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Anett und Joschi

„Weißt du, ich habe einen total netten Jungen kennengelernt. Absolut toll find' ich den. Super klasse ist der. Ich werd mich jetzt öfter mit ihm treffen, da bleibt für uns nicht mehr so viel Zeit. Natürlich können wir nicht mehr ständig zusammen sein. Und ich werde auch gar nicht mehr so viel an uns denken, Joschi, die Liebe ist nämlich auch etwas Berauschendes und füllt meine Gedanken fast ganz aus. Für uns bleibt da gar nicht mehr so viel Platz.“ erklärte ich ganz nüchtern. Joschi hatte auch ganz ruhig zugehört. „Und für wann hast du das vorgesehen? Ist schon ein Termin festgelegt?“ erkundigte er sich. „Joschi, du bist gemein, ich bin doch schon verliebt. Hast du das denn nicht gehört?“ reagierte ich lachend. „Aber wie stellst du dir das denn vor? Mehrere Mädchen aus unserer Klasse haben schon einen Freund, mit dem sie gehen. Soll ich mir auch einen zulegen? Bei dir wird es bald nicht anders aussehen. Alle werden sie eine Freundin haben, da brauchst du doch auch eine.“ erklärte ich. „Du spinnst, Anett, ich brauche keine Freundin.“ reagierte Joschi. „Aber immer, Joschi, alle Jungen brauchen eine Freundin, und alle Mädchen brauchen einen Freund, weil alle Frauen einen Mann und alle Männer eine Frau brauchen. Das ist nun mal so. Das ist natürlich. So ist das in den Genen festgelegt, in deinen auch.“ reagierte ich. „Und du? Seit wann bist du auf einmal nicht mehr meine Freundin?“ wollte Joschi wissen. Ob Anett doch noch Joschis Freundin war, oder ob sich alles ganz anders entwickelt, ist in der Geschichte zu erfahren.

„Weißt du, ich habe einen total netten Jungen kennengelernt. Absolut toll find' ich den. Super klasse ist der. Ich werd mich jetzt öfter mit ihm treffen, da bleibt für uns nicht mehr so viel Zeit. Natürlich können wir nicht mehr ständig zusammen sein. Und ich werde auch gar nicht mehr so viel an uns denken, Joschi, die Liebe ist nämlich auch etwas Berauschendes und füllt meine Gedanken fast ganz aus. Für uns bleibt da gar nicht mehr so viel Platz.“ erklärte ich ganz nüchtern. Joschi hatte auch ganz ruhig zugehört. „Und für wann hast du das vorgesehen? Ist schon ein Termin festgelegt?“ erkundigte er sich. „Joschi, du bist gemein, ich bin doch schon verliebt. Hast du das denn nicht gehört?“ reagierte ich lachend. „Aber wie stellst du dir das denn vor? Mehrere Mädchen aus unserer Klasse haben schon einen Freund, mit dem sie gehen. Soll ich mir auch einen zulegen? Bei dir wird es bald nicht anders aussehen. Alle werden sie eine Freundin haben, da brauchst du doch auch eine.“ erklärte ich. „Du spinnst, Anett, ich brauche keine Freundin.“ reagierte Joschi. „Aber immer, Joschi, alle Jungen brauchen eine Freundin, und alle Mädchen brauchen einen Freund, weil alle Frauen einen Mann und alle Männer eine Frau brauchen. Das ist nun mal so. Das ist natürlich. So ist das in den Genen festgelegt, in deinen auch.“ reagierte ich. „Und du? Seit wann bist du auf einmal nicht mehr meine Freundin?“ wollte Joschi wissen. Ob Anett doch noch Joschis Freundin war, oder ob sich alles ganz anders entwickelt, ist in der Geschichte zu erfahren.

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Carmen Sevilla<br />

<strong>Anett</strong> <strong>und</strong> <strong>Joschi</strong><br />

Anfassen nicht möglich<br />

Erzählung<br />

“Those who restrain desire do so because<br />

theirs is weak enough to be restrained.”<br />

William Blake<br />

„Weißt du, ich habe einen total netten Jungen kennengelernt.<br />

Absolut toll find' ich den. Super klasse ist der. Ich werd mich jetzt<br />

öfter mit ihm treffen, da bleibt für uns nicht mehr so viel Zeit.<br />

Natürlich können wir nicht mehr ständig zusammen sein. Und ich<br />

werde auch gar nicht mehr so viel an uns denken, <strong>Joschi</strong>, die Liebe<br />

ist nämlich auch etwas Berauschendes <strong>und</strong> füllt meine Gedanken<br />

fast ganz aus. Für uns bleibt da gar nicht mehr so viel Platz.“<br />

erklärte ich ganz nüchtern. <strong>Joschi</strong> hatte auch ganz ruhig zugehört.<br />

„Und für wann hast du das vorgesehen? Ist schon ein Termin<br />

festgelegt?“ erk<strong>und</strong>igte er sich. „<strong>Joschi</strong>, du bist gemein, ich bin<br />

doch schon verliebt. Hast du das denn nicht gehört?“ reagierte ich<br />

lachend. „Aber wie stellst du dir das denn vor? Mehrere Mädchen<br />

aus unserer Klasse haben schon einen Fre<strong>und</strong>, mit dem sie gehen.<br />

Soll ich mir auch einen zulegen? Bei dir wird es bald nicht anders<br />

aussehen. Alle werden sie eine Fre<strong>und</strong>in haben, da brauchst du<br />

doch auch eine.“ erklärte ich. „Du spinnst, <strong>Anett</strong>, ich brauche keine<br />

Fre<strong>und</strong>in.“ reagierte <strong>Joschi</strong>. „Aber immer, <strong>Joschi</strong>, alle Jungen<br />

brauchen eine Fre<strong>und</strong>in, <strong>und</strong> alle Mädchen brauchen einen Fre<strong>und</strong>,<br />

weil alle Frauen einen Mann <strong>und</strong> alle Männer eine Frau brauchen.<br />

Das ist nun mal so. Das ist natürlich. So ist das in den Genen<br />

festgelegt, in deinen auch.“ reagierte ich. „Und du? Seit wann bist<br />

du auf einmal nicht mehr meine Fre<strong>und</strong>in?“ wollte <strong>Joschi</strong> wissen. Ob<br />

<strong>Anett</strong> doch noch <strong>Joschi</strong>s Fre<strong>und</strong>in war, oder ob sich alles ganz<br />

anders entwickelt, ist in der Geschichte zu erfahren.<br />

<strong>Anett</strong> <strong>und</strong> <strong>Joschi</strong> – Seite 1 von 19


<strong>Anett</strong> <strong>und</strong> <strong>Joschi</strong> - Inhalt<br />

<strong>Anett</strong> <strong>und</strong> <strong>Joschi</strong>.....................................................................................3<br />

Fre<strong>und</strong> <strong>und</strong> Fe<strong>und</strong>in gesucht....................................................................3<br />

Verliebtheitszirkus..................................................................................4<br />

Enge Fre<strong>und</strong>e vom ersten Tag..................................................................5<br />

Eigenständiges Leben..............................................................................6<br />

Herbstschleier........................................................................................7<br />

Studium................................................................................................8<br />

Tanz in den Mai......................................................................................9<br />

Ohne Drehbuch......................................................................................9<br />

Nicht nochmal......................................................................................10<br />

Es hat keinen Zweck mehr.....................................................................13<br />

Geständnis..........................................................................................15<br />

Leben mit <strong>Joschi</strong>...................................................................................15<br />

<strong>Anett</strong> <strong>und</strong> <strong>Joschi</strong> – Seite 2 von 19


<strong>Anett</strong> <strong>und</strong> <strong>Joschi</strong><br />

Fre<strong>und</strong> <strong>und</strong> Fe<strong>und</strong>in gesucht<br />

„Weißt du, ich habe einen total netten Jungen kennengelernt. Absolut toll find'<br />

ich den. Super klasse ist der. Ich werd mich jetzt öfter mit ihm treffen, da<br />

bleibt für uns nicht mehr so viel Zeit. Natürlich können wir nicht mehr ständig<br />

zusammen sein. Und ich werde auch gar nicht mehr so viel an uns denken, <strong>Joschi</strong>,<br />

die Liebe ist nämlich auch etwas Berauschendes <strong>und</strong> füllt meine Gedanken<br />

fast ganz aus. Für uns bleibt da gar nicht mehr so viel Platz.“ erklärte ich<br />

ganz nüchtern. <strong>Joschi</strong> hatte auch ganz ruhig zugehört. „Und für wann hast du<br />

das vorgesehen? Ist schon ein Termin festgelegt?“ erk<strong>und</strong>igte er sich. „<strong>Joschi</strong>,<br />

du bist gemein, ich bin doch schon verliebt. Hast du das denn nicht gehört?“<br />

reagierte ich lachend. „Aber wie stellst du dir das denn vor? Mehrere Mädchen<br />

aus unserer Klasse haben schon einen Fre<strong>und</strong>, mit dem sie gehen. Soll ich mir<br />

auch einen zulegen? Bei dir wird es bald nicht anders aussehen. Alle werden<br />

sie eine Fre<strong>und</strong>in haben, da brauchst du doch auch eine.“ erklärte ich. „Du<br />

spinnst, <strong>Anett</strong>, ich brauche keine Fre<strong>und</strong>in.“ reagierte <strong>Joschi</strong>. „Aber immer, <strong>Joschi</strong>,<br />

alle Jungen brauchen eine Fre<strong>und</strong>in, <strong>und</strong> alle Mädchen brauchen einen<br />

Fre<strong>und</strong>, weil alle Frauen einen Mann <strong>und</strong> alle Männer eine Frau brauchen. Das<br />

ist nun mal so. Das ist natürlich. So ist das in den Genen festgelegt, in deinen<br />

auch.“ reagierte ich. „Und du? Seit wann bist du auf einmal nicht mehr meine<br />

Fre<strong>und</strong>in? Hat es seitdem wir uns im Kinderladen kennengelernt haben einen<br />

