Ein neues Leitbild für den Sozialstaat - Sozialpolitik aktuell
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Gerade weil die <strong>den</strong> <strong>Sozialstaat</strong> bewegen<strong>den</strong> sozialen Problemlagen nur über<br />
Politikbereiche hinweg, im Zusammenwirken verschie<strong>den</strong>ster Akteure und Institutionen,<br />
erkannt und bearbeitet wer<strong>den</strong> können, müssen entsprechende Reformen<br />
problembezogen spezifiziert und kooperativ umgesetzt wer<strong>den</strong>. <strong>Leitbild</strong>er kann man<br />
durchaus „am grünen Tisch“, „in einem Rutsch“ und „aus einem Guss“ konzipieren. Der<br />
so skizzierte <strong>Sozialstaat</strong> hingegen entsteht eben nicht „am grünen Tisch“ und „in einem<br />
Rutsch“ und zeigt sich niemals „aus einem Guss“. Dem aber müssen auch die <strong>Leitbild</strong>er,<br />
sollen sie sozialpolitisch tatsächlich orientierend wirken können, in Form eines gesun<strong>den</strong><br />
Gestaltungsrealismus’ Rechnung tragen.<br />
3.3. Der <strong>Sozialstaat</strong> hat gesellschaftlich akzeptabel zu sein<br />
Der <strong>Sozialstaat</strong> erfreut sich in der bundesdeutschen Bevölkerung nach wie vor – trotz<br />
aller Kritik an seinen Wirkeffekten, trotz unbestreitbarer systemischer Mängel und<br />
Unzulänglichkeiten – einer großen Akzeptanz. Diese bezieht sich allerdings weniger auf<br />
die konkrete institutionelle Ausgestaltung und Praxis des deutschen <strong>Sozialstaat</strong>s als<br />
vielmehr grundsätzlich auf die Notwendigkeiten einer kollektiven sozialen Sicherung und<br />
des öffentlich organisierten sozialen Ausgleichs. Die gesellschaftliche Akzeptanz des<br />
<strong>Sozialstaat</strong>s ist eine unüberschätzbare soziale Ressource, mit der es pfleglich<br />
umzugehen und umsichtig hauszuhalten gilt. Im Zuge der Pluralisierung<br />
gesellschaftlicher Lebensformen und der Erosion gewachsener sozialmoralischer<br />
Milieus wird sich der <strong>Sozialstaat</strong> dieser Aufgabe offensiver und überzeugender als<br />
bisher stellen müssen. Er wird sich seine soziale Akzeptanz bzw. die Bedingungen<br />
seiner gesellschaftlichen Akzeptabilität zunehmend selber schaffen müssen – und zwar<br />
vor allem dadurch, dass über die Umverteilung materieller Ressourcen und die<br />
Produktion bzw. Gewährleistung öffentlicher Güter ein als solcher erkennbarer<br />
gemeinsamer Nutzen aller Bürgerinnen und Bürger gewährleistet wird. Neben diesem<br />
gemeinsamen Nutzen ist für die Akzeptanz des <strong>Sozialstaat</strong>s entschei<strong>den</strong>d, dass er von<br />
<strong>den</strong> Bürgerinnen und Bürgern als gerecht wahrgenommen wird. Diesbezüglich steht der<br />
<strong>Sozialstaat</strong> vor der Aufgabe, in seinen Aktivitäten und Interventionen eine „Ethik des<br />
<strong>Sozialstaat</strong>s“ bedienen zu müssen, die er nur in Grenzen selbst bestimmen kann, die<br />
ihm vielmehr im Wesentlichen gesellschaftlich vorgegeben wird. Von einem gerechten<br />
<strong>Sozialstaat</strong> erwarten die Bürgerinnen und Bürger insbesondere eine bedarfsgerechte<br />
Verteilung der Leistungen auf der einen, eine faire Verteilung der Belastungen auf der<br />
anderen Seite. Gerecht wird er aber auch im Sinne der (nicht nur rhetorisch postulierten)<br />
Geschlechtergerechtigkeit sein müssen: Nur ein <strong>Sozialstaat</strong>, der die Lasten und<br />
Freu<strong>den</strong> der Erwerbs- und Familienarbeit bei<strong>den</strong> Geschlechtern gleichermaßen<br />
zuzuweisen gewillt ist, wird auch wirklich das allseits begehrte Etikett eines „familien“-<br />
und „kinderfreundlichen“ <strong>Sozialstaat</strong>s verdient haben.