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Ein neues Leitbild für den Sozialstaat - Sozialpolitik aktuell

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Insgesamt betreiben die Gewerkschaften also eine defensive, status-quo-orientierte und<br />

auf die Sozialversicherung konzentrierte <strong>Sozialpolitik</strong>, man könnte auch sagen: eine<br />

Sozialversicherungs-Sicherungspolitik. Auf diesem Wege aber stehen die<br />

Gewerkschaften erstens in der Gefahr, mit der Verteidigung der bestehen<strong>den</strong><br />

Sicherungssysteme zugleich auch deren Leistungsversagen und Gerechtigkeitsdefizite<br />

zu akzeptieren, zumindest aber in ihrer grundsätzlichen Bedeutung zu verkennen.<br />

Finanzierungsprobleme wer<strong>den</strong> dagegen eingestan<strong>den</strong>, wenn auch vermutlich in ihrer<br />

systematischen Bedeutung unterschätzt und daher allzu sehr auf die leichte Schulter<br />

genommen.<br />

Zweitens konzentrieren sich die Gewerkschaften mit dieser Politik auf jenen Sektor des<br />

bundesdeutschen <strong>Sozialstaat</strong>es, der eine – auch im internationalen Vergleich – immer<br />

noch hohe Leistungskraft besitzt, und vernachlässigen im Gegenzug gerade die<br />

Bereiche mit <strong>den</strong> größten Leistungsdefiziten. Ihrer Aufmerksamkeit entgeht auf diese<br />

Weise der ebenso grundsätzliche wie dringliche sozialpolitische Reformbedarf, der sich<br />

aus <strong>den</strong> Problemen von Armut und sozialer Entkoppelung oder aus <strong>den</strong><br />

Unzulänglichkeiten der sozialen Dienste in Beratung und Hilfe ergibt – also „unterhalb“<br />

der Schwelle der großen Sozialversicherungssysteme zu verorten ist.<br />

Da unter <strong>den</strong> gegenwärtigen wirtschaftlichen und politischen Bedingungen offenbar kein<br />

besserer <strong>Sozialstaat</strong> durchgesetzt wer<strong>den</strong> kann, setzt man bei <strong>den</strong> Gewerkschaften auf<br />

das, was man hat: auf <strong>den</strong> bestehen<strong>den</strong> Sozialversicherungsstaat, <strong>den</strong> man so weit wie<br />

möglich zu erhalten sucht. Seit der Regierungsübernahme durch die Sozialdemokratie<br />

gilt in <strong>den</strong> Gewerkschaften als oberste Maxime, vor allem (und allen) anderen „<strong>den</strong><br />

<strong>Sozialstaat</strong> in <strong>den</strong> Grenzen von 1998“ zu verteidigen. Dass sich dieser real existierende<br />

<strong>Sozialstaat</strong> – mit seinen Leistungsversagen, seinen Finanzierungsproblemen und seinen<br />

Gerechtigkeitsdefiziten – nicht, und schon gar nicht mit guten Grün<strong>den</strong>, verteidigen<br />

lässt, wird dabei entweder übersehen oder unterschlagen. Für ihre defensive<br />

Sozialversicherungs-Sicherungspolitik wer<strong>den</strong> die Gewerkschaften auf mittlere Sicht<br />

keine gesellschaftliche Zustimmung erhalten. Sie wer<strong>den</strong> im Gegenteil an<br />

gesellschaftlichem Rückhalt, politischem Vertrauen und sozialpolitischer<br />

Kompetenzzuschreibung verlieren. Folgt sie weiterhin diesem Weg, so wird sich die<br />

bundesdeutsche Gewerkschaftsbewegung nicht länger als eine bedeutsame Triebkraft<br />

sozialstaatlicher Politik behaupten können.

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