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Aktualisierte In foma ppe zur Expedition

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Der "Dschungel-Highway" - die geheimnissvolle "BR 319"<br />

Von Wolfgang Kunath<br />

Die BR 319 verläuft etwa 900 km westlich parallel zum Rio Madeira. Sie verband Manaus im Bundesstaat<br />

Amazonas mit Porto Velho im Bundesstaat Rondônia, bis sie 1988 unpassierbar wurde.<br />

Brasilien will eine seit Jahrzehnten verfallene Straße durch den Dschungel reaktivieren. Der wirtschaftliche<br />

Nutzen ist fraglich, die Ökologen fürchten großflächige Abholzung in einem der größten noch<br />

intakten Waldgebiete des Amazonasbeckens.<br />

Hinter dem Haus knattert der Generator, das Fernsehbild in der Kneipe von Joelsons Vaters ist blass<br />

und verrauscht, und in der Küche flattert ab und zu kreischend ein papageiengrüner Papagei herum.<br />

„Wir alle hier hoffen auf ein besseres Leben“, sagt Joelson, und für ihn und seine Familie beginnt sich<br />

die Hoffnung schon zu erfüllen. Denn seit sich hier, am Rio Tupana, der Fortschritt eingestellt hat, ist<br />

der Umsatz ihres Gasthauses um 80 Prozent gestiegen.<br />

Die Holzveranda, auf der die Billardtische stehen, bietet einen schönen Panoramablick auf den Fort -<br />

schritt: Die hohen Pfeiler einer Betonbrücke, die bald drei-, vierhundert Meter weit das Tal des Rio<br />

Tupana überspannen wird. Jetzt, in der Trockenzeit, ist der träge, dunkle Fluss so schmal wie die wenigen Lastwagen<br />

lang sind, die sich vorsichtig über den vertäuten Schwimmponton tasten und dann wie erleichtert die kaum befestigte<br />

Uferböschung hochkeuchen.<br />

350 Kilometer weiter südlich hat sich der Dschungel den Fortschritt von gestern einverleibt. An der von Asphaltresten<br />

gesprenkelten Lehmstraße liegt, vom dichten Urwald fast verschluckt, eine verfallene Tankstelle. Die Bleche und die<br />

Zähler der Zapfsäulen sind demontiert, ölgeschwärzte Rohre verschwinden im Betonboden, in dessen Rissen<br />

hüfthohes Unkraut wurzelt. Darüber ein halb herabgestürztes Dach, von dem leere Glühbirnenfassungen baumeln.<br />

„Posto Piquiá, BR 319, km 500“ steht grün auf gelb auf einem runden Zylinder für Dieselöl.<br />

<strong>In</strong> den Siebzigern ließ die Militärregierung die Bundesstraße BR 319 durch den Busch schlagen. Von der früheren<br />

Kautschuk-Metropole Manaus aus führt sie knapp 900 Kilometer südwestlich bis nach Porto Velho, fast an der<br />

bolivianischen Grenze. Sie zu bauen war damals eine strategische Entscheidung. Das kaum besiedelte<br />

Amazonasbecken sollte erschlossen, mit dem Rest Brasiliens verbunden und dadurch gegen Annexion von außen<br />

geschützt werden; dass das passieren könnte, ist eine bis heute weit verbreitete Obsession. Wirtschaftlich freilich war<br />

die Straße überflüssig. Bis Ende der Achtziger verfiel sie nach und nach.<br />

Dass sie nicht wieder völlig zugewachsen ist, verdankt sie dem <strong>In</strong>ternet. Denn das Glasfaserkabel, das Manaus mit<br />

dem südlichen Brasilien verbindet, folgt der Trasse der BR 319, die deshalb notdürftig von der Betreibergesellschaft<br />

instand gehalten wird. Die hat, lange bevor das Kabel gelegt wurde, alle 40 Kilometer Metallgitter-Türme für<br />

Radioübertragung errichtet, die Vorgänger-Technologie <strong>zur</strong> Glasfaser, die jedoch als Reservesystem erhalten wird,<br />

weil das Kabel immer wieder von Buschbränden versengt wird.<br />

Im Zaun an der Basis der Türme klaffen Löcher, die, so sagen Ortsansässige,<br />

die Fußgänger geöffnet haben, die nachts Schutz vor dem Jaguar suchen. Man<br />

kann hindurchschlüpfen und die rotweiß gestrichenen Metallleitern<br />

hinaufklettern, fünfzig, siebzig, neunzig Meter hoch. Oben eröffnet sich ein<br />

Panorama friedlicher Monotonie: Bis zum Horizont nichts als intaktes, dichtes<br />

Grün, das vom rötlichen Schnitt der Straße halbiert wird.<br />

Nun will die Regierung die BR 319 wieder herstellen und ausbauen - ein<br />

populäres Projekt, das nirgends populärer ist als an der BR 319, vor allem an<br />

ihrem verlassenen, verfallenen Mittelstück. „Dann wird es endlich Arbeit geben -<br />

Mann, ich würde jeden Job annehmen“, sagt Marco Alves de Carmo, 25, der,<br />

das Gewehr geschultert, mit seiner erst 12-jährigen Gefährtin <strong>In</strong>grides auf der<br />

staubigen Erdstraße unterwegs ist. Im Busch haben sie ein Feld, zusätzlich<br />

leben sie von der Jagd auf Tapir, Waldschwein und Jaguar. Marco sieht nur<br />

Vorteile: „Heute kommst du bloß zum Arzt, wenn du ein Auto anhältst, aber wann<br />

fährt hier schon mal eins“.<br />

„Weil es eben die Wirklichkeit ist“, antwortet der Ladenbesitzer auf die Frage, wie<br />

diese unwirkliche Ansiedlung im Busch zu ihrem Namen Realidade gekommen<br />

ist. Als stünde die Zeit still: Das Sägewerk hat zugemacht, ein paar Dutzend früher angesiedelte Familien sind hängen<br />

geblieben, die Älteren trauern den alten Zeiten nach. „Früher haben wir fünf, sechs Schweine die Woche<br />

geschlachtet“, erinnert sich eine ältere Frau, „da kamen täglich acht Linienbusse und jede Menge Lastwagen durch,<br />

was meinen Sie, wie gut das damals lief mit dem Essensverkauf!“<br />

Mit der wiederhergestellten Straße, da sind sie sich alle im Dorfladen einig, könnte man mehr Mais, mehr Reis, mehr<br />

Fleisch produzieren, weil man besseren Marktzugang hätte. Aber würden dann nicht neue Siedler herbeiströmen,<br />

würde dann nicht mehr Wald gerodet? „Die Armen müssen arbeiten, um zu essen, aber ihr Ausländer wollt es ihnen<br />

verbieten“, erregt sich einer, „und unsere Regierung macht da auch noch mit!“<br />

Der Ausbau der BR 319 ist Teil des 200- Milliarden-Euro-Programms, mit dem die Regierung in Brasília das Land<br />

modernisieren will. Transportminister Alfredo Nascimento, ein früherer Bürgermeister von Manaus, möchte mit dem<br />

Projekt die Wahl zum Gouverneur des Bundesstaates Manaus gewinnen.<br />

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