Ein neues Leitbild für den Sozialstaat - Sozialpolitik aktuell
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Durch die Prominenz und Vehemenz der Radikalkritik im herrschen<strong>den</strong> sozialpolitischen<br />
Diskurs sollte man sich also nicht zur Verteidigung des Bestehen<strong>den</strong> verleiten lassen.<br />
An die Kritik der sozialstaatsfeindlichen Kritik schließen wir in diesem Sinne – und in<br />
sozialstaatsfreundlicher Absicht – eine Kritik des real existieren<strong>den</strong> <strong>Sozialstaat</strong>es an.<br />
<strong>Ein</strong>e solche Kritik braucht Maßstäbe – und diese wiederum bedürfen der Rechtfertigung.<br />
Vergleichsweise einfach gestaltet sich die Explikation solcher Maßstäbe, wenn sie vom<br />
Objekt der Kritik selbst, in Gestalt dessen eigener Ansprüche, übernommen wer<strong>den</strong><br />
können. Dann nämlich nimmt man das Kritisierte „beim Wort“ und vermisst <strong>den</strong> Abstand<br />
zwischen Wort, also selbst gesetztem Anspruch, und Wirklichkeit, sprich der <strong>Ein</strong>lösung<br />
jenes Anspruchs. In diesem Sinne wollen wir im Folgen<strong>den</strong> die bestehen<strong>den</strong><br />
Sicherungs- und Fürsorgesysteme an ihren eigenen (etwa im Sozialgesetzbuch<br />
niedergelegten) Zielvorgaben sowie an <strong>den</strong> allgemeinen Erwartungen überprüfen, die<br />
über die Jahrzehnte hinweg von diesen Systemen geweckt wor<strong>den</strong> sind und deshalb<br />
auch nicht zufällig an sie gerichtet wer<strong>den</strong>. Dabei müssen wir uns zunächst an einen<br />
engen Begriff vom <strong>Sozialstaat</strong> halten, wie er in der Bundesrepublik mit Blick auf die<br />
para-staatlichen Sozialversicherungen und die staatlichen Fürsorgeinstrumente<br />
allgemein unterstellt wird. Damit bleiben in einem ersten Schritt wichtige Bereiche<br />
sozialpolitischer Intervention, etwa das gesamte Feld von Bildung, Ausbildung und<br />
Weiterbildung, unberücksichtigt, die in anderen Ländern und deshalb auch in der<br />
vergleichen<strong>den</strong> Forschung dem Gestaltungsraum des – wie es dort zumeist und ohne<br />
jede negative Konnotation heißt – Wohlfahrtsstaats zugerechnet wer<strong>den</strong>. Wir wer<strong>den</strong><br />
dieses enge <strong>Sozialstaat</strong>sverständnis im weiteren Verlauf der Expertise ausweiten<br />
müssen, zunächst jedoch <strong>den</strong> bundesdeutschen, typischerweise auf das Geschäft der<br />
sozialen Sicherung und Fürsorge konzentrierten <strong>Sozialstaat</strong> „beim Wort nehmen“, ihn<br />
also an seinen eigenen sozialpolitischen Ansprüchen messen.<br />
Leistungsversagen<br />
Von <strong>den</strong> Vertretern der Radikalkritik wird dem bundesdeutschen <strong>Sozialstaat</strong> gerne das<br />
Ziel einer allumfassen<strong>den</strong> „Rundumversorgung“ seiner Klienten und <strong>den</strong><br />
Leistungsempfängern selbst eine „Vollkasko-Mentalität“ unterstellt. Diese Kritik hat mit<br />
dem real existieren<strong>den</strong> <strong>Sozialstaat</strong> wenig bis gar nichts zu tun. Denn auch nach<br />
<strong>Ein</strong>führung und Ausbau der sozialstaatlichen Sicherungs- und Fürsorgesysteme liegt in<br />
der Bundesrepublik die Verantwortung für <strong>den</strong> eigenen Lebensunterhalt und für die<br />
Bewältigung der vielfältigen Lebensrisiken zunächst einmal bei <strong>den</strong> einzelnen. Immerhin<br />
aber verspricht der deutsche <strong>Sozialstaat</strong> allen legal in der Bundesrepublik sich<br />
aufhalten<strong>den</strong> Personen die Möglichkeit, menschenwürdig zu leben (GG Art. 1 Abs. 1,<br />
BSHG Art. 1 Abs. 2), und im Bedarfsfall auch die aus professioneller Sicht notwendige<br />
medizinische und pflegerische Versorgung. <strong>Ein</strong>en besonderen Schutz soll er<br />
Ehepartnern und Familien gewähren (GG Art. 5 Abs. 1), wobei nichteheliche Kinder <strong>den</strong><br />
ehelichen Kindern gleichzustellen sind (Abs. 5).