11.05.2014 Aufrufe

Ein neues Leitbild für den Sozialstaat - Sozialpolitik aktuell

Ein neues Leitbild für den Sozialstaat - Sozialpolitik aktuell

Ein neues Leitbild für den Sozialstaat - Sozialpolitik aktuell

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

24<br />

Das allerdings kann für diesen <strong>Sozialstaat</strong> keine Entwarnung sein, <strong>den</strong>n sein hohes<br />

Budget wird leistungsseitig zunehmend weniger gerechtfertigt, sondern im Gegenteil<br />

durch kontinuierliche Beschränkungen seines Leistungskatalogs sowie durch die<br />

angesprochenen Leistungsmängel effektiv in Frage gestellt. Die immer noch hohe<br />

Akzeptanz der Gesetzlichen Krankenversicherung etwa leidet nicht nur durch die<br />

Erfahrung von Leistungseinschränkungen oder gar von Leistungsverweigerungen im<br />

eigenen Fall, sondern nicht zuletzt auch dadurch, dass die versprochene Solidarität<br />

zwischen Kranken und Gesun<strong>den</strong> immer weniger auch tatsächlich verwirklicht wird.<br />

Ähnliches wird auch für die Sozialhilfe gelten, deren Nettozahler eben nicht nur<br />

misstrauisch gegenüber missbräuchlicher Inanspruchnahme sind, sondern ebenso sehr<br />

auch gegenüber der faktischen Unwirksamkeit dieser institutionalisierten Garantie<br />

menschenwürdigen Lebens. Insofern gilt, dass das strukturelle Leistungsversagen des<br />

bundesdeutschen <strong>Sozialstaat</strong>es nicht nur an sich be<strong>den</strong>klich, sondern zudem auch<br />

legitimatorisch selbstzerstörerisch ist.<br />

Gerechtigkeitsdefizite<br />

Ob die Strukturen, Institutionen und Verfahren einer Gesellschaft gerecht bzw.<br />

ungerecht sind, entscheidet sich daran, dass sie gegenüber allen Betroffenen mit<br />

hinreichend guten Grün<strong>den</strong>, und in diesem Sinne allgemein, gerechtfertigt oder eben<br />

nicht gerechtfertigt wer<strong>den</strong> können. <strong>Ein</strong>e entsprechende Prüfung verlangt einen<br />

unparteilichen, sprich externen Standpunkt „außerhalb“ der zu prüfen<strong>den</strong> Strukturen,<br />

Institutionen und Verfahren – wenngleich auch keinen Standpunkt außerhalb der<br />

Gesellschaft. Da es in unserer Kritik darum geht, <strong>den</strong> real existieren<strong>den</strong> <strong>Sozialstaat</strong><br />

„beim Wort zu nehmen“, wollen wir im Folgen<strong>den</strong> jedoch nicht prüfen, ob und in<br />

welchem Maße er allgemein gerechtfertigt wer<strong>den</strong> kann. Wir wer<strong>den</strong> statt dessen seine<br />

Gerechtigkeitsdefizite im Abgleich mit seinen eigenen, ihm gleichsam „eingebauten“<br />

Gerechtigkeitsvorstellungen erheben. Für <strong>den</strong> deutschen <strong>Sozialstaat</strong> – wie auch für<br />

je<strong>den</strong> anderen – sind Gerechtigkeitsvorstellungen konstitutiv, insofern die politische<br />

Ordnung der staatlichen Sicherungs- und Fürsorgesysteme durch normative<br />

Bewertungen und Orientierungen beeinflusst wurde und weiterhin beeinflusst wird – und<br />

zwar sowohl bei der Definition der für sozialstaatliches Handeln relevanten<br />

Problemlagen und Leistungsbedarfe, bei der Auswahl der zur Problembewältigung<br />

eingesetzten Instrumente und Organisationsformen wie auch bei der Verteilung der zur<br />

Finanzierung der Problembearbeitung notwendigen Belastungen. Wenngleich (auch) der<br />

bundesdeutsche <strong>Sozialstaat</strong> weder über eine einheitliche noch über eine kodifizierte und<br />

dokumentierte „Ethik“ verfügt, sind gleichwohl jeweils bereichsspezifische<br />

Gerechtigkeitsvorstellungen in seine Sicherungs- und Fürsorgesysteme eingelagert.<br />

Insbesondere was die Höhe von Sozialeinkommen, aber auch was <strong>den</strong> Zugang zu<br />

seinen Leistungsprogrammen und die Bedingungen der Leistungsgewährung angeht,<br />

wird der deutsche <strong>Sozialstaat</strong> erstrangig von der Idee der Leistungsgerechtigkeit her<br />

bestimmt. Wie auch immer gerechtfertigt und wie auch immer konkretisiert, soll der<br />

Anteil der Menschen am gesellschaftlich verfügbaren <strong>Ein</strong>kommen in irgendeiner Weise<br />

ihren jeweiligen Leistungen bei dessen Erstellung entsprechen.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!