Ein neues Leitbild für den Sozialstaat - Sozialpolitik aktuell
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Das Grundmotiv des von uns vorgeschlagenen <strong>Leitbild</strong>es ergibt sich aus unserer<br />
doppelten Kritik am bestehen<strong>den</strong> <strong>Sozialstaat</strong> und an seiner herrschen<strong>den</strong> Kritik. Im<br />
Gegensatz zur radikalisierten <strong>Sozialstaat</strong>skritik sehen wir weiterhin <strong>den</strong><br />
gesellschaftlichen Bedarf nach einem leistungsstarken <strong>Sozialstaat</strong> – und gehen zugleich<br />
davon aus, dass dieser <strong>Sozialstaat</strong> im Vergleich zu vergangenen Zeiten einer stärkeren,<br />
überzeugenderen Legitimation bedarf, soll er zukünftig eine hinreichend große<br />
gesellschaftliche Akzeptanz genießen. <strong>Ein</strong>e solche Legitimation muss allgemein<br />
verfangen, also über die verschie<strong>den</strong>en sozialen Gruppen und Weltanschauungen<br />
hinweg – in einem „überlappen<strong>den</strong> Konsens“ im Sinne Rawls’ – akzeptiert wer<strong>den</strong>. Der<br />
grundlegen<strong>den</strong> Bestimmung des <strong>Sozialstaat</strong>s von der demokratischen Idee her – und ihr<br />
allein – trauen wir eine solch allgemeine und deswegen hinreichend starke<br />
Legitimationskraft zu. In Antwort auf die unbestreitbare Leistungs-, Finanzierungs- und<br />
Gerechtigkeitsproblematik des bestehen<strong>den</strong> <strong>Sozialstaat</strong>s halten (nicht nur) wir eine<br />
stärkere Entkoppelung seines Wirkens vom System der Erwerbsarbeit, eine Ausweitung<br />
der bislang auf Arbeitnehmer beschränkten Solidaritätsbeziehungen sowie eine<br />
Erweiterung des Leistungskatalogs im Bereich der sozialen Fürsorge für erforderlich.<br />
Diese Erfordernisse lassen sich positiv „ausmalen“, wenn das institutionelle<br />
Arrangement des <strong>Sozialstaat</strong>s als konstitutiver Bestandteil der demokratischen<br />
Gesellschaft bestimmt wird. Dann nämlich ist es ein Gebot gelebter Demokratie, die<br />
Sicherheitsverbürgungen des <strong>Sozialstaat</strong>es auch all jenen Menschen zukommen zu<br />
lassen, die dauerhaft vom Zugang zu Erwerbsarbeit ausgeschlossen sind; das bislang<br />
kategorial beschränkte Solidaritätsprinzip der Sozialversicherungen im Sinne einer<br />
bislang nur im Bereich der Fürsorge bekannten Allgemeinheit auszuweiten; und im<br />
Gegenzug dazu das Leistungsvermögen der sozialen Fürsorge zu stärken und auf das<br />
bislang nur von <strong>den</strong> Adressaten der Sozialversicherungen erreichbare Niveau<br />
solidarischer Versorgung zu heben. In einem demokratischen <strong>Sozialstaat</strong> wer<strong>den</strong> – im<br />
Namen der sozialen Demokratie – die derzeit noch scharf voneinander getrennten<br />
Bereiche der sozialen Sicherung und der sozialen Fürsorge zusammengezogen, um alle<br />
Bürgerinnen und Bürger gleichermaßen in <strong>den</strong> Genuss eines effektiven und<br />
erwartungssicheren Schutzes vor alten und neuen sozialen Risiken zu bringen.<br />
Weil die demokratische Idee für <strong>den</strong> Entwurf eines neuen sozialstaatlichen <strong>Leitbild</strong>es<br />
zentral ist und von uns zentral gesetzt wird, bezieht sich die nachfolgende institutionelle<br />
Skizze ausschließlich auf die nationale Ebene sozialpolitischer Gestaltung.<br />
Selbstverständlich lässt sich der nationale <strong>Sozialstaat</strong> mittlerweile nicht mehr ohne seine<br />
europapolitische <strong>Ein</strong>bettung <strong>den</strong>ken, und die regulative <strong>Ein</strong>flussnahme von Seiten der<br />
europäischen Politik wird die konkrete Gestalt auch des demokratischen <strong>Sozialstaat</strong>s<br />
maßgeblich mitbestimmen. Doch der Ort der demokratischen Repräsentation von<br />
Interessen und demokratisch vermittelter gesellschaftlicher Selbststeuerung ist nach wie<br />
vor das politische Institutionensystem des Nationalstaats. Die demokratische Idee wird<br />
auf absehbare Zeit – zumal angesichts der weiteren Heterogenisierung der<br />
Europäischen Union im Zuge ihrer Erweiterungsdynamik – nur auf der nationalen Ebene<br />
(bzw. unterhalb, nicht aber oberhalb davon) effektiv verwirklicht und sozialpolitisch<br />
gewendet wer<strong>den</strong> können.