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Die Bergeller Alpen - outdoor guide

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im blick<br />

im blick<br />

Text und Fotos: Marco Volken<br />

Geniale Randlage:<br />

die <strong>Bergeller</strong> <strong>Alpen</strong><br />

Ein kühner<br />

Balanceakt am<br />

Ende der Schweiz<br />

Zwei so legendäre wie schwierige Wanderrouten<br />

führen quer durch die <strong>Bergeller</strong> <strong>Alpen</strong>: im<br />

Norden der Sentiero Alpino Bregaglia, im Süden<br />

der Sentiero Roma. Dazwischen liegt nicht nur<br />

die Landesgrenze, sondern eine der eindrücklichsten,<br />

faszinierendsten Gebirgslandschaften des<br />

ganzen <strong>Alpen</strong>bogens.<br />

42 |<strong>outdoor</strong> <strong>guide</strong>|sommer|09<br />

<strong>outdoor</strong> <strong>guide</strong>|sommer|09|43


im blick<br />

im blick<br />

Ludwig Hohl, der Schweizer Untergrunddichter aus den<br />

Bergen, wusste als Randständiger aus eigener Erfahrung:<br />

Das Neue findet «in den Randbezirken, an den zerfasernden<br />

Orten der Nebenerscheinungen» statt. Interessant sei<br />

nicht die Mitte, das Zentrum, interessant seien die Aussengrenzen,<br />

die «hereinbrechenden Ränder». Was für die<br />

Literatur gilt, trifft im Bereich des prosaischen Wanderns<br />

genauso zu.<br />

geländegängigen Wanderern schon lange begehrt. Vom<br />

obersten <strong>Bergeller</strong> Dorf Maloja führt sie in vier Tagen über<br />

