrung nach waren zu dem Zeitpunkt keine Frauen dort,<br />
außer „diese eher älteren“ (I4 Z:680). Die Betroffenen konnte er weder identifizieren<br />
noch hat er sie jemals gesehen (vgl. I4 Z:671- 683).<br />
5.5 „Um‘s Eck, hinter‘m Baum“- Wo findet Zwangsprostitution statt?<br />
I1 kommt im Zusammenhang mit Menschenhandel öfters auf den Strich im Prater zu<br />
sprechen, den er einmal im Rahmen eines Discobesuchs zu sehen bekommen hat<br />
(vgl. I1 Z:110): „(…) einen Weg durch den Prater kann man als absolute Angst<br />
bezeichnen (…)Man muss halt schon ziemlich g‘stört sein, um das zu tun im Prater“<br />
(I1 Z:74-109). Der Vergleich mit dem Prater dient ihm als Untermauerung der<br />
Unbedenklichkeit von Peepshows, wo gänzlich andere Bedingungen herrschen (vgl.<br />
I1 Z:125- 130)
I2 empfindet den „weniger sichtbaren Bereich“ (I2 Z:40) als schwer einschätzbar (vgl.<br />
I2 Z:39- 43).Dazu gehört auch der Prater, allerdings bedeutet die Inanspruchnahme<br />
einer Prostituierten an derlei Örtlichkeiten nicht automatisch bewusste Ausbeutung:<br />
“Wenn einer beim Zielpunkt einkauft, heißt das nicht, dass er jetzt den Zielpunkt so<br />
toll findet, der kann sich den Meindl am Graben vielleicht einfach nicht leisten (…)<br />
Zweitens gibt es sicher Situationen, wo man spontan (…)einem Bedürfnis nachgehen<br />
will (…) Und drittens gibt’s sicher Leute, die solche bizarren Örtlichkeiten (…) als<br />
luststeigerndes Element begreifen.“ (I2 Z:123- 128).<br />
I3 kann Zwang nicht mit Orten in Wien verbinden, bis auf den „Babystrich“ (I3 Z:557),<br />
den es in der Venediger Au gab (vgl.I3 Z:557).<br />
I4 kann Zwang nicht eindeutig verorten (I4 Z:336- 338), meint aber, dass im<br />
Stuwerviertel teilweise davon auszugehen ist, dass: „irgendwo um‘s Eck, hinter‘m<br />
Baum, im Cafe vis a vis, im Auto (…)einer drinnen sitzt, der (…) Zwang auf die Dame<br />
ausübt“(I4 Z:345- 347). Der Fall von Menschenhandel am Westbahnhof hat ihn<br />
„überrascht“ (I4 Z:677), weil er davon nichts mitbekommen hatte (vgl. I4 Z:671- 683).<br />
Er kennt die dortige Szene „sehr gut“ (I4 Z:605). Aus „Tarnungsgründen“ (I4 Z:626)<br />
sind die Frauen nicht in „High Heels und Minirockerl“ (I4 Z:628) anzutreffen. Er glaubt<br />
nicht, dass sie „einen Deckel 5 haben“ (I4 Z:648), weshalb „das Ganze (…) mit<br />
äußerster Vorsicht vom Gesundheitlichen her“ (I4 Z:646- 647) zu sehen ist. Die<br />
Anbahnung beginnt diskret über Blickkontakt: „Je nachdem, wie der Blick<br />
zurückkommt, weiß man ‘Aha, des is eine Anbieterin.‘, oder die Anbieterin weiß,<br />
‘Aha, das is ein Interessent.‘, und in dem Moment is eigentlich alles klar (…).Wurscht,<br />
ob des eine is, die nur amoi dort is, oder eine, die scho‘ hundertmal dort war, der<br />
Ablauf is‘ eigentlich immer wieder gleich. Blick hin, Blick her und in dem Moment waß<br />
ma’s.“ (I4 Z:654- 665). Vor 3 Jahren waren „interessantere Mädels“ (I4 Z:612) dort<br />
anzutreffen, manche nur für ein oder nur zwei Tage. Eine zum Beispiel war auf dem<br />
Weg von „Tschechien“ (I4 Z:661) nach Deutschland und hat in Wien<br />
„Zwischenstation“ (I4 Z:662 ) gemacht und sich hier das „Taschengeld“ (I4 Z:ebd.)<br />
aufgebessert. Mittlerweile sind hier, mit Ausnahme der „Dürren“ (I4 Z:623) und der<br />
„Chinesin“ (I4 Z:633), meistens „Bulgarinnen“ (I4 Z:613) zwischen 40 und 50<br />
anzutreffen, die „mehr oder weniger gutes Service“ (ebd.) bieten und „mehr oder<br />
weniger gut“ (I4 Z:ebd.) aussehen(vgl.I4 Z:605- 683).<br />
<br />
Kontrollkarte für angemeldete Prostituierte
5.6 „Man lebt ja auch damit, dass irgendwo jetzt einbrochen wird“ -Kenntnis<br />
und Praxis<br />
Obwohl I1 weiß, dass es im Bereich der Prostitution zu Fällen von Menschenhandel<br />
und Zwangsprostitution kommt, blendet er das aus, wenn er die Peepshow besucht:<br />
„Ich mein, das is halt so eine Realität, die man (…) nicht sieht, aber (…)man lebt (…)<br />
mit dem ständigen Bewusstsein, dass alles immer da is. (…)Man lebt ja auch damit,<br />
dass irgendwo jetzt einbrochen wird (…), oder Afrikanerkinder verhungern (…)Man<br />
selber entzieht sich dem.“ (I1 Z:78- 84). Obwohl er davon ausgeht, dass alle<br />
Prostituierten in „irgendeiner Form zwangsprostituiert sind“ (I1 Z:191), hat er sich<br />
nichts vorzuwerfen (vgl. I1 Z:189-190). Er ist jung und ein höflicher Kunde. (vgl.I1<br />
Z:153). - „Wie ich bin(…), is (…)wahrscheinlich auch (…)das Beste, was der an dem<br />
Tag passiert ist.“ (I1 Z:186- 188). Trotz Wissens über Zwangsprostitution und den<br />
angenommenen Zwängen, kann er die Peepshow nicht mit Zwangsprostitution in<br />
Verbindung bringen. Es gibt einen „missing link“ (I1 Z:466) zwischen „wie die Frauen<br />
sich dort verhalten (…) und den wirklich verschleppten Frauen, die geschlagen<br />
werden.“(I1 Z:474- 474). Insofern hat er „wenig moralische Bedenken“ (I1 Z:482),<br />
auch weil der Standort „Wien“ unbedenklich wirkt (vgl. I1 Z:483)<br />
Auch I2 hat keine moralischen Bedenken: „Letztendlich ist es (…), wo Prostitution<br />
sichtbar ist, die Annahme, dass die Frauen (…)eine Entscheidung gefällt haben und<br />
nicht, dass einer mit einer Pistole dahintersteht und sie zwingt.“ (I2 Z:182- 184).<br />
Sichtbarkeit geht für ihn „im hohen Maße einher mit Legalität“ (I2 Z:39): „Wenn du<br />
über die Mariahilferstraße (…) gehst (…) und da ist ein großes Schild ‘Bunnybar‘, ist<br />
das alles sehr offensichtlich.“(I2 Z:44- 45)Ebenso gelte es zu beachten, dass <strong>Freier</strong><br />
„ein lustvolles Erlebnis“ (I2 Z:117) haben wollen und alles tun, „um diese Illusion<br />
aufrechtzuerhalten“ (I2 Z:115).<br />
I3 sieht das nicht so. Er erkundigt sich bei den Prostituierten, ob sie einen Zuhälter<br />
haben, was diese immer zurückweisen (vgl. Z:313- 318). Einige werden „lügen wie<br />
gedruckt (…), damit sich der <strong>Freier</strong> ja schön wohlfühlt und unbedroht.“ (I3 Z:320-<br />
321).<br />
I4 begegnet der Problematik, indem er am Straßenstrich zuerst die Situation<br />
begutachtet. In Fällen, wo „vis a vis da Aufpasser (…) steht, wo es derartig klar ist“<br />
(I4 215- 216), verzichtet er. In Wohnungen gibt es allerdings keine klar sichtbaren<br />
Ansatzpunkte (vgl. I4 Z:207- 226). Ebenso ist es in den Asiastudios schwer,<br />
Rückschlüsse aus dem Verhalten der Frauen zu ziehen: “Die Mentalität (…) is
(…)eine andere. Man weiß da nie, lächeln die auch nicht dann immer noch, wenn‘s<br />
ihnen eigentlich schlecht geht?“ (I4 Z:139- 142)<br />
5.7 „Naja, wenn sie wahrscheinlich sagt, ‘Hilf mir‘“ - Eigene Indikatoren für<br />
Zwangsprostitution und Menschenhandel<br />
Ausgehend von dem Fall „terminpornbabes“, sieht I1 in der Kombination aus<br />
überdurchschnittlich gutem Aussehen und leistbarem Preis einen Indikator für<br />
Zwangsprostitution und Menschenhandel (vgl.I2 Z: 194- 208). Hohe Attraktivität ist<br />
ein möglicher Indikator: „Zwangsprostitution kommt wahrscheinlich grad da vor, wo<br />
die Frauen am hübschesten sind. (…) Ich mein, wenn ich die Krone aufschlag‘ (…),<br />
man sieht österreichische, dicke Hausfrauen. (…), das sind einfach dicke<br />
Hausfrauen, die ficken woll‘n.“ (I2 Z:136- 140). Im persönlichen Kontakt wäre<br />
Zwangsprostitution durch Opferdeklaration zu merken- „Naja, wenn sie<br />
wahrscheinlich sagt, ‘Hilf mir‘“ (I2 Z:222).<br />
„Alarmlichter“ (I2 Z:35) wären für I2 „alles, was sich im unsichtbaren oder weniger<br />
sichtbaren Bereich bewegt“ (I2 Z:40- 41)- „irgendwelche Hinterzimmer“ (I2 Z:34), auf<br />
die man „irgendwie angesprochen wird“ (ebd.). Der „normale <strong>Freier</strong>“ (I2 Z:100) wird<br />
„Etablissements meiden, wo so etwas vorkommen könnte“ (I2 Z:104- 105), denn er<br />
will ja „keine leidenden Frauen sehen“ (I2 Z:109). I2 hat, bis auf einen Fall, wo eine<br />
Prostituierte eine Ohrfeige bekommen hat (vgl. I2 Z:92- 94), nie „offensichtlichen<br />
Zwang“ (I2 Z:280) gemerkt (vgl. I2 Z:279- 281). Für ihn wäre ein Fall von<br />
Zwangsprostitution und Menschenhandel im persönlichen Kontakt erkennbar: „Man<br />
muss kein Menschenkenner sein, um rauszukriegen, wie’s einem Menschen jetzt<br />
geht. Damit will ich jetzt nicht naiv tun, dass die sich f’reun, wenn’s mit jedem<br />
mitgehen, aber trotzdem glaub‘ ich, merkt man das“ (I2 Z:110- 112).<br />
Im persönlichen Kontakt sieht I3 hingegen keine Chance, Opferschaft festzustellen,<br />
da die Frauen bedroht werden und deshalb ihre Opferschaft verheimlichen (vgl. I3<br />
Z:144- 147). Das von ihm beschriebene Werben mancher Straßenprostituierten lässt<br />
zwar Rückschlüsse auf Zwangslagen zu, diese sind für ihn allerdings primär<br />
materieller Natur (vgl.I3 Z:251- 261). Dennoch sei es möglich, dass hier<br />
Menschenhandel vorliegen könnte (vgl. I3 Z:252- 260) Was Menschenhandel angeht,<br />
ist die Herkunft ein möglicher Indikator: “Ich kann dir nur eine Faustregel sagen, je<br />
näher diese Länder uns sind, desto unwahrscheinlicher is es. Und je weiter weg wir<br />
kommen (…), desto wahrscheinlicher wird es. Die heruntergekommensten, war‘n
dann schon aus Rumänien, Bulgarien“ (I3 Z:149- 167).- Auch gewinnt der Zustand<br />
der Frauen an Bedeutung- aus den Ländern, denen I3 Menschenhandel und<br />
Zwangsprostitution zuschreibt, kommen die „heruntergekommensten“ (I3 Z:166).<br />
I4 beantwortet die Frage nach Anzeichen von Zwang oder Menschenhandel mit zwei<br />
Beispielen, die für ihn „relativ klar“ (I4 Z:110) waren. Am Straßenstrich, z.B. im<br />
Stuwerviertel, kann man manchmal beobachten, dass ein „Beschützer, Betreuer oder<br />
sonstwas“ (I4 Z:115) auf eine Prostituierte aufpasst. Dieser passt nicht nur auf, dass<br />
ihr nichts passiert, sondern er überprüft, ob sie arbeitet und wie oft sie arbeitet (vgl. I4<br />
Z:111-122)- „Also wenn ma (…)solche Dinge sieht (…), mehr oder weniger gleich in<br />
Sichtweite wie diese Herrn, also meistens sinds (…) irgendwelche aus Süd- oder<br />
osteuropäischen Ländern, die (…) das Mädchen ganz, ganz genau beobachten- was<br />
sie jetzt tut, mit wem sie wohin geht, wann sie (…) zurückkommt (…), dann denk ich<br />
mir mal (…), liegt jetzt sicher eine Situation vor, die mit Freiwilligkeit (…) in vielen<br />
Fällen nix mehr zu tun hat.“ (I4 Z:122- 129)<br />
Die zweite Situation betraf eine Asiatin in einem Studio. An ihrem „Service“ (I4 Z:145)<br />
war zu merken, dass sie „das nicht ganz freiwillig macht, weil (..) man hoit des Gfüh‘<br />
ghobt hot, bei allem, was sie hier jetzt tun sollte, und sei‘n es noch solche<br />
Harmlosigkeiten, dass ihr (…) das völlig widerstrebt (…), auf freiwillliger Basis wor do<br />
vamutlich nix.“ (I4 Z:145- 150). I4 hat nach 10 Minuten abgebrochen, da er die Frau<br />
nicht länger „quälen“ (I4 Z:170) wollte (vgl. I4 Z:166- 171). Wegen der<br />
Offensichtlichkeit durch die „Aufpasser“ (I4 Z:216) ist Zwang auf der Straße leichter<br />
feststellbar als in Studios (vgl. I4 Z:214- 224). Hier würde also nur das „Service“ (I4<br />
Z:225) einen Ansatz liefern (vgl. I4 Z:224- 226).<br />
5.8 „Dieselbe Geschichte wie mit schlechter Ware“- Aussagekraft des Service<br />
I1 bezahlt für eine „Idee“ (I1 Z:589), eigentlich ist „die Vorfreude (…) der eigentliche<br />
Akt“ (I1 Z:597- 598). Die „Idee“ (I1 Z:589) wird zwar sexuell erfüllt, aber er denkt sich<br />
danach, dass er auch zuhause hätte bleiben können (vgl. I1 Z:589) In den meisten<br />
Fällen hat er nicht den Eindruck, dass die Frauen ihre Arbeit gerne machen (vgl.I1<br />
Z:583- 584), sie sind “eher arrogant“ (I1 Z:460). Das ist aber egal. Es geht um die<br />
„Idee“ (I1 Z:589), nicht um die Frau (vgl. I1 Z583- 589). Ebenfalls beschreibt er sich<br />
als „submissiv“ (I1 Z:537- 538), weshalb die Arroganz durchaus auch luststeigernd<br />
sei (vgl.I1 Z:177- 180).
