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Opfer sexueller Gewalt

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Osnabrück, den<br />

11.09.2013<br />

Polizeilicher Umgang mit Kindern und<br />

Jugendlichen, die <strong>Opfer</strong> <strong>sexueller</strong><br />

<strong>Gewalt</strong> geworden sind<br />

Désirée Krikkis<br />

Polizeikommissaranwärterin


„Bei allen Maßnahmen, die Kinder betreffen,<br />

gleichviel ob sie<br />

von öffentlichen oder privaten Einrichtungen<br />

der sozialen Fürsorge,<br />

Gerichten, Verwaltungsbehörden oder<br />

Gesetzgebungsorganen<br />

getroffen werden, ist<br />

das Wohl des Kindes<br />

ein Gesichtspunkt, der vorrangig zu berücksichtigen<br />

ist.“<br />

UN, 1989


Gliederung<br />

1. Strafrechtliche/ Polizeiliche Einordnung<br />

2. Definitionsproblematik<br />

3. Die Vernehmung<br />

4. Mögliche weitere Maßnahmen seitens der<br />

Polizei<br />

5. Zusammenarbeit verschiedener Institutionen<br />

6. Strafanzeige ja/ nein


Strafrechtliche/<br />

Polizeiliche Einordnung<br />

●<br />

●<br />

§§ 176 ff. => Schutz ungestörter <strong>sexueller</strong><br />

Entwicklung junger Menschen<br />

Strafe für sexuelle Handlungen an Kindern bzw.<br />

Jugendlichen, differenziert nach Alter<br />

+ Erheblichkeit:<br />

„sozial nicht mehr hinnehmbare<br />

Beeinträchtigung“


Definitionsproblematik<br />

●<br />

●<br />

●<br />

„Sexueller Missbrauch“ = strafrechtlich<br />

unbestimmter Rechtsbegriff<br />

Auch in der Forschung keine einheitliche<br />

Festlegung → unterschiedliche Perspektiven<br />

Für die Polizei relevante Kriterien<br />

●<br />

●<br />

●<br />

Sexuelle Handlung → für objektiven Betrachter<br />

erkennbar<br />

Machtgefälle<br />

Niedrige Erheblichkeitsschwelle


Rechtliche Grundlagen<br />

der Vernehmung<br />

Grds. gilt: Kinder haben als Zeugen die gleichen<br />

Rechte und Pflichten wie Erwachsene<br />

●<br />

§ 52 StPO Zeugnisverweigerungsrecht<br />

Besonderheit: Erziehungsberechtigte<br />

nehmen dieses Recht für Kinder mit wahr<br />

Ist gesetzliche Vertreter nicht mit<br />

Vernehmung einverstanden oder will<br />

das Kind nicht aussagen => keine<br />

Vernehmung


Rechtliche Grundlagen<br />

der Vernehmung<br />

§ 57 StPO Wahrheitspflicht<br />

Bei Jugendlichen: Verpflichtung zur<br />

Wahrheit und Hinweis auf mögliche<br />

jugendrichterliche Sanktionen<br />

Bei Kindern: Wahrheitsversprechungen wie<br />

„Versprichst du, mir die Wahrheit zu sagen?“


Rechtliche Grundlagen<br />

der Vernehmung<br />

§ 406f III StPO Anwesenheit einer<br />

Vertrauensperson gestatten<br />

Nr. 221 RiStBv<br />

Nr. 19a RiStBV<br />

Forderung nach beschleunigtem<br />

Verfahren, sofern kindliche<br />

<strong>Opfer</strong>zeugen beteiligt sind<br />

Vertrauensperson<br />

Anwesenheitsrecht für Eltern<br />

Aber: kann für Ermittlungserfolg<br />

hinderlich sein


Vorgehen der Polizei -<br />

Vorbereitung<br />

Ziel: Vermeidung wiederholter Vernehmungen<br />

Einholen wichtiger Informationen im Vorfeld:<br />

Hat sich das Kind jemandem anvertraut?<br />

Wie waren die Umstände dieser Situation?<br />

Wie könnten andere Personen Einfluss auf die<br />

Aussage des Kindes genommen haben?<br />

sofern der Ermittlungserfolg nicht gefährdet<br />

wird, zunächst Erwachsene befragen, um sich<br />

einen Eindruck vom Betroffenen zu verschaffen<br />

Aber: zeitliche Nähe!!


