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Ein neues Leitbild für den Sozialstaat - Sozialpolitik aktuell

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Angesichts eines unvergleichbar höheren Wohlstandsniveaus sei die Mehrheit der<br />

Menschen mittlerweile allerdings in der Lage, ihre individuellen Vorsorgeleistungen in<br />

die eigene Verantwortung zu nehmen und selbst zu entschei<strong>den</strong>, wie viel ihnen ihre<br />

zukünftige Sicherheit wert sei. Würde man sie von der Mitgliedschaft in <strong>den</strong><br />

sozialstaatlichen Zwangssystemen und damit von ihrer hohen Steuer- und Beitragslast<br />

befreien, so könnten die Bürgerinnen und Bürger ihre Vorsorge privat und<br />

selbstbestimmt organisieren, was, so wird behauptet, für sie (aber auch<br />

gesamtwirtschaftlich) nicht nur effizienter und renditeträchtiger sei, sondern sie endlich<br />

auch von der fürsorglichen Vormundschaft des <strong>Sozialstaat</strong>es erlöse. Sie wür<strong>den</strong> damit –<br />

spät, aber doch – in die Lage versetzt, ihr eigenes Leben frei zu gestalten und ihre<br />

Vorsorgetätigkeit ihren je individuellen Sicherheitsbedürfnissen und Risikoängsten<br />

anzupassen.<br />

Auch hier gilt wiederum: „Freiheit“, „Eigenverantwortung“, „Selbstbestimmung“ – was<br />

könnte man dagegen wohl sagen? Vielleicht Folgendes: Die Institution des Staates ist in<br />

modernen Gesellschaften – bestenfalls – die einzige Instanz, die individuell bin<strong>den</strong>de<br />

und gesellschaftsweit verbindliche Entscheidungen setzen und zugleich auch<br />

durchsetzen kann. Der moderne Staat hat es insofern unweigerlich mit Zwang zu tun –<br />

und dies auch und selbst dann, wenn dieser Staat als <strong>Sozialstaat</strong> Aufgaben der sozialen<br />

Sicherung und Fürsorge übernommen hat. Zum Schutz der Freiheit des einzelnen ist es<br />

daher zweifellos geboten, <strong>den</strong> über <strong>den</strong> Staat ausgeübten Zwang auf ein Minimum zu<br />

reduzieren. Doch übersieht die liberale Kritik am Zwangscharakter des modernen<br />

Staates durchweg die andere Seite der Medaille: Zumindest in demokratischen<br />

Gesellschaften ist der Staat für seine freien Bürgerinnen und Bürger nicht nur das<br />

zwingende Gegenüber; er ist zugleich auch immer ihr ureigenes Instrument, auf „ihre“<br />

Gesellschaft einzuwirken und auf diese Weise eben auch ihre Freiheit und damit auch<br />

die Freiheit aller zu ermöglichen und zu erweitern. An dieser Selbstermöglichung der<br />

Freiheit aller aber, an der über öffentliche Instanzen vermittelten <strong>Ein</strong>wirkung der<br />

Bürgerinnen und Bürger auf sich selbst und auf die Bedingungen ihres kollektiven<br />

Zusammenlebens, hat der Staat als <strong>Sozialstaat</strong> hervorragen<strong>den</strong> Anteil. Dieser<br />

<strong>Sozialstaat</strong> ist historisch nicht allein das Ergebnis industriell-kapitalistischer<br />

Funktionserfordernisse gewesen – und ebenso wenig bloß eine vormundschaftliche<br />

Erfindung staatlicher Machthaber. Er war zuvor Forderung von Bürgerinnen und<br />

Bürgern, die eine Verbesserung ihrer Lebenslage forderten, – und ist insoweit auch „nur“<br />

die Antwort eben jener Machthaber auf entsprechende Forderungen. Zudem täuscht<br />

sich die liberale Kritik entschei<strong>den</strong>d in der Logik des in der Bundesrepublik politisch<br />

erkämpften <strong>Sozialstaat</strong>es: Vorbereitet durch die Solidarversicherungen der<br />

Arbeiterbewegung und konzeptionell vorgedacht unter anderem in <strong>den</strong> Sozialethiken der<br />

christlichen Kirchen geht es bei diesem <strong>Sozialstaat</strong> nicht, zumindest aber nicht primär,<br />

um die Übernahme von Aufgaben, die die einzelnen privat nicht leisten können.

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