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Ein neues Leitbild für den Sozialstaat - Sozialpolitik aktuell

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So sind schnelle, wenngleich befristete Sonderleistungen bei Trennung, Scheidung und<br />

vergleichbaren Wechselfällen des privaten Lebens notwendig und im Rahmen der „Hilfe<br />

in besonderen Lebenslagen“ möglich. Vorteilhaft wäre auch eine bessere Förderung<br />

räumlicher Mobilität. Die Übertragbarkeit nationalstaatlich erworbener Ansprüche ist<br />

sicherzustellen.<br />

Die Individualisierung sozialstaatlicher Leistungen und Belastungen wird im Übrigen <strong>den</strong><br />

sozialstrukturellen Wandel gleichen Namens nicht weiter forcieren. Im Gegenteil: Indem<br />

die Folgen dieses Wandels besser abgefedert und die Betroffenen bei der Bewältigung<br />

dadurch verursachter Probleme und Verwerfungen wirkungsvoll unterstützt wer<strong>den</strong>,<br />

entlastet der demokratische <strong>Sozialstaat</strong> die gemeinschaftlichen Lebenszusammenhänge<br />

der Betroffenen, allen voran ihre Familien. Gerade dadurch aber stärkt er diese<br />

zunehmend fragileren Gemeinschaften und erhöht deren Chance, die Probleme und<br />

Verwerfungen ihrer gesellschaftlichen Zeit zu „überstehen“. Insofern lässt sich durchaus<br />

behaupten, dass die konsequente „Individualisierung“ der sozialstaatlichen Leistungen<br />

und Belastungen eines der wirkungsvollsten Gegengifte gegen die zunehmende<br />

Individualisierung der privaten Lebensformen darstellen kann.<br />

5.7. Demokratisierung der Erwerbsarbeit<br />

Auch nach Ausweitung des Adressatenkreises hat der demokratische <strong>Sozialstaat</strong><br />

keineswegs die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aus dem Blick verloren. Ihre<br />

spezifischen Risiken wer<strong>den</strong> in <strong>den</strong> – freilich nicht mehr allein auf sie zugeschnittenen –<br />

Sozialversicherungen abgesichert. Die Arbeitslosenversicherung bleibt dagegen als<br />

kategorial beschränkte Sozialversicherung bestehen, wenngleich sie auf alle<br />

Erwerbspersonen ausgeweitet wird und so der Verteilung des Risikos, mit der Arbeit<br />

auch das <strong>Ein</strong>kommen zu verlieren, besser gerecht wird. Zudem greift der demokratische<br />

<strong>Sozialstaat</strong>, wie sein Vorgänger auch, regulierend in das Erwerbsarbeitssystem ein: Um<br />

individuelle Arbeitsverträge trotz der strukturellen Machtasymmetrie der Vertragsparteien<br />

zulassen zu können, sichert der demokratische <strong>Sozialstaat</strong> das System<br />

kollektiver Tarifverträge, gewährleistet die Parität der Tarifparteien und erkennt deren<br />

tarifvertraglichen Vereinbarungen rechtlich an. Zudem regelt er <strong>den</strong> Vollzug der Arbeit<br />

etwa im Sinne des Arbeitsschutzes und definiert die Rechte der Arbeitnehmer unter<br />

anderem bei der betrieblichen Mitbestimmung.<br />

Während die Arbeitnehmer im bestehen<strong>den</strong> <strong>Sozialstaat</strong> vor allem als abhängig<br />

Beschäftigte angesprochen wer<strong>den</strong>, wer<strong>den</strong> sie nach dem Umbau hin zum<br />

demokratischen <strong>Sozialstaat</strong> in weit größerem Maße als autonome Akteure ihrer<br />

Erwerbsarbeit gesehen. Dadurch wer<strong>den</strong> effektive sozialstaatliche Interventionen zu<br />

ihrem Schutz zwar nicht obsolet, doch ergibt sich daraus eine gewisse konzeptionelle<br />

Neujustierung der sozialstaatlichen Regulierung von Erwerbsarbeit: Der demokratische<br />

<strong>Sozialstaat</strong> wird eine Ausweitung der Demokratie in <strong>den</strong> Betrieben und <strong>den</strong><br />

Unternehmen betreiben, und er wird umgekehrt die Demokratie vor der zunehmend<br />

entgrenzten Erwerbsarbeit schützen.

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