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Aktualisierte In foma ppe zur Expedition

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Aber auch jenseits der paar hundert versprengten Siedler am<br />

weltabgeschiedenen Mittelstück der Straße - auf den ersten Blick ist<br />

nichts logischer als der Ausbau. Denn Manaus, eine florierende Zwei-<br />

Millionen-Stadt mit einer gewaltigen industriellen Produktion, hat zwar<br />

eine Straßenverbindung nach Venezuela, aber keine nach Süd-<br />

Brasilien.<br />

Ein halbes Jahrhundert lang hatte Manaus nach dem jähen Ende des<br />

Kautschukbooms dahingedämmert, bis 1967 eine Freihandelszone<br />

gegründet wurde und dann begonnen wurde, mit massiven<br />

Steuererleichterungen die <strong>In</strong>dustrialisierung an diesem entlegenen<br />

Standort anzukurbeln. Ein spektakulärer Erfolg: Heute fertigen über 500<br />

Firmen Massenkonsumgüter für den expandierenden Binnenmarkt<br />

Brasiliens. Die Apartmentblocks und Shopping-Paläste wachsen in den<br />

Himmel, nur Rio und São Paulo haben ein höheres Bruttoinlandsprodukt<br />

pro Kopf. Manaus durchlebt goldene Jahre, gegen die der Glanz des<br />

Kautschuk-Booms verblasst.<br />

Aber Computer, Handys, Fernseher, Motorräder – praktisch die gesamte Jahresproduktion, die 2007 den Wert von<br />

24,5 Milliarden Dollar hatte, verlässt die Stadt per Schiff: Den ganzen Amazonas hinunter nach Belém, und von dort<br />

fahren Lastwagen 3000 Kilometer weit zu den Märkten in Süd-Brasilien. „Eine schwere Benachteiligung von<br />

Manaus“, wettert Handelskammer-Präsident Gaitano Pereira, ein glühender Verfechter des Ausbaus. Aber die<br />

<strong>In</strong>dustrieproduktion lief schon auf Hochtouren, als es die Straße noch gab, und dennoch verfiel sie. So nötig kann sie<br />

für Manaus also nicht sein.<br />

Im Gegenteil: Ihre Nicht-Existenz ist ein riesiger Vorteil. Im Bundesstaat Amazonas steht der Urwald noch zu 98<br />

Prozent, weil sich Besiedlung und Beschäftigung auf Manaus konzentrieren. Außerhalb der Hauptstadt leben nur gut<br />

eine Million Menschen auf einer Fläche dreimal so groß wie Frankreich, und das halbwegs in Einklang mit der Natur.<br />

Ganz anders im erschlossenen Pará, dem östlichen Nachbarstaat: Hier kreischen die Motorsägen, hier qualmen die<br />

Holzkohlemeiler. <strong>In</strong> Pará eignen sich die so genannten Grileiros mit Bestechung und gefälschten Besit<strong>zur</strong>kunden das<br />

Staatsland an, in Pará vertreiben ihre Pistoleiros die kleinen Siedler – und immer sind es die Straßen, von denen aus<br />

das berüchtigte Fischgräten-Muster der Zerstörung in den Urwald gezeichnet wird.<br />

Marli Schroeder wäre vor achtzehn Jahren am liebsten sofort wieder umgekehrt, als sie, mit ihrer ersten Tochter<br />

schwanger, hier hochkam und das Land sah, auf dem sie und ihr Mann heute leben. „Der Verkäufer sagte damals, die<br />

BR wird nächstes Jahr ausgebaut“, erinnert sich Wirson Schroeder, „und ob sie jetzt wirklich kommt? Das glaub’ ich<br />

erst, wenn sie die gelben Striche auf den Asphalt malen“. Die Schroeders verließen Süd-Brasilien, weil es dort kein<br />

Land mehr gab, heute bewirtschaften sie zusammen mit zwei verwandten Familien eine tausend Hektar große Farm<br />

mit 450 Rindern – eine Kolonie blonder, blauäugiger Brasilianer, von denen nur die Älteren noch das kehlige Deutsch<br />

der Vorväter sprechen.<br />

Die Schroeders sind, von Süden aus gesehen, der letzte Posten der Zivilisation; nördlich von ihnen wohnt 250<br />

Kilometer lang praktisch niemand mehr an der Straße. Auch sie hoffen inständig auf den Ausbau. „Die Hälfte des<br />

Jahres können wir die Rinder nicht vermarkten“, sagen sie und zeigen Fotos von Traktoren und Lastwagen vor, die in<br />

der Regenzeit im Schlamm stecken. Wäre die Straße asphaltiert, kämen sie in zweieinhalb Stunden zum Schlachthof<br />

nach Humaitá.<br />

„Wir können den Nachteil unserer entlegenen Lage in der Kalkulation kaum noch ausgleichen“, sagt Wirson<br />

Schroeder und rechnet vor, was allein der Diesel für den Generator kostet. Sie denken deshalb immer wieder über<br />

Alternativen nach – Käse machen, Säfte herstellen, Touristen herumführen -, aber solange die Straße nur aus<br />

Schlamm und Schlaglöchern besteht, geht das alles nicht. Allerdings sehen sie auch die Nachteile: „Vor den Grileiros<br />

habe ich Angst“, sagt Marli Schroeder offen. Sie wären nicht die ersten, die mit Gewalt vertrieben würden, weil durch<br />

eine Straße der Wert des Landes steigt.<br />

„Heute herrscht ein Bevölkerungsdruck, den es in den Achtzigern nicht gab“, warnt der US-Biologe Philip Fearnside<br />

vom renommierten <strong>In</strong>pa-Forschungsinstitut in Manaus, „und denken Sie an die 21 000 Menschen, die bei Porto Velho<br />

<strong>zur</strong>zeit die beiden riesigen Wasserkraftwerke bauen – was passiert wohl, wenn die fertig sind?“ Er schätzt, dass links<br />

und rechts des besonders gefährdeten Mittelstücks, das anders als die Abschnitte näher bei Manaus und Porto Velho<br />

noch intakt ist, über fünf Millionen<br />

Hektar an artenreichem Primärwald –<br />

verschwinden würden.<br />

Brasiliens Naturschutzbehörde Ibama hat deshalb, dem<br />

politischen Druck zum Trotz, die Umweltgenehmigung<br />

für den Ausbau des Mittelstücks noch nicht erteilt. Sie<br />

beharrt darauf, dass entlang der Straße nicht nur Naturschutzgebiete<br />

ausgewiesen, sondern auch die Voraussetzung<br />

für deren wirksame Überwachung geschaffen<br />

werden – und zwar vor der Lizenzerteilung. Politisch ist<br />

das akzeptiert; Präsident Lula bezeichnet die BR 319<br />

schon als „Park-Straße“. Aber wie die Überwachung<br />

aussehen soll und ob sie wirklich klappt, was dafür<br />

zusätzlich zu den Baukosten von 280 Millionen Euro zu<br />

veranschlagen wäre und ob das durch den ohnehin<br />

fraglichen Nutzen der Straße gerechtfertigt wäre,<br />

das ist unklar.<br />

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