Die Frage, ob negative Gefühlsregungen der Prostituierten als Indikator für<br />
Zwangsprostitution zu sehen sind, findet I2 realitätsfern (vgl. I2 Z:208)- „Der Hauptjob<br />
der Prostituierten ist ja nicht nur, dass sie die Beine aufmacht, sondern auch, dass<br />
sie dir die Illusion vermittelt, dass sie das gerne tut(…) Das machen manche besser<br />
und manche gar nicht.“ (I2 Z:208- 211) Als <strong>Freier</strong> tut man alles, „um diese Illusion<br />
aufrechtzuerhalten“ (I2 Z:115) Obwohl es etwas von „Warenkauf“ (I2 Z:230) hat, wird<br />
ebenjener gemeinsam mit der Prostituierten „lustvoll verschleiert“ (I2 Z:231).- „Es is<br />
was Reziprokes, je angenehmer, freundlicher und großzügiger ein <strong>Freier</strong> ist, desto<br />
bereitwilliger wird auch das Mädchen reagieren.“ (I2 Z:225- 227). Natürlich merkt er,<br />
„wenn jetzt eine mit Widerstand oder Ekel kämpft“ (I2 Z:212), aber er denkt dann<br />
nicht, dass die Frau zur Prostitution gezwungen werde (vgl. I2 Z:219), sondern dass<br />
sie „ihre eigene Fähigkeit (…), diesen Job auszuführen, überschätzt“ (I2 Z:223- 224).<br />
Die Konsequenz daraus ist, nicht mehr zu dieser Frau zu gehen-„Das ist dieselbe<br />
Geschichte wie mit schlechter Ware. Wenn du zufrieden bist, machst du’s wieder,<br />
wenn nicht, gehst nimmer hin.“ (I2 Z:217- 219)<br />
I3 berichtet, dass manche Frauen ihre Arbeit gerne ausführen, manche wieder nicht<br />
(vgl. I3 Z:628). Keine erwarte sich von Wien etwas Besonderes: „(…)die ham ja<br />
(…)Vorgängerinnen(…), die wissen genau, dass Bécs 6 Scheiße is.“ (I3 Z:716- 718)<br />
Die, von denen er den Eindruck hat, dass sie es nicht gerne tun, sind oft<br />
Anfängerinnen (vgl. I3 Z:631), bei anderen ist sicher „Zwang im Spiel, wo man<br />
natürlich nicht weiß, wo der herkommt. Kommt der vom Chef? Kommt der von der<br />
Lebenssituation?“ (I3 Z:633- 634)<br />
Zwangsprostitution würde man laut I4 möglicherweise am Service erkennen (vgl. I4<br />
Z:225)- Wenn man „des G’füh‘ hot, ned nur, dass die Dame jetzt das eigentlich nicht<br />
gut macht, sondern, dass sie’s widerwillig macht.“ (I4 Z:225- 226) Das Nicht- gutmachen<br />
allein sagt noch nichts aus. Beim „schlechten Service“ (I4 Z:163) hat er<br />
manchmal das Gefühl, die Dame würde sich einfach „potschert“ (I4 Z:165) anstellen<br />
und manchmal stimmt die „Chemie“ (I4 Z:170) nicht. Möglich ist auch, dass die<br />
Prostituierte „neu ist und (…) Angst hat, irgendwas falsch zu machen.“ (I4 Z:181-<br />
182)<br />
<br />
Ungarisch für „Wien“
5.9 „Da müsst ich z’erst googeln“ –Was tun bei Zwangsprostitution und<br />
Menschenhandel?<br />
I1 kennt keine relevanten NGOs, würde sich aber im Internet kundig machen, wenn<br />
ihn eine Prostituierte auf ihre Zwangslage aufmerksam gemacht hat. Die negative<br />
Sicht der Gesellschaft auf <strong>Freier</strong> würde ihn nicht von einer Meldung bei Polizei oder<br />
NGOs abhalten. Ebenso wäre es kein Hemmnis für ihn, wenn er mit der Betroffenen<br />
Sex gehabt hätte, da er ja bezahlt (vgl. 227- 247).<br />
Auch I2 kennt keine NGOs und stellt sich bezüglich der „Abstinenzlerbewegungen“<br />
(I2 Z:254) die Frage, welche Interessen sie wirklich vertreten (I2 Z:254- 255). Um bei<br />
ihm mehr Aufgeschlossenheit, auch bezüglich Medienberichten über<br />
Menschenhandel zu erzeugen, müsste es „eine Initiative von Prostituierten geben.<br />
(…)Die Betroffenen müssten selber ihre Stimme erheben und uns dann vorwerfen,<br />
dass wir Dinge bagatellisieren und wegschauen würden. Das würde mich eher<br />
nachdenklich machen wie (…) dieser typische Stellvertreterdiskurs“(I2 Z:244-<br />
247).Sollte er Zwangsprostitution oder Menschenhandel vermuten, wäre es die<br />
alleinige Konsequenz, die betreffende Örtlichkeit nicht mehr aufzusuchen (vgl. I2<br />
Z:334). „Wenn du von wem (…) minderwertiges Hasch kaufst, gehst‘ den auch nicht<br />
anzeigen, sondern meidest ihn eher. Also dieses polizeiliche Melden verkennt da<br />
eher die ganze Situation.“ (I2 Z:337- 339)<br />
Eine polizeiliche Meldung ist für I3 hingegen selbstverständlich (vgl. I3 Z:236- 243)<br />
Relevante NGOs müsste er erst googeln (vgl. I3 Z:246).<br />
Als sich I4 im Asiastudio mit einem Fall von Zwangsprostitution konfrontiert glaubte,<br />
wandte er sich an die Chefin des Studios und teilte ihr mit, dass etwas nicht stimme<br />
(vgl. I4 Z:143- 152): „Das Deutsch woar (…) derartig schlecht (..), dass ma ein,<br />
Gespräch (…) ned wirklich führen konnte.“ (I4 Z:-151-154) Abgesehen von der<br />
Sprachbarriere, räumt er ein, dass das Gespräch sinnlos war, da er von der Chefin<br />
wahrscheinlich sowieso keine ehrliche Antwort bekommen hätte (vgl. I3 Z:194- 195).<br />
Als er das Studio wieder besuchte, war die Betroffene dort nicht mehr anzutreffen<br />
(vgl. I4 Z:151- 156). Eine Meldung bei der Polizei kommt für ihn nicht infrage, da ihm<br />
unklar ist, welche Daten dann über ihn gespeichert werden würden (vgl. I4 Z:43- 51).<br />
Relevante NGOs kann er nicht nennen, hat aber über www.erotikforum.at schon von<br />
ihnen gehört. NGOs bringt er mehr Vertrauen entgegen, da er annimmt, dass er dort<br />
anonym bleiben kann, und dass es den Einrichtungen nur um Informationen über<br />
Betroffene geht (vgl.I4 Z:43- 68). Darauf angesprochen, ob es sinnvoll wäre, wenn
NGOs Kontaktangebote im Forum, womöglich sogar als „pinned topic“<br />
veröffentlichen, antwortet er, dass sich daraus seitens der Nutzer wohl kein Problem<br />
ergeben würde (vgl. I4 Z:82- 105) und es für einige hilfreich wäre, „unkompliziert hier<br />
eine Meldung absetzen“ (I4 Z:97- 98).<br />
5.10 „Randbezirk unserer gesellschaftlichen Organisation“ – Prostitution und<br />
Kriminalität<br />
I1 ist sich sicher, dass die Peepshows der „Unterwelt“ (I1 Z:434) zuzurechnen sind,<br />
generell gibt es überall in der Prostitution „illegale Komponenten“ (I1 Z:262). Das<br />
terminpornbabes- Bordell würde er aus Angst nicht aufsuchen: „Dann kommt die<br />
Tschetschenenbande (…) und ich bin da drin (…), irgendwo mitten am Land.“ (I1<br />
Z:211- 213) In der Peepshow fühlt er sich sicherer: “Du bist am Gürtl, du weißt, wo<br />
du bist. (…) Die Tür is meist zwei Meter von dem, wo du fickst, entfernt.“ (I1 Z:55- 57)<br />
Er würde sich auch nie eine Prostituierte nach Hause bestellen. Nicht, weil auf<br />
www.erotikforum.at oft zu lesen ist, dass viele Frauen „Abzocker“ (I1 Z:25) sind,<br />
sondern weil das „zu viel Verstrickung in das Gewerbe“ (I2 Z:48) bedeuten würde.<br />
Für I2 ist das Feld ein „Randbezirk unserer gesellschaftlichen Organisation“ (I2<br />
Z:240) mit „halblegalen“ (I2 Z:343) und „illegalen“ (I2 Z:344) Bereichen. Die<br />
Menschen, <strong>Freier</strong> und Prostituierten, die sich dorthin begeben, sind „nicht unbedingt<br />
die braven Staatsbürger, die alles melden.“ (ebd.) Sie sind in bestimmten<br />
„Problemlagen“ (I2 Z:385) und halten „geordnete, kleinbürgerliche Lebensweisen“ (I2<br />
Z:357)für wenig erstrebenswert (vgl. I2 Z:343- 358).<br />
Laut I3 setzt sich das Feld aus Menschen zusammen, die „eine schwere Kindheit<br />
hatten, eine Auseinandersetzung mit Autoritäten, mit Vorgesetzten, mit Lehrern oder<br />
Eltern, die sie nicht verarbeitet haben.“ (I3 Z:332- 334) Es ist „unpolitisch bis diffus<br />
rechts“ (I3 Z:47), ein „Anziehungspunkt für Kriminalität und Unmoral“ (I3 Z:336):<br />
Zuhälterei existiert, wird aber verheimlicht (vgl. I3 Z:69- 71). Viele Frauen schützen<br />
sich mit „Pfeffersprays (…) bis hin zu kleinen Damenpistolen“ (I3 Z:74- 75). Auch<br />
achten die Frauen darauf, welche Kollegin mit wem wohin geht(vgl. I3 Z:616- 617). I3<br />
berichtet mehrmals von gewalttätigen Männern, z.B. „beim berühmten<br />
Kebapwürstelstand beim Westbahnhof“ (I3 Z:673- 674), wo „ein riesiges Viech von<br />
einem Mann“ (I3 Z: 678) einer Prostituierten gegenüber plötzlich tätlich wurde. „Ich<br />
hab gesagt, ‘Hearst, das kannst ja nicht machen. Des is a Frau, die hat a Kind.‘ Sogt<br />
er ‘Jo, waß i eh, oba des geht ned.‘ Ich hab‘ dann nicht mehr gewagt zu fragen, wos
ned geht (…). Was der für eine Beziehung zu der hatte, keine Ahnung.“ (I3 Z:680-<br />
685). Die Frauen werden nicht nur Opfer von Kriminalität, sondern haben auch<br />
„Kontakte zu Kriminellen“ (I3 Z:442), weshalb ein Hausbesuch nicht in Frage käme,<br />
da er befürchtet, „ausspioniert“ (I3 Z:445) zu werden- „Es gibt hier Zusammenhänge,<br />
von denen (…) ein Normalbürger wahrscheinlich keinen blassen Schimmer hat.“ (I3<br />
Z:443- 445) Auch die Frauen selbst sind manchmal kriminell. Einmal wurde er<br />
gegenüber einer Prostituierten tätlich, da sie ihm 50 Euro entwendet hatte (vgl. I3<br />
Z:207- 216). Ein unerfahrener <strong>Freier</strong> ist willkommen, „umso besser kann man ihm<br />
über’s Ohr haun“ (I3 Z:345- 346). Zum Beispiel, indem die bezahlte Zeit mit Sachen<br />
wie Rauchen verbracht wird (vgl. I3 Z:349- 351). Manche Frauen nehmen auch<br />
Drogen (vgl. I3 Z:327- 330).<br />
I4 berichtet von „Aufpassern“ (I4 Z:216) und von der Situation mit der vermeintlichen<br />
Zwangsprostituierten(vgl. I4 Z:145- 150), deren Chefin ihm wahrscheinlich „keine<br />
ehrliche Antwort“ (I4 Z:195) gegeben hätte. Abgesehen von „Aufpassern“ (I4 Z:216),<br />
sind die Frauen aber auch mit <strong>Freier</strong>n konfrontiert, die eine „sadistische Ader haben“<br />
(I4 Z:728- 729).Es ist aber nicht so, dass man als <strong>Freier</strong> Angst haben müsste (vgl.I3<br />
Z:382). Hüten muss man sich vor Frauen, „die es goar ned interessiert, irgendeine<br />
Gegenleistung für das Geld (...) abzuliefern“ (I4 Z:370- 371). Aus seiner Angst, bei<br />
einer polizeilichen Meldung in einer Kartei zu landen, geht hervor, dass das Feld für<br />
ihn kriminalisiert ist (vgl. I4 Z:43- 51). Auch die <strong>Freier</strong> und Prostituierten am<br />
Westbahnhof befinden sich im illegalen Kontext (vgl. I4 Z:629- 630).<br />
5.11 „Beschützer, Betreuer oder sonst was“ –Die Personen im Umfeld der<br />
Prostituierten<br />
Abgesehen von den anderen Besuchern, sind die Kassierer die einzigen Männer, die<br />
I1 in der Peepshow zu Gesicht bekommt. Sie wirken freundlich (vgl. I1 Z:738). Die<br />
Betreiber sind die „grauen Unbekannten“ (I1 Z:736). Sie treten manchmal auf<br />
www.erotikforum.at in Erscheinung, in einem Fall wurde mitgeteilt, eine Frau sei<br />
wegen Cannabiskonsums gekündigt worden (vgl. I1 Z:503- 504).<br />
Die Männer im Umfeld der Prostituierten teilt I2 in Zuhälter und Freunde ein (vgl. I2<br />
Z:89- 90). Bei letzteren geht er davon aus, dass sich die Frau wegen der finanziellen<br />
Notlage beider prostituiert. Die Clubbesitzer beschreibt er als eine Mischung aus<br />
„dem alten gesellschaftlichen Zuhälterbild und Unternehmern, die<br />
Angestelltenbindungstheorien anwenden“ (I2 Z:191- 193), und setzt nach:“ Was sich
die typische Feministin nicht vorstellen kann, ist, dass es Clubbesitzer gibt, die mit<br />
den Mädchen Firmenausflüge machen und umgekehrt, dass es Prostituierte gibt, die<br />
Kreatives- Malen- Kurse belegen. Also dieses Kellerdasein und nur zum Durchficken<br />
hinausgelassen werden, deckt sich nicht mit meiner Erfahrung.“ (I2 Z:193- 196)<br />
I3 berichtet, dass Zuhälter verheimlicht werden(vgl. I3 Z:69- 71). Am Straßenstrich<br />
gibt es Fälle, „wo immer so ein Schauen“ (I3 Z:659) der Prostituierten zu bemerken<br />
ist- „Das heißt, da is dann irgendwo ana, wahrscheinlich der Freund (…), das (…)<br />
könnte auch ein Mitglied so einer Organisation sein.“ (I3 Z:660- 662). Die Männer im<br />
Umfeld der Frauen wirken „sehr gewalttätig“ (I3 Z:667). Einer dieser Herren wurde<br />
vor seinen Augen beim Kebapstand am Westbahnhof gegen eine Prostituierte tätlich<br />
(vgl.I3 Z:673- 685). Über die Freunde hat er Unterschiedliches zu berichten: Viele<br />
sind arbeitslos (vgl. I3:323) ,andere haben was „zum Schnupfen oder zum Schießen“<br />
(I3 Z:329- 330), einige sind den Frauen gegenüber gewalttätig(I3 Z:642- 650).<br />
Zusammenfassend sagt er über die Männer im Umkreis der Frauen: “Es gibt einige<br />
wenige (…) duldsame brave Freunde, nur das dauert meistens nicht lang(…). Und<br />