Kontaktaufnahme zu anderen<br />

Einrichtungen<br />

●<br />

ggf. gesetzlich vorgeschriebene<br />

Ergänzungspflege (§ 1909 BGB)<br />

– Aufgaben des gesetzlichen Vertreters<br />

– in der Regel, wenn ein oder beide<br />

gesetzliche Vertreter beschuldigt sind, eine<br />

Straftat zum Nachteil des Kindes begangen<br />

zu haben


Kontaktaufnahme zu anderen<br />

Einrichtungen<br />

●<br />

Sachverständige: BGH-Urteil aus dem Jahr<br />

1999 sowie Nr. 222 RiStBV<br />

Sachverständige bei einem Sexualdelikt<br />

möglichst schon bei einer ersten Vernehmung<br />

hinzuziehen<br />

●<br />

Jugendamt<br />

●<br />

StA


Vernehmungsort/<br />

Vernehmungsperson<br />

Vernehmungsort<br />

→ kindgerechte und störungsfreie Atmosphäre<br />

Ausnahmsweise: häusliche Umgebung, wenn<br />

diese nicht Tatort war und es sich bei dem <strong>Opfer</strong><br />

um ein sehr junges Kind handelt<br />

Vernehmungsperson<br />

Männlich oder weiblich<br />

→ versuchen, auf Wünsche des Kindes<br />

einzugehen


Ablauf der Vernehmung<br />

●<br />

Kontaktphase<br />

Kennenlernen<br />

●<br />

●<br />

Belehrung<br />

Vorbereitungsphase<br />

– Daten<br />

– Übungsfrage (Geburtstag)<br />

Entwicklungsstand/ sprachliche Fähigkeiten<br />

– Bezeichnung Geschlechtsorgane<br />

Vermeidung von Missverständnissen


Ablauf der Vernehmung<br />

●<br />

Phase der Informationserhebung<br />

– zunächst freies Erzählen, im Anschluss<br />

Fragen<br />

●<br />

Anschlussphase<br />

– Beruhigung, Möglichkeit für Kind Fragen zu<br />

stellen


Welche Informationen<br />

benötigt die Polizei?<br />

●<br />

Zu erfragende Inhalte<br />

– wichtig: Details<br />

Erinnerung an bestimmte Zwischenfälle<br />

erhöhen die Glaubwürdigkeit<br />

Problem: Bei mehrfachem Missbrauch<br />

können Erinnerungen oft nicht mehr klar<br />

auseinandergehalten werden<br />

Differenzierung nötig, sonst: Verurteilung nur<br />

aufgrund einer Einzeltat


Welche Informationen<br />

benötigt die Polizei?<br />

– Täter-<strong>Opfer</strong>-Beziehung<br />

→ Einfluss Täter auf <strong>Opfer</strong><br />

→ klären, ob Täter sein <strong>Opfer</strong> zu einer<br />

Geheimhaltungsübereinkunft bewegt hat<br />

– Widersprüche aufklären


Videovernehmung<br />

●<br />

Ideal:<br />

erste Vernehmung unter Hinzuziehung von<br />

Audio- und Videotechnik<br />

●<br />

Videovernehmungszimmer


Videovernehmung<br />

●<br />

Erfüllen von Voraussetzungen für eine<br />

Verwendung in der Hauptverhandlung:<br />

– Angeklagte und/ oder sein gesetzlicher<br />

Vertreter hatte die Möglichkeit bei<br />

Videovernehmung anwesend zu sein<br />

– Vernehmung von einem Richter<br />

Vernehmung durch Polizeibeamte kann bei<br />

Einverständnis eingebracht werden<br />

Einhaltung ist keine Garantie für das<br />

Ausbleiben einer Vernehmung in der<br />

Hauptverhandlung


Warum nicht immer eine<br />

Videovernehmung?<br />

●<br />

●<br />

●<br />

●<br />

Organisation → ggf. Zeitliche Verzögerung<br />

Einhalten der genannten Voraussetzungen und<br />

trotzdem keine Verwendung in<br />

Hauptverhandlung<br />

Verhalten in Ausnahmesituation<br />

Technischen Möglichkeiten fehlen


Mögliche weitere Maßnahmen<br />

seitens der Polizei<br />

●<br />

●<br />

●<br />

●<br />

●<br />

●<br />

Einzelfallabhängig<br />

Inobhutnahme durch Jugendamt veranlassen<br />

(Vorläufige) Festnahme Beschuldigter<br />

– Entlassung<br />

Glaubhauftigkeitsbegutachtung<br />

Körperliche Untersuchung<br />

Sicherstellung auch privater Gegenstände<br />

→ wichtig: schnelles Vorgehen


Zusammenarbeit<br />

verschiedener Institutionen<br />

●<br />

Warum ist Zusammenarbeit aus polizeilicher<br />

Sicht wichtig?<br />

– Belastungen für <strong>Opfer</strong> verringern<br />

– Anzahl der Aussagen minimieren<br />

