BEST OF Otto Brenner Preis 2010 - Otto Brenner Shop
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der DDR in Physik promoviert. In den<br />
vergangenen zehn Jahren ist sie in den<br />
größeren Zeitungen, von den kleinen<br />
rede ich heute nicht, mehr als 1600 mal<br />
als „Physikerin“ tituliert worden, hunderte<br />
Male als „promovierte Physikerin“.<br />
Der Begriff wurde sehr oft eingesetzt,<br />
um ihren Charakter zu beschreiben. Vor<br />
allem, als es während des Bundestagswahlkampfes<br />
2005 darum ging, Merkel<br />
gegenüber Schröder stark zu machen,<br />
wurde ihr Beruf für sie ins Feld geführt.<br />
Ich zitiere – pars pro toto – aus einem<br />
zeitgenös sischen Artikel in der „Süddeutschen<br />
Zeitung“: „Angela Merkel ist<br />
Physikerin. Sie ist gewohnt, die Dinge<br />
von ihrem Ende her zu denken.“<br />
Ja, ganz im Gegensatz zu – sagen wir<br />
– Metzgern, die wissen, dass jede Wurst<br />
zwei Enden hat, denkt Frau Merkel nur<br />
von einem Ende her. Erstaun licherweise<br />
hat aber auch jeder Metzger die<br />
Angewohnheit, die Dinge „von ihrem<br />
Ende her“ zu denken, im Bezug auf die<br />
Frage nämlich, was er machen muss,<br />
damit sein Geschäft läuft und er bei Jahresende<br />
nicht verschuldet ist. Soviel dazu,<br />
was Angela Merkel als „promovierter<br />
Physikerin“ alles zugute gehalten wird.<br />
Als die Presse 2005 Gerhard Schröder<br />
mehr oder minder unisono runtergeschrieben<br />
hat, wurde aus dem Umstand,<br />
dass Angela Merkel 1986 in<br />
Physik promovierte, alles Mögliche<br />
gemacht. Heute, da die Presse mehr<br />
oder minder unisono für Frau Merkel<br />
nichts mehr übrig hat, hält auch wieder<br />
ihr Studium zur Erklärung her, dies zum<br />
Beispiel unter dem Titel „Das Ende der<br />
Physik“. In dem Artikel wurde übrigens<br />
nicht ihre falsche Politik, sondern ihre<br />
mangelnde Emotionalität beklagt.<br />
Personalisierung ist eine feine Sache.<br />
Wer mag schon erklären, was es mit der<br />
Föderalismusreform auf sich hat? Wer<br />
mag uns näher Einblick geben in die<br />
Wege und Umwege der EU-Verwaltung?<br />
Und vor allem: Wer dankt es den Autoren,<br />
die das tun? Viel einfacher ist es,<br />
derlei Dinge anhand eines Menschen,<br />
eines Politikers darzustellen. Das macht<br />
zwar nichts verständlich, füllt aber das<br />
aus, was die Leute, die in einer Zeitung<br />
für die Werbeanzeigen zuständig sind,<br />
als „Restraum“ bezeichnen. Wenn man<br />
sich als Journalist damit zufrieden gibt,<br />
vom Beruf eines Menschen auf seinen<br />
Charakter zu schließen, hat man auch<br />
nicht viel Arbeit mit einem Porträt. Diese<br />
Haltung wird weithin befördert. Die<br />
meisten Chefredaktionen brauchen Leute,<br />
die viel schreiben – wenn sie keinen<br />
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