was sonst an Männern im Leben dieser Frauen existiert, is wahrscheinlich nix Gutes.<br />
Das sind gewaltbereite, österreichfeindliche Einbrecher.“ (I4 Z:775- 780)<br />
I4 bezeichnet die Männer im Umkreis der Straßenprostituierten fallweise als<br />
„Aufpasser und Abkassierer“(I4 Z:216) oder als „Beschützer, Betreuer oder sonst<br />
was“ (I4 Z:115)- Ihre Rollen sind nicht immer klar. Die Freunde der Frauen variieren<br />
zwischen arbeitslosen Männern in der Heimat und solchen, die Zwänge ausüben<br />
(vgl. I4 Z: 519- 549) In einem der Fälle, wo er Zwangsprostitution vermutete, war eine<br />
Frau die Chefin des Studios. Ob er sie als Zuhälterin ansieht, ist nicht klar, eine<br />
ehrliche Antwort erwartete er sich von ihr, wie schon erwähnt, allerdings nicht(vgl. I4<br />
Z:194- 195).<br />
5.12 „Man setzt voraus, dass die ja eh ein Scheißleben hat“- Zuschreibungen<br />
an die Herkunftsländer<br />
Aufgrund ihrer osteuropäischen Herkunft setzt I1 voraus, dass die Prostituierten in<br />
der Peepshow ein „Scheißleben“ (I1 Z:99) haben (vgl. I1 Z:98- 99). Zu den<br />
Afrikanerinnen im Prater merkt er an, dass diese in Österreich nicht als Menschen<br />
gewertet werden (vgl. I1 Z:676- 677). Er geht davon aus, dass in Wien jede<br />
Prostituierte „auf eine gewisse Art“ (I1 Z:143) zwangsprostituiert ist (vgl. I1 Z:143),<br />
„außer es is die Gerti, die sich halt anbietet“ (I1 Z:156). -Österreicherinnen sind in der
Peepshow so rar, dass seitens der Betreiber extra durch einen rot- weiß- roten<br />
Aufkleber über ihrem Foto auf sie aufmerksam gemacht wird. Wenn er könnte, würde<br />
I1 nur Österreicherinnen besuchen (vgl. I1 Z:265)- “auch wenn die dort landet, die hat<br />
die gleiche Ausgangsposition wie ich.“ (I1 Z:271)<br />
Auch am Straßenstrich sind Österreicherinnen rar, wie I2 berichtet. Für viele stellt<br />
Prostitution, im Gegensatz zu den Frauen aus armen osteuropäischen Ländern,<br />
keinen finanziellen Anreiz mehr dar (vgl. I2 Z:162- 163).<br />
Nach der „Faustregel“ (I3 Z:150) von I3 kann man davon ausgehen, dass, von je<br />
weiter weg die Prostituierten kommen, es umso eher wahrscheinlich ist, dass sie<br />
Zwangsprostituierte sind (vgl. I3 Z:150)- „Es sind ja sehr viele aus Afrika hierher<br />
gekommen, wo ich am ehesten noch Menschenhandel vermute, weil das waren alle<br />
Asylanten“ (I3 Z:84- 85).Kurz nach der Jahrtausendwende hatte er afrikanische<br />
Prostituierte kennengelernt. Sie kamen aus Krisenregionen (vgl.I3 Z:96), waren<br />
christlichen Glaubens und wohnten zu mehrt in Substandardwohnungen (vgl. I3<br />
Z:100- 105). Mit ihrem Verdienst haben sie bis zu fünfzehn Menschen versorgt und<br />
bezüglich Krankheiten seien sie sehr vorsichtig gewesen(vgl. I3 Z:84- 111).<br />
Während die „Heruntergekommensten (…)aus Rumänien oder Bulgarien“ (I3 Z:166-<br />
167) waren, seien aus Nachbarländern wie z.B. Serbien, Kroatien oder Ungarn viele<br />
Frauen „auf adventure trip“ (I3 Z:151) nach Österreich gekommen. Wegen<br />
„Fernseher, Autos und Handies“ (I3 Z:464), die sie sich in ihren Herkunftsländern<br />
nicht leisten konnten (vgl. I3 Z:461- 465). Die Österreicherinnen ordnet er<br />
hauptsächlich der Beschaffungsprostitution zu (I3 Z:330).<br />
I4 nimmt an, dass die meisten Zwangsprostituierten aus Rumänien und Bulgarien<br />
kommen (vgl. I4 Z:450- 451). Auch die „Aufpasser“(I4 Z:216) kommen aus „südoder<br />
osteuropäischen Ländern“ (I3 Z:125).Die Afrikanerinnen im Prater haben bei<br />
den Forumsmitgliedern einen schlechten Ruf, er selber kann das nicht beurteilen<br />
(vgl. I4 Z:402- 418). Mit Ungarinnen, Rumäninnen, Bulgarinnen und Tschechinnen<br />
hat er unterschiedlichste Erfahrungen gemacht (vgl. I4 Z:417- 431), Chinesinnen<br />
kann er „wirklich gut beurteilen“ (I4 Z:431- 432): „.Man hat dort schon das Gefühl,<br />
dass sie gutes Service liefern wollen (…), es sind (…) nicht alle gleich gut (…), aber<br />
wenn man (…) a bisserl eine Feinfühligkeit ihnen gegenüber an den Tag legt,<br />
(…)tau‘n die oft gleich schneller auf als man glaubt.“ (I4 Z:433- 439) Dennoch weiß<br />
man manchmal aufgrund ihrer Mentalität nicht, wie es ihnen geht (vgl. I4 Z:140-
142). Viele Österreicherinnen sind in der Prostitution hängengeblieben (vgl. I4 Z:<br />
568- 570)<br />
5.13 „Die Zeiten, wo sich a Hur a goldene Nosn verdient hat, san lang vorbei.“-<br />
Der Preis und was mit dem Geld geschieht<br />
Wegen des Falles „terminpornbabes“ geht I1 davon aus, dass hinter niedrigen<br />
Preisen Zwang steht (vgl.I1 Z:610- 618). Im Durchschnitt zahlt er 100 bis 120<br />
Euro(vgl. I1 Z:301- 302). Er geht davon aus, dass die Frau 30% an die Peepshow<br />
abgeben muss (vgl. I1 Z:627- 629). Ebenso vermutet er, dass die Preise von den<br />
BetreiberInnen der Peepshow festgesetzt sind (vgl. I1 Z:764- 815).<br />
I2 würde nicht sagen, dass niedrige Preise Anzeichen für Zwangsprostitution sind<br />
(vgl. I2 Z:299)- „Je attraktiver eine ist, desto eher kann sie was oder wen ablehnen.<br />
Je älter und fetter sie ist, desto weniger kann sie ablehnen. Das is jetzt brutal, aber<br />
die Wahrheit. (…)Und dann gibt’s eine weitere Einflussvariable, wie unabhängig sie<br />
arbeitet, ob sie einen Freund oder Zuhälter hat oder ob sie wirklich auf eigene<br />
Rechnung arbeitet.“ (I2 Z:86- 90) Während sich der Sex zwischen „60 und 300 Euro“<br />
(I2 Z:118) nicht unterscheidet, ist die „Illusionswirkung“ (I1 Z:119) der<br />
„Hauptunterschied“ (ebd.). I2 erzählt, dass viele durch ihren „Pendlerjob“ (I2 Z:169)<br />
ihre Familien finanziell unterstützen (vgl. I2 Z:167- 171). Gleichzeitig geht im Club ein<br />
Teil des Geldes an die BetreiberInnen, was sich auch im Preis niederschlagen kann<br />
(vgl. I2 Z:87- 91).<br />
I3 berichtet, dass die vielen Frauen aus dem Osten die Preise gedrückt haben- „Die<br />
Zeiten, wo sich a Hur a goldene Nosn verdient hat, san lang vorbei.“ (I3 Z:484- 485).<br />
Ohne diesen Faktor wäre es „unleistbar“ (I3 Z:171) Es gibt Angebote von 30 bis 50<br />
Euro. Der Preis hängt vom „Selbstwertgefühl“ (I3 Z:174) der Frau ab (vgl. I3 Z:170-<br />
174). Er nimmt an, dass das Geld zu den Eltern oder arbeitslosen Geschwistern geht<br />
(vgl. I3 Z:485- 487). Die Afrikanerinnen haben „bis zu (…) 15 Menschen versorgt“ (I3<br />
Z:101- 102), während die erwähnten Österreicherinnen Drogenprostitution ausführen<br />
(vgl. I3 Z:327- 330).Alle haben Schulden (vgl. I3 Z:699-701)<br />
Auch für I4 ist der Preis kein Indikator für Zwangsprostitution (vgl.I4 Z:508). In der<br />
„Schillingzeit“ (I4 Z:487), scherzt er, hat man einen „Fünfhunderter hing‘legt (…) für<br />
goar nix und 1000 für a bisserl wos“ (ebd.). Seit dem Andrang von Frauen aus dem<br />
Osten ist dem nicht mehr so (vgl. I4 Z:478- 488). Der Preis resultiert aus dem<br />
„Marktprinzip aus Angebot und Nachfrage“ (I4 Z:490). In der Praxis wird verhandelt.
Die Prostituierte sucht die „Schmerzgrenze“ (I4 Z:494), der <strong>Freier</strong> die „Untergrenze“<br />
(I4 Z:497). Der Preis hängt also auch vom Verhandlungsgeschick ab und davon, wie<br />
nötig die Prostituierte das Geld hat (vgl. I4 Z:496- 505). Mit dem Geld werden die<br />
Finanzen in den Herkunftsländern aufgebessert (vgl. I4 Z:515- 523), und es gibt<br />
Fälle, wo Männer im Hintergrund stehen, denen „mit mehr oder weniger Zwang“ (I4<br />
Z:550) das Geld zukommt (vgl. I4 Z:544- 550) Von den 60 Euro, die er den<br />
Chinesinnen bezahlt, gehen 30 an die „mama- san“ (I4 Z:532), mit dem Rest werden<br />
die täglich geschalteten Inserate bezahlt, die 50 bis 100 Euro kosten sowie<br />
Wohnung, Miete und Heizung (vgl. I4 Z:531- 540). Was überbleibt, „wird ihr gehören“<br />
(I4 Z:534).<br />
5.14 „Extrem grindig“- Hygiene und Gesundheit<br />
I1 berichtet mehrmals, dass ihn die hygienischen Verhältnisse in der Peepshow<br />
abstoßen, alles ist „extrem grindig“ (I1 Z:750). Die Prostituierte erlebt er in diesem<br />
Zusammenhang als potentielle Krankheitsüberträgerin (vgl. I1 Z:701- 703). Nach<br />
dem Besuch „wäscht man sich die Hände mit Desinfektionsmittel und fäuht sich,<br />
dass man’s g’macht hat.“ (I1 Z:63- 64) Auf den Homepages der Peepshows kann<br />
man sehen, ob die Frauen z.B. „Naturfranzösisch“ (I1 Z:307) anbieten. Dass<br />
gesundheitsgefährdendes Service ein Anzeichen für Zwangsprostitution ist, glaubt er<br />
nicht. „Das is wahrscheinlich Naivität (…). Die, die neu im Gewerbe sind, bieten das<br />
an, weil sie nicht wissen, was auf sie zukommt.“ (I1 Z:689- 691)<br />
Laut I2 wird viel Wert auf Hygiene gelegt wird. „Ohne- Service“ 7 und Prostitutionsorte<br />
ohne Waschmöglichkeiten bilden innerhalb des Feldes wieder eine eigene Nische,<br />
die er nicht beurteilen kann (vgl. I2 Z:302- 309).<br />
Nicht nur er als Kunde findet die Zimmer „schmutzig“ (I3 Z:173), sondern auch die<br />
Prostituierten ekeln sich vor ihnen, berichtet I3 (vgl. I3 Z:319- 320). Alkohol und<br />
Drogen gehören zum Beruf, weil die Frauen „in Stimmung sein“ (I3 Z:399) müssen<br />
(vgl. I3 Z:399- 403). Frauen, die sich z.B. mit fettigen Haaren und „abgefuckt“ (I3<br />
Z:408) anbieten, verfügen über geringes Selbstwertgefühl oder haben ein<br />
Drogenproblem (vgl. I3 Z:397- 413). Viele Straßenprostituierte werden wetterbedingt<br />
krank (vgl. I3 Z:419- 422).HIV haben die wenigsten, obwohl er das, trotz der<br />
Kontrolltermine, wegen der Inkubationszeit anzweifelt (vgl. I3 Z:413- 422).<br />
<br />
Service ohne Kondom
Dass sich viele Damen „wider besseren Wissens (…) Gefahren aussetzen“ (I4<br />
Z:583), resultiert laut I4 aus dem „Konkurrenzdruck“ (I4 Z:584) und ist somit nicht<br />
zwingend ein Anzeichen für Zwang (vgl. I4 Z:582- 593). Bei den Prostituierten am<br />
Westbahnhof sollte man vorsichtig sein, da diese wahrscheinlich keinen „Deckel“ (I4<br />
Z:648) haben (vgl. I4 Z:646- 649).<br />
5.15 „Dass irgendwas für die Damen besser wurde, denke ich nicht, warum<br />
auch?“ – Das Neue Wiener Prostitutionsgesetz<br />
Mit dem neuen Gesetz an sich verbindet I1 AnrainerInnenproteste und die neuen<br />
Erlaubniszonen (vgl. I1 Z:337- 346), die er als Sicherheitsrisiko für die Prostituierten<br />
einschätzt: „Wir können eigentlich sagen, dass der Straßenstrich für Serienmörder<br />
gemacht ist(…). Die können innerhalb von drei Minuten auf die Autobahn (…),<br />
irgendwohin, in den Wald, und weg ist sie.“ (I1 Z:349- 351) Wenn Prostitution<br />
verboten wäre, würde dies Zwangsprostitution begünstigen (vgl. I2 Z:351- 355).<br />
Angebracht wäre ein von ihm nicht näher beschriebener Eingriff des Staates in die<br />
Prostitution, wovon er sich einen Wegfall der ihr innewohnenden kriminellen<br />
Elemente erwartet (vgl.I1 Z:254- 389).<br />
I2 stimmt mit I1 überein, dass die Regelung des Straßenstrichs negative<br />
Auswirkungen hat: „Der Strich ist für die meisten die unabhängigste Art gewesen,<br />
weil sie keine Verpflichtungen eingehen müssen. Die verschiedenen Clubmodelle<br />
bedeuten ja Abhängigkeiten. Bei der Straße zahlt der <strong>Freier</strong> das Zimmer, die<br />
Mädchen haben keine Verpflichtung und haben eine hohe Chance, die <strong>Freier</strong>, die<br />
ihnen grauslich vorkommen, abzuweisen. Je höher der Druck ist, die Tagesmiete zu<br />
bezahlen, desto mehr ist es unmöglich, jemanden zurückzuweisen. Der Straßenstrich<br />
war für viele, so blöd das jetzt auch klingt, eine sehr freie Art und Weise zu arbeiten.“<br />
(I2 Z:77- 84) Bezüglich Alternativen zum derzeitigen Gesetz geht er davon aus, dass<br />
ein „dienstleistungsartiges Verhältnis“ (I2 Z:288) wahrscheinlich die beste Lösung<br />
wäre, obwohl es ein „Graubereich“ (ebd.) bleiben würde. (vgl. I2 Z:287- 288)<br />
I4 hingegen glaubt, dass das Neue Wiener Prostitutionsgesetz Menschenhandel<br />
etwas entgegenzusetzen hat. Das begründet er mit der anvisierten Verlagerung der<br />
Prostitution von der Staße in bestimmte Räumlichkeiten: „Es ist leichter, eine durch<br />
Menschenhandel entführte Person auf der Straße zu etablieren als in einem (…)<br />
angemeldeten Bordell, (…) da riskiert der Besitzer viel zu viel.“ (I3 Z:200- 202). Die<br />
Erlaubniszonenregelung befürwortet er wegen der AnrainerInnen (vgl. I3 Z:230- 233).
