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Ein neues Leitbild für den Sozialstaat - Sozialpolitik aktuell

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• Der demokratische <strong>Sozialstaat</strong> sucht in diesem Sinne auch nicht<br />

„Chancengleichheit“ – verstan<strong>den</strong> als Gleichheit der Marktchance – zu<br />

gewährleisten. Zwar ist das von ihm verfolgte Prinzip der gleichberechtigten<br />

wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Partizipation durchaus<br />

chancenorientiert. Doch erschöpft sich dieses Prinzip keineswegs in der Vorstellung<br />

gleicher Startchancen, auf deren Grundlage die gesellschaftlichen Individuen dann<br />

von wechselseitigen Verpflichtungen befreit wären. Der demokratische <strong>Sozialstaat</strong><br />

garantiert die für alle Menschen gleiche Chance, dauerhaft an <strong>den</strong> Prozeduren und<br />

Resultaten gesellschaftlicher Solidarität teilzuhaben.<br />

• Die in <strong>den</strong> laufen<strong>den</strong> „Reform“-Debatten gängige, enge Bindung sozialer Rechte an<br />

gesellschaftliche Pflichten ist dem demokratischen <strong>Sozialstaat</strong> fremd. In der Tat sind<br />

sich dessen Bürgerinnen und Bürger wechselseitig zu Unterstützung und Hilfe<br />

entsprechend ihrer Leistungsfähigkeit verpflichtet, und der demokratische<br />

<strong>Sozialstaat</strong> organisiert eben diese verallgemeinerte Gegenseitigkeit. Doch ist die<br />

<strong>Ein</strong>lösung dieser Unterstützungsverpflichtung nicht – wie dies <strong>den</strong> zunehmend<br />

radikalisierten Diskursen zur sozialstaatlichen „Aktivierung“ als Vorstellung zugrunde<br />

liegt – von der sofortigen und erwerbsarbeitsförmigen Erbringung von<br />

Gegenleistungen abhängig. Der demokratische <strong>Sozialstaat</strong> ist kein „workfare“-Staat.<br />

Denn wenn die Leistungsfähigen <strong>den</strong> Hilfsbedürftigen nur unter dieser Prämisse zu<br />

helfen bereit sind, dann ist ihre Unterstützungsleistung weniger ein Moment<br />

gesellschaftlicher Gegenseitigkeit als vielmehr ein Instrument sozialer<br />

Disziplinierung. Der demokratische <strong>Sozialstaat</strong> gibt Raum für Situationen einseitiger<br />

Hilfe und Konstellationen marktferner Gegenleistungen und lässt damit strikt<br />

erwerbsgesellschaftlich orientierte Normen sozialer Reziprozität hinter sich.<br />

• Auch das dem demokratischen <strong>Sozialstaat</strong> eigene Verständnis von „Generationengerechtigkeit“<br />

entspricht nicht jenem des dominanten politischen Diskurses. Der<br />

konstitutive Zukunftsbezug seiner Aktivitäten geht weder zu Lasten der<br />

Berücksichtigung gegenwärtiger Bedarfe noch auf Kosten der <strong>Ein</strong>lösung<br />

intragenerationeller Verpflichtungen. Im Gegenteil: Die gegenwärtig leben<strong>den</strong><br />

Bürgerinnen und Bürger haben ein gemeinsames (und gleichsam akutes) Interesse,<br />

auch in der Zukunft in einer demokratischen Gesellschaft zu leben, müssen deshalb<br />

aber auch in der Zukunft ihre Beteiligungsrechte auf der Grundlage vergleichbarer<br />

Lebenslagen verwirklichen können. Aus diesem Grunde müssen sie „ihre“<br />

Demokratie mitsamt <strong>den</strong> in sie eingelassenen Strukturen gesellschaftlicher<br />

Solidarität auf Dauer stellen – und im Zuge dessen auch <strong>den</strong> nachkommen<strong>den</strong><br />

Generationen gleiche Beteiligungsrechte zusprechen bzw., soweit es in ihrer Macht<br />

steht, gewährleisten.

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