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Ein neues Leitbild für den Sozialstaat - Sozialpolitik aktuell

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Mit der „Krise des Normalarbeitsverhältnisses“, der Zunahme „atypischer“<br />

Beschäftigungsformen und der spätestens seit <strong>den</strong> 1980er Jahren verfestigten<br />

Massenarbeitslosigkeit geriet diese Konstruktion unter Druck – und mit ihr die<br />

Lebensbedingungen eines wachsen<strong>den</strong> Teils der Bevölkerung. Für die Menschen<br />

nämlich, die wegen der Umbrüche auf dem Arbeitsmarkt die (nach wie vor) unterstellte<br />

Normalität abhängiger Beschäftigung verfehlen, wer<strong>den</strong> aus <strong>den</strong> lohnarbeitszentrierten<br />

Zugangsvoraussetzungen der sozialen Sicherungssysteme Zugangsbarrieren, so dass<br />

sie immer seltener deren Leistungen in Anspruch nehmen können.<br />

Sie sind stattdessen – mehr oder weniger dauerhaft – auf die weniger generösen, weil<br />

nicht als Lohnersatzsysteme konzipierten Fürsorgeprogramme angewiesen. Trotz ihres<br />

gegenteiligen Auftrags können diese Programme aber ihre Leistungsbezieher – bzw.<br />

deren Haushalte – keineswegs immer über die Armutsschwelle heben, so dass<br />

Arbeitslosigkeit zu einer der häufigsten Armutsursachen gewor<strong>den</strong> ist. Die<br />

Arbeitslosenversicherung, geschaffen zur Überbrückung von kurzfristigen<br />

Arbeitslosigkeitssequenzen, kommt mit der bestehen<strong>den</strong> Massen- und<br />

Langzeitarbeitslosigkeit nicht zurecht. Und die <strong>Ein</strong>kommenssituation der<br />

Langzeitarbeitslosenhaushalte wird sich durch die beschlossene Zusammenlegung von<br />

Arbeitslosen- und Sozialhilfe auf Sozialhilfeniveau eher noch weiter verschärfen.<br />

Neben Arbeitslosigkeit sind Kinder im Haushalt der zweite bedeutende Armutsfaktor in<br />

der Bundesrepublik. Auch dafür sind die sozialstaatlichen Systeme mitverantwortlich: So<br />

wie sie der anhalten<strong>den</strong> Massenarbeitslosigkeit zum Trotz nach wie vor reguläre<br />

Erwerbsarbeit als gesellschaftlich gelebte Normalität unterstellen, so gehen sie auch –<br />

und auch hier entgegen jeder sozialen Realität – von einer gesellschaftlichen<br />

Gleichverteilung der Kinderlasten aus, „rechnen“ also damit, dass in allen Haushalten<br />

Familien sind. Und weil sie Familien als Normalität unterstellen, beauftragen sie die real<br />

existieren<strong>den</strong> Familien mit weitreichen<strong>den</strong> Aufgaben, vor allem mit Versorgungs- und<br />

Betreuungspflichten für die in diesen Familien leben<strong>den</strong> Kinder – und dies mit langen<br />

Fristen. Die Kinderlasten sind nun aber nicht gleichverteilt: Immer mehr Menschen leben<br />

kinderlos, wenn auch nicht immer freiwillig und gewünscht. In dieser Situation geraten<br />

nun aber die Familien zunehmend ins Hintertreffen: Ihre Haushalte wer<strong>den</strong> zu Aufgaben<br />

verpflichtet, von <strong>den</strong>en die Haushalte anderer entlastet bleiben; die Kosten dieser<br />

Aufgaben haben sie aus einem in der Regel geringeren Haushaltseinkommen zu<br />

decken, sofern die Eltern sich beruflich zumeist in irgendeiner Form zurücknehmen<br />

müssen, um ihrer Verantwortung gegenüber ihren Kindern gerecht wer<strong>den</strong> zu können;<br />

schließlich müssen die Familienhaushalte die zur Versorgung und Betreuung der Kinder<br />

notwendigen Waren und Dienstleistungen, wie etwa <strong>den</strong> ausreichend großen<br />

Wohnraum, auf Märkten besorgen, die zunehmend von der vergleichsweise höheren<br />

Kaufkraft derer bestimmt wer<strong>den</strong>, die keine Kinder zu versorgen und zu betreuen haben.<br />

Die daraus resultierende Benachteiligung der Familien wird bislang durch <strong>den</strong> <strong>Sozialstaat</strong><br />

nicht hinreichend kompensiert, weswegen dieser zunehmend mehr Familien in<br />

akute Armutslagen bringt, die wiederum weitere Benachteiligungen, etwa bei der<br />

Altersversorgung der Eltern oder der (Aus-)Bildung der Kinder, zur Folge haben.

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