Was gesetzliche Alternativen angehe, könne auch er sich ein dienstleistungsartiges<br />
Verhältnis vorstellen (vgl. I3 Z:336- 341).<br />
Vom Neuen Prostitutionsgesetz hält I4 wenig. Die Prostituierten befinden sich jetzt<br />
„in irgendwelchen Lokalitäten“ (I4 Z:256), aber eine Verbesserung der Situation der<br />
Frauen kann er darin nicht erkennen (vgl. I4 Z:248- 262)- „warum auch?“ (I4 Z:262).<br />
Gesetzlichen Lösungen, Zwangsprostitution und Menschenhandel betreffend, steht<br />
er skeptisch gegenüber: „Es is ganz einfach so, dass keine (…) das Schild<br />
umhängen hat, ‘Ich mach das jetzt aus Zwang‘ (…). Es gibt gute Schauspielerinnen<br />
(…),die irgendwo wissen, wenn sie nicht gute Miene zum bösen Spiel machen, dann<br />
gibt’s Dresch auf gut wienerisch und ich denke, dass ein Gesetz hier ned wirklich (…)<br />
eingreifen könnte.“ (I4 Z:235- 241)<br />
5.16 „Dinge, die man als <strong>Freier</strong> ja ned unbedingt weiß“- Indikatoren für<br />
Menschenhandel und Zwangsprostitution<br />
Für folgenden Abschnitt wurden die Interviewpersonen mit einer Liste von als Fragen<br />
formulierte Indikatoren für Menschenhandel (s. Anhang) konfrontiert. Die <strong>Freier</strong><br />
wurden gebeten, (wenn möglich), einzelne Punkte und die Liste an sich zu<br />
kommentieren. Die auf diesem Weg erhaltenen Informationen flossen bereits in obige<br />
Abschnitte ein. Vorliegender Abschnitt beschäftigt sich nur mit der Frage, ob sich<br />
derartige Listen als hilfreich in Punkto Sensibilisierung erweisen könnten.<br />
I1 stellt die Liste an sich insofern in Frage, weil viele Punkte schwer zu beantworten<br />
seien (vgl. I2 Z:780)- “Es liegt natürlich auch an mir, dass ich sowas, um die Illusion<br />
zu wahren, auch nicht frage. Weil du willst das halt auch nicht so genau wissen.“ (I1<br />
Z:781- 782)<br />
Die Nützlichkeit der Liste kommentiert I2 mit: „(…)man ist nicht darauf aus,<br />
Unstimmigkeiten zu finden, sondern ist eher darauf aus, Unstimmigkeiten<br />
auszublenden. Ich unterstelle dem typischen <strong>Freier</strong>, (…)dass der ja die Illusion<br />
haben will, dass eine schöne Frau mit ihm, seiner selbst willen Sex haben will.“ (I2<br />
Z:319- 322)<br />
Bei I3, der sehr viele Punkte mit Erzählungen kommentiert hat, ergab sich aus der<br />
Beschäftigung mit der Liste und aus dem Interview eine neue Sicht auf das<br />
Phänomen „Menschenhandel“: „Ich hab das irgendwie immer ausgeklammert und
gedacht, dass Menschenhandel halt irgendwas is, (…)wo Österreich eigentlich keine<br />
Rolle spielt.“(I3 Z:781- 783)<br />
I4 stellte die Nützlichkeit der Liste in Frage. Einige Indikatoren, z.B. Spuren von<br />
Gewalt, wären klar erkennbar, andere würden sich wiederum mit verschiedenen, in<br />
der Prostitution herrschenden Bedingungen, überschneiden. Zum Beispiel hat das<br />
neue Gesetz zur Folge, dass Prostituierte Angst vor der Polizei haben. Auch die<br />
Frage, ob die Frauen nicht sprechen dürfen, erübrigt sich, wenn diese nur für die<br />
Tätigkeit notwendige „Stichworte“ (I4 Z:718) kennen (vgl. I4 Z:693- 720). Viele<br />
Punkte sind „Dinge, die man als <strong>Freier</strong> ja ned unbedingt weiß.“ (I4 Z:713- 714)<br />
6. Interpretierte Zusammenfassung der Ergebnisse<br />
Im folgenden Abschnitt werden die für die Beantwortung der Forschungsfrage<br />
relevanten Ergebnisse zusammengefasst und hinsichtlich der Forschungsfrage<br />
interpretiert. Jene Punkte, die keine Ansätze zur Beantwortung der Forschungsfrage<br />
oder zur Vertiefung der Problematik lieferten, werden ausgespart. Bestimmte<br />
Haltungen und Handlungen der interviewten Personen bleiben unkommentiert.<br />
Weder werden sie moralisch bewertet, noch wird versucht, sie psychologisch zu<br />
interpretieren. Sie werden als gegeben hingenommen.<br />
6.1 <strong>Freier</strong> sehen sich als gesellschaftlich geächtet, allerdings nicht wegen<br />
möglicher Nutznießerschaft an Zwangsprostitution und Menschenhandel<br />
Egal, ob Frauen zu sich bestellt werden wie einen Kaugummi aus dem Automaten zu<br />
ziehen, oder ob am Strich wie in einer guten Weinhandlung gustiert wird, egal, ob in<br />
Räumlichkeiten, die einem die Lust vergehen lassen, Eliza Doolittle imaginiert wird,<br />
oder ob in Studios, auf der Straße und in einer U- Bahnstation einem Jagdtrieb<br />
nachgegangen wird: Das von den Interviewpersonen über sie angenommene<br />
gesellschaftliche Urteil ist immer negativ, unabhängig von beanspruchter<br />
Prostitutionsform, persönlicher Herangehensweise und Haltung der Prostitution und<br />
den Prostituierten gegenüber. Im Detail wird das unterschiedlich begründet, bezieht<br />
sich aber generell auf gesellschaftliche Werte. Einerseits sind <strong>Freier</strong> gesellschaftlich<br />
geächtet, weil sie den Ansprüchen der Gesellschaft an Männer nicht gerecht werden-<br />
Frauen nicht ansprechen können oder wollen, oder nicht dem gesellschaftlichen<br />
Diktat der monogamen Zweierbeziehung folgen. Andererseits verstoßen sie durch<br />
ihr <strong>Freier</strong>sein sowohl gegen traditionelle gesellschaftliche Moralvorstellungen als
auch gegen moderne Wertehaltungen, wie z.B. gegen die prostitutionskritischen<br />
Argumente des Feminismus. Letzteres ist insofern relevant, als hier <strong>Freier</strong> nicht aus<br />
moralisch- christlichen Motiven negativ beurteilt werden, sondern weil sie, je nach<br />
theoretischem Ansatz, Prostituierte ausbeuten oder für Geld vergewaltigen (vgl.<br />
Grenz 2007:14). Insofern wurde hier auf etwas angespielt, was keiner sagte, nämlich<br />
dass <strong>Freier</strong> wegen der Ausnützung von Zwangslagen der Frauen gesellschaftlich<br />
negativ besetzt sind. Keiner der Befragten gab dezidiert an, dass <strong>Freier</strong> wegen<br />
Zwangsprostitution und Menschenhandel gesellschaftlich negativ bewertet werden<br />
würden. Zwei der Befragten beschrieben ihr Verhältnis zum eigenen <strong>Freier</strong>sein als<br />
ambivalent, begründeten dies allerdings ebenfalls nicht mit möglicher<br />
Nutznießerschaft an Zwangsprostitution und Menschenhandel.<br />
6.2 <strong>Freier</strong> betrachten Prostituierte als Opfer von Zwangslagen.<br />
Alle Interviewpersonen gehen davon aus, dass Frauen sich prostituieren, weil sie<br />
aufgrund mannigfaltiger Umstände dazu gezwungen werden. Keiner kann sich<br />
vorstellen, dass Frauen ohne Zwänge Prostitution ausüben würden.<br />
Alle Interviewpersonen nannten finanzielle Notlagen als Prostitutionsmotiv. Während<br />
laut I4 die Österreicherinnen versuchen, einen „gewissen Lebensstil“ (I4 Z:574)<br />
aufrechtzuerhalten, sind sich alle Befragten darin einig, dass ausländische<br />
Prostituierte ihren Beruf ausüben, weil sie zuhause wenig verdienen würden.<br />
Prostitution in Österreich biete die Möglichkeit, ihre Familien, die sich in finanziellen<br />
Notlagen befinden, zu unterstützen. I3 berichtet auch, dass für manche aufgrund<br />
ihres Asylstatus Prostitution die einzige Möglichkeit sei, Geld zu verdienen (vgl. I3<br />
Z:88). Dass sich Frauen überhaupt in die Prostitution begeben, hat für I3 mit<br />
familiären Problemen und Erfahrungen mit männlicher Gewalt zu tun (vgl. I3 Z:519-<br />
520). Bezüglich Prostitution als Resultat finanzieller Zwangslagen hatten alle<br />
Interviewpersonen konkrete Vorstellungen und teilweise auch Kenntnisse von und<br />
über die Lebensumstände der Frauen. Neben finanziellen Zwängen werden auch<br />
andere Zwänge angenommen, von diesen sind allerdings die Vorstellungen<br />
ungenauer. In ihrer stärksten Ausprägung sind sie krimineller Natur. I2 bringt den<br />
Grundtenor auf den Punkt: „Also, das is irgendwie ein Spektrum von Zwängen, das<br />
beginnt mit solchen, wo man sich leichter befreien könnte, bis zu denen, aus denen<br />
man sehr schwer rauskommt.“ (I2 Z:279- 281)
Egal, an welchem Ende des Spektrums, finanziell oder kriminell, sind die<br />
beanspruchten Prostituierten rein aufgrund ihrer Tätigkeit als Prostituierte in<br />
Zwangslagen.- „Zeig mir eine Frau (…), die freiwillig (…) sagt, ‘I stö‘ mi da raus, als<br />
Hure.‘.“ (I3 Z:548- 549)<br />
Abgesehen von der Tätigkeit an sich, werden die Zwangslagen, in denen sich<br />
Prostituierte befinden, auch in verschiedenen, mit der Tätigkeit verbundenen<br />
Aspekten deutlich, wie folgende Abschnitte zeigen. In keiner der Erzählungen<br />
erscheint die Prostituierte als unabhängig und finanziell gut versorgt. Positive<br />
Stereotypen werden von I1 und I2 negiert. I1 hält das Stereotyp der Studentin, die<br />
nebenbei anschaffen geht, für nicht zutreffend auf die Frauen in der Peepshow (vgl.<br />
I1 Z:160- 162), I2 sieht in der Prostitution keine normale Dienstleistung (vgl. I2 Z:266-<br />
268).<br />
6.3 Medienberichte tragen nur bedingt zur Sensibilisierung bezüglich<br />
Menschenhandel und Zwangsprostitution bei.<br />
Bis auf I1, der aus dem Fall von „terminpornbabes“ in London Indikatoren für<br />
Zwangsprostitution und Menschenhandel ableitet (vgl. I1 Z:194- 208) und deshalb<br />
aus Selbstschutz nicht in das „terminpornbabes“ Bordell im Umkreis von Wien gehen<br />
möchte (vgl. I1 Z:211- 213), scheinen Medienberichte über Menschenhandel und<br />
Zwangsprostitution keine besondere Wirkung zu haben. Die Befragten informieren<br />
sich nicht gezielt über das Thema, um ihr Handeln darnach auszurichten.<br />
I3 liest derartige Berichte überhaupt nicht (vgl. I3 Z:573- 583). Medienberichte oder<br />
selbst das Wissen über die Problematik beeinflusst das Verhalten nicht. I2 unterstellt<br />
den Medien, durch sensationelle Berichterstattung ein schlechtes Licht auf die<br />
Prostitution zu werfen (vgl. I2 Z:55- 56) und unterstellt gleichzeitig den Opfern, sie<br />
würden lügen, um gegenüber der Ausländerpolizei bessere Chancen zu haben (vgl.<br />
I2 Z:47- 69). I1 hat über einen Beitrag eines Mitglieds auf www.erotikforum.at von<br />
dem „terminpornbabes“- Fall erfahren (vgl. I2 Z:201- 205). Das ließe vielleicht die<br />
Schlussfolgerung zu, dass Berichte Sensibilisierung bewirken, wenn sie konkret an<br />
den Alltag des <strong>Freier</strong>s anschließen und der Übermittler selber <strong>Freier</strong>, also kein<br />
Außenstehender ist. Dem gegenüber steht allerdings I4, der ebenfalls über das<br />
Forum vom Menschenhandelfall am Westbahnhof informiert wurde. Er kennt die<br />
Szene und bewertet sie trotz des Falles nicht anders als vorher (vgl. I4 Z:671- 683),<br />
