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Ein neues Leitbild für den Sozialstaat - Sozialpolitik aktuell

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Gemäß seiner veränderten Funktionszuschreibung als materieller Garant einer<br />

verallgemeinerten Gegenseitigkeit zwischen <strong>den</strong> Bürgerinnen und Bürgern definiert der<br />

demokratische <strong>Sozialstaat</strong> seinen Adressatenkreis anders, nämlich umfassender: Nicht<br />

mehr der Arbeitnehmer, sondern eben alle Bürgerinnen und Bürger, unabhängig von<br />

ihrer individuellen Erwerbslage und Marktchance, bil<strong>den</strong> für ihn die Adressaten<br />

sozialstaatlicher Aktivitäten.<br />

In einer demokratischen Gesellschaft muss für alle Bürgerinnen und Bürger die<br />

Möglichkeit gleicher Teilhabe gewährleistet wer<strong>den</strong>. Zwar haben sich (nicht nur) in der<br />

Bundesrepublik die Bürgerinnen und Bürger wechselseitig dazu verpflichtet, für ihren<br />

Lebensunterhalt selbst zu sorgen, und sich auf diese Weise gegenseitig davon entlastet,<br />

für einander sorgen zu müssen. <strong>Ein</strong>e solche Regelung wechselseitigen Desinteresses<br />

ist in einer demokratischen Gesellschaft nicht nur möglich, sondern mit dieser hoch<br />

kompatibel, weil freiheitssteigernd und -verbürgend. Doch findet dieses Prinzip<br />

gegenseitiger Entlastung seine Grenze in <strong>den</strong> für alle Bürgerinnen und Bürger gleichen<br />

gesellschaftlichen Partizipationsansprüchen. Das gleiche Recht, sich in eigener Person<br />

und für eigene Interessen vertreten zu können, ist für demokratische Gesellschaften in<br />

einem Maße konstitutiv, dass die Bürgerinnen und Bürger über „ihren“ <strong>Sozialstaat</strong> für<br />

vergleichbare Lebenslagen Sorge tragen müssen, die gewährleisten, dass sie alle<br />

gleichermaßen dieses gleiche Recht wahrnehmen können. Der demokratische<br />

<strong>Sozialstaat</strong> hat also – es sei nochmals betont – die Aufgabe, die Voraussetzungen<br />

gleicher gesellschaftlicher Beteiligungsrechte sicherzustellen und über Maßnahmen des<br />

sozialen Ausgleichs die dazu notwendigen vergleichbaren Lebenslagen herzustellen.<br />

Adressaten entsprechender sozialstaatlicher Aktivitäten sind – auch dies kann nicht<br />

genug hervorgehoben wer<strong>den</strong> – explizit alle Bürgerinnen und Bürger, die nämlich auch<br />

dann von „ihrem“ <strong>Sozialstaat</strong> profitieren, wenn sie selbst keine sozialstaatlichen<br />

Leistungen beziehen. Denn dieser <strong>Sozialstaat</strong> sichert die Voraussetzungen ihrer aller<br />

Demokratie und verwirklicht gerade so ein ihnen allen gemeinsames Interesse. Dabei<br />

„begünstigt“ er diejenigen Bürgerinnen und Bürger, die der sozialstaatlichen Leistungen<br />

zur Wahrnehmung ihrer Beteiligungsrechte tatsächlich bedürfen. Doch auch allen<br />

anderen gewährt er die je individuelle Sicherheit, dass zumindest die Vergleichbarkeit<br />

auch ihrer Lebenslage <strong>den</strong> Risiken der privaten Existenzsicherung entzogen und damit<br />

auch ihr Recht auf gesellschaftliche Beteiligung dauerhaft gewährleistet ist – und zwar<br />

auch immer dann, wenn sie selbst die dafür notwendigen materiellen Voraussetzungen<br />

nicht privat erwirtschaften können.<br />

Die Bürgerinnen und Bürger sind aber nicht nur die Adressaten des demokratischen<br />

<strong>Sozialstaat</strong>s, sondern zugleich auch dessen „Träger“. Denn dieser <strong>Sozialstaat</strong> ist nicht<br />

mehr (und nicht weniger) als das Instrument ihrer demokratischen Solidarität, ihrer<br />

verallgemeinerten Gegenseitigkeit, aus der sie nicht nur Leistungen beziehen können,<br />

sondern deren Leistungen und fortgesetzte Leistungsfähigkeit sie auch in sozialer<br />

Kooperation ermöglichen müssen. Indem der demokratische <strong>Sozialstaat</strong> die<br />

Bürgerinnen und Bürger mit Steuern und Beiträgen belastet, vollzieht er diese andere<br />

Seite ihrer demokratischen Solidarität – und er „darf“ dies in dem Maße, wie er<br />

leistungsseitig die soziale Effektivität eben dieser Solidarität sicherstellt.

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