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Ein neues Leitbild für den Sozialstaat - Sozialpolitik aktuell

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Und dies ist dann auch und gerade für <strong>den</strong> demokratischen <strong>Sozialstaat</strong> ein Problem<br />

erster Ordnung, das sich nicht dadurch auflösen lässt, dass man es analytisch in <strong>den</strong><br />

Zuständigkeitsbereich des Rechtsstaates verbannt oder aber auf die intensiven<br />

Harmonisierungsbestrebungen der Europäischen Union in dieser Frage verweist. Das<br />

Paradoxon bleibt bestehen: Der demokratische <strong>Sozialstaat</strong> muss seinem<br />

Selbstverständnis und seiner Begründungslogik gemäß auf universalistische Weise<br />

inklusiv sein; zugleich aber ist er ein territorial begrenztes gesellschaftliches<br />

Arrangement, dessen Inklusivität nach innen mit einer – gesellschaftlich zu<br />

verhandeln<strong>den</strong> und bestimmen<strong>den</strong> – Exklusivität nach außen erkauft wird. Das<br />

„Grenzregime“ des demokratischen <strong>Sozialstaat</strong>s und seines sozialpolitischen<br />

Inklusionsuniversalismus’ wird – soviel ist sicher – einer der konfliktträchtigsten<br />

Prüfsteine einer veränderten Politik mit dem <strong>Sozialstaat</strong> sein.<br />

4.3. Der demokratische <strong>Sozialstaat</strong> und seine Leistungen: Von der<br />

Sozialversicherung zu sozialen Diensten<br />

Die Basisinstitution des deutschen „Erwerbspersonensozialstaats“ ist die<br />

Sozialversicherung mit ihren verschie<strong>den</strong>en Sicherungszweigen. Der bestehende<br />

<strong>Sozialstaat</strong> ist also im Kern ein Sozialversicherungsstaat, je<strong>den</strong>falls insoweit, als das<br />

ausdifferenzierte System „gehobener“, statusorientierter Sozialversicherungsleistungen<br />

das politische Standardinstrumentarium zur Abgeltung sozialer Sicherungsansprüche<br />

darstellt, dem ein rechtlich und gesellschaftlich weniger geschütztes und geachtetes,<br />

subsidiäres System fürsorgerischer „Sozialhilfen“ nachgeordnet wurde. Der individuelle<br />

Sozialversicherungsstatus ist dabei systemlogisch – direkt oder indirekt – an <strong>den</strong><br />

Arbeitnehmerstatus und dessen Differenzierungen gebun<strong>den</strong>. Im Gegensatz dazu muss<br />

der demokratische <strong>Sozialstaat</strong> in dem Maße, wie er seine Adressaten als Bürger statt<br />

als Arbeitnehmer definiert, in seinem operativen Geschäft stärker auf Leistungen zur<br />

Sicherung des allgemeinen und gleichen Bürgerstatus <strong>den</strong>n auf Leistungen zur<br />

Reproduktion der relativen Vorteile des Arbeitnehmerstatus setzen. Er wird<br />

dementsprechend nicht nur die Systeme monetärer Transfers umgestalten, sondern sie<br />

zugleich durch ausdifferenzierte und hochwertige Systeme sozialer Dienstleistungen<br />

ergänzen müssen.<br />

Die Möglichkeit, dass Menschen gleiche gesellschaftliche Beteiligungsrechte<br />

verwirklichen können, hängt wesentlich davon ab, ob sie entsprechend qualifiziert und<br />

auch dauerhaft bei der Wahrnehmung eigener Interessen unterstützt wer<strong>den</strong>. In dem<br />

Maße, wie sich einerseits die Lebenslagen der Menschen zunehmend individualisieren<br />

und dadurch soziale Milieus gemeinsamer Interessen und Interessenvertretung<br />

erodieren und wie andererseits die Risiken der individuellen Lebensführung zunehmen,<br />

ist dieser Qualifizierungs- und Unterstützungsbedarf gegenüber früheren Zeiten<br />

gestiegen – und wird in Zukunft sehr wahrscheinlich weiter wachsen. Um diesen Bedarf<br />

zu decken, muss der demokratische <strong>Sozialstaat</strong> geeignete Dienstleistungen in<br />

ausreichendem Umfang und erforderlicher Qualität zur Verfügung stellen.

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