weil sich das Mitgeteilte nicht mit seinen Erfahrungen deckt. Tatsächlich scheint hier
ein StellvertreterInnen- Problem (vgl.I2 Z:247) vorzuliegen: Die Wirksamkeit punkto<br />
Sensibilisierung scheint davon abhängig zu sein, wer, wo, was aufgrund welchen<br />
Erfahrungshintergrundes berichtet und welche ExpertInnenschaft ihm oder ihr vom<br />
lesenden <strong>Freier</strong> zugeschrieben wird.<br />
6.4 Die Verortung von Zwangsprostitution und Menschenhandel in Wien basiert<br />
kaum auf kolportierten Informationen.<br />
Was die Verortung von Menschenhandel und Zwangsprostitution in Wien angeht,<br />
scheint in zwei Fällen die Atmosphäre des Raumes zur Verortung in den Prater<br />
geführt zu haben. Für I1, der Peepshows im Zusammenhang mit Menschenhandel<br />
für unbedenklich hält wegen ihres Standortes Wien (vgl.I1 Z:483), bedeutet ein Weg<br />
durch den Prater „absolute Angst“ (I1 Z:74), obwohl der Prater mitten in Wien liegt.<br />
Für I2 gehört der Prater zu dem „weniger sichtbaren Bereich“ (I2 Z:40), den er als<br />
schwer einschätzbar empfindet (vgl. I2 Z:39- 43). In „Ware Frau“ ist zu lesen, dass<br />
nigerianische Menschenhandelsopfer im Prater gezwungen werden, auf den Strich<br />
zu gehen (vgl. Kreutzer/ Milborn 2008:36f). I1 und I2 kennen das Buch nicht, sie<br />
begründen ihre Aussagen auch nicht mit etwas, das sie vom Hörensagen gehört<br />
haben.<br />
Löw und Ruhne beschreiben in „Prostitution. Herstellungsweisen einer anderen<br />
Welt.“ die „emotionale Aufladung der Räume der Prostitution“ (Löw/Ruhne 2011:105):<br />
Das Frankfurter Bahnhofsviertel etwa wird von den von ihnen befragten Personen als<br />
bedrohlich empfunden. Dieses Gefühl wird von den Interviewten nicht mit „einem<br />
Wissen um begangene Straftaten oder Kriminalitätsraten“ (Löw/Ruhne 2011:108)<br />
begründet, sondern mit „einer als unangenehmen empfundenen Wahrnehmung der<br />
räumlichen Gegebenheiten vor Ort und der sich hier aufhaltenden Menschen“ (ebd.).<br />
Ähnlich scheint es sich hier zu verhalten: I1 und I2 vermuten Menschenhandel in<br />
einer räumlichen Umgebung, die die Prostituierte nicht im Neonlicht der Clubs und<br />
Stundenhotels inszeniert, sondern im Prater. I1 nutzt sogar den Vergleich zwischen<br />
Peepshow und Prater, um deren Unbedenklichkeit zu unterstreichen (vgl. I1 Z:125-<br />
130).<br />
I4 verortet Zwangsprostitution im Stuwerviertel. Diese Verortung stützt sich weder auf<br />
bloße Annahmen noch auf Informationen aus den Medien, sondern auf von ihm<br />
beobachteten Tatsachen. Dennoch sind letztere Seltenheitheit und nicht für das<br />
gesamte Viertel zu verallgemeinern (vgl. I4 Z:336- 350). Von den Medienberichten
über den Westbahnhof zeigt er sich unbeeindruckt, da sich diese nicht mit seinen<br />
Erfahrungen decken (vgl. I4 Z:671- 683).<br />
I3 erwähnt in diesem Zusammenhang den „Babystrich“ (I3 Z:557), den es in der<br />
Venediger Au gab (vgl.I3 Z:557). Das Interessante an dieser Aussage ist, dass die<br />
einzige Gegend, der eindeutig Zwangsprostitution zugeordnet wird, bereits die<br />
Illegalität im Namen trägt.<br />
6.5 Die Kenntnis von der Existenz von Menschenhandel und<br />
Zwangsprostitution beeinflusst die Praxis der <strong>Freier</strong>.<br />
Alle Befragten gehen davon aus, dass die Frauen ihre Arbeit aufgrund von<br />
Zwangslagen ausführen. Zwangsprostitution und Menschenhandel als spezielle<br />
Phänomene beeinflussen aber nur bedingt ihr Verhalten.<br />
I1 und I2 begründen das damit, dass die Orte, an denen sie Prostituierte aufsuchen,<br />
von ihnen nicht mit Menschenhandel und Zwangsprostitution in Zusammenhang<br />
gebracht werden: I1 erklärt das damit, dass sich die Peepshows in Wien befinden<br />
(vgl. I1 Z:483) und dass die Frauen dort nicht seinem Opferbild entsprechen (vgl. I1<br />
Z: Z:474- 474). Obwohl I2 ebenfalls Prostitution als Konsequenz aus Zwangslagen<br />
einschätzt, geht er, „wo Prostitution sichtbar ist“ (I2 Z:182- 183), davon aus, dass sich<br />
die Frauen dazu entschieden haben und nicht von Personen gezwungen werden<br />
(vgl. I2 Z:182- 184). I1 und I2 nehmen also die Dienste von Prostituierten an Orten in<br />
Anspruch, wo sie Zwangsprostitution und Menschenhandel nicht vermuten.<br />
Dennoch gibt I2 an, bezüglich der Problematik nicht sensibilisiert vorzugehen, da er<br />
die Illusion, die Frau würde um seiner selbst willen mit ihm schlafen,<br />
aufrechtzuerhalten sucht (vgl.I2 Z:115- 117).<br />
I3 spricht Frauen darauf an, ob sie einen Zuhälter haben, geht aber davon aus, dass<br />
er keine ehrlichen Antworten bekommt (vgl. I3 Z:313- 318), da einige lügen, damit<br />
sich die <strong>Freier</strong> wohl und unbedroht fühlen (vgl. I3 Z:320- 321). Da sich aus der Frage,<br />
die verneint wird, keine handlungsrelevanten Konsequenzen ergeben, scheint es<br />
sich hierbei vielleicht um eine Handlung zu handeln, die primär sein Gewissen<br />
beruhigt. Ähnlich verhält sich auch I1, der sich so einschätzt, dass er das Beste sei,<br />
was der Frau während ihrer Arbeitszeit passiert ist (vgl. I1 Z:153- 188).<br />
I4 sucht den Straßenstrich nach Männern ab, die die Frauen kontrollieren. Wenn er<br />
jene sieht, nimmt er die Dienste der dazugehörigen Prostituierten nicht in Anspruch.<br />
(vgl. I4 Z:210- 216). In den Studios gibt es für ihn keine Anzeichen, auf die er vor der
Inanspruchnahme achten könnte (vgl. I4 Z:207- 226). In dem einen Fall, wo er<br />
merkte, dass alles, was die Frau tat, ihr völlig widerstrebte, brach er ab, da er<br />
Zwangsprostitution vermutete (vgl. I4 Z:145- 150).<br />
6.6 Die Befragten haben unterschiedliche eigene Indikatoren für<br />
Menschenhandel und Zwangsprostitution.<br />
I1 nennt gutes Aussehen, kombiniert mit leistbarem Preis, als Indikator für<br />
Menschenhandel und Zwangsprostitution. Diesen Indikator hat er aus dem Fall<br />
terminpornbabes abgeleitet (vgl. I1 Z:194- 208). Das zeigt einerseits, wie Berichte<br />
über Menschenhandel an den richtigen Orten, bei der Zielgruppe platziert zu<br />
Bewusstseinbildung führen könnten und andererseits, welche Deutungen aus ihnen<br />
erwachsen können, wenn der Rezipient allein und ohne aufklärende ExpertInnen mit<br />
ihnen konfrontiert wird. I2 sieht als Indikator „alles, was sich im unsichtbaren oder<br />
weniger sichtbaren Bereich bewegt“ (I2 Z;40- 41)- „irgendwelche Hinterzimmer“ (I2<br />
Z:34), auf die man „irgendwie angesprochen wird“ (ebd.).<br />
Für I3 ist Zwang, von finanzieller Not bis Menschenhandel, am aggressiven Werben<br />
auf der Straße erkennbar (vgl. I3 Z:251- 261). Gleichzeitig nimmt er an, dass<br />
Zwangsprostituierte aus Ländern kommen, die weit weg von Österreich sind. Wenn<br />
eine Frau von weit herkommt und zudem noch optisch heruntergekommen wirkt, ist<br />
sie für ihn ein mögliches Menschenhandelsopfer (vgl. I3 Z:149- 167). I4 sieht die<br />
Anwesenheit von „Beschützern, Betreuern oder sonst was“ (I4 Z:115) als Indikatoren.<br />
Bis auf I3, der davon ausgeht, dass die Frauen zum Schweigen gezwungen werden<br />
(vgl. I3 Z:144- 147), gehen alle davon aus, dass Zwang im persönlichen Kontakt zu<br />
merken wäre. I1 erwähnt in diesem Zusammenhang Opferdeklaration (vgl. I1 Z:222)<br />
und I2 ist der Meinung, er würde es merken (I2 Z:110- 112). I4 glaubte am Service<br />
der Frau zu erkennen hier mit Zwangsprostitution konfrontiert zu sein (vgl. I4 Z:145-<br />
150)- insofern bietet für ihn im persönlichen Kontakt das Service einen Anhaltspunkt<br />
(I4 Z:224- 226). Da er allerdings ein Studio erneut aufsuchte, obwohl er dort<br />
Zwangsprostitution vermutet hatte(vgl. I4 Z:151- 156), schien dieser Umstand nicht<br />
ausgereicht zu haben, um der Studiobetreiberin Täterschaft zu unterstellen.
6.7 Negative Gefühlsäußerungen im persönlichen Kontakt werden nur bedingt<br />
als Anzeichen für Zwangsprostitution und Menschenhandel gedeutet.<br />
Die Frauen in der Peepshow werden von I1 als arrogant beschrieben, was er als<br />
luststeigernd begreift (vgl. I1 Z:177- 180). Er geht davon aus, dass sie ihre Arbeit<br />
nicht gerne machen (vgl. I1 Z:583- 584) und verhält sich so, dass er durch sein<br />
Verhalten der Situation der Frau etwas Positives entgegensetzt (vgl. I1 Z:153- 188).<br />
Ob er das bewusst wegen der ihr unterstellten Situation tut, ist allerdings unklar.<br />
Ähnliches gilt für I2, der gemeinsam mit der Frau, die aus unterschiedlichen<br />
Zwangslagen in diesem Beruf gelandet ist (vgl. I2:273- 281), daran arbeitet, den<br />
Warenkauf (I 2Z:230) zu überspielen (vgl. 208- 211) und den Eindruck von<br />
Freiwilligkeit zu erwecken (vgl. I2 Z:225- 234). Obwohl er angibt, Zwangsprostitution<br />
und Menschenhandel im persönlichen Kontakt merken zu können (vgl. I2 Z:110-<br />
112), beurteilt er die Deutung von negativen Gefühlsäußerungen als Indikatoren für<br />
Menschenhandel und Zwangsprostitution als „realitätsfern“ (I2 Z:208).<br />
Es liege möglicherweise am Fehlverhalten des <strong>Freier</strong>s (vgl. I2 Z:225- 234).<br />
Auch sei es möglich, dass die Frauen ihre Fähigkeit, die Arbeit auszuführen,<br />
überschätzt haben (vgl. I2 Z:223- 224), wenn er „Ekel“ (I2 Z:212) oder „Widerstand“<br />
(ebd.) merkt. Wenn es nicht, gelingt den „Warenkauf“ (I2 Z:230) zu überspielen, ist<br />
die Reaktion darauf nicht, Menschenhandel und Zwangsprostitution zu vermuten,<br />
sondern die Frau nicht nochmals zu besuchen (I2 Z:217- 219).<br />
I3 erklärt sich negative Gefühlsäußerungen damit, dass die Frauen neu im Beruf sind<br />
(vgl. I3 Z:631), dass sie ihre Arbeit nicht gerne ausführen, weil Wien „Scheiße“ (I3<br />
Z:718) ist (vgl. I3 Z:716- 718), sowie mit unbekannten Zwangslagen (vgl. I3 Z:633-<br />
634). Ebenso geht er davon aus, dass die Frauen die Einbringung des Service<br />
innerhalb der ausgemachten Zeit absichtlich hinauszögern. Aber nicht, weil sie sich<br />
dadurch gegen den Zwang wehren, sich zu prostituieren, sondern um mit wenig<br />
Leistung an sein Geld zu kommen (vgl. I3 Z:349- 351).<br />
I4 erklärt sich schlechtes Service ebenfalls damit, an eine Anfängerin geraten zu sein<br />
(vgl. I4 Z:181- 182) oder damit, dass die Chemie zwischen ihm und der Frau nicht<br />
stimme (vgl. I4 Z:170). Im Gegensatz zu I2 ist für ihn eindeutig Zwangsprostitution<br />
und Menschenhandel am Service zu erkennen, wenn er merkt, dass die Prostituierte<br />
widerwillig agiert (vgl.I4 Z:225- 226).
