11.05.2014 Aufrufe

Ein neues Leitbild für den Sozialstaat - Sozialpolitik aktuell

Ein neues Leitbild für den Sozialstaat - Sozialpolitik aktuell

Ein neues Leitbild für den Sozialstaat - Sozialpolitik aktuell

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

22<br />

Mit der Zahl der Arbeitslosen wachsen seit Ende der 1970er Jahre bei <strong>den</strong><br />

Sozialversicherungen und in <strong>den</strong> öffentlichen Fürsorgesystemen, insbesondere aber<br />

auch bei der Bundesanstalt (jetzt Bundesagentur) für Arbeit die<br />

Leistungsverpflichtungen und damit die Ausgaben, während mit der rückläufigen<br />

Beschäftigtenzahl zugleich auch die Beitrags- und Steuereinnahmen schrumpfen. Diese<br />

durch die Massenarbeitslosigkeit geöffnete Schere zwischen <strong>Ein</strong>nahmen und Ausgaben<br />

wurde durch die deutsche <strong>Ein</strong>igung noch stärker geöffnet. Dem drastischen Anstieg bei<br />

<strong>den</strong> Leistungen etwa der Gesetzlichen Renten- und der Arbeitslosenversicherung<br />

entspricht bis heute kein vergleichbares Wachstum der <strong>Ein</strong>nahmen aus Steuern und<br />

Beiträgen, vor allem weil der Trend massiver Beschäftigungsverluste und ansteigender<br />

Arbeitslosigkeit in <strong>den</strong> neuen Bundesländern nicht gestoppt wer<strong>den</strong> konnte.<br />

Für das „Beitrittsgebiet“ wurde deshalb im Jahre 2001 eine (nicht nur) im Vergleich zu<br />

<strong>den</strong> alten Bundesländern extrem hohe Sozialleistungsquote von über 48 Prozent<br />

erreicht. Als zusätzlicher Grund für die offene Schere zwischen <strong>Ein</strong>nahmen und<br />

Ausgaben wird häufig der demographische Wandel, also die relative Zunahme von<br />

älteren Menschen und die sich immer weiter ausdehnende Phase des „dritten<br />

Lebensalters“, angeführt: Da vergleichsweise mehr alte Menschen über zunehmend<br />

längere Zeiträume hinweg Leistungsansprüche erheben, sind die Ausgaben vor allem<br />

der Renten- und Krankenversicherung gestiegen, während zugleich die Zahl der Steuerund<br />

Beitragszahler gesunken ist. Diese Behauptung ist allerdings mit Vorsicht zu<br />

genießen. Steigende Ausgaben bei der Rentenversicherung sowie sinkende Steuer- und<br />

Beitragseinnahmen wer<strong>den</strong> nämlich zumindest nicht unmittelbar durch die<br />

demographische Entwicklung verursacht, sondern entschei<strong>den</strong>d durch Arbeitsmarktlage<br />

und -beteiligung beeinflusst. Steigende Ausgaben für die medizinische und pflegerische<br />

Versorgung hingegen sind – entgegen hartnäckiger Behauptung des Gegenteils im<br />

politischen Diskurs – so nicht nachzuweisen, und zwar u.a. deshalb, weil der<br />

Versorgungsbedarf alter Menschen regelmäßig (und unabhängig von ihrem Lebensalter)<br />

erst kurz vor deren Tode exponentiell ansteigt.<br />

Die seit geraumer Zeit geöffnete Schere zwischen <strong>Ein</strong>nahmen und Ausgaben hat der<br />

deutsche Staat nicht schließen können – mehr noch: haben die politisch<br />

Verantwortlichen wohl auch nicht schließen wollen. Steuerpolitisch wur<strong>den</strong> die Probleme<br />

bei der Finanzierung öffentlicher Aufgaben – auch jenseits der <strong>Sozialpolitik</strong> – sogar noch<br />

verschärft, indem man einen massiven <strong>Ein</strong>bruch bei <strong>den</strong> Gewinn- und<br />

Vermögenssteuern parteiübergreifend zugelassen bzw. bewusst betrieben hat.<br />

Nachdem die Beitragssätze bei <strong>den</strong> Sozialversicherungen über Jahrzehnte hinweg<br />

kontinuierlich gestiegen sind, wird gegenwärtig in diesem Bereich Beitragsstabilität<br />

verordnet, mithin eine Verbesserung der <strong>Ein</strong>nahmen durch höhere Beitragssätze<br />

ausgeschlossen. Schließlich ist dem Staat aufgrund restriktiver Auflagen des EU-<br />

Stabilitätspaktes im Prinzip auch die Flucht in die Staatsverschuldung verbaut.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!