Tag gegeben, an dem du bezweifeln konntest, meine Fre<strong>und</strong>in zu sein?“ <strong>Joschi</strong><br />

dazu. „Na klar, du bist genauso gut für mich das Kostbarste auf der Welt, <strong>und</strong><br />

das weiß du doch auch, aber das ist ja ganz anders. Bei uns ist es doch nicht<br />

so, wie bei Verliebten, oder soll ich jetzt sagen: „<strong>Joschi</strong>, ich liebe dich. Ich will<br />

mit dir gehen. Komm her <strong>und</strong> küss mich.“?“ wollte ich geklärt haben. Wir kringelten<br />

uns vor lachen. Das taten wir offensichtlich am liebsten. Unsere Beziehung<br />

war ganz stark geprägt von dem Bedürfnis, gemeinsam zu lachen. Damit<br />

hatte es am ersten Tag im Kinderladen begonnen <strong>und</strong> die Struktur hatte sich<br />

bis heute immer erhalten. Früher hatten wir uns meistens umarmt <strong>und</strong> dabei<br />

auf dem Teppich oder dem Bett gekugelt. Wir balgten auch gern <strong>und</strong> kämpften<br />

mit Kitzeln, aber das hatte irgendwann, wir wussten nicht mal genau wann,<br />

wahrscheinlich war es schleichend weniger geworden, aufgehört. Warum,<br />

konnte auch keiner sagen. Wahrscheinlich war es eines von diesen unausgesprochenen<br />

<strong>und</strong> ungeschriebenen Gesetzen der Allgemeinheit, die du internalisiert<br />

hast, ohne dir je Gedanken darüber zu machen. Du weiß es nicht einmal,<br />

aber befolgst sie unbewusst. Wie viel es davon sonst noch wohl gab, was du<br />

einfach so machst, wie alle es so tun, wie man es eben so macht? „Wenn es dir<br />

gar nicht bewusst wird, kannst du es doch auch nicht verhindern. Dann tust du<br />

oder unterlässt etwas doch automatisch.“ hatte <strong>Joschi</strong> gemeint. „Aber wenn ich<br />

dich frage, warum du für die Mathearbeit paukst, dann kannst du mir sagen,<br />

warum du es tuest. Wo du aber sagen musst, weil man es so macht, weil alle<br />

es so tun, hast du eigentlich keinen Gr<strong>und</strong> genannt. Alles was du machst ist<br />

dein persönliches Handeln, immer. Die Allgemeinheit oder man können kein<br />

<strong>Anett</strong> <strong>und</strong> <strong>Joschi</strong> – Seite 3 von 19


Gr<strong>und</strong> sein, der mit dir selbst etwas zu tun hat. Wenn du zu mir kommst, tust<br />

du es doch, weil du dich darauf freust. Mit der Allgemeinheit wollte ich nicht<br />

jeden Nachmittag etwas zu tun haben.“ erläuterte ich. Wir hatten schon<br />

darüber gesprochen, als wir noch relativ jung waren. Das hatte zur Folge, dass<br />

unser Verhalten nicht selten als widerspenstig, renitent <strong>und</strong> nonkonformistisch<br />

bezeichnet wurde, wenn man fre<strong>und</strong>lich war. Bei den Mitschülerinnen <strong>und</strong><br />

Mitschülern brachte es manchmal Anerkennung, wenn es so eingeschätzt<br />

wurde, dass man sich etwas nicht gefallen ließ.<br />

Verliebtheitszirkus<br />

Aber jetzt, wollten wir es nicht genauso machen, wie es alle machen? Auch<br />

wenn keiner von uns beiden ein Bedürfnis nach Liebesrausch in sich verspürte,<br />

war es doch nicht etwas, worum man sich nicht zu kümmern brauchte. Es war<br />

nicht eine Mode von heute, etwas was die Leute zur Zeit so machten, worauf<br />

man aber auch genauso gut verzichten konnte. „Stell dir das doch mal vor, wir<br />

würden verliebt spielen. Immer mit verliebter Stimme uns gegenseitig zärtlich<br />

Süßes sagen.“ malte ich ein Bild. „Hör auf, lass das, benimm dich normal.“<br />

würde ich sagen, weil ich es nicht ertragen könnte, dich so bekloppt zu erleben.“<br />

erklärte <strong>Joschi</strong>. „Na klar, das ging gar nicht. Es wäre absolutes Zirkustheater.“<br />

bestätigte ich <strong>Joschi</strong>. „Meinst du nicht, dass es bei den andern oft genauso<br />

ist. Die wollen es nur nicht sehen <strong>und</strong> dürfen es vor sich selbst nicht<br />

wahrhaben. Liebe? Wo soll denn da die Liebe sein? Die kennen sich doch meistens<br />

kaum. Die lieben ihre eigenen Illusionen <strong>und</strong> Träume.“ erklärte <strong>Joschi</strong>.<br />

„Na, was willst du auch anders lieben, als das was in deinem Kopf ist, nur hat<br />

das bei den meisten ja gar keine Basis. Die haben doch keine Erfahrung in gemeinsamer<br />

liebevoller Praxis. Die haben doch meistens kaum etwas miteinander<br />

zu tun gehabt. Die schwärmen ausschließlich von ihren Wunschbildern <strong>und</strong><br />

von der Glückseligkeit der Liebe. Total an der Oberfläche. Sentimentalitäten<br />

sind das, wie sie sie auch auf dem Weihnachtsmarkt haben können, nur das<br />

darf man nicht erkennen.“ kommentierte ich bestätigend. „Und was meinst du,<br />

wie lang die Erfahrung mit gemeinsamer liebevoller Praxis dauern müsste, bis<br />

du erkennen kannst, dass es sich um tiefgründige, f<strong>und</strong>ierte Liebe handelt?<br />

Würden da zehn Jahre ausreichen?“ wollte <strong>Joschi</strong> von mir wissen <strong>und</strong> lachte.<br />

„Wäre doch nicht schlecht, oder. Nur kann man sich dann auch gegenseitig<br />

nicht mehr anfassen, nicht mehr küssen oder sogar miteinander ficken.“ meinte<br />

ich dazu. Wir kannten uns schon länger als zehn Jahre. Eigentlich hätte sich<br />

doch in der Pubertät der Wunsch nach sexuellem Kontakt entwickeln müssen,<br />

aber das Gegenteil war eher der Fall. Die Vorstellung, dass ich mit <strong>Joschi</strong> ins<br />

Bett gehen <strong>und</strong> mit ihm Sex haben sollte, war nicht nur <strong>und</strong>enkbar, sondern<br />

widerlich abstoßend. <strong>Joschi</strong> erklärte auch:„Ich weiß nicht, warum das so ist,<br />

aber wenn ich mir vorstelle, dass ich dir an die Brust fasse, <strong>und</strong> es würde mich<br />

erregen, müsste ich mich vor mir selbst furchtbar schämen.“ „Ich kann mir das<br />

nur so erklären,“ stellte ich es dar, „dass wir so eng verb<strong>und</strong>ene Fre<strong>und</strong>e sind,<br />

macht uns direkt selbst aus, den Menschen <strong>Joschi</strong> <strong>und</strong> den Menschen <strong>Anett</strong>.<br />

Das ist etwas Unzerbrechliches aus unserem Wesen. Das Verhältnis von Mann<br />

<strong>und</strong> Frau, mit dem wir jetzt konfrontiert werden, hat damit nichts zu tun. Das<br />

sind Zusammenhänge aus dem Alltag, der keineswegs automatisch zu uns<br />

<strong>Anett</strong> <strong>und</strong> <strong>Joschi</strong> – Seite 4 von 19


passt.“ „Und warum passt der Alltag nicht zu uns? Wir sind doch in diesem Alltag<br />

aufgewachsen <strong>und</strong> leben in ihm?“ wollte <strong>Joschi</strong> wissen. „Na, unsere Liebe<br />

das sind wir selbst, wir ganz authentisch, aber das Alltagsleben, das uns<br />

umgibt, sind keineswegs wir selbst. Es ist auch nicht selbstverständlich zufällig<br />

alles so, wie es ist. Hinter allem was geschieht, was die Leute tun, stecken<br />

immer Interessen, <strong>und</strong> das sind nicht unsere.“ erklärte ich. „Sondern? Welche<br />

Interessen stecken dahinter?“ wollte <strong>Joschi</strong> wissen. „Du Schlaumeier, wir leben<br />

im Kapitalismus, das weißt du doch auch. Letztendlich ist alles daran<br />

ausgerichtet. Verhalten, das dazu passt oder nicht stört, ist erlaubt, was ihn<br />

stört oder sogar bekämpft, ist verboten oder wird sonstwie sanktioniert.“<br />

erläuterte ich. „Du meinst also, wie wir uns lieben, sieht der Kapitalismus nicht<br />

so gern. Wir sollten uns einen Fre<strong>und</strong> oder eine Fre<strong>und</strong>in zulegen, dann wäre<br />

es in Ordnung?“ erk<strong>und</strong>igte sich <strong>Joschi</strong> <strong>und</strong> bot dadurch wieder einen<br />

Lachanlass.<br />

Enge Fre<strong>und</strong>e vom ersten Tag<br />

Auch wenn wir keinesfalls vorhatten uns kapitalismuskonform zu verlieben<br />

oder unsere Liebe in ein Liebesrauschtheater zu verwandeln, blieb es das zentrale,<br />

ungelöstes Problem. Im Gr<strong>und</strong>e bestand direkt gar kein Problem. Niemand<br />

verspürte ein Bedürfnis oder ein Verlangen, es war uns nur völlig unklar,<br />

wie es in Zukunft werden könnte. Glücklich <strong>und</strong> zufrieden waren wir miteinander.<br />

Entstanden war es so ähnlich, wie das, was andere mit Liebe auf den ersten<br />

Blick bezeichnen. Wenn es bei Frau <strong>und</strong> Mann geschieht, kann Liebe daraus<br />

werden, aber ich glaube, dass Ähnliches gr<strong>und</strong>sätzlich unter allen Menschen<br />

immer möglich ist. Es wird etwas Angeborenes oder zutiefst Menschliches sein,<br />

wie <strong>und</strong> was du in dem anderen erkennst. Schon Babys, denen alle Erfahrungen<br />

mit den später erlernten Klischees fehlen, können beim Anblick eines anderen<br />

Menschen sehr gut differenzieren. Den Menschen an sich sieht der kleine<br />

Junge in seinem Opa, bei dem er spürt, dass der nie etwas zu seinem Nachteil<br />

wird denken können. Nichts ist ihm davon bewusst oder sogar formulierbar.<br />

Ähnlich muss es bei mir <strong>und</strong> <strong>Joschi</strong> im Kinderladen verlaufen sein. Als ich mit<br />

ihm bekannt gemacht wurde, sagte er: „<strong>Anett</strong>e, Babette.“ Ich wollte wissen,<br />

wieso. „Ja, so heißen die Frauen von den Männern, <strong>Anett</strong>e, Babette, Henriette.<br />