6.8 <strong>Freier</strong> verfügen in Fällen von Zwangsprostitution und Menschenhandel<br />
nicht über nötige Handlungskompetenzen<br />
I1, I2 und I3 kennen keine relevanten NGOs, wissen aber, dass sie existieren (vgl. I1<br />
Z:226/ I2 Z: 254/ I3 Z:246). I4’s Wissen über sie ist ebenfalls minimal, aber immerhin<br />
kam er einmal im Forum mit ihnen in Berührung (vgl. I4 Z:55- 57). I1, I3 und I4 sind<br />
NGOs gegenüber positiv eingestellt (vgl. I1 Z:227- 247/ I3 Z: 246 / I4 Z:43- 68).<br />
Während I1 bei einer möglichen Meldung nicht zwischen NGO und Polizei<br />
unterscheidet (vgl. I1 Z:227- 247), würde I3 eher zur Polizei gehen, nach NGOs<br />
müsse er sich erst umsehen (vgl. I3 Z:236- 246), und I4 würde sich nur bei NGOs<br />
melden, da er davon ausgeht, dass diese sensibel mit seinen Daten umgehen (vgl. I4<br />
Z:43- 68). Auch könne er sich vorstellen, dass sich <strong>Freier</strong> an NGOs wenden würden,<br />
wenn diese auf www.erotikforum at vertreten wären (vgl. I4 Z:82- 105).<br />
I2 sieht NGOs als Vertreter der „Abstinenzlerbewegungen“(I2 Z:254). Eine Meldung<br />
an die Polizei kommt für ihn auch nicht in Frage (vgl. I2 Z:337- 339).<br />
I4 würde sich ebenfalls nicht an die Polizei wenden, da er annimmt, dass diese seine<br />
Daten auch für andere Zwecke verwenden würde (I4 Z:43- 51)<br />
Alle Personen haben weder konkrete Vorstellungen von dem, was NGOs tun, noch<br />
was genau und wer sie sind. Dasselbe gilt insofern für die Polizei, als keiner der<br />
Befragten die Meldestelle für Menschenhandel des Bundeskriminalamts kennt-<br />
Dieses Nichtwissen stellt eine Barriere für deren Inanspruchnahme dar. Die fehlende<br />
Handlungskompetenz wird im Fall von I4 deutlich, der sich, als er Zwangsprostitution<br />
vermutete, an die Betreiberin des Studios wandte, obwohl er ihr Unehrlichkeit<br />
unterstellte (vgl. I4 Z: 194- 195).<br />
6.9 Prostitution befindet sich im kriminellen Kontext.<br />
Alle Interviewpersonen schreiben dem Feld in graduellen Abstufungen Kriminalität<br />
und Illegalität zu. Sie gehen a priori davon aus, liefern aber auch konkrete Beispiele<br />
dafür. Die Prostituierte wird einerseits als Opfergestalt gesehen, andererseits auch<br />
als moralisch fragwürdig. I1, I3 und I4 berichten von Frauen, die beim Service<br />
betrügen (vgl. I1 Z: 25/ I3 Z:345- 346/ I4 Z:370- 371), und I1 und I3 würden sich<br />
aufgrund deren Verbindungen zur Unterwelt nie eine Prostituierte mit nachhause<br />
nehmen (vgl. I1 Z:48/ vgl. I3 Z:445). I1 favorisiert die Peepshow zwar aufgrund der in<br />
ihr angenommenen Sicherheit (vgl.I1 Z:211- 213), keiner aber spricht von Angst<br />
aufgrund der dem Feld unterstellten Kriminalität. I3 hat Gewalt gegen eine
Prostituierte beobachtet (vgl. I3 Z:680- 685), wurde selbst auch Diebstahlsopfer,<br />
infolgedessen er Gewalt ausübte (vgl. I3 Z:207- 216). I3 berichtet davon, dass die<br />
Frauen Drogen konsumieren würden (vgl. I3 Z:327- 330) und I4 sucht<br />
Geheimprostituierte an Orten auf, an denen Prostitution verboten ist, wodurch er<br />
selber illegal handelt (vgl. I4 Z:629- 630). Auch wird insofern deutlich, wie sehr er das<br />
Feld kriminalisiert sieht, wenn er davon ausgeht, dass alle Daten polizeilich erfasst<br />
werden, die mit Prostitution zu tun haben (vgl. I4 Z:43- 51). I2 sagt, Menschen,<br />
<strong>Freier</strong> und Prostituierte, die sich im Milieu aufhalten, sind „nicht unbedingt die braven<br />
Staatsbürger, die alles melden.“ (I2 Z:344). Sie sind in bestimmten „Problemlagen“<br />
(I2 Z:385) und halten „geordnete, kleinbürgerliche Lebensweisen“ (I2 Z:357) für<br />
wenig erstrebenswert (vgl. I2 Z:343- 358). Damit bringt er ein wesentliches Ergebnis<br />
dieser Arbeit auf den Punkt: <strong>Freier</strong> sind nur ein Teil des Feldes, so lange sie <strong>Freier</strong><br />
sind. Sie suchen aus Gründen, denen in dieser Arbeit nicht nachgegangen wurde,<br />
Prostituierte auf. Die Frauen sind in Notsituationen und das Feld ist eine vom Staat<br />
im weitesten Sinn geduldete kriminelle oder zumindest moralisch fragwürdige<br />
Zweitwelt- Es ist tatsächlich eine andere Normalität.<br />
6.10 Das Umfeld der Prostituierten profitiert von ihrer Tätigkeit.<br />
Wenn I4 die Männer im Umfeld der Prostituierten fallweise mit „Aufpasser und<br />
Abkassierer“ (I4 Z:216), „Beschützer, Betreuer oder sonst was“ (I4 Z:115)<br />
bezeichnet, bringt das die Problematik eindeutiger Rollenzuschreibungen an die<br />
Personen im Umfeld der Prostituierten für alle Interviewten auf den Punkt.<br />
Bei Freunden der Frauen handelt es sich laut I2, I3 und I4 entweder um Arbeitslose,<br />
die von ihren Frauen unterstützt werden (vgl. I2 Z: 89- 90/ I3 Z:323/ I4 Z:519) oder<br />
um Zuhälter (vgl. I2 Z: 89- 90/ I3 Z:69- 71/ I4 Z:519- 549), wobei nicht immer<br />
eindeutige Trennschärfe gegeben ist. Auch die BetreiberInnen der jeweiligen<br />
Etablissements profitieren von den Prostituierten: I2 bezeichnet die Betreiber der<br />
Peepshow als die „grauen Unbekannten“ (I1 Z:736). Er nimmt an, dass sie für die<br />
Preise Rahmenbedingungen setzen (vgl.I1 Z:764- 815) und an der Arbeit der Frauen<br />
mitverdienen (vgl. I1 Z:627- 629). Manchmal verfassen sie auch Einträge auf<br />
www.erotikforum.at (vgl. I1 Z:503- 504). I2 beschreibt Clubbetreiber als Mischung<br />
von Zuhälter und Unternehmern, die Angestelltenbindungstheorien anwenden (vgl. I2<br />
Z:191- 193) und von den Frauen Miete verlangen (vgl. I2 Z: 82). Die Asiastudios
werden laut I4 von Frauen betrieben, die ebenfalls von den dort arbeitenden Frauen<br />
Geld erhalten (vgl. I4 Z:532).<br />
6.11 Die Herkunft der Frauen aus bestimmten Ländern wird von manchen<br />
<strong>Freier</strong>n als Indikator für Zwangsprostitution und Menschenhandel gesehen,<br />
woraus sich keine Konsequenzen hinsichtlich ihres Handelns ergeben.<br />
Die finanziellen Zwangslagen, die die <strong>Freier</strong> den Frauen unterstellen, beziehen sich<br />
auf die ökonomischen Situationen ihrer Herkunftsländer (s. 6.2.).<br />
I1 ist der Meinung, dass sich Österreicherinnen aufgrund ihrer Herkunft nicht aus<br />
Zwängen heraus prostituieren und auch keine Zwangsprostituierten sind (vgl. I1<br />
Z:156). I3 und I4 sehen allerdings auch Österreicherinnen von Zwangslagen nicht<br />
ausgenommen. I3 nimmt an, dass sie Beschaffungsprostitution betreiben (vgl. I3<br />
Z:330), während I4 davon ausgeht, dass es die meisten nicht geschafft haben, auf<br />
einen anderen Beruf umzusteigen, weshalb sie jetzt weiter Prostitution ausüben<br />
müssen (vgl. I4 Z:568- 579). Mögliche Herkunftsländer von Zwangsprostituierten<br />
nannten nur I3 und I4. I3 geht davon aus, dass Zwangsprostituierte von weither<br />
kommen, weshalb er vermutet, dass es sich bei den Afrikanerinnen, Rumäninnen<br />
oder Bulgarierinnen um Zwangsprostituierte handeln könnte (vgl. I3 Z:84- 85/ 150-<br />
167). Rumänien und Bulgarien nennt auch I4 (vgl. I4 Z:450- 451), auch die Aufpasser<br />
kämen aus „süd- oder osteuropäischen Ländern“ (I4 Z:125). Beide sprechen<br />
allerdings nicht davon, Prostituierte aus diesen Ländern zu meiden. Obwohl I4 bei<br />
einer Chinesin Menschenhandel vermutete, erwähnt er China nicht in seiner<br />
Aufzählung von Ländern, die er mit Menschenhandel verbindet.<br />
6.12 Der Preis wird von verschiedenen Einflussvariablen bestimmt und<br />
verdeutlicht größtenteils Zwangslagen<br />
I1 ist der einzige der, falls die Frau attraktiv ist, im Preis einen Indikator für<br />
Zwangsprostitution erkennt (vgl. I1 Z:610- 618). Ansonsten geht er davon aus, dass<br />
die Preise von den Betreibern der Peepshow festgesetzt sind (vgl. I1 Z:764- 815)<br />
und dass sie einen Teil des Geldes einbehalten (vgl. I1 Z:627- 629).<br />
Auch I2 nimmt an, dass die Frauen einen Clubbetrag zahlen müssen, was sich im<br />
Preis niederschlägt. Weiters haben Freunde, Zuhälter und ebenso das Aussehen<br />
Einfluss auf den Preis (vgl. I2 Z:86- 90), I3 stimmt letzterem Punkt zu (vgl. I3 Z:174).
Auch I4 erzählt, dass Geld an die Studiobetreiberinnen geht und Inserate bezahlt<br />
werden müssen (vgl. I4 Z:532- 534).<br />
I3 und I4 berichten davon, dass der große Andrang von Frauen aus dem Osten die<br />
Preise in die Tiefe gedrückt hat (vgl. I3 Z:171- 172/ I4 Z:478- 488). I4 ist sich dessen<br />
bewusst und verhandelt um den Preis- wenn die Frau das Geld sehr nötig hat, geht<br />
die Verhandlung zu seinen Gunsten aus (vgl. I4 Z:496- 505)<br />
6.13 Die Prostituierte riskiert ihre Gesundheit<br />
I1 und I3 erzählen, dass sie sich vor den Orten, an denen sie Prostituierte in<br />
Anspruch nehmen, ekeln(vgl. I1Z:750 / I3 Z:319- 320). Ebenso haben sie bezüglich<br />
HIV Bedenken (vgl. I1 Z:701- 703/ I3 Z:413- 422). Auch I4 spricht von<br />
Ansteckungsgefahr im Zusammenhang mit der illegalen Szene am Westbahnhof (vgl.<br />
I4 Z:646- 649). I1 und I4 sehen in Angeboten ohne Kondom keinen Indikator für<br />
Zwangsprostitution: I1 führt das auf die Naivität der Frauen bezüglich<br />
Geschlechtskrankheiten (vgl. I1 Z: 689- 691) und Vorgaben der Betreiber (vgl. I2<br />
Z:764- 815) zurück, I4 auf den Konkurrenzdruck (vgl. I4 Z:583- 584), womit eine<br />
weitere Zwangslage deutlich wird: Die Prostituierten sind gezwungen, ihre<br />
Gesundheit zu gefährden. Das wird auch im Gespräch mit I3 deutlich, als er<br />
berichtet, dass viele Rauschmittel konsumieren, um ihre Arbeit ausführen zu können<br />
(vgl. I3 Z:399) und dass sie bei schlechtem Wetter auf der Straße stehen (vgl. I3<br />
Z:419- 422).<br />
6.14 Das Prostitutionsgesetz ist ungenügend<br />
Bis auf I3, der annimmt, dass das Gesetz Menschenhandel etwas entgegenzusetzen<br />
habe, da angemeldete Bordelle kontrollierbarer seien als die Straße (vgl. I3 Z:200-<br />
202), kommentieren die Befragten die Tauglichkeit des Gesetzes hinsichtlich<br />
Menschenhandels kaum. Aus den getätigten Aussagen zu den Erlaubniszonen wird<br />
deutlich, dass das Gesetz in diesem Punkt die Öffentlichkeit aufmerksam gemacht<br />
hat, nicht allerdings bezüglich Menschenhandel. Bis auf I3, der die Entlastung der<br />
AnrainerInnen begrüßt (vgl. I3 Z:230- 233), äußern sich die Befragten zu den<br />
Erlaubniszonen negativ. I1 betont, dass die Sicherheit der Frauen gefährdet werde<br />
(vgl. I1 Z:349- 351), I2 sieht in der Verlagerung in Lokalitäten neue Abhängigkeiten<br />
(vgl. I2 Z:77- 84) und I4 sieht in der Lösung ebenfalls keine Besserung für die<br />
Betroffenen (vgl. I4 Z:248- 269). Während I1, I2 und I3 der Meinung sind, Prostitution
sollte, wie andere Dienstleistungen auch, gesetzlich geregelt werden (vgl. I1 Z:254-<br />
389/ I2 Z:287- 288/ I3 Z: 336- 341), geht I4 davon aus, dass Gesetze<br />
Menschenhandel nicht verhindern können (vgl. I4 Z:235- 241).<br />
6.15 Indikatoren für Menschenhandel werden aufgrund der im Bereich der<br />
Prostitution herrschenden Bedingungen nicht als solche erkannt.<br />
Als I3 die einzelnen Punkte der Liste mit Erzählungen kommentierte, zeigte sich,<br />
dass ihm jene Punkte als Indikatoren Umdeutungsmöglichkeiten seiner bisherigen<br />
Deutungsmuster boten. Er ist der einzige, der die Liste positiv kommentierte<br />
hinsichtlich der Möglichkeit, ihn zu sensibilisieren (vgl. I3 Z:781- 783). I1 und I2<br />
gaben an, sich nicht mit diesen Punkten auseinander zu setzen (vgl. I1 Z:781- 782/<br />
I2 Z:319- 322) und I4 kritisierte die Liste bezüglich einiger Punkte, in der vom <strong>Freier</strong><br />
mehr Informationen als vorhanden verlangt wurden. Er betonte gleichzeitig, dass<br />
viele Punkte auf die Realität zutreffen würden, allerdings nicht mit Menschenhandel<br />
als Ursache (vgl. I4 Z:693- 720). Dem kann, in Anbetracht, wie viele „normale<br />
„Zwangslagen die Befragten Prostituierten unterstellen nur zugestimmt werden.<br />
7. Beantwortung der Forschungsfrage und abschließende Bemerkungen<br />
„Einerseits ist die Lebenswirklichkeit eines jeden Menschen dessen subjektives<br />
Konstrukt, andererseits ist dieses Konstrukt nicht beliebig, sondern – bei aller<br />
Subjektivität – auf Grund der strukturellen Koppelung des Menschen an seine<br />
Umwelt – eben durch die Rahmenbedingungen dieser Umwelt beeinflusst und<br />
begrenzt.“ (Kraus 2007:85)<br />
Während Ackermann, Bell und Koelges annehmen, dass <strong>Freier</strong> Prostituierte nicht<br />
ernst nehmen, sie für „durchtrieben“ (Ackermann u.a. 2005:81) halten und in ihnen<br />
ein „Sex- Spielzeug“ (ebd.) sehen, wodurch blinde Flecken hinsichtlich der<br />
Wahrnehmung von Zwangsprostitution entstehen (vgl. Ackermann u.a. 2005:81),<br />
gehen Kreutzer und Milborn davon aus, dass <strong>Freier</strong> von Zwangsprostitution sehr<br />
wohl wissen, es ihnen aber gleichgültig sei (vgl. Kreutzer/ Milborn 2008:75).<br />
Beides ist nicht unrichtig, trifft aber in dieser Eindeutigkeit nicht auf die interviewten<br />
Personen zu.