die Capanna del Forno, Albigna, Sciora und Sasc Furä bis<br />

nach Bondo, dem zweituntersten Dorf. Unterwegs sind<br />

alle Künste des gehobenen Wanderns gefragt: Leitern erklimmen,<br />

leichte Kletterpassagen meistern, über Gletscher<br />

balancieren, im beweglichen Geröll von Block zu Block<br />

hüpfen, Tiefblicke ertragen und dergleichen.<br />

5 Tag 2: Über den Fornogletscher zur Albignahütte.<br />

Also machen wir uns auf die Suche nach einer Randlage.<br />

Aus helvetischer Perspektive ist dies beispielsweise<br />

– und zweifellos – Graubünden. Und dort, im Kanton der<br />

150 Täler, wiederum ein Aussenposten wie das Bergell: abgelegen,<br />

von der Schweiz her nur via das Oberengadin zu<br />

erreichen, links und rechts hohe Berge, talauswärts auch<br />

nicht wirklich offen. Talauswärts, das wäre dann übrigens<br />

Italien. Womit das Bergell nicht nur Rand ist, sondern auch<br />

Grenze. Geografische, landschaftliche, zivilisatorische,<br />

touristische, natürliche, kulturelle Grenze. Und das Gute<br />

an einer Grenze: Sie ist gleich doppelt Rand, von beiden<br />

Seiten her. Tatsächlich sind die ans Bergell angrenzenden<br />

Valmalenco und Valmasino aus italienischer Sicht ebenfalls<br />

absolute Peripherie, so weit weg von Rom wie nur etwas.<br />

Bergell, Valmalenco und Valmasino: Das sind «Nebenerscheinungen»<br />

wie aus dem Bilderbuch. Rand pur.<br />

Doch statt zuletzt nach Bondo abzusteigen, setzen wir unseren<br />

abenteuerlichen Weg in einem ausholenden Bogen<br />

um den legendären Kletterberg Pizzo Badile fort, um so<br />

zum Sentiero Roma zu gelangen, der eine noch ältere Tradition<br />

aufweist: 1928 offiziell eröffnet, und dem damaligen<br />

nationalistischen Zeitgeist entsprechend nach der italienischen<br />

Hauptstadt benannt, verbindet er auf langen und<br />

anspruchsvollen Etappen die Rifugi Gianetti, Allievi und<br />

Ponti. Das Gelände ist noch eine Spur fordender als auf der<br />

Schweizer Seite. Es bedingt sicheren Allpfotantrieb und<br />

auch in Sachen Kondition verlangen die Etappen mehr.<br />

Dabei werden weite Talkessel gequert, die man auf den<br />

ersten Blick nicht zu schaffen glaubt. Dominiert beim Sentiero<br />

Alpino Bregaglia noch die senkrechte Dimension, das<br />

stete Auf und Ab der Bergketten und -kreten, so vermittelt<br />

der Sentiero Roma einen ebenso einmaligen Eindruck von<br />

…und über Geröll zur Sasc-Furä-Hütte.<br />

5<br />

Tag 3: Auf Leitern zur Capanna Sciora…<br />

Weite und von zurückgelegten Distanzen.<br />

Tag 4: Steil rauf und runter zur Gianetti.<br />

<br />

Perfekte Mogelpackungen<br />

Wer zum Kern dieser Randlage vorstossen will, macht dies<br />

am besten zu Fuss. Dazu bieten sich zwei bestehende Trekkings<br />

an, die von Hütte zu Hütte führen: schweizseits der<br />

Sentiero Alpino Bregaglia, italienseits der Sentiero Roma.<br />

<strong>Die</strong> Bezeichnung ist allerdings mehr als bloss irreführend,<br />

sie ist eine Mogelpackung sondergleichen. Sentiero<br />

könnte man mit Wanderweg übersetzen, in Wirklichkeit<br />

jedoch sind beide Routen schwierige Trekkings. Sie erfordern<br />

Kondition, Schwindelfreiheit, Erfahrung in alpinem<br />

Gelände, herzhaftes Zupacken an senkrechten Leitern<br />

und Ketten, Kraxelgeschick, Orientierungsvermögen usw.<br />

Auf der nach oben nicht offenen SAC-Wanderskala, die<br />

von T1 bis T6 reicht, sind beide Sentieri gute, satte T5er.<br />

Definitiv nix für Turnschuhtouristen. Wer aber Grenzerfahrungen<br />

sucht, und nicht nur geografische, kommt hier gut<br />

auf seine Kosten.<br />

Da wäre also zuerst der Sentiero Alpino Bregaglia. Sein<br />

Name ist neu, wir verdanken ihn dem SAC-Führer 2006<br />

von Ruedi Meier. Doch die Route ist unter ambitionierten,<br />

An sich würde der Sentiero Roma beim Rifugio Ponti enden,<br />

weshalb die meisten Besucher von hier aus direkt ins<br />

Tal absteigen. Wir wählen aber auch hier ein Sonderzüglein<br />

und wechseln ins Valmalenco hinüber und hängen dort<br />

noch zwei Wandertage und Hüttennächte an, ehe uns ein<br />

letzter Effort zurück nach Maloja führt, wo sich die grosse<br />

Runde am Rande neun Tage nach dem Start schliesst.<br />

Neun Tage, die grosse Gefühle garantieren. Wandertechnische<br />

und noch mehr landschaftliche.<br />

Landschaften im Rohzustand<br />

Denn Geiz kann man der Natur nicht vorwerfen, weder<br />

dies- noch jenseits der Grenze. Wilde Felsgebilde prägen<br />

die Gegend soweit das Auge reicht, befinden wir uns doch<br />

im jüngsten Gebirgsmassiv der <strong>Alpen</strong>: Nur etwa 30 Millionen<br />