Henriette ist die Frau von Heinrich.“ erläuterte er. „Und wie heißt mein Mann?“<br />

wollte ich wissen. „Anton“ bekam ich zur Antwort. „Aber von <strong>Joschi</strong>, wie heißt<br />

denn deine Frau?“ sollte er beantworten. „Gibt es nicht. Ich finde bestimmt nie<br />

eine Frau.“ meinte er. Nach kurzer Bedenkzeit fiel mir ein: „Doch, ich weiß,<br />

Josefine heißt deine Frau.“ „Weiß du denn, wie Frau Merschmann heißt?“ fragte<br />

ich. „Marianne.“ wusste <strong>Joschi</strong>. „Und ihr Mann, wie heißt der?“ wollte ich wissen.<br />

„Wir können sie ja mal fragen.“ schlug <strong>Joschi</strong> vor. „Herr Merschmann.“<br />

sagte sie zunächst, aber <strong>Joschi</strong> fragte nach dem Vornamen. „Frank.“ antwortete<br />

sie knapp. Offensichtlich waren wir leicht verblüfft. Das passte doch überhaupt<br />

nicht. „Und warum heißt du nicht Franziska?“ erk<strong>und</strong>igte sich <strong>Joschi</strong>.<br />

Aber die Antwort warteten wir gar nicht ab, sondern rannten lachend weg.<br />

„Deine Mutter, wie heißt die?“ fragte ich <strong>Joschi</strong>. „Ruth.“ sagte er. „Und dein Vater?“<br />

wollte ich noch wissen. „Der passt überhaupt nicht dazu. Für Ruth gibt es<br />

keinen Mann.“ erklärte <strong>Joschi</strong>. Ein schweres Problem. „<strong>Joschi</strong>, ich weiß, Rudolf<br />

<strong>Anett</strong> <strong>und</strong> <strong>Joschi</strong> – Seite 5 von 19


heißt dein Papa.“ Schon seit Anton <strong>und</strong> Heinrich hatten wir immer gelacht <strong>und</strong><br />

gekichert, <strong>und</strong> das ging immer so weiter. Wir redeten absoluten Blödsinn <strong>und</strong><br />

lachten uns schief. Aber <strong>Joschi</strong> zeigte <strong>und</strong> erklärte mir auch alles im Kinderladen.<br />

Er war ja schon fast ein halbes Jahr da. Auch die anderen Kinder erklärte<br />

er mir nochmal, aber so, dass wir uns bei jeder oder jedem schief lachten. „<strong>Anett</strong><br />

hat sofort einen Fre<strong>und</strong> gef<strong>und</strong>en.“ erklärte die Erzieherin meiner Mutter,<br />

„Die beiden haben die ganze Zeit zusammengehangen.“ Das blieb auch so, am<br />

nächsten Tag <strong>und</strong> am übernächsten Tag <strong>und</strong> immer. Kinderladen, das war für<br />

mich, mit <strong>Joschi</strong> zusammen sein. Die anderen bildeten nur die Equipage <strong>und</strong><br />

der Laden selbst hatte den Rang von schmückendem Beiwerk. Schon im Kinderladen<br />

besuchten wir uns gegenseitig <strong>und</strong> verbrachten die Nacht gemeinsam<br />

bei <strong>Joschi</strong> oder bei mir. Unsere Eltern verstanden sich gut <strong>und</strong> amüsierten sich<br />

über uns. Wir seien wie verschweißt, erklärten sie, aber freuten sich auch darüber,<br />

dass wir so dick befre<strong>und</strong>et waren. Urlaube mussten gemeinsam verbracht<br />

werden. Die Provence mochte ja noch so schön sein, aber was zählte<br />

sie, wenn man <strong>Joschi</strong> da nicht sah? In der Schule änderte sich daran nichts.<br />

Wenn ich ermahnt wurde, meine Hausaufgaben sorgfältiger zu machen, fuhr<br />

<strong>Joschi</strong> auf: „Warum beleidigen sie <strong>Anett</strong>? Sie ist eine gute Schülerin.“ „<strong>Joschi</strong>,<br />

was geht dich das denn an?“ reagierte die Lehrerin. „<strong>Anett</strong> ist meine Fre<strong>und</strong>in.<br />

Wenn jemand ihre Fre<strong>und</strong>in beleidigt, dann sagen sie auch nichts dazu?“ konterte<br />

<strong>Joschi</strong>. Es sprach sich wohl im Laufe der Zeit überall herum, dass Lehrerinnen<br />

<strong>und</strong> Lehrer es bequemer fanden, nie jemanden von uns beiden zu kritisieren.<br />

Ich hatte schon Fre<strong>und</strong>innen <strong>und</strong> <strong>Joschi</strong> hatte auch Fre<strong>und</strong>e, wir verstanden<br />

uns sehr gut <strong>und</strong> unternahmen auch gemeinsam etwas, aber dabei<br />

handelte es sich um eine ganz andere Kategorie von Beziehungen. Ob wir verschweißt<br />

oder wachsen waren, was spielte das für eine Rolle? <strong>Joschi</strong> war in<br />

mir, ich war ohne ihn nicht denkbar. Gleichzeitig war er aber auch ein anderer,<br />

den ich gewiss so gut kannte, wie sonst niemanden, aber trotzdem wurden wir<br />

nie identisch. Darin lag ja auch der Reiz seit dem ersten Moment unseres Kennenlernens.<br />

Wir meinten, uns direkt als originale nackte Menschen erkannt zu<br />

haben. Später umgeben sich die Menschen mit Masken <strong>und</strong> einer ganzen Entourage<br />

aus Verhaltensweisen <strong>und</strong> Beiwerk, dass ihrer Auffassung nach, ihre<br />

Persönlichkeit darstellen soll, den wirklichen Menschen in ihnen aber kaum<br />

noch erkennen lässt. Vielleicht geschieht das bei der Liebe auf den ersten Blick<br />

doch. Der Blick sieht nur tiefer <strong>und</strong> erkennt mehr als die vorgeführte Oberfläche,<br />

weshalb diese Liebe auch dauerhafter sein soll.<br />

Eigenständiges Leben<br />

Wir konnten das Problem nicht lösen, wollten das eine nicht <strong>und</strong> konnten das<br />

andere nicht. Es war müßig, immer erneut darüber zu reden, <strong>und</strong> wir sprachen<br />

nicht mehr darüber. Eine sonderbare, unehrliche Situation entstand. Beide<br />

spürten wir es, dass die Zukunft unserer Beziehung unser Hauptanliegen war,<br />

nur wir sprach über etwas anderes. „<strong>Joschi</strong>, dass ist doch hirnrissig, wir wissen<br />

beide, dass unser Problem durch reden nicht zu lösen ist, würden es aber doch<br />

gerne tun, nur schweigen wir darüber. Ich sehe es mittlerweile ganz anders.“<br />

erklärte ich, was <strong>Joschi</strong> natürlich erläutert haben wollte. „Wir suchen <strong>und</strong> wollen<br />

sie finden, aber vielleicht ist es schlicht so, dass es da wo wir suchen, gar<br />

<strong>Anett</strong> <strong>und</strong> <strong>Joschi</strong> – Seite 6 von 19


keine Lösung geben kann. Schau mal, wenn du zu studieren beginnst, dann<br />

ziehst du aus, dann ist die gemeinsame Zeit mit deinen Eltern <strong>und</strong> deinem Zuhause<br />

zu Ende. Dann beginnt etwas Neues für dich, <strong>und</strong> du suchst ja auch<br />

nicht, nach einer Lösung für das Problem, weil du die alte Zeit trotzdem fortsetzen<br />

möchtest. So ähnlich sehe ich es auch mit uns. Die w<strong>und</strong>ervolle Zeit unserer<br />

Kindheit <strong>und</strong> Jugend sollten wir beenden <strong>und</strong> versuchen zu einem neuen<br />

selbständigen Leben zu finden. Nichts von allem was gewesen ist, werden wir<br />

deshalb vergessen, aber wir sollten ein eigenständiges, neues Leben beginnen.“<br />

erläuterte ich. <strong>Joschi</strong> schwieg <strong>und</strong> sagte auch weiterhin so gut wie nichts<br />

mehr. „Sieh doch mal, zur Pubertät gehört doch nicht nur, dass du geschlechtsreif<br />

wirst, sondern deine Mentalität ändert sich genauso gut. Du empfindest<br />

dich als erwachsener, eigenständiger Mensch. Da sollten wir nicht versuchen,<br />

unsere Kindheit <strong>und</strong> Jugend hinüber zu retten. Wir müssen selbst jemand<br />

werden, dann wird sich unser Problem nicht mehr stellen, sondern wir<br />

werden ganz andere, neue Wege finden.“ fuhr ich fort. „Du meinst also, es<br />

sollte vorbei sein mit uns beiden. Das wäre das Beste <strong>und</strong> würde alle Probleme<br />

lösen?“ mehr sagte <strong>Joschi</strong> nicht. Dann ging er. Zu Hause hat er bestimmt ganz<br />

viel geweint, wenn er es sich vorzustellen versuchte, oder er hat überlegt,<br />

warum alles falsch wäre, was ich gesagt hätte. Bei mir schwankte es immer hin<br />

<strong>und</strong> her. Einerseits glaubte ich schon, was ich gesagt hatte, aber eine Welt<br />

ohne <strong>Joschi</strong>? Das konnte ich mir auch nicht vorstellen, das war gar nicht denkbar.<br />

Ich würde mich daran gewöhnen müssen. Einfach würde das keinesfalls<br />

werden, aber ich war schon überzeugt von dem, was ich gesagt hatte. Ich würde<br />

stark sein, denn einfach zu dem zurück, wie es immer gewesen war, kam<br />

keinesfalls in Frage. Natürlich kam <strong>Joschi</strong> jetzt auch noch, aber seltener. Einmal<br />

haben wir noch lange darüber geredet, weil <strong>Joschi</strong> alles ganz anders sah.<br />

