2 Tage, 130 Veranstaltungen, an über 50 Orten - Wedding ...
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Wir sind <strong>Wedding</strong><br />
Im zweiten Jahr gibt das <strong>Wedding</strong><br />
Kulturfestival wieder den Blick frei<br />
auf die aktuelle Kunst- und Kulturproduktion<br />
im <strong>Wedding</strong>.<br />
Dabei erfasst es verstärkt auch den<br />
westlichen und nördlichen Teil des<br />
ehemaligen Arbeiterbezirks und schließt<br />
das Afrik<strong>an</strong>ische Viertel und den<br />
Brüsseler Kiez mit ein. Neu dabei<br />
ist die Musik im Brüsseler Kiez (10<br />
Orte, 10 <strong>Ver<strong>an</strong>staltungen</strong>) und am<br />
nördlichen Ende des <strong>Wedding</strong>s das<br />
Centre Fr<strong>an</strong>c˛ais. Ziel des gemeinsamen<br />
Vorhabens ist es, die kulturellen<br />
Potentiale sichtbar und erlebbar zu<br />
machen. An den <strong>Orten</strong>, <strong>an</strong> denen sich<br />
aktuelle Kunst und Kultur entwickeln,<br />
soll ein Einblick in die „Werkstätten<br />
der Kreativität“ gegeben werden.<br />
Durch die Wahrnehmbarkeit aktueller<br />
Kulturproduktion und vor allem bei<br />
freiem Eintritt <strong>an</strong> den unterschiedlichsten<br />
<strong>Orten</strong> zugleich, soll durch das<br />
Begreifen ein Beitrag zur Identität der<br />
Menschen mit Ihrem Raum gestiftet<br />
werden.<br />
Dabei macht das Festival ein bedeutendes<br />
Wesensmerkmal des <strong>Wedding</strong><br />
deutlich, seine Eigenschaft als Ort<br />
immer währender Tr<strong>an</strong>sformation. Nur<br />
in wenigen Teilen der Stadt folgten in<br />
so kurzer Zeit grundlegende und weitreichende<br />
Struktur- und Funktions-<br />
denkmalgeschützten Bauten und die,<br />
heute als Ufer Studios bezeichneten,<br />
Betriebswerkstätten der BVG.<br />
Nach der Zerstörung des Zweiten<br />
Weltkrieges folgte die Teilung Berlins,<br />
die den <strong>Wedding</strong> zum Sektorenr<strong>an</strong>dgebiet<br />
herabstufte. Der Wille zur Moderne<br />
aus dieser Zeit ließ im <strong>Wedding</strong><br />
viel Neues entstehen, was wenige<br />
Jahrzehnte d<strong>an</strong>ach nun selber wieder<br />
zur Umnutzung herausfordert. So ist<br />
ein Teil der heutigen Beuth-Hochschule<br />
ehemals Technische Fachhochschule<br />
Berlin zur Heimstätte des<br />
Atze Musiktheaters geworden. Die<br />
Deindustrialisierung in den 1980er<br />
Jahren, verbunden mit einem erheblichen<br />
Verlust <strong>an</strong> Arbeitsplätzen,<br />
sorgte für die Aneignung von historischen<br />
Gewerbekomplexen wie den<br />
Gerichtshöfen oder der Gerichtstraße<br />
23 durch Gewerbe in den Bereichen<br />
Kreativität, Kunst und Kultur.<br />
Gerade die Öffnung der Mauer, stellt<br />
den <strong>Wedding</strong> mit seinen verloren<br />
geg<strong>an</strong>genen städtischen Strukturen in<br />
Richtung des historischen Zentrums<br />
bis heute vor neue Herausforderungen.<br />
Veränderungen zeigen sich auch in<br />
der Aufgabe ehemals kommunaler<br />
Bauten und dem Entwickeln neuer<br />
tragfähiger Nutzungskonzepte im Kreativbereich<br />
wie es beim einstigen<br />
Fahrradtouren zum<br />
<strong>Wedding</strong> Kulturfestival<br />
KULTOUR<br />
änderungen. So war der <strong>Wedding</strong> mit<br />
seinen Windmühlen weitaus länger<br />
agrarisch geprägt als <strong>an</strong>dere Teile Berlins.<br />
