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Ein neues Leitbild für den Sozialstaat - Sozialpolitik aktuell

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Und dieses System hat tatsächlich einige Schwierigkeiten, bei einem Teil der<br />

Bevölkerung die Grundversorgung – und damit vergleichbare Lebenslagen für alle<br />

Bürgerinnen und Bürger – zu gewährleisten. Der bestehende <strong>Sozialstaat</strong> verhindert<br />

nicht nur Armut, sondern ist zugleich selbst, durch die Art seiner Unterstützung der<br />

gesamten Bevölkerung, für diese Armut mitverantwortlich. Wir wer<strong>den</strong> darauf im<br />

Weiteren noch ausführlicher eingehen müssen.<br />

Wenn also das Leistungsversagen des bestehen<strong>den</strong> <strong>Sozialstaat</strong>es am unteren<br />

<strong>Ein</strong>kommensrand treffend kritisiert wer<strong>den</strong> kann, verkennt die wohlfeile Kritik im Namen<br />

der „wirklich Bedürftigen“ jedoch die bereits angesprochene Grundlogik der in der<br />

Bundesrepublik etablierten Systeme sozialer Sicherung und Fürsorge. An deren Wiege<br />

stand eben nicht die Hilfe für die Ärmsten der Armen, sondern die solidarische<br />

Bewältigung gemeinsamer Risiken und Verwerfungen seitens der Arbeitnehmer und<br />

später zunehmend auch ihrer Familien. Diese Veranstaltung der Solidarität konnte auch<br />

die Unterstützung der auf Hilfe besonders angewiesenen Menschen in sich aufnehmen,<br />

wodurch die in <strong>den</strong> kollektiven Sicherungs- bzw. Sozialversicherungssystemen<br />

organisierte Solidarität der Arbeitnehmer über die ergänzen<strong>den</strong> Fürsorgesysteme zur<br />

Solidarität zwischen allen Bürgerinnen und Bürgern erweitert wurde, die sich als<br />

Mitglieder einer wenigstens einigermaßen zivilisierten Gesellschaft wechselseitig<br />

Unterstützung schul<strong>den</strong> und einander die Bedingungen der Möglichkeit eines<br />

menschenwürdigen Lebens gewährleisten müssen. Auf diese Solidarität aber haben<br />

folgerichtig keineswegs nur die „wirklich Bedürftigen“ Anspruch, sondern grundsätzlich<br />

jeder Mensch, der sich legalerweise auf dem Staatsterritorium der Bundesrepublik<br />

aufhält, – auch wenn sie jeweils nur die „wirklich Bedürftigen“ in Anspruch nehmen<br />

(sollen). <strong>Ein</strong> solidarisches und deshalb allgemeines System der sozialen Sicherung und<br />

Fürsorge steht nicht im Widerspruch zur Unterstützung von „wirklich Bedürftigen“. Es<br />

gibt sogar gute Gründe für die Annahme, dass solch allgemeine Systeme für die<br />

„wirklich Bedürftigen“ eine verlässlichere (und auch für die Bevölkerungsmehrheit<br />

akzeptablere) Form der Unterstützung gewährleisten als die auf sie spezialisierten<br />

Systeme „kategorialer“ Fürsorge.<br />

2.2. Kritik des bestehen<strong>den</strong> <strong>Sozialstaat</strong>s<br />

Über die Kritik der Kritik dürfen nun aber die Leistungsversagen, Finanzierungsprobleme<br />

und Gerechtigkeitsdefizite der bestehen<strong>den</strong> Systeme sozialer Sicherung und Fürsorge<br />

nicht übersehen wer<strong>den</strong>. So falsch die vorgestellten Kritiken in ihrer radikalen Negation<br />

des <strong>Sozialstaat</strong>s auch liegen – ganz ohne je<strong>den</strong> Wahrheitsgehalt sind sie je<strong>den</strong>falls<br />

nicht. Deswegen fin<strong>den</strong> sie in der politischen Öffentlichkeit und zumal in <strong>den</strong> Medien<br />

vermehrt Zustimmung und stoßen mittlerweile selbst in <strong>den</strong> Gewerkschaften nicht nur<br />

auf Ablehnung. Den bestehen<strong>den</strong> <strong>Sozialstaat</strong> gegen die radikalisierte Kritik zu<br />

verteidigen, hieße deren Wahrheitsgehalt zu übersehen und mit dem bestehen<strong>den</strong><br />

<strong>Sozialstaat</strong> zugleich dessen Leistungsversagen, Finanzierungsprobleme und<br />

Gerechtigkeitsdefizite zu rechtfertigen, damit aber in <strong>den</strong> sozialpolitischen<br />

Auseinandersetzungen angreifbar zu wer<strong>den</strong> und der Sache einer solidarischen<br />

<strong>Sozialpolitik</strong> zu scha<strong>den</strong>.

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