Letztendlich lief es darauf hinaus, dass er meinte, es sei unmenschlich, was wir<br />

uns damit antun würden, sowohl mich als auch ihm würde das psychischen<br />

Schaden zufügen. So ginge es nicht, das könnten wir uns selbst nicht antun.<br />

Nur eine andere Lösung wusste er auch nicht.<br />

Herbstschleier<br />

Zu Anfang kam ich mir stark <strong>und</strong> tapfer vor, dass ich auch in der Lage war,<br />

Tage ohne <strong>Joschi</strong> zu verbringen. In der Regel, wenn nicht etwas Besonderes<br />

anlag, hatten wir uns jeden Tag außerhalb der Schule am Nachmittag oder<br />

Abend getroffen. Fast immer bei mir. Wir hatten anfangs mal gesagt, bei mir<br />

gebe es mehr Möglichkeiten, aber später war es einfach zum Ritual geworden.<br />

Seit dem ersten mal spürte ich die Freude, wenn ich wusste, das <strong>Joschi</strong> kam.<br />

Zur selbstverständlichen Alltagsroutine wurde es nie. Menschen, für die es zum<br />

selbstverständlichen Alltag gehört, liebe Fre<strong>und</strong>e mit einem flapsigen „Hy“ zu<br />

begrüßen, erkennen ihre wirklichen Gefühle nicht mehr, nehmen sie gar nicht<br />

mehr war. Der Fre<strong>und</strong> wird zum Teil ihres technologisierten Tagesablaufs. Natürlich<br />

fehlte mir <strong>Joschi</strong>. Wie richtige Trauer kam es mir vor, als ob ich ihn verloren<br />

hätte. Geweint habe ich auch nicht selten. Es veränderte mich aber auch<br />

selbst insgesamt. <strong>Anett</strong>, das war die Junge Frau, in deren Leben es jeden Tag<br />

einen Anlass zur Freude gab. Als absolut lebenslustig konnte man mich bezeichnen.<br />

Im Gr<strong>und</strong>e war ich immer gut drauf, <strong>und</strong> wenn es irgendwo ein Pro-<br />

<strong>Anett</strong> <strong>und</strong> <strong>Joschi</strong> – Seite 7 von 19


lem gab, wusste ich, dass ich es würde lösen können. Das dämpfte sich alles<br />

<strong>und</strong> legte sich. Es war nicht nur so, dass ich <strong>Joschi</strong> nicht mehr sah, sondern es<br />

gab auch die Situation seines Besuches nicht mehr. Dem Tag würde das Licht<br />

angeschaltet, wenn wir zusammen kämen, hatten wir mal gemeint. Jetzt blieb<br />

das Licht immer aus. Psychischer Schaden? Das weiß ich nicht genau, aber es<br />

veränderte mich sehr stark. Eine graue Arbeitsbiene wurde aus mir. Es ging<br />

mir nur noch um gute Zensuren. Angeblich damit ich anschließend die<br />

Möglichkeit hätte, alles studieren zu können. Aber ob das als tägliche<br />

Motivation ausreicht, würde ich heute bezweifeln. Wahrscheinlich suchte ich<br />

dadurch eher Anerkennung <strong>und</strong> Bestätigung für meine selbst verursache, aber<br />

nicht eingestandene Frustration. <strong>Joschi</strong> sah ich ja immer noch jeden Tag in der<br />

Schule, <strong>und</strong> er kam mich auch hin <strong>und</strong> wieder besuchen, aber es tat<br />

außerordentlich weh. Da redete ich mit meinem <strong>Joschi</strong> wie mit einem guten<br />

Bekannten. Es war so pervers, dass ich anschließend immer heulen musste.<br />

Wir hatten zwar unsere regelmäßigen Kontakte eingestellt <strong>und</strong> wollten ein<br />

neues Leben beginnen, aber in mir hatte sich kaum etwas verändert, da war<br />

<strong>Joschi</strong> wie eh <strong>und</strong> je. Da war auch nichts dran zu löschen <strong>und</strong> das wollte ich<br />

auch keinesfalls.<br />

Studium<br />

Die Tage zogen sich. Im Gr<strong>und</strong>e war das nicht mein Leben. So konnte es nicht<br />

sein <strong>und</strong> sollte es nicht sein. Das war ich nicht gewohnt, dafür war ich nicht geschaffen,<br />

aber was sollte ich denn tun? Meinem Leben fehlte der Glanz, wie ein<br />

Sommer, dem die Sonne fehlt. Schließlich war das Abitur doch erreicht. Was<br />

ich studieren sollte, wusste ich gar nicht genau. Ich hatte schon bei einigem<br />

Aversionen, <strong>und</strong> bei anderem sah ich mich nicht in der Lage. Informatik? Darauf<br />

war ich durch <strong>Joschi</strong> gekommen. In der Schule war ich auch ganz gut, aber<br />

vorm Studium hatte ich Befürchtungen. Medizin hätte ich sogar studieren können.<br />

Die sozialen Kontakte mit den Patienten sagten mir ja auch wohl zu. Bei<br />

Sprachen hatte ich gar keine Erfahrung, <strong>und</strong> ich meinte, die sei unverzichtbar.<br />

Psychologie fand ich interessant, aber vor allem hatte mich Biochemie interessiert.<br />

Für eins von den beiden wollte ich mich auch entscheiden. Die Psychostruktur<br />

der Beziehung zwischen <strong>Joschi</strong> <strong>und</strong> mir verstehen zu wollen, war<br />

sicher keine gute, brauchbare Basis. Vor allem war es ja auch eine Angelegenheit<br />

sozialen Verhaltens. Folglich studierte ich Biochemie, da war ich mir sicher,<br />

dass ich auch sofort wieder viel zu pauken hätte, das gewohnte Leben.<br />

<strong>Joschi</strong> hatte sich auf einen Studienplatz für Informatik in München beworben<br />

<strong>und</strong> ihn auch erhalten. Jetzt konnte das neue Leben wirklich beginnen. Wir sahen<br />

uns nicht mehr <strong>und</strong> schrieben uns auch nicht. Ich wollte es nicht, weil es<br />

mich quälte, mit <strong>Joschi</strong> Smalltalk zu reden. Mich erinnerte hier nichts mehr an<br />

<strong>Joschi</strong>, außer meinem Zimmer, in dem ich sein Bild noch öfter sah. <strong>Joschi</strong> war<br />

wohl extra unseretwegen nach München gegangen, um alle Erinnerungsmöglichkeiten<br />

zu tilgen <strong>und</strong> wirklich ein neues Leben entwickeln zu können.<br />

<strong>Anett</strong> <strong>und</strong> <strong>Joschi</strong> – Seite 8 von 19


Tanz in den Mai<br />

Tanz in den Mai. Der Asta veranstaltete eine Fète <strong>und</strong> ich war mit zwei Fre<strong>und</strong>innen<br />

dort. Ich ging schon zu Parties <strong>und</strong> Fèten, wenn jemand Geburtstag<br />

hatte oder aus einem anderen Gr<strong>und</strong> eingeladen war, nur es gab eben immer<br />

ein wenig Smalltalk <strong>und</strong> ich war meistens früh wieder zu Hause. Kontakte zu<br />

Männern suchte ich nicht. Das war genauso geblieben, wie seit der gemeinsamen<br />

Zeit mit <strong>Joschi</strong>. Es zog mich nichts <strong>und</strong> wäre mir eher lästig vorgekommen.<br />

Wir redeten über dies <strong>und</strong> das <strong>und</strong> wollten wohl ein wenig lustig dabei<br />

sein, Mai <strong>und</strong> Frühling symbolisieren ja schließlich neu erwachendes Leben <strong>und</strong><br />

lassen dich glücklich fühlen. „Es ist Tanz in den Mai. Wollt ihr gar nicht<br />

tanzen?“ meinte ein Mann, der bei uns am Tisch vorbei kam. Wir grinsten nur.<br />

„Wollen sie nicht mal mitkommen <strong>und</strong> mit mir tanzen?“ fragte er mich direkt.<br />

Na, warum nicht, dachte ich. Er erzählte beim Tanzen irgendwelchen Blödsinn,<br />

<strong>und</strong> ich musste lachen. Er wollte nochmal. War ja nicht schlecht <strong>und</strong> lustig. Wir<br />

tanzten immer weiter. Mir machte es auch Spaß. Irgendwann spielten sie auch<br />

einen Walzer. Der Mann umschlang mich, wir drehten uns <strong>und</strong> lachten uns<br />

schief. Es war als ob wir gar nicht wieder aufhören könnten, zu tanzen. Ich<br />

brauchte eine Pause. Nach kurzer Zeit kam der Mann <strong>und</strong> fragte, ob ich nochmal<br />

Lust hätte. Es kam mir vor, als ob ich in meinem Leben nichts anderes gewollt<br />

hätte, als tanzen, es nur bislang vergessen hatte. Jetzt spielten sie auch<br />

einen Tango, <strong>und</strong> wir bogen uns vor Lachen bei dem Versuch, ihn zu tanzen.<br />

Ich war total aufgeblüht. Getrunken hatte ich so gut wie nichts, aber ich kam<br />

mir richtig high vor. Alex hieß der Mann <strong>und</strong> war auch Student. Wir redeten<br />

fast die ganze Nacht, <strong>und</strong> solange es Musik gab, tanzten wir auch immer mal<br />

wieder. Die Nacht war ein ungekanntes Erlebnis. Ich hatte mich wieder richtig<br />

gefreut, <strong>und</strong> bemerkt, wie lange es das für mich schon nicht mehr gab. Nicht<br />

nur das Tanzen mit ihm, sondern auch Alex selbst gefiel mir extrem gut. Aus<br />

meinem Tanzpartner wurde mein Fre<strong>und</strong>, der mit mir zusammenleben wollte<br />

<strong>und</strong> seine bisherige Fre<strong>und</strong>in deshalb verließ. Er meinte, vom ersten Tanz an<br />

hätten unsere Körper gezeigt, dass wir zusammen passen würden. Natürlich<br />

gab es viel mehr <strong>und</strong> anderes, als dass wir gut miteinander tanzen konnten.<br />

Ich meinte, einen Jungen oder Mann wie Alex noch nie kennengelernt zu haben.<br />

Er studierte Germanistik <strong>und</strong> war äußerst gebildet. Nicht nur in der Literatur<br />

kannte er sich aus, sondern auch in allen anderen kulturellen Bereichen.<br />

Unsere Unterhaltungen waren immer sehr anspruchsvoll <strong>und</strong> bereiteten große<br />

