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Ein neues Leitbild für den Sozialstaat - Sozialpolitik aktuell

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2. Der deutsche <strong>Sozialstaat</strong> in der Kritik: <strong>Ein</strong>e Bestandsaufnahme<br />

2.1. Kritik der radikalen <strong>Sozialstaat</strong>skritik<br />

Die Kritik am deutschen <strong>Sozialstaat</strong>, die Frage nach seiner Zukunfts- und<br />

Reformfähigkeit, ist das bestimmende Thema der <strong>aktuell</strong>en politischen Diskussion in der<br />

Bundesrepublik. Der Kritiker des überkommenen sozialstaatlichen Arrangements sind<br />

viele, im öffentlichen wie im wissenschaftlichen Raum. Dass „unser“ <strong>Sozialstaat</strong><br />

überdimensioniert, beschäftigungsfeindlich und ewiggestrig sei, gehört – weil auf allen<br />

Kanälen gebetsmühlenartig wiederholt – mittlerweile zum Allgemeinwissen einer<br />

interessierten Öffentlichkeit. Doch man muss <strong>den</strong> deutschen <strong>Sozialstaat</strong> Bismarckscher<br />

Prägung nicht lieben, um gleichwohl vieles an der gängigen Kritik – und an <strong>den</strong> darauf<br />

aufbauen<strong>den</strong> sozialpolitischen „Reform“-Vorschlägen und -Aktivitäten – wenig<br />

überzeugend zu fin<strong>den</strong>. Die Arbeit an einem neuen <strong>Leitbild</strong> für <strong>den</strong> bundesdeutschen<br />

<strong>Sozialstaat</strong> muss daher mit einer Kritik seiner Kritik beginnen.<br />

Das gängigste – und naheliegenderweise eingängigste – Versatzstück <strong>aktuell</strong>er<br />

<strong>Sozialstaat</strong>skritik ist selbstre<strong>den</strong>d das Kostenargument: Die sozialen<br />

Sicherungssysteme, so heißt es, seien „zu teuer“ gewor<strong>den</strong>. Was in Zeiten<br />

wirtschaftlicher Prosperität an sozialen Rechtsansprüchen aufgebaut und sozialpolitisch<br />

eingelöst wor<strong>den</strong> sei, könne sich die bundesdeutsche Gesellschaft nunmehr nicht mehr<br />

leisten. Unabhängig davon, ob die in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts<br />

vollzogene Ausweitung sozialstaatlicher Leistungsverbürgungen nun rückblickend als<br />

„überzogen“ kritisiert und der sozialpolitische Gezeitenwechsel mit Genugtuung<br />

registriert wird oder nicht: So oder so lautet die einhellige Botschaft, dass die fetten<br />

Jahre, die Zeiten der Umverteilung, vorbei seien. Stattdessen müsse „man“ – beliebt<br />

auch: müssten „wir alle“ – <strong>den</strong> Gürtel nunmehr enger schnallen. Dass diese Botschaft<br />

keine frohe ist, dürfte vollkommen unstrittig sein. Dass sie aber unzweifelhaft „wahr“ ist<br />

und als solche keinen Widerspruch duldet, wird man – obwohl dies in der öffentlichen<br />

Debatte kaum mehr gewagt wird – mit Fug und Recht bestreiten können: Handelt es<br />

sich doch ganz offenkundig um eine politische Botschaft, die sich durch <strong>den</strong> Verweis auf<br />

„unbezweifelbare“ Sachverhalte und „alternativlose“ Handlungsmuster gegen<br />

konkurrierende politische Positionen und Optionen zu immunisieren trachtet.<br />

Die sozialpolitischen Sachverhalte aber sind so eindeutig nicht: Die vergleichende<br />

Wohlfahrtsstaatsforschung zeigt, dass der deutsche (und zumal der westdeutsche)<br />

<strong>Sozialstaat</strong> weder besonders aufwendig und kostspielig noch besonders großzügig ist.<br />

Wenn etwas an seiner jüngeren Entwicklung auffällig ist, dann die im internationalen<br />

Vergleich überdurchschnittliche Bremsung seiner Ausgabendynamik. Berücksichtigt<br />

man zudem <strong>den</strong> wachsen<strong>den</strong> (auf die Alterung der Gesellschaft und die<br />

Wiedervereinigung der bei<strong>den</strong> deutschen Staaten zurückzuführen<strong>den</strong>) sozialpolitischen<br />

Problemdruck, dann verbietet sich die beliebte Rede von der „Kostenexplosion“ im<br />

sozialen Sicherungswesen von selbst.

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