Ein neues Leitbild für den Sozialstaat - Sozialpolitik aktuell
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Umgekehrt aber wird der demokratische <strong>Sozialstaat</strong> der von der europäischen Ebene<br />
ausgehen<strong>den</strong> „kognitiven Harmonisierung“ nationaler Wohlfahrtspolitiken rund um<br />
Konzepte und Neologismen wie „employability“, „activation“ oder „social investment“<br />
eine alternative Vorstellung von <strong>Sozialstaat</strong>lichkeit entgegensetzen und damit<br />
längerfristig auch europapolitisch interessant und anschlussfähig wer<strong>den</strong> können.<br />
Der demokratische <strong>Sozialstaat</strong> kann gegenüber der radikalisierten <strong>Sozialstaat</strong>skritik<br />
bestehen und einen leistungsstarken <strong>Sozialstaat</strong> – nach innen wie nach außen – mit der<br />
notwendigen Legitimation ausstatten. Zugleich orientiert er die institutionelle<br />
Ausgestaltung dieses leistungsstarken <strong>Sozialstaat</strong>s in Reaktion auf die Defizite und<br />
Schwächen des bestehen<strong>den</strong> sozialstaatlichen Arrangements. Im Sinne eines <strong>Leitbild</strong>es<br />
für die anstehende sozialpolitische Umorientierung sollen im Folgen<strong>den</strong> die drei<br />
Eckpfeiler des demokratischen <strong>Sozialstaat</strong>s vorgestellt wer<strong>den</strong>. Wir wer<strong>den</strong> seine<br />
Funktionsbestimmung, seinen Adressatenkreis und seine Leistungsprogrammatik<br />
skizzieren – und daran anschließend deutlich machen, was der demokratische<br />
<strong>Sozialstaat</strong>, ganz gegen <strong>den</strong> Geist der Zeit, ausdrücklich nicht ist und definitiv nicht<br />
bezweckt.<br />
4.1. Der demokratische <strong>Sozialstaat</strong> und seine Funktion: Vom Marktversagen zur<br />
Staatsbürgergesellschaft<br />
Die „soziale Frage“, auf die der deutsche <strong>Sozialstaat</strong> historisch antwortete, war die<br />
Arbeiterfrage. Sein über die Jahrzehnte hinweg betriebener Auf- und Ausbau zielte auf<br />
jene sozialen Probleme, die im Zeitalter des Industriekapitalismus durch die<br />
gesellschaftsweite Ausbreitung – die „innere Landnahme“ – des Marktmechanismus<br />
entstan<strong>den</strong>. Diese historische Triebkraft sozialstaatlicher Entwicklung ist heute<br />
keineswegs bedeutungslos gewor<strong>den</strong>. Die negativen externen Effekte der<br />
Marktvergesellschaftung sind und bleiben ein wichtiges Motiv sozialstaatlicher Aktivität.<br />
Doch die politische Aufgabe der Korrektur und Bekämpfung von Marktversagen kann<br />
nicht die einzige Quelle sozialstaatlicher Rechtfertigung und Legitimation bleiben – allein<br />
deswegen, weil einer an Marktexternalitäten sich abarbeiten<strong>den</strong> <strong>Sozialpolitik</strong> immer<br />
auch die Verursachung neuer Funktionsstörungen des Marktmechanismus nachgesagt<br />
und vorgehalten wer<strong>den</strong> kann. Aus dieser Selbstbegründungsfalle gibt es einen<br />
Ausweg, nämlich <strong>den</strong> <strong>Sozialstaat</strong> grundsätzlich vom Prinzip der Demokratie her zu<br />
begrün<strong>den</strong> und seine Funktion in erster Linie von <strong>den</strong> Erfordernissen einer demokratisch<br />
verfassten Gesellschaft her zu bestimmen. Der demokratische <strong>Sozialstaat</strong> findet seine<br />
Bestimmung nicht als Ausfallbürge des Kapitalismus, sondern als Katalysator und<br />
Garant der demokratischen Gesellschaft. Er ist Instrument einer effektiven und<br />
rationalen, demokratisch vermittelten <strong>Ein</strong>wirkung dieser Gesellschaft auf sich selbst.<br />
Es wird allgemein anerkannt, dass der Rechtsstaat mit seinen Institutionen eine<br />
notwendige Bedingung jeder demokratischen Gesellschaft darstellt, insofern er mit <strong>den</strong><br />
gleichen Rechten gleichberechtigter Bürgerinnen und Bürger die Voraussetzungen der<br />
Demokratie sichert.