Freude. Trotzdem war er körperlich so flexibel <strong>und</strong> begeistert sich zu bewegen.<br />

Wir verstanden uns äußerst gut <strong>und</strong> meinten, dass es nichts geben könne, was<br />

uns je wieder auseinander brächte. Deshalb überlegten wir, ob wir da nicht<br />

schon jetzt Kinder haben wollten, <strong>und</strong> nicht so lange warten, bis wir beide fertig<br />

wären. Es könnte ja auch gut sein, dass wir noch promovieren würden, <strong>und</strong><br />

da hätten die Kinder dann später alte Eltern. Folglich setzte ich die Pille ab <strong>und</strong><br />

wurde schwanger.<br />

Ohne Drehbuch<br />

Vier Jahre waren jetzt seit der Schule vergangen. Mein Sohn José war schon<br />

fast ein Jahr alt <strong>und</strong> Alex <strong>und</strong> ich würden uns demnächst um unsere Examina<br />

<strong>Anett</strong> <strong>und</strong> <strong>Joschi</strong> – Seite 9 von 19


kümmern müssen. Es waren Semesterferien, <strong>und</strong> ich wollte zu einer Fre<strong>und</strong>in.<br />

Auf der Straße begegnete ich einem Mann. Wäre beinahe an ihm vorbei gelaufen.<br />

„<strong>Joschi</strong>!“ entfuhr es mir ungläubig <strong>und</strong> erstaunt, vielleicht auch erschrocken.<br />

Wir fielen uns um den Hals <strong>und</strong> wollten uns gar nicht wieder loslassen.<br />

Es durchglühte mich wie ein plötzlicher Fieberstoß. Bestimmt war ich auch im<br />

Gesicht ganz rot geworden. Wie glückliche Sonnen starrten wir uns an. „Wo<br />

warst du? Wo hast du gesteckt?“ fragte ich blödsinnig. Was sollte ich <strong>Joschi</strong><br />

denn auch Gescheites sagen? <strong>Joschi</strong> schien es auch nicht fassen zu können. Er<br />

starrte mich nur wie mit Kuhaugen an. „Warum lässt du mich so lange<br />

warten?“ fügte ich dem Schwachsinn noch hinzu. Total ergriffen <strong>und</strong> verwirrt<br />

kam ich mir vor. Ob es gar nicht <strong>Joschi</strong> tatsächlich selbst war, sondern eine<br />

Erscheinung? So war es bei den ganzen Heiligen ja auch. Dein Unbewusstes ist<br />

voll davon, <strong>und</strong> plötzlich meinst du ihm real gegenüber zu stehen. Es würde<br />

sich ja zeigen. „Ich muss noch eben zu Hella, ihre Blumen gießen. Die ist in<br />

Urlaub. Kommst du mit?“ fragte ich. Natürlich kam <strong>Joschi</strong> mit zu Hella. In ihre<br />

Wohnung angekommen, zog ich meine Jacke aus <strong>und</strong> zog <strong>Joschi</strong> seine auch<br />

aus. Selbstverständlich geschah das, als ob es so im Drehbuch stünde. Wir<br />

drückten <strong>und</strong> rieben uns aneinander. „<strong>Joschi</strong> ich habe dich so vermisst, wie<br />

kannst du mich so lange allein lassen?“ erklärte ich noch. „Du bist zwar immer<br />

bei mir, aber manchmal muss man sich doch auch richtig lebendig sehen.“<br />

verkündete ich, als ich <strong>Joschi</strong> das Hemd öffnete <strong>und</strong> es ihm auszog. Kein Wort<br />

verlor ich dazu. Es musste eben so geschehen. Ich zog mir auch Bluse <strong>und</strong> BH<br />

aus. Meinen <strong>Joschi</strong> musste ich doch richtig spüren können. Wir touchierten uns<br />

nicht zärtlich mit den Fingerkuppen, meine ganze Hand wollte alles von <strong>Joschi</strong><br />

erfassen <strong>und</strong> begreifen. Überall wollte ich alles von ihm in meiner Hand spüren,<br />

wollte <strong>Joschi</strong> in der Hand halten. <strong>Joschi</strong> machte es nicht anders. Ob er es mir<br />

nachmachte, was ich eher nicht glaube, oder ob es ein Ausdruck von<br />

Eupareunie, unausgesprochenem Gleichklang, was bei uns ja gut möglich sein<br />

konnte, war, wusste ich nicht. Es dauerte nicht lange, bis wir nackt auf Hellas<br />

Bett lagen. Ob ich sexuell erregt war, kann ich im Nachhinein gar nicht mehr<br />

genau sagen. Ich empfand mich nur insgesamt als glühend <strong>und</strong> wollte <strong>Joschi</strong><br />

ganz, alles von ihm. Es gab nichts an mir <strong>und</strong> in mir, das kein Verlangen nach<br />

<strong>Joschi</strong> spürte. Nur mein Verlangen zu befriedigen spielte jetzt eine Rolle. Alles<br />

andere auf der Welt existierte für mich in diesem Moment nicht. <strong>Joschi</strong> sagte<br />

fast nichts, sondern brachte immer nur in allen Versionen von Sprachmelodien:<br />

„<strong>Anett</strong>“ hervor. Bestimmt rief die Nennung meines Namens alle Assoziationen<br />

an glückliche Erinnerungen von uns beiden in ihm wach. Mit vielen Küssen <strong>und</strong><br />

immer wieder die Wangen streichelnd <strong>und</strong> aneinanderlegend verabschiedeten<br />

wir uns hinterher. Weiteres vereinbarten wir nicht.<br />

Nicht nochmal<br />

Beurteilen konnte ich das nicht, was geschehen war. Ich hatte es ja auch gar<br />

nicht verstanden. Nur dass es unbedingt sein musste, <strong>und</strong> nichts anderes möglich<br />

war, das hatte ich verspürt <strong>und</strong> erlebt. Es war ein Rausch, ein unbedingtes<br />

Verlangen. Warum ich mit dem <strong>Joschi</strong>, den ich damals nicht zu berühren wagte,<br />

jetzt zwanghaft ins Bett musste, verstand ich erst Recht nicht. Offensichtlich<br />

hielten wir uns beide plötzlich für unwiderstehlich. Vielleicht waren wir<br />

<strong>Anett</strong> <strong>und</strong> <strong>Joschi</strong> – Seite 10 von 19


eide mittlerweile vitale Erwachsene geworden, die sich über ihre Libido keine<br />

kindlichen theoretischen Gedanken mehr machten. Ich kannte mich nicht<br />

mehr, diese <strong>Anett</strong> kam in meinem Leben nicht vor. Ich sah mein Gesicht in vielen<br />

Bildern. Ernst waren sie, sie lachten nicht, doch Traurigkeit <strong>und</strong> Sorgen kamen<br />

auch nicht vor. Ihr Ernst war milde, fre<strong>und</strong>lich, fest. Zu einem zarten Lächeln<br />

waren sie bereit. Aber das war ich ganz allein <strong>und</strong> ganz authentisch. Mit<br />

der <strong>Anett</strong>, der Ehefrau <strong>und</strong> Mutter hatten die Bilder nicht viel gemeinsam. All<br />

die Vielzahl von Gedanken <strong>und</strong> Empfindungen, die Ausdrucksformen <strong>und</strong> Darstellungsweisen,<br />

die mein Alltagsleben bildeten, fehlten. Erst jetzt war ich persönlich<br />

erwachsen geworden, hatte den erwachsenen Menschen in mir gesehen.<br />

Ob <strong>Joschi</strong> mich auch so erkannt hatte? Wie ich <strong>Joschi</strong> gesehen hatte, kann<br />

ich gar nicht beschreiben, der Rausch meines Unbewussten hatte sich mir nicht<br />

offenbart.<br />

<strong>Joschi</strong> hatte meine Telefonnummer herausgef<strong>und</strong>en <strong>und</strong> rief mich nach einigen<br />

Tagen an. Mein Mann war am Telefon, ob er wohl <strong>Anett</strong> sprechen könne. „Was<br />

gibt’s, <strong>Joschi</strong>“ fragte ich. „Wir müssen uns nochmal Treffen, <strong>Anett</strong>.“ wünschte<br />

er. „Wir haben uns doch getroffen. Das reicht.“ erklärte ich. „<strong>Anett</strong>,...“ begann<br />

er. Ich unterbrach ihn: „Ich kann jetzt nicht.“ <strong>und</strong> legte auf. Ein mieses Gefühl<br />

in der Magengegend. Ich hatte meinem <strong>Joschi</strong> das Wort abgeschnitten. Aber<br />

was sollte ich denn machen? Unser Wiedersehen war schon ein irres Erlebnis<br />

für mich. Wie eine Süchtige hatte ich <strong>Joschi</strong> gewollt, das war für mich unvorstellbar,<br />

<strong>und</strong> ich hätte es abgestritten, wenn es mir jemand prophezeit hätte.<br />

Nochmal brauchte ich so etwas nicht, aber das könnte es ja auch gar nicht geben.<br />

Gefühle lassen sich eben nicht wiederholen. <strong>Joschi</strong> hatte mit einem Suchprogramm<br />

meine E-Mail Adresse herausgef<strong>und</strong>en. Er müsse unbedingt mit mir<br />

sprechen. Ich solle ihm seine Bitte nicht abschlagen <strong>und</strong> so tun, als ob ich ihn<br />

gar nicht kennen würde. Damit würde ich ihm sehr weh tun. Ich richtete eine<br />

neue E-Mail Adresse ein <strong>und</strong> antwortete ihm von da aus: „<strong>Joschi</strong>, mein <strong>Joschi</strong>,<br />

wir haben uns doch wiedergetroffen. War das denn nicht berauschend, oder<br />

hast du es nicht so empf<strong>und</strong>en? Sollen wir es nicht bei dieser w<strong>und</strong>ervollen Erfahrung<br />

bewenden lassen? Was willst du denn noch besprechen? <strong>Anett</strong>, die<br />

dich ihr Leben lang in ihrem Herzen tragen wird.“ Wir hätten ja kaum etwas<br />

gesagt, sondern uns nur fast obsessiv gegenseitig verschlungen. Es dränge ihn<br />

intensiv, mich nochmal zu treffen <strong>und</strong> ein paar Worte mit mir zu reden. Wir<br />

trafen uns in einem Café. <strong>Joschi</strong> berichtete, dass es bei ihm auch allmählich<br />

mit dem neuen Leben funktioniert <strong>und</strong> er jetzt eine feste Fre<strong>und</strong>in habe. Ich<br />

erzählte von meiner Familie, aber es hatte den Anschein, dass es nicht das<br />

war, was uns beide brennend interessierte. Aber was denn sonst, das war doch<br />

eigentlich wichtig für uns beide. <strong>Joschi</strong> starrte mich schon wieder so komisch<br />

an, <strong>und</strong> ich wusste auch nicht richtig, wie mir war, als ich erklärte: „Hella ist<br />

immer noch in Urlaub.“ Du kannst Liebe nicht miteinander vergleichen <strong>und</strong> Sex<br />

bestimmt auch nicht. Zweifellos liebte ich Alex, aber so wie ich <strong>Joschi</strong> in mir<br />

trug, das würde niemals jemand anders erreichen können. Wir hatten ja damals<br />

keinen Sex gehabt, trotzdem war es mit <strong>Joschi</strong> so, als ob das gemeinsame<br />

