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Ein neues Leitbild für den Sozialstaat - Sozialpolitik aktuell

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In dem Maße, wie entsprechende Deutungsmuster auch in bislang als<br />

„sozialstaatsfreundlich“ geltende Milieus diffundiert und auf diese Weise endgültig im<br />

öffentlichen Diskurs dominant gewor<strong>den</strong> sind, sind die – wenigen – Verteidiger des<br />

<strong>Sozialstaat</strong>s in eine höchst dilemmatische Situation geraten. Zum einen wer<strong>den</strong> sie in<br />

beängstigender <strong>Ein</strong>mütigkeit als partikularistische Besitzstandswahrer und ideologisierte<br />

Reformblockierer diffamiert. Zum anderen laufen sie angesichts entsprechender Angriffe<br />

Gefahr, reflexartig für die bestehen<strong>den</strong> (und die bestehende Gestalt der) sozialen<br />

Sicherungs- und Fürsorgesysteme Position zu beziehen, dabei aber deren – für je<strong>den</strong><br />

kritischen Beobachter unbestreitbaren – Gerechtigkeitslücken, Leistungsschwächen und<br />

Finanzierungsprobleme zu übergehen. ∗<br />

Die vorliegende Expertise will einen Weg aus diesem strategischen Dilemma aufzeigen,<br />

indem eine argumentative Position jenseits von sozialstaatlicher Radikalkritik und<br />

sozialpolitischer Defensive bezogen wird. Sie geht von der Diagnose aus, dass eine<br />

schlichte Verteidigung des Bestehen<strong>den</strong> dem gegenwärtig überschäumen<strong>den</strong>,<br />

parteiübergreifen<strong>den</strong> „Reform“-Eifer nicht Paroli wird bieten können: Zu groß sind die<br />

unbestreitbaren Defizite, zu lang ist die Mängelliste des bundesdeutschen <strong>Sozialstaat</strong>s.<br />

Um <strong>den</strong> <strong>Sozialstaat</strong> in der Bundesrepublik verteidigen zu können, muss auf dem Wege<br />

der Kritik an seinen Gerechtigkeitslücken, seinen Leistungsschwächen und<br />

Finanzierungsproblemen der gesellschaftliche Bedarf nach sozialer Sicherung und<br />

Fürsorge neu begründet wer<strong>den</strong>. Um diesen Bedarf dann zu decken, muss der<br />

bestehende <strong>Sozialstaat</strong> weder abgebaut noch neu erfun<strong>den</strong> wer<strong>den</strong>. Notwendig ist<br />

allerdings sein bereits seit vielen Jahren geforderter – doch nicht wirklich systematisch<br />

betriebener – Umbau.<br />

Die folgen<strong>den</strong> Ausführungen beruhen auf zwei grundsätzlichen Ausgangsüberlegungen.<br />

Erstens gilt es strikt zwischen der Verteidigung des <strong>Sozialstaat</strong>s als Instrument sozialen<br />

Ausgleichs und gesellschaftspolitischer Gestaltung einerseits und der Verteidigung<br />

bestehender sozialstaatlicher Institutionen und Interventionen andererseits zu<br />

unterschei<strong>den</strong>. Der bundesdeutsche <strong>Sozialstaat</strong> in seiner gegenwärtigen, historisch<br />

gewachsenen Gestalt ist ein gutes Beispiel dafür, dass das eine dem anderen abträglich<br />

sein kann. Zweitens bedarf es eines positiven, attraktiven Bildes zukünftiger<br />

<strong>Sozialstaat</strong>lichkeit, um in Verteidigung des <strong>Sozialstaat</strong>s jenem Ziel näher zu kommen,<br />

welches seine Kritiker – in entgegengesetzter Absicht – zunehmend erfolgreich<br />

verfolgen: nicht nur die die sozialstaatlichen Pflichtverteidiger, sondern breite<br />

gesellschaftliche Schichten sozialpolitisch zu mobilisieren. <strong>Ein</strong>stweilen nämlich kann die<br />

Kritik, die dem etablierten sozialstaatlichen Institutionengefüge derzeit entgegenschlägt,<br />

nicht in jedem Fall als ideologisch abgetan wer<strong>den</strong>.<br />

∗<br />

Als <strong>den</strong> Bereich sozialer „Sicherung“ bezeichnen wir im Weiteren jene unmittelbar an das Arbeitsverhältnis<br />

anknüpfen<strong>den</strong> Systeme der Zuweis ung von Sekundäreinkommen, die (nicht nur) in Deutschland in der<br />

institutionellen Form der Sozialversicherung(en) bekannt sind. In <strong>den</strong> Bereich sozialer „Fürsorge“ hingegen<br />

fallen nach diesem Verständnis all jene sozialpolitischen Instrumente, die darauf zielen, soziale Bedarfe<br />

unabhängig von der Existenz eines Arbeitsverhältnisses zu decken; paradigmatisch hierfür ist im deutschen<br />

Fall die Institution der Sozialhilfe.

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