Jahre alt ist der <strong>Bergeller</strong> Granit, aus dem Untergrund<br />

emporgeschossen, als die übrigen Bergketten schon alle da<br />

waren. Dank seiner Jugend ist das Gestein noch frisch, kantig,<br />

ungehobelt, erhebt sich in rohen Türmen und scharfen<br />

Graten, weist Formen auf, die anderswo längst geschliffen<br />

44 |<strong>outdoor</strong> <strong>guide</strong>|sommer|09<br />

<strong>outdoor</strong> <strong>guide</strong>|sommer|09|45


im blick<br />

5<br />

Tag 6: Blick über viele Granitgrate hinweg bis zum Monte Rosa.<br />

und geschleift wurden, der Erosion anheimgefallen sind,<br />

welk wirken. Felsstürze, die Kinderkrankheiten der Berge,<br />

sind hier keine Seltenheit. Aber auch wunderbar rauhe,<br />

rissdurchsetzte Felswände, wie sie die Kletterer lieben.<br />

Nicht umsonst gilt das Bergell beidseits der Wasser- und<br />

Staatsscheide als Traumdestination für grosse Felstouren.<br />

Dann gibt es markante Berge. Kühn wie ein Himalaja-<br />

Riese, der auf allen Seiten freistehende Monte Disgrazia.<br />

Steil und glatt wie ein polierter Reisszahn, der Picco Luigi<br />

Amedeo. Barock mit ihren vielen Pfeilern und Säulen, die<br />

Gruppe zwischen Pizzo di Zocca und Cima di Castello.<br />

Wuchtig, mit der höchsten Wand Graubündens, der Pizzo<br />

Cengalo. Eindrücklich, mit seinen spiegelglatten Plattenschüssen,<br />

der Pizzo Badile. Elegant aufragend wie Dolomitenzinnen,<br />

die vier Sciora-Gipfel.<br />

Dann gibt es Geröll in den unterschiedlichsten Grössen<br />

und Ausführungen. Mal sind es vom Gletscher glattpolierte<br />

Kugeln, so gross wie Wassermelonen, die bei der<br />

kleinsten Berührung nachgeben und ins Rollen geraten.<br />

Oder kieselgrosse Schotter, im Abstieg wunderbar nachgebend<br />

und mitrutschend, im Aufstieg leider auch. Hausgrosse<br />

Blöcke, an denen man herumturnen kann, wie bei<br />

der Sciorahütte. Oder Sand, so fein, quarzig und glitzernd<br />

wie an keinem Strand.<br />

Und es gibt Eis und Firn. Den zweitgrössten Eisstrom<br />

Graubündens, den Fornogletscher. Den sechstgrössten,<br />

den Vadrec da l’Albigna, dessen Zunge bis zum gleichnamigen<br />

See reicht. Den zerrissenen, wild verspalteten<br />

Vadrec da la Bondasca, vor dessen Spaltenlabyrinth selbst<br />

Spitzenbergsteiger ab und an kapitulieren müssen. <strong>Die</strong><br />

eisgepanzerte Nordseite des Disgrazia. Und weiter: Kargletscher.<br />

Hängegletscher. Schuttbedecktes Eis. Firnfelder<br />

in beliebiger Anzahl. Lawinenreste.<br />

Wer karge Natur mag, wird auf der Umrundung der <strong>Bergeller</strong><br />

<strong>Alpen</strong> lauter betörende Details entdecken, grosse und<br />

kleine, von faszinierendem Grau, Blau und Weiss. Mehr<br />

als 50 Wanderstunden lang, mehr als 80 Kilometer weit,<br />

mehr als 8000 Höhenmeter rauf und runter. Kein Zweifel:<br />

<strong>Die</strong>ses Gebiet an der Schnittstelle der zwei alpinsten Länder<br />

Europas ist unsere Ultima Thule. Unsere Last Frontier.<br />

Unser Feuerland. Unser Baltoro. Unsere Wildnis. Unser<br />

«hereinbrechender Rand».<br />

]<br />

Infos<br />

Beim <strong>outdoor</strong> <strong>guide</strong> kann ein ausführliches Infoblatt zu<br />

dem im Text beschriebenen Trekking im Bergell mit vie len<br />

nützlichen Tipps bezogen werden. Anfragen per Post mit<br />

frankiertem Antwortcouvert an: <strong>outdoor</strong> <strong>guide</strong>, Fleubenstrasse<br />

6, 9450 Altstätten. Via Website www.<strong>outdoor</strong>-<strong>guide</strong>.ch<br />

oder per E-Mail: redaktion@<strong>outdoor</strong>-<strong>guide</strong>.ch.<br />

Erlebnis<br />

Kerstin Bierl<br />

MTB Touren<strong>guide</strong><br />

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