Die Bergeller Alpen - outdoor guide
Die Bergeller Alpen - outdoor guide
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im blick<br />
im blick<br />
Ludwig Hohl, der Schweizer Untergrunddichter aus den<br />
Bergen, wusste als Randständiger aus eigener Erfahrung:<br />
Das Neue findet «in den Randbezirken, an den zerfasernden<br />
Orten der Nebenerscheinungen» statt. Interessant sei<br />
nicht die Mitte, das Zentrum, interessant seien die Aussengrenzen,<br />
die «hereinbrechenden Ränder». Was für die<br />
Literatur gilt, trifft im Bereich des prosaischen Wanderns<br />
genauso zu.<br />
geländegängigen Wanderern schon lange begehrt. Vom<br />
obersten <strong>Bergeller</strong> Dorf Maloja führt sie in vier Tagen über<br />
die Capanna del Forno, Albigna, Sciora und Sasc Furä bis<br />
nach Bondo, dem zweituntersten Dorf. Unterwegs sind<br />
alle Künste des gehobenen Wanderns gefragt: Leitern erklimmen,<br />
leichte Kletterpassagen meistern, über Gletscher<br />
balancieren, im beweglichen Geröll von Block zu Block<br />
hüpfen, Tiefblicke ertragen und dergleichen.<br />
5 Tag 2: Über den Fornogletscher zur Albignahütte.<br />
Also machen wir uns auf die Suche nach einer Randlage.<br />
Aus helvetischer Perspektive ist dies beispielsweise<br />
– und zweifellos – Graubünden. Und dort, im Kanton der<br />
150 Täler, wiederum ein Aussenposten wie das Bergell: abgelegen,<br />
von der Schweiz her nur via das Oberengadin zu<br />
erreichen, links und rechts hohe Berge, talauswärts auch<br />
nicht wirklich offen. Talauswärts, das wäre dann übrigens<br />
Italien. Womit das Bergell nicht nur Rand ist, sondern auch<br />
Grenze. Geografische, landschaftliche, zivilisatorische,<br />
touristische, natürliche, kulturelle Grenze. Und das Gute<br />
an einer Grenze: Sie ist gleich doppelt Rand, von beiden<br />
Seiten her. Tatsächlich sind die ans Bergell angrenzenden<br />
Valmalenco und Valmasino aus italienischer Sicht ebenfalls<br />
absolute Peripherie, so weit weg von Rom wie nur etwas.<br />
Bergell, Valmalenco und Valmasino: Das sind «Nebenerscheinungen»<br />
wie aus dem Bilderbuch. Rand pur.<br />
Doch statt zuletzt nach Bondo abzusteigen, setzen wir unseren<br />
abenteuerlichen Weg in einem ausholenden Bogen<br />
um den legendären Kletterberg Pizzo Badile fort, um so<br />
zum Sentiero Roma zu gelangen, der eine noch ältere Tradition<br />
aufweist: 1928 offiziell eröffnet, und dem damaligen<br />
nationalistischen Zeitgeist entsprechend nach der italienischen<br />
Hauptstadt benannt, verbindet er auf langen und<br />
anspruchsvollen Etappen die Rifugi Gianetti, Allievi und<br />
Ponti. Das Gelände ist noch eine Spur fordender als auf der<br />
Schweizer Seite. Es bedingt sicheren Allpfotantrieb und<br />
auch in Sachen Kondition verlangen die Etappen mehr.<br />
Dabei werden weite Talkessel gequert, die man auf den<br />
ersten Blick nicht zu schaffen glaubt. Dominiert beim Sentiero<br />
Alpino Bregaglia noch die senkrechte Dimension, das<br />
stete Auf und Ab der Bergketten und -kreten, so vermittelt<br />
der Sentiero Roma einen ebenso einmaligen Eindruck von<br />
…und über Geröll zur Sasc-Furä-Hütte.<br />
5<br />
Tag 3: Auf Leitern zur Capanna Sciora…<br />
Weite und von zurückgelegten Distanzen.<br />
Tag 4: Steil rauf und runter zur Gianetti.<br />
<br />
Perfekte Mogelpackungen<br />
Wer zum Kern dieser Randlage vorstossen will, macht dies<br />
am besten zu Fuss. Dazu bieten sich zwei bestehende Trekkings<br />
an, die von Hütte zu Hütte führen: schweizseits der<br />
Sentiero Alpino Bregaglia, italienseits der Sentiero Roma.<br />
<strong>Die</strong> Bezeichnung ist allerdings mehr als bloss irreführend,<br />
sie ist eine Mogelpackung sondergleichen. Sentiero<br />
könnte man mit Wanderweg übersetzen, in Wirklichkeit<br />
jedoch sind beide Routen schwierige Trekkings. Sie erfordern<br />
Kondition, Schwindelfreiheit, Erfahrung in alpinem<br />
Gelände, herzhaftes Zupacken an senkrechten Leitern<br />
und Ketten, Kraxelgeschick, Orientierungsvermögen usw.<br />
Auf der nach oben nicht offenen SAC-Wanderskala, die<br />
von T1 bis T6 reicht, sind beide Sentieri gute, satte T5er.<br />
Definitiv nix für Turnschuhtouristen. Wer aber Grenzerfahrungen<br />
sucht, und nicht nur geografische, kommt hier gut<br />
auf seine Kosten.<br />
Da wäre also zuerst der Sentiero Alpino Bregaglia. Sein<br />
Name ist neu, wir verdanken ihn dem SAC-Führer 2006<br />
von Ruedi Meier. Doch die Route ist unter ambitionierten,<br />
An sich würde der Sentiero Roma beim Rifugio Ponti enden,<br />
weshalb die meisten Besucher von hier aus direkt ins<br />
Tal absteigen. Wir wählen aber auch hier ein Sonderzüglein<br />
und wechseln ins Valmalenco hinüber und hängen dort<br />
noch zwei Wandertage und Hüttennächte an, ehe uns ein<br />
letzter Effort zurück nach Maloja führt, wo sich die grosse<br />
Runde am Rande neun Tage nach dem Start schliesst.<br />
Neun Tage, die grosse Gefühle garantieren. Wandertechnische<br />
und noch mehr landschaftliche.<br />
Landschaften im Rohzustand<br />
Denn Geiz kann man der Natur nicht vorwerfen, weder<br />
dies- noch jenseits der Grenze. Wilde Felsgebilde prägen<br />
die Gegend soweit das Auge reicht, befinden wir uns doch<br />
im jüngsten Gebirgsmassiv der <strong>Alpen</strong>: Nur etwa 30 Millionen<br />
Jahre alt ist der <strong>Bergeller</strong> Granit, aus dem Untergrund<br />
emporgeschossen, als die übrigen Bergketten schon alle da<br />
waren. Dank seiner Jugend ist das Gestein noch frisch, kantig,<br />
ungehobelt, erhebt sich in rohen Türmen und scharfen<br />
Graten, weist Formen auf, die anderswo längst geschliffen<br />
44 |<strong>outdoor</strong> <strong>guide</strong>|sommer|09<br />
<strong>outdoor</strong> <strong>guide</strong>|sommer|09|45