Erlebnis niemals überboten werden könnte. Es war eben <strong>Joschi</strong> <strong>und</strong> den<br />

spürte nicht nur mein Körper, sondern er füllte all mein Denken <strong>und</strong> Empfinden<br />

aus. Mir wurde bewusst, wie normal es mit Alex war, wie man es eben so<br />

macht <strong>und</strong> sich vorstellt. Man ist lieb <strong>und</strong> nett zueinander. Man streichelt sich,<br />

<strong>Anett</strong> <strong>und</strong> <strong>Joschi</strong> – Seite 11 von 19


du erregst dich, <strong>und</strong> es fühlt sich ja auch ganz gut an. Zu kritisieren hatte ich<br />

nie etwas, aber mit Alex <strong>und</strong> <strong>Joschi</strong> das war ein Unterschied wie zwischen einem<br />

Kaffeekränzchen <strong>und</strong> einer rauschenden Ballnacht. <strong>Joschi</strong> fragte, wann<br />

<strong>und</strong> wo wir uns wiedertreffen könnten. „Überhaupt nicht, <strong>Joschi</strong>. Das geht<br />

nicht. Deine Fre<strong>und</strong>in wird auch sicher nicht begeistert davon sein, <strong>und</strong> ich bin<br />

glücklich verheiratet. Meine Ehe möchte ich dadurch nicht gefährden.“ stellte<br />

ich klar. „<strong>Anett</strong>, ist es denn nicht ein W<strong>und</strong>er, wie wir zusammengef<strong>und</strong>en haben?<br />

Wenn wir beide es wollen, wer darf uns denn daran hindern <strong>und</strong> warum?“<br />

hakte <strong>Joschi</strong> nach. „Ich habe es doch erklärt. Natürlich gefällt es uns, aber wir<br />

müssen doch nicht deshalb unsere bestehenden, gut funktionierenden Lebenszusammenhänge<br />

aufs Spiel setzen oder sie gar zerstören.“ ergänzte ich nochmal.<br />

Als <strong>Joschi</strong> wieder schrieb, ob wir uns nicht nochmal treffen könnten, fragte<br />

ich Anja, ob wir an diesem Nachmittag ihr Bett benutzen dürften. Ich musste<br />

Anja schon ein wenig erklären, worum es ging. „Und in Zukunft macht ihr<br />

das nicht mehr, dann ist alles wie vorher?“ wollte sie skeptisch wissen. „Anders<br />

geht es doch nicht. Dann ist <strong>Joschi</strong> wieder in München <strong>und</strong> ich bin hier. Dann<br />

ist nichts gewesen.“ erklärte ich. „Das kann ich euch nur wünschen.“ meinte<br />

Anja, die es wahrscheinlich so nicht so recht glaubte. Unrecht hatte sie mit ihrer<br />

Vermutung nicht, denn <strong>Joschi</strong> überlegte, nach Köln zurückzukommen, <strong>und</strong><br />

sich hier einzuschreiben. „Du spinnst wohl. Was soll das denn. Mich wirst du<br />

dann nie wieder sehen. Und Sandra, deine Fre<strong>und</strong>in bedeutet dir offensichtlich<br />

nicht sehr viel.“ fuhr ich ihn an. „Doch, schon, ich hatte mir ein w<strong>und</strong>ervolles<br />

Leben mit Sandra ausgemalt. Es tut mir sehr weh, für Sandra <strong>und</strong> für mich<br />

selbst ebenso.“ erklärte <strong>Joschi</strong>. „Dann lass es doch auch bleiben. Meine Ehe<br />

werde ich nicht zerstören lassen.“ antwortete ich. <strong>Joschi</strong> überlegte. „Das möchte<br />

ich doch auch nicht.“ erklärte er dann, „Aber dass wir zwei zusammengehören,<br />

willst du das denn bestreiten?“ fragte er. „Ja, du hast ja Recht. Irgendwie<br />

kommt es mir auch so vor, als ob das schon in unseren Genen festgelegt<br />

wäre.“ scherzte ich. „In unseren Genen nicht, aber es ist schon als kleines Kind<br />

in meinem Gehirn eingewachsen. Ein liebevoller, begehrenswerter Mensch, das<br />

bist du. Dann kommt zunächst mal lange Zeit gar nichts, dann kommt meine<br />

Mutter, <strong>und</strong> ganz zum Schluss kommen die anderen Menschen, die ich später<br />

kennengelernt habe, <strong>und</strong> da hat Sandra einen Spitzenplatz.“ erläuterte es <strong>Joschi</strong>.<br />

„In gewisser weise hast du sicher Recht. Du warst <strong>und</strong> bist immer noch<br />

das Liebste in mir. Das kann <strong>und</strong> wird sich nie ändern. Und jetzt bin ich eben<br />

richtig gierig nach dir, ich will alles, will nicht nur mit dir reden, ich will dich<br />

voll erfahren.“ meinte ich dazu. Es ereignete sich tatsächlich so. <strong>Joschi</strong> kam<br />

nach Köln <strong>und</strong> immer, wenn er vorschlug, sich zu treffen, besorgte ich irgendwo<br />

ein freies Bett. Eigentlich wollte ich es doch gar nicht mehr, aber das ging<br />

nicht. Ich konnte es mir vornehmen, aber handelte dann doch anders. Ich saß<br />

auf Hannes Bett <strong>und</strong> weinte. „Ich kann das nicht mehr, <strong>Joschi</strong>.“ erklärte ich,<br />

„Mein Leben stimmt nicht mehr. Es ist nicht das glückliche Leben mit Alex meinem<br />

kleinen José.“ „José? Warum hast du ihn nicht gleich <strong>Joschi</strong> genannt?“<br />

fragte <strong>Joschi</strong>. „Ich nenn ihn öfter Jossele.“ erklärte ich <strong>und</strong> lachte schelmisch.<br />

So hatten seine Eltern <strong>Joschi</strong> oft genannt, als er klein war. „Du, was willst du<br />

denn wohl über Namen sagen? Josua, wie kann man sein Kind nur so nennen.“<br />

erklärte ich. „So hat mich ja auch nie jemand genannt, aber meine Eltern haben<br />

eben einen Tick, das weißt du ja. Mit der Religion haben sie nichts zu tun,<br />

<strong>Anett</strong> <strong>und</strong> <strong>Joschi</strong> – Seite 12 von 19


aber dass sie Juden sind ist ganz wichtig, <strong>und</strong> da braucht das Kind eben einen<br />

jüdischen Namen.“ erläuterte <strong>Joschi</strong>. „Ja, aber da gibt es doch auch verträglichere.<br />

Josua kann man einen Propheten nennen, aber nicht ein Kind. Da hätten<br />

sie dich auch gleich Melchisedech nennen können.“ meinte ich. Wie auch<br />

immer die Atmosphäre war, <strong>Joschi</strong> <strong>und</strong> ich mussten immer zum Scherzen kommen.<br />

„<strong>Joschi</strong>, ich glaube du verstehst mich nicht. Es ist wirklich ein absolutes<br />

Drama für mich. Ich habe es immer so empf<strong>und</strong>en, dass mein Leben das Leben<br />

mit <strong>Joschi</strong> ist. Ohne <strong>Joschi</strong> bin ich es nicht, es ist nur ein Teil von mir, der allein<br />

nicht das Glück finden kann. Mit Alex habe ich gemerkt, dass es auch ein<br />

Glücklichsein neben <strong>Joschi</strong> geben kann. Ich bin glücklich mit Alex, das ist mein<br />

Leben.“ erklärte ich. „Und <strong>Joschi</strong>, den brauchst du jetzt nicht mehr, oder?“<br />

fragte <strong>Joschi</strong>. „Ach, wie du redest. Wir haben damals gesagt, dass wir jeder ein<br />

eigenständiges, erwachsenes Leben brauchen. Über Jahre habe ich gedacht:<br />

„Das ist unsere Theorie, aber praktisch lässt es sich nicht verwirklichen. Unsere<br />

Leben hätten sich eben so entwickelt, dass wir völlig abhängig voneinander<br />

seien, ohne den anderen nicht glücklich werden könnten. Die Tage ohne dich<br />

würden immer ein Herbstflair tragen. Dann ist aber plötzlich der Frühling auf<br />

mich zugekommen <strong>und</strong> hat alles in mir wieder aufblühen lassen. Das ist mein<br />

Leben, das will ich behalten.“ erläuterte ich. „Das ist dir das Wichtigste, da<br />

verzichtest du lieber auf mich?“ erk<strong>und</strong>igte sich <strong>Joschi</strong>. „<strong>Joschi</strong>, mein <strong>Joschi</strong>,<br />

wie sollte ich denn jemals auf dich verzichten können. Das ist doch nicht die<br />

