Untitled - Quartier Pankstrasse
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seite 6<br />
vorgestellt<br />
E v r i m S o y l u<br />
im Gespräch mit Michaela Nolte<br />
Als Evrim Soylu sich 2001 in der Türkei als Lehrerin<br />
für den Außendienst bewirbt, erklärt sie den Prüfern:<br />
„Ich möchte nach Berlin gehen und den Kindern<br />
helfen, die genauso wie ich sind.“ Denn was<br />
der ständige Spagat zwischen den Kulturen insbesondere<br />
für junge Menschen bedeutet, hat sie<br />
selbst hautnah erlebt.<br />
GEBOREN<br />
sTUDIUM<br />
BERUF<br />
1973 IN YALOVA<br />
DEUTSCHE LITERATUR | LEHRAMT<br />
TÜRKISCH-LEHRERIN<br />
in Deutschland VON 1973 BIS 1989 UND SEIT 2001<br />
FAMILIENSTAND<br />
VERHEIRATET, 2 Söhne<br />
Aus dem türkischen Yalova siedelten die Eltern<br />
nach Deutschland über als Evrim ein Baby war.<br />
Aufgewachsen ist sie in München-Dachau. „Damals<br />
gab es dort zwei, drei Migrantenfamilien. In meiner<br />
Klasse war ich die einzige Türkin. Das war nicht<br />
einfach. Es gab Sprachbarrieren und was für mich<br />
selbstverständlich war, kannten die anderen Kinder<br />
nicht. Zum Beispiel, dass man kein Schweinefleisch<br />
isst. Aber meine Eltern haben immer dafür gesorgt,<br />
dass ich mit meinen Mitschülern zusammen<br />
sein konnte. Ich durfte zum Schwimmen, und bei<br />
Klassenfahrten haben sie mir Extra-Lebensmittel<br />
eingepackt.“<br />
Eines Tages steht auf der Schulwand „Ausländer<br />
raus“. Auf Anraten des Vater gehen die Mutter und<br />
die drei Geschwister in die Türkei zurück. Evrim ist<br />
16 Jahre alt. „Anfangs habe ich mich fehl am Platz<br />
gefühlt – wie in einem fremden Land. Ich konnte<br />
mich nicht richtig ausdrücken, und die Freunde waren<br />
ja auch hier. Aber meine Eltern hatten immer<br />
das Ziel, dass aus mir etwas werden soll, und dafür<br />
haben sie alles gegeben.“<br />
Ziel! Das Wort fällt ein gutes dutzend Mal während<br />
Evrim Soylu erzählt. Zielstrebigkeit als wesentliche<br />
Voraussetzung für Heranwachsende, aber auch für<br />
Frauen. „Für mich stand immer fest: erst die Schule<br />
und der Beruf - das Heiraten kommt dann schon.“<br />
Während des Studiums in der Türkei kam es dann<br />
in Gestalt eines Kommilitonen. Ihr heutiger Mann ist<br />
ebenfalls Lehrer, und mit ihren zwei Söhnen leben<br />
sie in Schöneberg.<br />
Ihren Alltag meistert Evrim Soylu, wie viele berufstätige<br />
Mütter, mit großem Organisationstalent. Das<br />
erlaubt ihr, sich neben der Arbeit, auch noch zum<br />
Thema Migrantinnen zu engagieren. Wie bei der<br />
Veranstaltung „Frauen der zweiten Generation“,<br />
die das <strong>Quartier</strong>smanagement Pankstraße mit dem<br />
„Türkischen Kulturverein“ organisiert hat. Natürlich<br />
kommt auch die Familie zum Zuge. „Wir treiben mit<br />
den Kindern Sport, lesen oder lernen mit ihnen. In<br />
den Ferien reisen wir ins Umland oder zeigen ihnen<br />
andere Städte wie München oder Stuttgart, wo<br />
mein Mann aufgewachsen ist. Im Sommer besuchen<br />
wir die Verwandten in der Türkei. Es ist wichtig, mit<br />
den Kindern etwas zu unternehmen; nur fernsehen<br />
oder diese Spiele, das schadet so!“<br />
Motivation und Selbstmotivation sind weitere<br />
„Mein Alltag fängt früh an: 5.30 Uhr aufstehen · Kinder wecken · Kurzes Frühstück · Um 6.45<br />
Uhr fahre ich in die Schule · Rückkehr: 14.30 Uhr · Haushalt machen · Essen vorbereiten · Gegen<br />
16 Uhr kommen meine Söhne · Mittagessen · Hausaufgaben · Später kommt der Vater ·<br />
Alles für den kommenden Morgen organisieren . Wenn die Kinder im Bett sind, trinke ich eine<br />
Tasse Tee und bereite den Unterricht am nächsten Tag vor. Natürlich gibt es auch Handicaps.<br />
Aber ich meine, dass jede Frau Familie und Beruf vereinen kann. Die Energie kommt, wenn<br />
man sich Ziele setzt.“<br />
Schlüsselbegriffe für Evrim Soylu. Im Vergleich zu ihrer Jugend sieht sie heute viel mehr Möglichkeiten:<br />
zum Beispiel in sozialen Einrichtungen, vor allem aber in „ihrer“ Schule. Die Trift-Grundschule<br />
im Wedding, an der sie seit 2004 arbeitet, unterrichtet von der ersten Klasse an in deutscher und<br />
türkischer Sprache.<br />
„Ich hänge sehr an der zweisprachigen Erziehung. Die Migrantenkinder trauen sich mehr zu äußern,<br />
fühlen sich akzeptiert, und ihr Selbstwertgefühl wird größer. Die deutschen Kinder lernen früh eine<br />
zweite Sprache – das ist immer von Vorteil, auch ökonomisch. Außerdem erfahren sie mehr über<br />
meine Kultur, die sie hier ja tagtäglich auch umgibt. An unserer Schule sind wir ein Ganzes! Dadurch<br />
wird der Hass gegen eine andere Kultur geringer.“ Dem Argument, man spreche ja zu Hause<br />
Türkisch, hält Evrim Soylu entgegen: „Warum lernen deutsche Kinder in der Schule Deutsch? -<br />
Integration ist nicht, die eigene Sprache zu verlernen.“<br />
Ein früherer Türkischlehrer prophezeite, dass mit ihren Türkischkenntnissen gar nichts aus ihr werde.<br />
Evrim Soylu hat gekämpft und „geackert“. Und der Lehrer hat sich gewaltig geirrt.<br />
Evrim Soylu liebt ihren Beruf. Das muss die junge Lehrerin nicht erwähnen; man spürt es<br />
nach wenigen Minuten. Am Ende unseres Gesprächs rutscht es der sympathisch lebhaften<br />
Frau mit dem dichten<br />
blonden Haar und<br />
dem roten Pulli doch<br />
noch heraus: „Ich liebe<br />
meinen Beruf. Darum<br />
springe ich auch bei<br />
jedem Wort gleich an<br />
und sage meine Meinung!“<br />
Sagt es und<br />
lacht.<br />
foto | caveng