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Ein neues Leitbild für den Sozialstaat - Sozialpolitik aktuell

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Ohne Eltern gegen Kinderlose ausspielen zu wollen und zu müssen lässt sich<br />

feststellen, dass derartige Unterhaltspflichten asymmetrisch verteilt sind und deshalb<br />

einseitig erwachsene Kinder mit alten Eltern bzw. Eltern mit erwachsenen Kindern<br />

benachteiligen. Statt die Solidarität zwischen Eltern und Kindern über die Phase der<br />

Kindheit hinaus zu fördern, belasten sie deren Solidarität – mit der Gefahr, sie durch<br />

Überforderung zu ersticken. Befreit der <strong>Sozialstaat</strong> Kinder von alten Eltern und Eltern<br />

mit erwachsenen Kindern dagegen von derartigen Unterhaltspflichten, kann er<br />

generationenübergreifende Solidarität freisetzen, zumal er – etwa im Steuerrecht –<br />

durchaus die Möglichkeit hat, entsprechende Solidaritätsleistungen anzuerkennen und<br />

zu fördern. <strong>Ein</strong>e systematische Ausnahme von dem regulativen Prinzip der<br />

„Individualisierung“ macht der demokratische <strong>Sozialstaat</strong> hingegen mit Blick auf Fragen<br />

des Kinderlastenausgleichs. Lasten, die aus der Versorgung und Erziehung von Kindern<br />

in einem privaten Haushalt erwachsen, müssen bei <strong>den</strong> Erziehungsberechtigten, <strong>den</strong>en<br />

die Versorgung und Erziehung ihrer Kinder tagtäglich abverlangt wird, zusätzliche<br />

Leistungsansprüche begrün<strong>den</strong>. In dem Maße, wie sich Eltern diese Lasten teilen,<br />

können sie sich auch die sozialstaatlichen Zuwendungen teilen. Beim<br />

Kinderlastenausgleich muss der <strong>Sozialstaat</strong> in Zukunft allerdings deutlicher danach<br />

unterschei<strong>den</strong>, welche Zuwendungen <strong>den</strong> Kindern für ihren Lebensunterhalt und für ihre<br />

Erziehung und Bildung und welche Transfers dagegen ihren Erziehungsberechtigten<br />

etwa zum Ausgleich entgangener Markteinkommen gelten. Die Zuwendungen für die<br />

Kinder wird er stärker <strong>den</strong> Kindern selbst zusprechen – und dies mit zunehmendem<br />

Alter der Kinder auch schrittweise gegenüber <strong>den</strong> Eltern durchsetzen; das Kindergeld<br />

eines sich in Ausbildung befin<strong>den</strong><strong>den</strong> volljährigen Kindes wird dann je<strong>den</strong>falls nicht<br />

mehr <strong>den</strong> Eltern ausgezahlt und so deren Verfügung entzogen. Zumindest in diesem<br />

Sinne wer<strong>den</strong> also auch die Leistungen im Rahmen des Kinderlastenausgleichs<br />

„individualisiert“.<br />

Die privaten Lebens- und Haushaltsformen der durchschnittlichen Arbeitnehmer sind in<br />

der Bundesrepublik ebenso brüchig und dynamisch gewor<strong>den</strong> wie ihre<br />

Erwerbsbiographien. Die individuellen Lebensläufe sind offener, unsicherer und weniger<br />

stetig als zu der Zeit, da die bestehen<strong>den</strong> Sicherungs- und Fürsorgesysteme entwickelt<br />

wur<strong>den</strong>. Der demokratische <strong>Sozialstaat</strong> wird deshalb die Normalitätsannahmen der<br />

bestehen<strong>den</strong> sozialstaatlichen Programme, durch die unstete Biographien mit<br />

Leistungsabstrichen sanktioniert wur<strong>den</strong>, aufgeben. Statt dessen wird er biographische<br />

Brüche und Übergänge abfedern helfen, so dass alle Bürgerinnen und Bürger sicher<br />

sein können, trotz der ihnen privat wie beruflich zugemuteten Flexibilität sowie der damit<br />

verbun<strong>den</strong>en Risiken auf Dauer vergleichbare Lebenslagen einnehmen und soziale<br />

Sicherheit realisieren zu können („flexicurity“). Für <strong>den</strong> Bereich der Erwerbsarbeit<br />

bedeutet eine verbesserte „Passagensicherung“, dass beispielsweise<br />

Rehabilitationsmaßnahmen und Umschulungen angeboten und gefördert, Zeit- und<br />

Teilrenten zugelassen, flexible Arbeitszeiten einschließlich attraktiver Teilzeitregelungen<br />

und „sabbaticals“ durchgesetzt sowie öffentlich finanzierte „Übergangsarbeitsmärkte“<br />

eingerichtet wer<strong>den</strong>. Die privaten Lebensformen sind ihrerseits nicht weniger auf eine<br />

verbesserte „Passagensicherung“ angewiesen als die Arbeitsformen.

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