Die Erinnerung <strong>an</strong> jene Zeit bleibt<br />
bis heute in den Namen wie der Müller-,<br />
der Trift-, oder Pl<strong>an</strong>tagenstraße<br />
wach. Die folgenden radialen Umbrüche<br />
setzten mit der Industrialisierung<br />
ein. Als Zeichen jener Epoche gelten<br />
u.a. die seit einigen Jahren mit neuen<br />
Impulsen versehenen Osram-Höfe.<br />
Die 1920er Jahre Moderne begegnet<br />
uns nicht nur in Bauten wie dem<br />
alten Rathaus <strong>Wedding</strong> - in dessen<br />
Erdgeschoss sich die Galerie <strong>Wedding</strong><br />
befindet, sondern in den zum Teil zum<br />
Weltkulturerbe erhobenen Siedlungen<br />
dieser Zeit. Für die grundlegenden<br />
Veränderungen und die gesellschaftliche<br />
Modernisierung stehen auch die<br />
städtischen Stadtbad in der Gerichtstraße<br />
oder der Feuerwache in der<br />
Stockholmer Straße heute geschieht.<br />
Das, was von den Beteiligten der<br />
jeweiligen Umbrüche als kollektive<br />
Anstrengungen erlebt wird, zeigt sich<br />
in der Rückschau als immerwährender<br />
pragmatischer Umg<strong>an</strong>g mit den<br />
Herausforderungen der jeweiligen<br />
Zeit. Das <strong>Wedding</strong> Kulturfestival bewegt<br />
sich entl<strong>an</strong>g dieser Brüche, spürt<br />
sie geradezu auf und thematisiert sie.<br />
Bei den Fahrradtouren entl<strong>an</strong>g des<br />
Festivals soll dies <strong>an</strong>schaulich werden.<br />
Über Einführungen zur Geschichte<br />
des <strong>Wedding</strong>s und Erläuterungen von<br />
Akteuren <strong>an</strong> den besuchten Ver<strong>an</strong>staltungsorten<br />
wird Kultur vor Ort lebendig.<br />
Dabei geht es am Samstag vom Leopoldplatz<br />
über den Friedhof Seestraße<br />
mit seinen Denkmalen, zum Centre<br />
Fr<strong>an</strong>çais, zurück durch das Afrik<strong>an</strong>ische<br />
Viertel, das zum kritischen Umg<strong>an</strong>g<br />
mit der deutschen Kolonialgeschichte<br />
Deutschl<strong>an</strong>ds geradezu<br />
aufruft, in den Brüsseler sowie den<br />
Sprengel Kiez und zum Leopoldplatz<br />
zurück.<br />
Am Sonntag führt die Kulturtour entl<strong>an</strong>g<br />
der P<strong>an</strong>ke zum Projektraumverbund<br />
Kolonie <strong>Wedding</strong> der letztes Jahr<br />
sein 10 Jähriges Jubiläum feierte, über<br />
das sp<strong>an</strong>nende Bauwerk der Bibliothek<br />
am Luisenbad, den Uferhallen und<br />
Uferstudios als einem neuen urb<strong>an</strong>en<br />
Ort im <strong>Wedding</strong>, dem Künstlerhaus<br />
Wiesenstraße 29, das sich erstmals<br />
der Öffentlichkeit vorstellt, über die<br />
sonst eher verschlossen wirkende<br />
wild rom<strong>an</strong>tische Ruinenl<strong>an</strong>dschaft<br />
der Wiesenburg, den Ver<strong>an</strong>staltungsort<br />
P<strong>an</strong>ke, die für ihre vielfältige Kunstproduktion<br />
bek<strong>an</strong>nten Gerichtshöfe,<br />
dem Stattbad <strong>Wedding</strong> als Kristallisationspunkt<br />
von Streetart und neuen<br />
urb<strong>an</strong>en und globalen Kunsttrends,<br />
durch die Lindower Straße zum Leopoldplatz<br />
zurück. Vielleicht können wir<br />
so gemeinsam und vor allem verkehrswirksam<br />
zeigen, dass sich der <strong>Wedding</strong><br />
auf seinem Weg zu Kunst und Kultur<br />
gerne auch umweltfreundlich bewegt.<br />
Eberhard Elfert<br />
4 WEDDINGKULTURFESTIVAL2012