Alternative. Ich bin immer noch ein Teil von <strong>Joschi</strong> <strong>und</strong> mir. Das lässt sich<br />

genauso wenig ändern, wie meine Haarfarbe. Ich sollte mir nicht die Haare<br />

färben. Aber du hast schon Recht. Aufgesetzt <strong>und</strong> eingebildet ist meine Liebe<br />

zu Alex sicher nicht. Aber die Tiefe <strong>und</strong> Art unserer Beziehung wird sie<br />

gr<strong>und</strong>sätzlich nie erreichen können. Ich werde Alex nie so sehen <strong>und</strong> erkennen<br />

können wie dich. Vieles Tolle <strong>und</strong> W<strong>und</strong>erbare sehe ich an ihm, nur das wäre<br />

zwischen uns unbedeutend gewesen. Ich habe es als schön empf<strong>und</strong>en, dass<br />

du mir die Zusammenhänge mit dem Computer erklären konnte, aber das hat<br />

dein Bild bei mir nicht beeinträchtigt. Bedeutend war, dass du ein wirklicher<br />

Mensch warst, jemand dem ich immer würde voll vertrauen können <strong>und</strong> dem<br />

es nicht möglich wäre, Nachteiliges über mich zu denken. Das haben wir am<br />

ersten Tag im Kinderladen so gespürt, <strong>und</strong> immer haben wir uns so gesehen.<br />

Es stimmt schon, du kannst dich nicht davon frei machen, bei allen Menschen,<br />

die du später kennenlernst, ihr schmückendes Beiwerk zu sehen. Wir haben<br />

uns noch im Tiefen, Wesentlichen, in unserer Komplexität als Menschen<br />

erfahren.“ argumentierte ich. „Na ja, du hast damals gesagt, prof<strong>und</strong>e Liebe<br />

brauch lange gemeinsame liebevolle Erfahrungen. Siehst du das immer noch<br />

so?“ fragte <strong>Joschi</strong> mit schelmischem Grinsen. „Doch, na klar. Da ist unsere<br />

Beziehung auch nicht zu übertreffen, aber trotzdem halte ich meine Liebe zu<br />

Alex nicht für ein Gefühl, das sich an der Oberfläche bewegt. Es erfasst mich<br />

schon emotional tief <strong>und</strong> sehr persönlich. Vielleicht auch, weil es sich so<br />

gestaltet, wie wir es nie erlebt haben.“ meinte ich dazu.<br />

Es hat keinen Zweck mehr<br />

Wir hatten viel besprochen, aber wie die Perspektive konkret aussehen sollte,<br />

das hatten wir ausgespart. Beim nächsten mal zu sagen: „Nein, <strong>Joschi</strong>, ich will<br />

<strong>Anett</strong> <strong>und</strong> <strong>Joschi</strong> – Seite 13 von 19


nicht mehr.“ war illusionär, da war ich mir sicher. „Das ist nicht richtig. Das ist<br />

nicht gut, was du tust, <strong>Anett</strong>.“ sollte ich das denken? Aber das ergibt nur einen<br />

Sinn, wenn du die Möglichkeit hast, es mit deinem wirklich freien Willen so<br />

oder so zu entscheiden. Ich war aber nicht frei <strong>und</strong> <strong>Joschi</strong> genauso wenig. Wir<br />

waren voneinander abhängig, <strong>und</strong> das waren wir immer gewesen. Als Einschränkung<br />

oder gar Behinderung hatten wir es aber nie wahrgenommen, sondern<br />

es war das, was unser Glück ermöglicht hatte. Alles andere konnte schön<br />

sein <strong>und</strong> mich erfreuen, aber <strong>Joschi</strong> symbolisierte das Glück. Ich stellte fest,<br />

wie ich mich zu Hause immer intensiver um José kümmerte. Ich konnte ihn<br />

keine Minute mehr allein lassen. Zum Schlafen hätte ich ihn am liebsten auf<br />

dem Arm behalten, anstatt ihn in sein Bettchen zu legen. Am meisten quälte<br />

mich, dass ich mit Alex nicht mehr schlafen konnte. Es war schon so, dass ich<br />

im Gr<strong>und</strong>e zwei getrennte Leben führte, aber ich hatte keine gespaltene Persönlichkeit.<br />

Alex war lieb <strong>und</strong> zärtlich zu mir, ich mochte ihn doch auch, aber<br />

ich spürte, dass ich es lieber nicht wollte. Es kam mir vor, als ob ich dabei sei,<br />

Alex zu einem fremden Mann zu entwickeln. Das hatte so auch keine dauerhafte<br />

Perspektive. Mein altes, zufriedenes Glücksgefühl zu Hause tauchte längst<br />

nicht mehr auf.<br />

„Es hat keinen Zweck mehr, <strong>Joschi</strong>. Da ist nichts mehr zu retten. Meine glückliche<br />

Familie gibt es nicht mehr.“ erklärte ich. „Und, was willst du tun?“ wollte<br />

<strong>Joschi</strong> wissen. „Ich werde Alex sagen: „Du, ich habe da einen Liebhaber. Mit<br />

dem treffe ich mich öfter.“ erklärte ich. Eigentlich war es ja nicht zum Lachen,<br />

aber wir lachten trotzdem. „Dein Liebhaber bin ich?“ fragte <strong>Joschi</strong> nach. „Ja,<br />

komisch nicht wahr? Aber was bist du dann? Meine Obsession, wäre das besser?“<br />

wollte ich wissen. Wir konnten über alles lachen, weil wir uns immer auf<br />

einer anderen, höheren Warte sahen, betrachteten alles von oben. Das war das<br />

Wesen unserer Beziehung vom ersten Tag an. Wie wir uns gegenseitig sahen,<br />

gab uns das Empfinden über all dem geschäftigen, nicht wesentlichen Alltäglichem<br />

zu stehen. „Und was geschieht dann? Alex wird doch nicht sagen: „Dann<br />

ist es eben so. Was will man da schon machen?“ wollte <strong>Joschi</strong> wissen. „Ich<br />

werde es Alex gar nicht sagen können. Ich werde selbst sterben dabei. Verhindern<br />

lässt es sich aber nicht. Was er tun wird, kann ich mir auch nicht vorstellen.<br />

Es wird die Enttäuschung seines Lebens sein. Vielleicht lässt es sich ein<br />

wenig abmildern.“ antwortete ich. „Ihr werdet euch also trennen, <strong>und</strong> was<br />

machst du dann?“ fragte <strong>Joschi</strong>. „Na, dann können wir uns immer treffen wie<br />

früher. Nur früher haben wir alles zusammen gemacht, haben viel miteinander<br />

geredet, jetzt gehen wir nur noch miteinander ins Bett. Und wenn wir nicht<br />

miteinander ficken, was machen wir dann? Hast du da schon eine Idee?“ erk<strong>und</strong>igte<br />

ich mich. Eigentlich war alles schrecklich <strong>und</strong> grausam, aber es war<br />

wie früher, mit <strong>Joschi</strong> war alles zu ertragen. Ich konnte es Alex nicht sagen<br />

<strong>und</strong> schob es Tag für Tag hinaus. „Es ist fast genauso wie früher, wenn wir uns<br />

treffen,“ erklärte ich, „aber es wird das Licht des Tages angezündet, können<br />

wir das denn heute noch sagen?“ „Schon, nur heute machen wir dazu erst<br />

einen Ringkampf bis die Morgenröte anbricht. So war es in der Bibel auch. Anschließend<br />

ist es doch hell, oder für dich nicht?“ meinte <strong>Joschi</strong>. „Ich weiß nicht,<br />

hell schon, aber ich bin auch tot. Ich muss mich anschließend immer erholen.<br />

Total angespannt bin ich dabei, jede Zelle muss mit dir auf den Gipfel. Ich<br />

<strong>Anett</strong> <strong>und</strong> <strong>Joschi</strong> – Seite 14 von 19


könnte ja auf der anderen Seite abstürzen, aber ich falle immer in weiche Maienbutter<br />

umgeben von Margeriten <strong>und</strong> Mohnblüten. Insofern ist es schon wie<br />

die Morgenröte. Ein Licht das nicht nur hell sondern auch warm <strong>und</strong> glücklich<br />

empfinden lässt.“ stellte ich es dar.<br />

Geständnis<br />

Einfach so nebenbei im Bett konnte ich es Alex nicht sagen. Am Sonntagnachmittag<br />

setzten wir uns zusammen mit einem Kaffee ins Wohnzimmer. Ich hätte<br />

über etwas für uns alle ganz Schreckliches zu erzählen. Ich lobte Alex <strong>und</strong> unser<br />

glückliches Zusammenleben. Dass es da Störungen geben könnte, hätten<br />

wir uns ja beide nicht vorstellen können. Dann erklärte ich, worin die Störung<br />

bestand. Er hätte von <strong>Joschi</strong> ja gar nichts gewusst, beklagte Alex. Ich hatte<br />

nur beiläufig mal von einem Kinderfre<strong>und</strong> gesprochen. Nein, als mein Geheimnis<br />

sah ich es nicht, eher als intime, persönliche Kostbarkeit, die man nicht jedem<br />

auf die Nase bindet. Verstehen <strong>und</strong> es sich erklären konnte Alex es nicht.<br />

„Aber wenn du es selbst nicht willst, warum sagst du denn dann nicht nein?“<br />

wollte er wissen. „Bist du diesem <strong>Joschi</strong> verfallen? Bist du krankhaft abhängig<br />

von ihm?“ fragte Alex. Was sollte ich denn darauf antworten? Wollte er mich<br />

zum Therapeuten schicken, um mich von <strong>Joschi</strong> heilen zu lassen. Ich stritt es<br />

einfach ab, <strong>und</strong> erklärte ihm nochmal die Wirkung unserer tiefsten Verb<strong>und</strong>enheit<br />

seit frühesten Kindertagen. Dass keine Möglichkeit bestand, unsere Beziehung<br />

zu retten, spürte Alex wohl bald, <strong>und</strong> es machte ihn stumm. Seine Perspektive<br />