– Ggf. Vorbereitung auf Verfahren/ Aussage<br />

– Eltern und Kinder besser/ umfassender<br />

betreuen<br />

– Arbeitsteilung


Zusammenarbeit<br />

verschiedener Institutionen<br />

●<br />

●<br />

●<br />

●<br />

„Handbook on Justice for Victims“<br />

– Netzwerk<br />

– Gegenseitiges Kennenlernen<br />

– Möglichkeiten der jeweiligen Einrichtung<br />

– Aufdeckung & Schließen von Lücken<br />

– Verantwortungen festlegen → Überschneidungen<br />

verhindern<br />

Gemeinsame Nachbesprechung von<br />

bearbeiteten Fällen (z.B. Projekt S-H)<br />

Leitfäden<br />

Flyer


Zusammenarbeit<br />

verschiedener Institutionen<br />

●<br />

Wie kann die Polizei zu einer erfolgreichen<br />

Zusammenarbeit beitragen?<br />

– Im rechtlichen Rahmen mögliche<br />

Informationsweitergabe Legalitätsprinzip<br />

– Beratung<br />

– Erklärung Verfahrensabläufe


Zusammenarbeit<br />

verschiedener Institutionen<br />

●<br />

Wo könnten aus polizeilicher Sicht Probleme<br />

auftreten?<br />

– Legalitätsprinzip<br />

– Reicht Anonymisierung von Daten aus?<br />

– Zeit


Zusammenarbeit<br />

verschiedener Institutionen<br />

●<br />

Wie könnten andere Einrichtungen die Polizei<br />

unterstützen?<br />

– Umfassende Dokumentation von<br />

Erstaussagen<br />

●<br />

Orientiert an dem für Anzeige wichtigen Wissen<br />

– Vorbereitung des <strong>Opfer</strong>s auf Kontakt mit<br />

Polizei<br />

– Betreuung während/ nach Strafverfahren


Strafanzeige ja/ nein?<br />

●<br />

Einzelfallbetrachtung<br />

– Nie von vorneherein ausschließen<br />

●<br />

●<br />

Gefährdung anderer Kinder berücksichtigen<br />

Kann bei positivem Verlauf des Verfahrens zur<br />

Verarbeitung beitragen<br />

immer orientiert am Wohl des Kindes


Literatur<br />

Artkämper, Heiko & Schilling, Karsten (2012). Vernehmungen: Taktik – Psychologie – Recht. Hilden: Verlag<br />

Deutsche Polizeiliteratur GmBH Buchvertrieb.<br />

Bölter, Herbert (1996). Handreichung für die Bearbeitung von Strafverfahren wegen <strong>sexueller</strong> Straftaten an<br />

Kindern. In: Deutsche Richterzeitung 74 (7), 273-282.<br />

Deegener, Günther (2010). Kindesmissbrauch – Erkennen – helfen – vorbeugen. 5. Auflage, Weihnheim und<br />

Basel: Beltz Verlag.<br />

Enders, Ursula (2011). Zart war ich, bitter war`s – Handbuch gegen sexuellen Missbrauch. 4. Auflage. Köln:<br />

Kiepenheuer & Witsch.<br />

Gründer, Mechthild & Kleiner, Rosa & Nagel, Hartmut (2004). Wie man mit Kindern darüber reden kann. Ein<br />

Leitfaden zur Aufdeckung <strong>sexueller</strong> Misshandlung. 3. Auflage. Weinheim und München: Juventa Verlag.<br />

Hershkowitz, Irit & Horowitz, Dvora & Lamb, Michael E. (2007). Individual and Family Variables Associated with<br />

Disclosure and Nondisclosure of Child Abuse in Israel. In: Pipe, Margaret-Ellen & Lamb, Michael E. & Orbach, Yael<br />

& Cederborg, Ann-Christin (Hrsg.). Child Sexual Abuse. Disclosure, Delay and Denial. Mahwah, New Jersey:<br />

Lawrence Erlbaum Associates, Inc., Publishers, 65-75.<br />

Pence, Donna M. (2011). Child Abuse and Negelct Investigation. In: Myers, John E.B. (2011). The APSAC<br />

Handbook on Child Maltreatment. 3 rd edition, Thozusand Oaks: SAGE Publications, Inc, 325-336.<br />

Saywitz, Karen J. & Lyon, Thomas D. & Goodman, Gail S. (2011). Interviewing Children. In: Myers, John E.B.<br />

(2011). The APSAC Handbook on Child Maltreatment. 3 rd edition, Thousand Oaks: SAGE Publications, Inc., 337-<br />

360.<br />

Weihmann, Robert & Schuch, Claus Peter (2010). Kriminalistik – Für Studium, Praxis, Führung, 11. Auflage,<br />

Hilden: Verlag Deutsche Polizeiliteratur.


Vielen Dank<br />

für Ihre Aufmerksamkeit


Bei Fragen kontaktieren<br />

Sie mich gerne unter<br />

desiree.krikkis@polizei.niedersachsen.de

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