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Ein neues Leitbild für den Sozialstaat - Sozialpolitik aktuell

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Zwar sind es die Bürgerinnen und Bürger selbst, die sich wechselseitig das gleiche<br />

Recht schul<strong>den</strong>, sich in eigener Person und im eigenen Interesse in <strong>den</strong> für sie<br />

relevanten gesellschaftlichen Entscheidungen zu vertreten. Doch nur vermittelt über <strong>den</strong><br />

Rechtsstaat, seine Recht setzende und durchsetzende Macht gegenüber der<br />

Gesellschaft und damit auch gegenüber <strong>den</strong> Bürgerinnen und Bürgern selbst, lassen<br />

sich diese wechselseitig gewährten Rechte auch wirklich dauerhaft für alle sichern. Der<br />

Rechtsstaat ist somit Voraussetzung und Instrument der Solidarität von Bürgerinnen und<br />

Bürgern, die sich wechselseitig die gleichen Rechte der gesellschaftlichen Beteiligung<br />

zubilligen. Um aber diese gleichen Rechte auch verwirklichen und ausüben zu können,<br />

schul<strong>den</strong> sich die Bürgerinnen und Bürger zugleich – in einem zweiten Schritt –<br />

wechselseitige Unterstützung und Fürsorge, die gemeinschaftliche Vorsorge vor<br />

gemeinsam geteilten Risiken sowie <strong>den</strong> Ausgleich ihrer sozialen Ungleichheiten. Denn<br />

nur so können sie alle einigermaßen vergleichbare Lebenslagen einnehmen – und nur<br />

unter deren Bedingung können sie ihre gleichen Rechte auch tatsächlich in Anspruch<br />

nehmen. Auch für diese materielle Seite ihrer Solidarität bedienen sich die Bürgerinnen<br />

und Bürger staatlicher Institutionen und Verfahren – und bedürfen deshalb neben dem<br />

Rechtsstaat auch des <strong>Sozialstaat</strong>s. Der <strong>Sozialstaat</strong> ist also gleichfalls ein<br />

unverzichtbares Instrument demokratischer Solidarität: Ihm kommt die Aufgabe zu, die<br />

materiellen Voraussetzungen der Inanspruchnahme gleicher Rechte auf Partizipation in<br />

der und an der demokratischen Gesellschaft allgemein sicherzustellen. So gesehen ist<br />

der <strong>Sozialstaat</strong> die funktionale Ergänzung des Rechtsstaats: Wie dieser ist er ein<br />

fundamentales Funktionserfordernis der Entstehung und Aufrechterhaltung einer<br />

demokratischen Gesellschaft.<br />

4.2. Der demokratische <strong>Sozialstaat</strong> und seine Adressaten: Vom Arbeitnehmer<br />

zum Bürger<br />

Der deutsche <strong>Sozialstaat</strong> war von Beginn an kategorial auf Erwerbspersonen hin<br />

zentriert. Er hat maßgeblichen Anteil gehabt an der Durchsetzung und Strukturierung<br />

der bundesdeutschen Gesellschaft als Arbeitnehmergesellschaft. Bis heute ist er in<br />

seinen Organisations- und Leistungsstrukturen ganz auf die Sicherung der<br />

Erwerbstätigen (und ihrer abhängigen Familienangehörigen) zugeschnitten. In dieser<br />

Gestalt stellt er ein bedeutsames, eigenständiges Moment sozialer Stratifizierung und<br />

sozialer Selektivität dar: Er weist soziale Sicherheit und gesellschaftlichen Status,<br />

individuelle und kollektive Lebenschancen grundsätzlich entsprechend der relativen<br />

Position seiner Adressaten im System der Erwerbsarbeit zu. Die verteilungs- und<br />

geschlechterpolitischen Ungerechtigkeiten dieses Modells – ebenso wie seine<br />

mangelnde Zukunftstauglichkeit angesichts tiefgreifender erwerbsgesellschaftlicher<br />

Umbrüche – liegen auf der Hand und wur<strong>den</strong> hier auch bereits thematisiert.

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