Ackermann, Bell und Koelges zitieren Passagen aus Erzählungen deutscher <strong>Freier</strong>,<br />
die auf vorliegende Zwangsprostitution schließen lassen (vgl. Ackermann u.a.<br />
2005:81) Sie kommentieren das Zitierte mit dem Satz, „All das hätte den Männern zu<br />
denken geben können- wenn sie weitergedacht hätten“ (Ackermann u.a. 2005:81).<br />
Vorausgesetzt, nicht alle <strong>Freier</strong> sind Sadisten, wovon aufgrund ihrer hohen Zahl<br />
auszugehen ist, stellt sich zu Recht die Frage: Warum ziehen <strong>Freier</strong> trotz Anzeichen,<br />
die auf Zwangsprostitution hinweisen, letzteres nicht in Erwägung. Und weiters stellt<br />
sich die Frage, warum manche <strong>Freier</strong>, die durchaus Kenntnis über<br />
Zwangsprostitution besitzen, dennoch nicht davon Abstand nehmen, Prostituierte in<br />
genau jenen Bereichen aufzusuchen, in denen sie Zwangsprostitution verorten.<br />
Wissen über Zwangsprostitution und Menschenhandel beeinflusst das Handeln der<br />
<strong>Freier</strong> direkt oder indirekt auf verschiedene Arten. In den meisten Fällen allerdings<br />
nicht so, wie es aus Sicht von NGOs und Polizei wünschenswert wäre. Die im<br />
Bereich der Prostitution herrschenden Bedingungen kaschieren und normalisieren<br />
Anzeichen für Zwangsprostitution und Menschenhandel: Indikatoren für<br />
Zwangsprostitution und Menschenhandel werden sehr wohl wahrgenommen,<br />
scheinen aber in den „normalen“, gewohnten Kontexten der Prostitution auf, weshalb<br />
sich daraus Handlungen und Haltungen ableiten, die dann den Eindruck entstehen<br />
lassen, <strong>Freier</strong> wären Zwangsprostitution und Menschenhandel gegenüber völlig<br />
gleichgültig eingestellt.<br />
Bestes Beispiel hierfür sind die Reaktionen, die die Liste von Indikatoren bei den<br />
Befragten ausgelöst hat. Die als Fragen formulierten Punkte wurden mit zahlreichen<br />
Erzählungen beantwortet. Ebenfalls ließen sich Antworten auf sonstige<br />
Interviewfragen den Indikatoren für Zwangsprostitution und Menschenhandel<br />
zuordnen.<br />
Die Prostituierten Wiens des Jahres <strong>2012</strong> werden von den interviewten <strong>Freier</strong>n als<br />
Elendsgestalten beschrieben:<br />
Sie führen ihren Beruf nicht freiwillig aus. Sie werden gezwungen, ihren Beruf<br />
auszuführen. Manchmal zwingt sie ihre Armut, die Armut ihrer Familien oder die ihrer<br />
Partner dazu, manchmal ihre Partner oder ihre Zuhälter, manchmal Sucht und<br />
manchmal ihr Asylstatus. Männer bezahlen sie dafür, so zu tun, als würden sie<br />
freiwillig handeln. Von dem Geld, das sie einnehmen, profitieren andere. Konkurrenz<br />
zwingt sie dazu, immer geringere Preise zu verlangen. Konkurrenz zwingt sie dazu,<br />
ihre Gesundheit aufs Spiel zu setzen. Männer aus ihrem Umfeld sind ihnen
gegenüber gewalttätig. <strong>Freier</strong> sind ihnen gegenüber gewalttätig. Das Gesetz drängt<br />
sie in Gegenden, in denen sie weiteren Gefahren ausgesetzt sind...<br />
<strong>Freier</strong> wissen, welche Bedingungen in der Prostitution herrschen und sind mit der<br />
Bedeutung, die dieses Wissen für sie hat, allein- Sie bilden sich eigene<br />
Erklärungsmuster, die teilweise auf Vorurteilen dem Feld gegenüber, teilweise auf<br />
Kenntnissen basieren. Die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Prostituierten sind<br />
so schlecht, dass Indikatoren für Menschenhandel oder Zwangsprostitution<br />
problemlos als zur Normalität gehörig umgedeutet werden können:<br />
„Man setzt voraus, dass die ja eh ein Scheißleben hat.“ (I2 Z:99)<br />
„Es kommt schon vor, dass man merkt, dass Mädchen nicht können, dann denkt<br />
man sich aber, ok, das war ein Fehlgriff. Und ich hak‘ das dann auch ab, als Fehlgriff.<br />
Ich denk dann, die hat ihre eigene Fähigkeit und Bereitschaft, diesen Job<br />
auszuführen, überschätzt. (I2 Z:221- 224)<br />
Den Befragten scheint nicht bewusst zu sein, was in ihren Erzählungen mitschwingt.<br />
- All das könnte den Männern, zu denken geben, wenn man sie zum Weiterdenken<br />
gebracht hätte. Sie wissen nicht das, was sie wissen sollten, und handeln und<br />
denken dementsprechend.<br />
Mangelnde Aufklärungs- und Sensibilisierungsarbeit und unzureichende mediale<br />
Berichterstattung unterstützten sie, sich selber Deutungen zurecht zu zimmern, die<br />
sie scheinbar der Verantwortung entheben. Daraus resultieren dann Annahmen, wie<br />
z.B. dass alles, was sichtbar ist und sich überdies in Wien befindet, nichts mit<br />
Menschenhandel und Zwangsprostitution zu tun haben kann.<br />
Sie bleiben in einem Feld weitgehend alleine, von dem sie ausgehen, dass es<br />
kriminell ist, deren Akteure ihren Annahmen nach ebenfalls kriminell sind. Das Feld<br />
ist, der Wahrnehmung der Befragten nach, tatsächlich ein „Feld des ‘Anderen‘ und<br />
des ‘Anormalen‘“ (Löw/ Ruhne 2011:11), oder wie I2 sagt, ein „Randbezirk unserer<br />
gesellschaftlichen Organisation“ (I2 Z:240).<br />
Der <strong>Freier</strong> hält diesen Randbezirk zwar durch sein Geld aufrecht, ist aber nur<br />
Besucher. Er kann, wie Grenz schreibt „die <strong>Freier</strong>kappe jederzeit ablegen und (…)<br />
ein sogenanntes ‘normales‘ Leben führen“ (Grenz 2007:45). Wenn I4 sagt, man sollte<br />
sich als <strong>Freier</strong> niemandem anvertrauen (vgl. I4 Z:10- 11), gibt das Grenz recht, die<br />
schreibt, dass <strong>Freier</strong>sein insofern marginalisiert ist, „als dass in so gut wie keinem<br />
Kontext offen über individuelle Erlebnisse gesprochen werden kann“ (vgl. I4 Z:9f)
Manche veröffentlichen Beiträge in der Anonymität des Internets. Www.erotikforum.at<br />
hat ca. 190.000 registrierte UserInnen (vgl. Essl Gmbh <strong>2012</strong>b) und unzählige<br />
LeserInnen. Hier werden permanent Deutungen veröffentlicht, die<br />
Interpretationsmuster erzeugen- Die umgedeutete Realität wird weitergegeben und<br />
zementiert von Menschen, die ignoriert werden und deshalb ignorant bleiben.<br />
Gegenargumente erreichen sie nicht, weil nicht dagegen argumentiert wird.<br />
Wenn Gasser <strong>Freier</strong> als „Endverbraucher der sexuellen Dienstleistungen der<br />
Zwangsprostituierten“ (Gasser 2010:64) bezeichnet, trifft das auch auf die<br />
interviewten Personen zu, die davon ausgehen, dass sich alle Prostituierten aufgrund<br />
von Zwangslagen prostituieren. Sie sind Profiteure und sie wissen das.<br />
Dies moralisch zu verurteilen, die Personen als sexistische Ausbeuter abzuurteilen<br />
und sie links liegen zu lassen, da von ihnen aufgrund ihres Tuns und ihrer Haltungen<br />
wenig zu erwarten ist, ist leicht.<br />
Täglich nehmen im Raum Wien ca. 15.000 Männer die Dienste einer Prostituierten<br />
in Anspruch (vgl. Ecpat 2006b). Eine dermaßen große Anzahl von Personen, die<br />
über enorm viel Macht verfügen, da sie einen gesellschaftlichen Problembereich<br />
mitkonstituieren, zusätzlich noch weitaus leichter als Beratungsstellen Zugang zu den<br />
Frauen besitzen, überdies über großes Wissen verfügen, darf aber nicht ignoriert<br />
werden.<br />
Wenn sich die Soziale Arbeit mit ihnen befasst, wird sie an der Frage, warum sie das<br />
tun, was sie tun, nicht vorbei kommen.<br />
Die Antwort auf die Frage, worin die Motivation besteht, Prostituierte in Anspruch zu<br />
nehmen, die aufgrund von Zwangslagen Prostitution betreiben in einem Umfeld, das<br />
sie weitgehend ausbeutet, kann auf vielerlei Art beantwortet werden. Man könnte<br />
<strong>Freier</strong>n Frauenfeindlichkeit unterstellen, sie pathologisieren usw., aber dieser Frage<br />
geht vorliegende Arbeit nicht nach. Die Frage, warum sie es tun, ist, solange man<br />
keine psychologische oder feministische Ursachenforschung betreibt, sehr leicht zu<br />
beantworten: Weil sie es können! Weil das, was sie tun, wie auch immer es<br />
moralisch oder ideologisch zu werten ist, legal ist!<br />
- Die <strong>Freier</strong> zu ignorieren und ausschließlich Prostituierten und Opfern von<br />
Menschenhandel und Zwangsprostitution professionell zu helfen, bedeutet, auf<br />
Missstände zu reagieren, die man wegen Ausblendung einer sie mitkonstituierenden<br />
Gruppe gleichzeitig bis zu einem gewissen Grade einzementiert.
