Ein neues Leitbild für den Sozialstaat - Sozialpolitik aktuell
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7. Jenseits von Radikalkritik und Defensive: Politik mit dem <strong>Sozialstaat</strong><br />
Nachdem uns das Bild des demokratischen <strong>Sozialstaat</strong>s nun etwas plastischer und<br />
farbiger vor Augen steht, wollen wir in einem letzten Schritt Bilanz ziehen und dieses<br />
Bild systematisch mit jenen allgemeinen Kriterien abgleichen, die wir vorab zur<br />
kritischen Beurteilung sozialpolitischer Gestaltungskonzepte entwickelt haben. Die<br />
Erfüllung dieser Kriterien entscheidet darüber, ob unser Bild vom demokratischen<br />
<strong>Sozialstaat</strong> auch tatsächlich als <strong>Leitbild</strong> fungieren, sprich das sozialpolitische<br />
Gestaltungshandeln politischer und gesellschaftlicher Akteure anleiten und in dieser<br />
Orientierungsfunktion das bisher gültige <strong>Leitbild</strong> vom erwerbsarbeitszentrierten<br />
<strong>Sozialstaat</strong> ablösen kann. Der Abgleich mit besagtem Kriterienkatalog zeigt u.E., dass<br />
eine am <strong>Leitbild</strong> des demokratischen <strong>Sozialstaat</strong>s orientierte Politik in der Tat – und im<br />
Gegensatz zu <strong>den</strong> gegenwärtig diskutierten und implementierten „Reform“-Vorhaben –<br />
die Gewähr bietet, die Leistungsmängel, Finanzierungsprobleme und<br />
Gerechtigkeitsdefizite der bestehen<strong>den</strong> sozialen Sicherungs- und Fürsorgesysteme zu<br />
bewältigen und eben deshalb auch für die Gewerkschaften ein tragfähiges Projekt<br />
darzustellen. Die sozialpolitische Frage der Zukunft lautet dann, ob sich die theoretische<br />
Satisfaktionsfähigkeit des hier entworfenen <strong>Leitbild</strong>es in die praktische Politikfähigkeit<br />
desselben wird umsetzen lassen, ob also das neue <strong>Leitbild</strong> des demokratischen<br />
<strong>Sozialstaat</strong>s auch eine neue demokratische Politik mit dem <strong>Sozialstaat</strong> – anstelle der<br />
herrschen<strong>den</strong> Politik gegen ihn – wird einleiten können. Dies ist ganz offenkundig eine<br />
historisch-empirische, sozialwissenschaftlich nicht vorentscheidbare Frage. Doch stellt<br />
die auf seiner inhaltlichen Attraktivität grün<strong>den</strong>de gewerkschaftliche Akzeptabilität des<br />
neuen <strong>Leitbild</strong>es eine zwar nicht hinreichende, aber notwendige und vermutlich sogar<br />
entschei<strong>den</strong>de Voraussetzung seiner zukünftigen politischen Praktikabilität dar. Der<br />
demokratische <strong>Sozialstaat</strong> der Zukunft steht und fällt mit der gewerkschaftlichen<br />
Parteinahme für ihn – und dasselbe gilt, so meinen wir, auch umgekehrt.<br />
7.1. Der demokratische <strong>Sozialstaat</strong> auf dem Prüfstand<br />
Die Problemlösungsfähigkeit des demokratischen <strong>Sozialstaat</strong>es – erstes und oberstes<br />
Kriterium seiner positiven Beurteilung – scheint uns nach all dem Gesagten auf der<br />
Hand zu liegen. Der demokratische <strong>Sozialstaat</strong> ist programmatisch der effektiven<br />
Sicherung der materiellen Mindestbedarfe aller Bürgerinnen und Bürger sowie der<br />
Gewährleistung ihres gleichen Zugangs zu öffentlichen sozialen Diensten verpflichtet. Er<br />
schafft damit für sie alle gleichermaßen eine institutionelle Garantie sozialen Schutzes<br />
und gesellschaftlicher Teilhabe, die, indem sie soziale Probleme der Unterversorgung<br />
beseitigt, zugleich die Voraussetzungen der Demokratie sichert. Der auf die Probleme<br />
und Bedarfe seiner Bürgerinnen und Bürger orientierte <strong>Sozialstaat</strong> ist somit Ausdruck<br />
der fundamentalen Gleichheit aller Mitglieder des demokratischen Gemeinwesens – und<br />
zugleich die institutionalisierte Garantie derselben.