<strong>und</strong> sein Leben seien zerstört <strong>und</strong> er könne sich nicht vorstellen, wie<br />

er damit fertig werden solle. In den nächsten Tagen sprachen wir noch über<br />

Organisatorisches, denn Alex wollte ausziehen. Verweinte Augen hatte er<br />

manchmal, aber in meinem Beisein zeigte er keine Träne. Ich verglich jetzt alles<br />

mit der Beziehung zu <strong>Joschi</strong>. So schön <strong>und</strong> glücklich wie ich die Beziehung<br />

zu Alex auch empf<strong>und</strong>en hatte, musste ich jetzt doch feststellen, dass sich vieles<br />

schon sehr im Bereich der Oberfläche bewegt hatte. Vor dem anderen die<br />

Tränen zu verbergen, unvorstellbar zwischen <strong>Joschi</strong> <strong>und</strong> mir. Sich darzustellen,<br />

wie der andere einen sehen soll, wie oft hatte ich so etwas doch erlebt. Warum<br />

ich das nicht von Anfang an erkannt hatte, weiß ich nicht. Vielleicht war einfach<br />

das Bedürfnis nach einem glücklicheren leben in mir zu intensiv. In Alex<br />

hatte ich eine Chance dafür gesehen <strong>und</strong> wollte sie selbst gern glauben, hatte<br />

alles was ich hätte kritisch einwenden können, ausgeblendet, weil es mein<br />

Glück nicht stören sollte.<br />

Leben mit <strong>Joschi</strong><br />

Allein konnte ich die Wohnung nicht halten. <strong>Joschi</strong> hatte mehr Geld als Alex,<br />

weil er zwei Jobs hatte <strong>und</strong> damit gut verdiente, aber direkt mit <strong>Joschi</strong> zusammenleben.<br />

Das ganze Leben lang hatten wir uns immer besucht, nein, in den<br />

Ferien waren wir ja auch zusammen gewesen. Aber wenn <strong>Joschi</strong> hier wohnte,<br />

würden wir dann ständig übereinander herfallen, oder hätten wir dann gar keine<br />

Lust mehr, weil es ja immer möglich wäre? Das waren dumme Gedanken,<br />

aber kitzlig war es schon, weil wir uns gar nicht vorstellen konnten, wie es sich<br />

<strong>Anett</strong> <strong>und</strong> <strong>Joschi</strong> – Seite 15 von 19


entwickeln würde. Nur <strong>Joschi</strong> war ganz bieder <strong>und</strong> so normal, wie wir uns immer<br />

gekannt hatten. Er hatte viel zu arbeiten, <strong>und</strong> ich musste es immer José<br />

zeigen <strong>und</strong> <strong>Joschi</strong> dabei stören. Trotzdem war jeder Moment spannend wie ein<br />

W<strong>und</strong>er. Früher freute ich mich, wenn ich wusste, das <strong>Joschi</strong> kam, jetzt gab es<br />

ständig solche Gelegenheiten. Erschien <strong>Joschi</strong> zum Frühstück, mache das ein<br />

warmes Gefühl. José hatte schnell gelernt, dass man sich zu freuen habe,<br />

wenn <strong>Joschi</strong> erschien. Er lachte immer, vor allem aber, wenn die beiden balgten,<br />

<strong>Joschi</strong> Quatsch machte <strong>und</strong> Josè kitzelte. Mich kitzelte er nicht, <strong>und</strong> ich<br />

kitzelte <strong>Joschi</strong> auch nicht. Zarter als die kostbarste chinesische Seide fühle sich<br />

meine Haut an, <strong>und</strong> die Seidenraube badete in Wonne, wenn <strong>Joschi</strong> sie sanft<br />

streichelte. Ob es ihn erregte? Ich weiß es gar nicht, jedenfalls schämte er sich<br />

nicht mehr dafür. Direkt genauso wie früher war es nicht, wir hatten uns schon<br />

verändert, aber nicht in unserem Wesen. <strong>Joschi</strong> hatte neues erlebt <strong>und</strong> ich<br />

wollte auf vieles aus meinem Leben mit Alex nicht verzichten. Es gehörte ja<br />

nicht Alex, war zum Bestandteil meines eigen Lebens geworden, auch wenn es<br />

von ihm ausgegangen war <strong>und</strong> er es initiiert hatte. Die Kulturnachrichten bei<br />

3sat <strong>und</strong> arte blieben obligat, <strong>und</strong> <strong>Joschi</strong> sollte wieder Klarinettenunterricht<br />

nehmen. Er war damals ziemlich gut gewesen. Keineswegs hatte ich direkt wegen<br />

<strong>Joschi</strong> Klavierunterricht genommen. Ich persönlich liebte das Piano, aber<br />

als <strong>Joschi</strong> <strong>und</strong> ich uns trennten, war es sofort gestorben. Ob ich das Klavier<br />

von zu Hause kommen lassen <strong>und</strong> auch wieder Klavierunterricht nehmen sollte?<br />

Lust hatte ich schon, vor allem auch wenn ich mir vorstellte, wie ich mit<br />

José auf dem Schoß die Tasten erk<strong>und</strong>ete. Ein kleiner Mozart würde er dann<br />

bestimmt. Anstatt der Gier nach seiner kleinen Fre<strong>und</strong>in, wie bei <strong>Joschi</strong>, würde<br />

sich dann das Verlangen nach dem Piano in seinem wachsenden Gehirn verfestigen<br />

<strong>und</strong> wenn er in den Kinderladen käme, könnte er schon die Mondscheinsonate<br />

spielen. Trotz aller Lust am <strong>und</strong> Gier auf Leben hatten wir viel zu<br />

tun <strong>und</strong> zu organisieren. Zum Glück half uns meine Mutter sehr viel. Zunächst<br />

hatte sie es nicht verstanden <strong>und</strong> mich massiv für meine Absichten <strong>und</strong> mein<br />

Verhalten kritisiert. Aber sie hatte mich auch damals stark kritisiert, als ich ihr<br />

von unserer beabsichtigten Trennung berichtete. Sie war davon ausgegangen,<br />

dass es sich gar nicht realisieren ließe <strong>und</strong> wir wieder zusammenkämen, denn<br />

<strong>Joschi</strong> empfand sie in vielem so, als ob er ihr Sohn wäre. Ihn mochte sie besonders<br />

gern, während ich mir eher so vorkam, als ob ich eben zum Familienalltag<br />

gehörte. Dieses Empfinden schien sie sehr schnell wiederbelebt zu haben,<br />

denn wenn sie kam, fragte sie als erstes immer nach <strong>Joschi</strong>, von Alex<br />

sprach sie nie mehr. Wenn <strong>Joschi</strong> von der Uni kam, freute sie sich genauso, ihn<br />

zu sehen, wie José <strong>und</strong> ich. Keineswegs nur beim Sex kann das Leben einem<br />

Kaffeekränzchen entsprechen. Meistens verhielt es sich nicht anders. Das Alltagsleben<br />

vollzog sich in der Regel nach schalen Riten, die du für deine Rolle<br />

angemessen hieltst. Du vollzogst sie, erledigtes alles wie man es gewöhnlich<br />

macht, involviert warst du kaum einmal. Im Gr<strong>und</strong>e nicht anders als Smalltalk<br />

beim Kaffeekränzchen. Lustvoll war der Alltag so gut wie nie. Seine Gefühle zu<br />

zeigen, galt eher als uncool. Vielleicht mochte das so dem Kapitalismus dienlich<br />

sein, aber unseren wirklichen, menschlichen Bedürfnissen entsprach es<br />

nicht. Wir wollten unser Leben enthusiastisch erfahren <strong>und</strong> genießen, das kam<br />

schon eher einer rauschenden Ballnacht gleich. Das Gefühl der Freude aneinander<br />

beglückte unseren Alltag. So war es ständig. Ob das immer so bliebe,<br />

<strong>Anett</strong> <strong>und</strong> <strong>Joschi</strong> – Seite 16 von 19


oder sich auch irgendwann in einer Alltagsroutine verlaufen würde? Das konnte<br />

ich mir nicht vorstellen. Ich glaubte, hoffte <strong>und</strong> wollte es auf keinen Fall, denn<br />

<strong>Joschi</strong> <strong>und</strong> ich mussten uns schon immer sogar physiologisch etwas Besonderes<br />

gewesen sein. Das Licht des Tages wurde jetzt immer schon angeschaltet,<br />

wenn wir uns weckten <strong>und</strong> nicht erst bei der Morgenröte nach heftigem<br />

Ringkampf.<br />

FIN<br />

<strong>Anett</strong> <strong>und</strong> <strong>Joschi</strong> – Seite 17 von 19


<strong>Anett</strong> <strong>und</strong> <strong>Joschi</strong> – Seite 18 von 19


“Those who restrain desire do so because<br />

theirs is weak enough to be restrained.”<br />

William Blake<br />

<strong>Anett</strong> <strong>und</strong> <strong>Joschi</strong> lernten sich schon im Kinderladen kennen. Später<br />

wollten sie sich trennen, aber welch ungewöhnliche Entwicklung es<br />

nahm, ist in der Geschichte zu erfahren. „Ihr werdet euch also<br />

trennen, <strong>und</strong> was machst du dann?“ fragte <strong>Joschi</strong>. „Na, dann<br />

können wir uns immer treffen wie früher. Nur früher haben wir alles<br />

zusammen gemacht, haben viel miteinander geredet, jetzt gehen<br />

wir nur noch miteinander ins Bett. Und wenn wir nicht miteinander<br />

ficken, was machen wir dann? Hast du da schon eine Idee?“<br />

erk<strong>und</strong>igte ich mich. Eigentlich war alles schrecklich <strong>und</strong> grausam,<br />

aber es war wie früher, mit <strong>Joschi</strong> war alles zu ertragen. Ich konnte<br />

es Alex nicht sagen <strong>und</strong> schob es Tag für Tag hinaus. „Es ist fast<br />

genauso wie früher, wenn wir uns treffen,“ erklärte ich, „aber es<br />

wird das Licht des Tages angezündet, können wir das denn heute<br />

noch sagen?“ „Schon, nur heute machen wir dazu erst einen<br />

Ringkampf bis die Morgenröte anbricht. So war es in der Bibel auch.<br />

Anschließend ist es doch hell, oder für dich nicht?“ meinte <strong>Joschi</strong>.<br />

„Ich weiß nicht, hell schon, aber ich bin auch tot. Ich muss mich<br />

hinterher immer erholen. Total angespannt bin ich dabei, jede Zelle<br />

muss mit dir auf den Gipfel. Ich könnte ja auf der anderen Seite<br />

abstürzen, aber ich falle immer in weiche Maienbutter umgeben von<br />

Margeriten <strong>und</strong> Mohnblüten. Insofern ist es schon wie die<br />

Morgenröte. Ein Licht das nicht nur hell, sondern auch warm,<br />

wonnevoll <strong>und</strong> glücklich empfinden lässt.“ stellte ich es dar.<br />

<strong>Anett</strong> <strong>und</strong> <strong>Joschi</strong> – Seite 19 von 19

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