Drei von vier Befragten stehen Einrichtungen, die sich mit Menschenhandel und<br />
Zwangsprostitution befassen, grundsätzlich positiv gegenüber. Allerdings wissen sie<br />
weder Konkretes über diese Einrichtungen, noch wissen sie, wo sie sie genau finden<br />
können. Auch wurden die Befragten von der Öffentlichkeitsarbeit der NGOs nicht<br />
erreicht. Daraus resultiert, dass I2 in ihnen Vertreter der „Abstinenzlerbewegungen“<br />
(I2 Z:254) sehen kann und I4 nichts Besseres einfällt, als sich bei vermuteter<br />
Zwangsprostitution an die Betreiberin des Studios zu wenden (vgl. I4 Z:143- 152).<br />
NGOs haben sich dort einzubringen, wo <strong>Freier</strong> sind, egal ob Straße oder Internet.<br />
Auf die hohe Anzahl der UserInnen und LeserInnen von www.erotikforum.at wurde<br />
bereits hingewiesen. Ohne Eingriffe von VertreterInnen relevanter NGOs, die<br />
Denkanstöße geben, Umdeutungen vornehmen und Gesprächsangebote machen,<br />
stellt es eine Gefahr dar, mit ihnen aber vielleicht eine große Ressource.<br />
Auch die Forschung hat sich mit <strong>Freier</strong>n zu befassen.<br />
Mit vorliegender Arbeit wird zum ersten Mal (in Österreich) versucht, die Thematik mit<br />
Ausrichtung auf die <strong>Freier</strong> zu beleuchten, indem diese selbst zum<br />
Forschungsgegenstand werden. Die Meinungen, Haltungen und Einschätzungen von<br />
vier Personen sind in Anbetracht der hohen Anzahl von Männer, die täglich in Wien<br />
und Umgebung Prostituierte auf unterschiedlichste Weise, an den<br />
unterschiedlichsten Orten, aus den unterschiedlichsten Motivationen heraus in<br />
Anspruch nehmen, nicht zu generalisieren. Der Umfang der Arbeit und die schwer zu<br />
vereinheitlichenden Ergebnisse verdeutlichen aber die Komplexität der Thematik, auf<br />
die mit weiterer, vertiefender Forschung reagiert werden muss. Zum Beispiel wäre es<br />
relevant zu wissen, wie Medienberichte verfasst oder Öffentlichkeitsarbeit gestaltet<br />
werden muss, um Sensibilisierung und Problembewusstsein zu erzeugen. Ferner ist<br />
der Frage nachzugehen, auf welche Art <strong>Freier</strong> für Einrichtungen, die sich mit Opfern<br />
von Menschenhandel, Zwangsprostitution und Prostitution befassen, eine Ressource<br />
darstellen können.<br />
Ebenso sind sozialpolitische Forderungen zur Verbesserung der Situation von<br />
Menschenhandelsopfern, Zwangsprostituierten und Prostituierten weiter und vor<br />
allem öffentlichkeitswirksamer zu verfolgen. Auf diese Weise können im Bereich der<br />
Prostitution andere Bedingungen geschaffen werden, sodass Indikatoren für<br />
Menschenhandel und Zwangsprostitution als solche wahrgenommen werden und
darauf aus einem bürgerlichen Rechtsbewusstsein heraus adäquat reagiert werden<br />
kann.<br />
-Letzteres mag utopisch sein, die Kenntnisnahme von <strong>Freier</strong>n durch NGOs und<br />
Forschung ist es nicht.<br />
8. Literatur<br />
Ackermann, Lea/ Bell, Inge/ Koelges Barbara (2005): Verkauft, versklavt zum Sex<br />
gezwungen : Das große Geschäft mit der Ware Frau. München<br />
Bilitewski, Helga/ Czajka, Maya/ Fischer, Claudia/ Klee, Stephanie/ Repetto,<br />
Claudia (1991): <strong>Freier</strong>. Das heimliche Treiben der Männer. Hamburg<br />
Council of Europe (o.A.a): Übereinkommen des Europarats zur Bekämpfung des<br />
Menschenhandels. http://conventions.coe.int/Treaty/GER/Treaties/Html/197.htm, am<br />
3.3. <strong>2012</strong><br />
Essl Gmbh (<strong>2012</strong>):Erotikforum.at - das Sex und Erotik Forum.<br />
http://www.erotikforum.at/, am 3.3. <strong>2012</strong><br />
Ecpat (2006b): Daten- Fakten- Schätzungen. Kinderprostitution –<br />
Kinderpornographie – Kinderhandel in Österreich.<br />
www.ecpat.at/fileadmin/download/DATEN-Fakten_Oesterreich.doc , am 1.12. 2011<br />
ExpertInnenkreis „Prostitution“ im Rahmen der Task Force Menschenhandel (2008):<br />
Prostitution in Österreich. Rechtslage, Auswirkungen, Empfehlungen. Wien<br />
Gasser, Hannah- Isabella (2010): Zwangsprostituierte mit afrikanischen<br />
Migrationshintergrund in Österreich. Identitäten, Problemsicht und Lösungsansätze.<br />
Diplomarbeit an der Universität Wien, Wien<br />
Gläser, Jochen / Grit, Laudel (2009): Experteninterviews und qualitative<br />
Inhaltsanalyse. 3. überarbeitete Auflage, Wiesbaden
Grenz, Sabine (2007): (Un)heimliche Lust. Über den Konsum sexueller<br />
Dienstleistungen. 2. Auflage, Wiesbaden<br />
JUSLINE GmbH (<strong>2012</strong>a): § 216 StGB Zuhälterei.<br />
http://www.jusline.at/index.php?cpid=ba688068a8c8a95352ed951ddb88783e&lawid=<br />
11&paid=216, am 3.3. <strong>2012</strong><br />
JUSLINE GmbH (<strong>2012</strong>b): § 216 StGB Zuhälterei.<br />
http://www.jusline.at/index.php?cpid=ba688068a8c8a95352ed951ddb88783e&lawid=<br />
11&paid=216, am 3.3. <strong>2012</strong><br />
Kraus, Björn (2007): Soziale Arbeit – Macht – Hilfe und Kontrolle. Grundlegung und<br />
Anwendung eines systemisch-konstruktivistischen Machtmodells. In: Björn Kraus,<br />
Wolfgang Krieger (Hg.): Macht in der Sozialen Arbeit – Interaktionsverhältnisse<br />
zwischen Kontrolle, Partizipation und Freisetzung. o.A. 79- 102<br />
Kreutzer, Mary/ Milborn, Corinna (2008): Ware Frau. Auf den Spuren moderner<br />
Sklaverei von Afrika nach Europa. Salzburg<br />
LEFÖ (2011a): Qualitätsstandards einer Gefahrenanalyse und sicheren Rückkehr<br />
und Reintegration von Betroffenen des Menschenhandels.<br />
http://www.lefoe.at/tl_files/lefoe/Lefoe_RueckkehrFrauenhandel_D.pdf, am 3.3. <strong>2012</strong><br />
LEFÖ (2011b): Qualitätsstandards einer Gefahrenanalyse und sicheren Rückkehr<br />
und Reintegration von Betroffenen des Menschenhandels.<br />
http://www.lefoe.at/tl_files/lefoe/Lefoe_RueckkehrFrauenhandel_D.pdf, am 3.3. <strong>2012</strong><br />
Löw, Martina/ Renate, Ruhne (2011): Prostitution. Herstellungsweisen einer anderen<br />
Welt. ,Berlin<br />
Magistrat der Stadt Wien (2011a): Gesetz, mit dem die Prostitution in Wien geregelt<br />
wird (Wiener Prostitutionsgesetz 2011 – WPG 2011).<br />
http://www.wien.gv.at/recht/landesrecht-wien/rechtsvorschriften/html/i4500000.htm,<br />
am 3.3. <strong>2012</strong>
Mayring Philipp (2010): Qualitative Inhaltsanalyse. Grundlagen und Techniken. 11.<br />
aktualisierte und überarbeitete Auflage, Weinheim und Basel<br />
Mösender, Michael (2011b): Ring ausgehoben. Menschenhändler zwangen Opfer in<br />
Wien zu Prostitution. In: derstandard.at: http://derstandard.at/1319183557807/Ringausgehoben-Menschenhaendler-zwangen-Opfer-in-Wien-zu-Prostitution,<br />
am 3.3.<br />
<strong>2012</strong><br />
Task Force Menschenhandel (<strong>2012</strong>): Nationaler Aktionsplan zur Bekämpfung des<br />
Menschenhandels für die Jahre <strong>2012</strong>-2014. ,o.A.<br />
9. Quellen<br />
erotikforum.at (<strong>2012</strong>a): Afrikanerinnen. http://www.erotikforum.at/studios-hostessennachtclubs.10/afrikanerinen.65999-seite3,<br />
am 3.3. <strong>2012</strong><br />
erotikforum.at (<strong>2012</strong>b): Afrikanerinnen. http://www.erotikforum.at/studios-hostessennachtclubs.10/afrikanerinen.65999-seite3,<br />
am 3.3. <strong>2012</strong><br />
erotikforum.at (<strong>2012</strong>b): Blackies.<br />
http://www.erotikforum.at/strassenstrich.9/blackies.300313, am 3.3. <strong>2012</strong><br />
erotikforum.at (<strong>2012</strong>a): Ullmannstra. 38. http://www.erotikforum.at/massagenmassagestudios.67/ullmannstr-38-a.23568-seite146,<br />
am 3.3. <strong>2012</strong><br />
erotikforum.at (<strong>2012</strong>b): Westbahnhof - U-Bahn-Zwischengeschoß.<br />
http://www.erotikforum.at/strassenstrich.9/westbahnhof-u-bahnzwischengeschoss.119077,<br />
am 3.3. <strong>2012</strong><br />
erotikforum.at (<strong>2012</strong>b): Wien. http://www.erotikforum.at/wien.63/, am 3.3. <strong>2012</strong><br />
Transkript des Interviews mit I1 vom 31.1. <strong>2012</strong> verfasst von Benjamin <strong>Lustig</strong><br />
Transkript des Interviews mit I2 vom 6.2. <strong>2012</strong> verfasst von Benjamin <strong>Lustig</strong>
Transkript des Interviews mit I3 vom 8.2. <strong>2012</strong> verfasst von Benjamin <strong>Lustig</strong><br />
Transkript des Interviews mit I4 vom 19.2. <strong>2012</strong> verfasst von Benjamin <strong>Lustig</strong><br />
10. Anhang<br />
<br />
Interviewleitfaden<br />
<strong>Freier</strong><br />
-Sicht der Gesellschaft auf <strong>Freier</strong>?<br />
-<strong>Freier</strong> sein und Selbstbild…<br />
-<strong>Freier</strong> sein und Verantwortung/ Wann würden Sie Verantwortung übernehmen?<br />
-Besitzen <strong>Freier</strong> Macht oder Einfluss?<br />
Erfahrungen<br />
-Ist Ihnen schon mal etwas beunruhigend vorgekommen?<br />
-Haben Sie schon einmal in Zusammenhang mit Zwang die Polizei gerufen?/<br />
Wann würden Sie die Polizei/Beratungsstelle kontaktieren?<br />
-Gibt es Dinge, die Ihnen in bestimmten Kontexten seltsam, in anderen nicht<br />
seltsam vorkommen<br />
würden?<br />
Information<br />
-Wo informieren Sie sich über Prostituierte bzw. das „Angebot“?<br />
-Haben Sie jemals etwas im Netz gelesen, dass Sie verstört hat?<br />
Menschenhandel/ Zwangsprostitution<br />
-Denken Sie an möglichen Zwang, wenn Sie zu einer Prostituierten gehen?<br />
-Kennen Sie Fälle/ Wie stellen Sie sich das vor?<br />
-Welche Anzeichen würden Sie als mögliche Zwangssituation deuten?<br />
-Welche Einrichtungen kennen Sie?<br />
-Wie fühlen Sie sich als <strong>Freier</strong> gegenüber Polizei/ Beratungsstellen?
Prävention/ Reaktion<br />
-Wo würden Sie Informationen über Menschenhandel und Zwangsprostitution<br />
erreichen?<br />
-Welche Informationen brauchen Sie?<br />
-Was würde Sie von einer Meldung bei Polizei/ Beratungsstellen abhalten?<br />
-Wie sollten Ihrer Meinung nach Organisationen gegen MH auf die Frauen<br />
zugehen?<br />
Gesetz<br />
-Schützt das neue Wiener Prostitutionsgesetz vor Menschenhandel?<br />
-<strong>Freier</strong> können jetzt auch bestraft werden- Beziehung zur Polizei?<br />
-Was würde passieren, wenn Prostitution verboten wäre?<br />
Raum/ Örtlichkeiten<br />
-Welche Örtlichkeit favorisieren Sie und warum?<br />
-Wie fühlen Sie sich an den jeweiligen Örtlichkeiten? (Was signalisieren sie?)<br />
-Gibt es Dinge, die Ihnen an bestimmten Orten seltsam, an anderen hingegen<br />
nicht seltsam<br />
vorkommen würden?<br />
-Wo wird in Wien Zwangsprostitution ausgeübt?<br />
Prostitutionsformen<br />
-Sicht der Gesellschaft auf Prostituierte?<br />
-Welche Prostitutionsformen und -motive kennen Sie aus persönlicher Erfahrung?<br />
-Prostitutionsformen (Straße, Drogen, Migration etc.)/positive- negative<br />
Bewertung/Verhalten<br />
-Gibt es Dinge, die Ihnen bei bestimmten Prostitutionsformen seltsam, in anderen<br />
nicht seltsam vorkommen würden?<br />
-Bei welchen Prostitutionsformen ist mit Zwang zu rechnen?<br />
Szene/ Feld Prostitution<br />
-Erzählanregung: „Seuchenzentrum menschlicher Abgründe“/ „das Andere“ der<br />
Normalität/
unmoralisch/ kriminell…<br />
-Gibt es ungeschriebene Regeln denen Sie sich unterwerfen?<br />
-Gefängnis: Nichts sehen, nichts sagen…<br />
-Geschlecht: Männliche Dominanz? Prostitution als „Durchsetzung männlicher<br />
Macht-,<br />
Dominanz- und Herrschaftsansprüche über Frauen und den weiblichen Körper“<br />
-Prostitutionsformen und –kontexte, in denen „Fehlverhalten“ passiert (nicht<br />
bezahlen, schlagen, etc.)….<br />
Künstlichkeit<br />
-Auswirkung des Künstlichen? (Illusion vs. Geld vs. Zeichen)<br />
-Man liest von „gutem Service“ und „unmotiviertem Service“- Wie deuten Sie<br />
negative Gefühlsregungen bzw. was ist und wie deuten Sie „unmotiviertes<br />
Service“?<br />
Herkunft der Prostituierten<br />
-Was verbinden Sie mit den Ländern?/ Haben es die Frauen hier besser als<br />
zuhause?<br />
-Gibt es länderspezifische Unterschiede?<br />
-Wirkung geringer Deutschkenntnisse? (kein Deutsch außer „Ficken“)<br />
-Gibt es Dinge, die Ihnen je nach Herkunft der Frauen seltsam oder nicht<br />
vorkommen würden?<br />
-Aus welchen Ländern kommen Zwangsprostituierte?<br />
Preis<br />
-Wie interpretieren Sie die verschiedenen Preise?<br />
-Kaufen Sie die Frau oder bezahlen Sie für eine Dienstleistung?<br />
-Was passiert mit dem Geld?<br />
-Ist der Preis ein Indikator für Zwangsprostitution?<br />
Hygiene und Gesundheit<br />
-Wirkung von Prostitutionsformen, die z.B. keine Waschmöglichkeiten besitzen?<br />
-Wirkung des „gesundheitlichen“ (körperlich/ geistig) Zustands der Frauen?<br />
-Wirkung „ohne Service“?
Zuhälter/ Aufpasser/ Bordellbesitzer<br />
-Erfahrungen mit…?<br />
-Interaktionen mit… beobachtet?<br />
-…und Zwang?<br />
Indikatoren/ Checkliste/ Wenn was dazu einfällt:<br />
-Stehen die Frauen unter Kontrolle?<br />
-Kontrollieren die Frauen andere Frauen?<br />
-Haben die Frauen Angst?<br />
-Führen die Frauen ihre Arbeit gerne aus?<br />
-Zeigen die Frauen Zeichen von körperlicher und geistiger Gewalteinwirkung?<br />
-Besitzen die Frauen Kenntnis der rechtlichen Situation?<br />
-Sprechen die Frauen mit Ihnen?<br />
-Gibt es Anzeichen von Druck durch religiösen Glauben?<br />
-Haben die Frauen Schulden?<br />
-Wie ist die finanzielle Situation der Frauen?<br />
-Was erzählen die Frauen über ihre Familien?<br />
-Werden die Familien der Frauen bedroht?<br />
-Haben die Frauen Angst vor der Rückkehr ins Herkunftsland?<br />
-Sind die Frauen nach Österreich gekommen, um Prostitution auszuüben?<br />
-Wollten die Frauen Prostitution dort ausführen, wo sie sie jetzt ausführen?<br />
-Wie ist die Wohnsituation der Frauen?<br />
-Haben die Frauen Angst vor der Polizei? Warum?<br />
-Wie sind die Frauen nach Österreich gekommen?<br />
-Behalten die Frauen das Geld, das Sie ihnen zahlen?<br />
-Was wissen Sie über die Männer im Umkreis der Frauen?<br />
-Pflegen die Frauen „normale“ soziale Kontakte?<br />
-Kennen sich die Frauen in Wien aus?<br />
-Was wissen Sie über die Vergangenheit der Frauen?<br />
-Arbeiten die Frauen auch, wenn sie krank sind?<br />
-Haben die Frauen sehr lange Arbeitszeiten?<br />
-Führen die Frauen ihre Arbeit nüchtern aus?
-Haben Sie das Gefühl, dass die Frauen mit ihrem Arbeitsplatz zufrieden sind<br />
(z.B. Straßenprostitution im Winter)<br />
-Haben Sie das Gefühl, dass die Frauen Angebot und Preise selber festgesetzt<br />
haben?<br />
-Werden die Frauen aufgrund ihrer Herkunft, ihres rechtlichen Status etc.<br />
diskriminiert?<br />
-Kommen die Frauen aus „Krisenregionen“?