Ein neues Leitbild für den Sozialstaat - Sozialpolitik aktuell
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Lediglich für diejenigen Bürgerinnen und Bürger im erwerbsfähigen Alter, die zeitweilig<br />
oder dauerhaft keiner Erwerbsarbeit nachgehen (können) und sich auch nicht in einer<br />
Ausbildung befin<strong>den</strong>, ist ein eigenständiges System der Grundsicherung zu schaffen.<br />
Dabei sollte ein deutlicher Abstand zur – davon zu unterschei<strong>den</strong><strong>den</strong> – kommunalen<br />
Sozialhilfe gewahrt wer<strong>den</strong>, damit diese (wieder) ihre ursprüngliche Funktion als „letztes<br />
soziales Netz“ erfüllen kann, nämlich Menschen „in besonderen Lebenslagen“ und in<br />
außergewöhnlicher Not zu unterstützen.<br />
Die Ausweitungen auf der einen Seite machen <strong>Ein</strong>schränkungen auf der anderen Seite<br />
notwendig. Wenn die mindestsichern<strong>den</strong> Elemente des deutschen <strong>Sozialstaat</strong><br />
ausgebaut und aufgewertet wer<strong>den</strong>, dann müssen vermutlich zumindest kleinere<br />
<strong>Ein</strong>brüche dort in Kauf genommen wer<strong>den</strong>, wo bislang die besonders ausgeprägte<br />
Kompetenz des bestehen<strong>den</strong> <strong>Sozialstaat</strong>s liegt, also bei der Status- und<br />
Lebensstandardsicherung. Mit der Höhe der jeweiligen <strong>Ein</strong>kommen fährt der<br />
demokratische <strong>Sozialstaat</strong> seine Bemühungen um die Status- und<br />
Lebensstandardsicherung zurück, weswegen etwa bei <strong>den</strong> Sozialversicherungen die<br />
„Renditen“ der einkommensstarken Beitragszahler auf ihre Beiträge mit deren Höhe<br />
sinken wer<strong>den</strong>. Auf diese Weise mutet der demokratische <strong>Sozialstaat</strong> <strong>den</strong> Menschen mit<br />
überdurchschnittlich hohen <strong>Ein</strong>kommen eine höhere lebensphasenbezogene Flexibilität<br />
hinsichtlich ihres Lebensstandards und eine größere Unsicherheit hinsichtlich ihrer<br />
einmal erworbenen Statuspositionen zu. In dem Maße, wie dies vorrangig<br />
einkommensstarke Haushalte (be-)trifft und der <strong>Sozialstaat</strong> dafür in Zukunft allen<br />
Bürgerinnen und Bürgern vergleichbare Lebenslagen und die demokratische Teilhabe<br />
sichern hilft, ist diese Zumutung vertretbar: Sie wird durch die Besserstellung der<br />
Schlechtestgestellten qua Mindestsicherung gerechtfertigt. Menschen, die sich diese<br />
Flexibilität nicht zutrauen und dieser Unsicherheit nicht aussetzen wollen, müssen in<br />
eigener Verantwortung Vorkehrungen treffen – und können dies aufgrund ihrer höheren<br />
<strong>Ein</strong>kommen auch. Sie wer<strong>den</strong> ihren einmal erworbenen Lebensstandard über private<br />
Versicherungen absichern und so die Leistungen etwa der sozialstaatlichen<br />
Arbeitslosen- oder Rentenversicherung ergänzen. Auf der Grundlage einer die<br />
allgemeine und gleiche gesellschaftliche Teilhabe gewährleisten<strong>den</strong> Mindestsicherung<br />
und nur für <strong>den</strong> oberen Bereich der Status- und Lebensstandardsicherung erweist sich<br />
damit das einschlägige Programm der Privatisierung und der Förderung von<br />
„Eigenverantwortung“ als eine – in Grenzen – vertretbare und realistische<br />
sozialpolitische Strategie.<br />
Der Vorschlag, die lebensstandardsichern<strong>den</strong> Elemente des <strong>Sozialstaat</strong>s zugunsten<br />
seiner mindestsichern<strong>den</strong> Verbürgungen zu relativieren, trifft auf die Kritik all jener, die<br />
sich dem Prinzip der Leistungsgerechtigkeit besonders verpflichtet fühlen und es als ein<br />
unaufgebbares Grundprinzip bundesdeutscher <strong>Sozialstaat</strong>lichkeit ausgeben. Deren<br />
Kritik ist jedoch wenig überzeugend. Der demokratische <strong>Sozialstaat</strong> ist – im Bereich und<br />
im Maße seiner Intervention – auf Gleichheit geeicht. Er garantiert die Gleichheit der<br />
Lebensbedingungen seiner Bürgerinnen und Bürger im Sinne ihrer Ausstattung mit<br />
einem vergleichbaren Sockel an <strong>Ein</strong>kommensansprüchen und<br />
Dienstleistungsangeboten, um ihnen allen die gleiche Chance gesellschaftlicher<br />
Partizipation zu gewährleisten.