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Ein neues Leitbild für den Sozialstaat - Sozialpolitik aktuell

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Je stärker nämlich der <strong>Sozialstaat</strong> als wirtschaftlicher und sozialer Produktivitätsfaktor<br />

wirkt und auch wahrgenommen wird, umso mehr wird sich das zuvor angesprochene<br />

Finanzierbarkeitsproblem entschärfen. Entsprechend hat der <strong>Sozialstaat</strong> – bildungs-,<br />

qualifikations-, infrastrukturpolitisch – <strong>den</strong> volkswirtschaftlichen Struktur- und<br />

gesellschaftlichen Lebenswandel zu flankieren. In der bestehen<strong>den</strong> Situation der<br />

verfestigten Massenarbeitslosigkeit muss er vor allem beschäftigungsfördernd wirken –<br />

freilich nicht um je<strong>den</strong> Preis, sondern stets im Sinne „guter Arbeit“, von der und mit der<br />

die arbeiten<strong>den</strong> Menschen „gut leben“ können. Der <strong>Sozialstaat</strong> hat vorrangig die<br />

Aufgabe, das Zusammenleben der Menschen in Gesellschaft in einer Weise zu<br />

gestalten, die ihr produktives Zusammenarbeiten gewährleistet.<br />

3.6. Der <strong>Sozialstaat</strong> hat langfristig verlässlich zu sein<br />

Von gesellschaftlichen Institutionen wird erwartet, dass sie soziales Handeln<br />

stabilisieren und die Handlungs- sowie Interaktionsorientierungen individueller und<br />

kollektiver sozialer Akteure verstetigen. Die gesellschaftliche Stabilisierungsleistung des<br />

deutschen <strong>Sozialstaat</strong>s bestand historisch darin, <strong>den</strong> Unsicherheiten und<br />

Unwägbarkeiten der Lohnarbeiterexistenz – ihrer konstitutiven Konjunkturabhängigkeit<br />

und Krisenanfälligkeit – neue, institutionalisierte Formen von Sicherheit und Dauer<br />

entgegenzusetzen. Bis heute lässt sich die Herstellung von Stabilität und Kontinuität<br />

individueller Lebenslagen und Lebensläufe wohl als die bedeutsamste ordnungspolitische<br />

Leistung des <strong>Sozialstaat</strong>s bezeichnen. Im Ideal- bzw. Erfolgsfall produzieren<br />

seine Institutionen und Programme das unter Verhältnissen hochkomplexer,<br />

differenzierter Gesellschaften höchstmögliche Maß an individueller Erwartungssicherheit<br />

und Kalkulierbarkeit der Lebensführung. In der Zukunft wird der <strong>Sozialstaat</strong> – mehr <strong>den</strong>n<br />

je – an dieser Aufgabe, an der fundamentalen gesellschaftlichen Erwartung auf<br />

Erwartungssicherheit, gemessen wer<strong>den</strong>. Seine Institutionen müssen daher langfristig<br />

stabil sein – und zwar nicht im Sinne unabänderlicher Maßnahmenkataloge und<br />

unantastbarer Leistungsangebote, sondern im Sinne einer in ihren Instrumenten<br />

flexiblen, aber in ihren Zielen verlässlichen Programmatik sozialer Sicherung und<br />

Fürsorge. Jeder <strong>Sozialstaat</strong> schränkt mit seinen Institutionen und durch seine teilweise<br />

langfristigen Rechtsansprüche zugleich die Freiheit kommender Generationen ein.<br />

Diese allerdings bleiben frei, wie sie mit <strong>den</strong> von ihnen vorgefun<strong>den</strong>en Institutionen<br />

verfahren und ob und in welchem Maße sie die ihnen auferlegten Verpflichtungen<br />

annehmen. Jede weit in die Zukunft ausgreifende Kalkulation von Leistungen oder<br />

Beiträgen muss daher nicht nur das Komplexitätsverarbeitungspotential von Prognosen<br />

überfordern, sondern zudem auch diese unkalkulierbare Gestaltungsfreiheit kommender<br />

Generationen negieren. Die geforderte Stabilität und Stabilisierungsfunktion erreicht der<br />

<strong>Sozialstaat</strong> folglich nicht durch langfristige Generationenbilanzierungen und ähnlich weit<br />

in die Zukunft ausgreifende Prognosen. Auch in die Zukunft hinein wird er allein dadurch<br />

verlässlich, dass er nicht nur in der Gegenwart offenkundig problemlösend wirkt,<br />

sondern auch <strong>den</strong> kommen<strong>den</strong> Generationen attraktive Lösungen der für die Zukunft zu<br />

erwarten<strong>den</strong> Problemlagen bieten kann.

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