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Ein neues Leitbild für den Sozialstaat - Sozialpolitik aktuell

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Obgleich sie die am Markt generierten Arbeitseinkommen ersetzen oder ergänzen,<br />

sollen sozialstaatliche Leistungen <strong>den</strong> Mechanismus der Markteinkommen nicht außer<br />

Kraft setzen, sondern in Bedarfsfällen lediglich „fortsetzen“ sowie die Empfänger und<br />

Empfängerinnen sozialstaatlicher Leistungen, wenn irgend möglich, zu eigenen<br />

Leistungen anhalten. Diese Idee der Leistungsgerechtigkeit wird durch Prinzipien der<br />

Bedarfsgerechtigkeit ergänzt, manchmal auch korrigiert. In ihrem Geiste wer<strong>den</strong> vor<br />

allem in <strong>den</strong> öffentlichen Fürsorgesystemen und im Rahmen der Gesetzlichen<br />

Krankenversicherung Leistungen festgesetzt. Aber auch in anderen Bereichen der<br />

sozialen Sicherung wird zumindest der Zugang zu <strong>den</strong> Leistungsangeboten von diesen<br />

Prinzipien her geöffnet. Sowohl die Idee der Leistungsgerechtigkeit als auch die<br />

Prinzipien der Bedarfsgerechtigkeit sind egalitaristisch eingefärbt und verbieten daher,<br />

bestimmte Menschen auf Grund welcher Merkmale auch immer bei der<br />

leistungsgemäßen <strong>Ein</strong>kommenszumessung oder bei der bedarfsgerechten<br />

Leistungsgewährung zu benachteiligen.<br />

Was die Finanzierung der sozialstaatlichen Leistungen angeht, soll – wie bereits<br />

angesprochen – bei <strong>den</strong> steuerfinanzierten Systemen die Belastung nach der<br />

individuellen Leistungsfähigkeit erfolgen; im Bereich der beitragsfinanzierten Systeme ist<br />

dagegen das Solidaritätsprinzip bestimmend. In normativer Hinsicht ist der Unterschied<br />

zwischen bei<strong>den</strong> Prinzipien allerdings nicht besonders trennscharf, da auch die<br />

Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit als Forderung der Solidarität begründet<br />

wer<strong>den</strong> kann.<br />

Gemessen an der Idee der Leistungsgerechtigkeit steht der real existierende <strong>Sozialstaat</strong><br />

in einem schlechten Licht, da er zu viele und zu hohe „arbeitsfreie <strong>Ein</strong>kommen“ gewährt<br />

und damit eine leistungsgerechte Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums<br />

verunmöglicht. Unter Berufung auf die Leistungsgerechtigkeit können deshalb viele<br />

politische Akteure, durchaus mit einigem Erfolg, <strong>Ein</strong>schränkungen insbesondere bei <strong>den</strong><br />

Leistungen der Arbeitslosen- und Sozialhilfe bzw. größere Leistungsanreize im Sinne<br />

eines „aktivieren<strong>den</strong> <strong>Sozialstaat</strong>es“ fordern. Bei genauerer Analyse wird die normative<br />

Idee der Leistungsgerechtigkeit jedoch an einer anderen, und zwar grundsätzlicheren<br />

Stelle verletzt: Wenn das gesellschaftlich – also arbeitsteilig – erwirtschaftete<br />

Sozialprodukt leistungsgerecht aufgeteilt wer<strong>den</strong> soll, so müssen auch alle Mitglieder<br />

der Gesellschaft die Möglichkeit haben, eine der gesellschaftlichen Arbeitsteilung<br />

entsprechende, durch <strong>Ein</strong>kommen anerkannte Leistung erbringen zu können.<br />

Strukturelle Zugangsbarrieren zu gesellschaftlich anerkannten Aktivitäten schränken<br />

dagegen systematisch – und a priori – die Gerechtigkeit der leistungsgemäßen<br />

Verteilung ein. Diese funktionalen Voraussetzungen der Leistungsgerechtigkeit sind<br />

unter <strong>den</strong> gegebenen Bedingungen verfestigter Massenarbeitslosigkeit offensichtlich<br />

nicht erfüllt. Mit der Missachtung dieser Voraussetzungen aber verletzt der real<br />

existierende <strong>Sozialstaat</strong> zugleich <strong>den</strong> Gedanken der Leistungsgerechtigkeit.

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