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Inklusion<br />
Auch im Kreis Unna diskutieren Lehrer, Eltern und Verwaltung<br />
über neuen Gesetzesentwurf<br />
Inklusion an Schulen: Chance oder Risiko?<br />
Inklusion: Neun Buchstaben, ein Wort und<br />
eine mächtige Aussage: Menschen mit<br />
und ohne Einschränkungen sollen im Alltag<br />
selbstverständlich an allen gesellschaftlichen<br />
Ereignissen teilhaben. So sieht es die<br />
Konvention zum Schutz und zur Förderung<br />
der Rechte behinderter Menschen vor, die<br />
die UNO-Generalversammlung schon 2006<br />
verabschiedet hat. Teil ist auch das „inklusive<br />
Bildungssystem auf allen Ebenen“.<br />
Kurz: Kinder mit und ohne besonderem<br />
Förderungsbedarf, beziehungsweise Einschränkungen,<br />
sollen gemeinsam beschult<br />
werden. In einer Schule, in einer Klasse, in einer<br />
Gemeinschaft. Aktuell wird die Umsetzung<br />
eines entsprechenden Gesetzesentwurfs<br />
diskutiert. Diskutiert wird allerdings<br />
nicht nur in der Politik, sondern auch unter<br />
Eltern, Lehrern und Verwaltung im Kreis<br />
Unna. Schließlich stellt die Inklusion große<br />
Herausforderungen – organisatorisch, pädagogisch,<br />
baulich und vor allem finanziell.<br />
Dabei gehen die Meinungen zu Sinn und<br />
Unsinn der Inklusion im großen Stil durchaus<br />
auseinander. Während die einen darin<br />
eine große Chance sehen, befürchten andere<br />
ein Förderschul-Sterben und damit<br />
eine fatale Entwicklung für Menschen, die<br />
in ihren Augen ohne individuelle Förderung<br />
kaum eine Chance hätten.<br />
Inklusions-Pioniere in Bergkamen<br />
Beispiel Bergkamen: Die 50.000-Einwohner-<br />
Stadt ist Träger von insgesamt neun Grund,-<br />
einer Haupt-, zwei Real,- und einer Gesamtschule<br />
sowie eines Gymnasiums und einer<br />
Förderschule. Damit deckt sie alle Schulformen<br />
ab. Andreas Kray ist Leiter des Amtes<br />
für Schulverwaltung, Weiterbildung und<br />
Sport. Er blickt mit gemischten Gefühlen<br />
auf den möglicherweise schon bald rechtskräftigen<br />
Anspruch auf inklusive Beschulung.<br />
Denn noch kann niemand beziffern,<br />
wie groß die Investitionen sein werden, die<br />
auf die Städte und Gemeinden zukommen.<br />
Gleichzeitig ist das Thema für ihn kein unbekanntes.<br />
Schon lange gibt es in Bergkamen<br />
inklusive Ansätze und dementsprechend<br />
bauliche und organisatorische Maßnahmen.<br />
Hier, in der Schulverwaltung, muss also niemand<br />
ins „kalte Wasser“ springen. „Inklusion<br />
ist für die Stadt schon sehr lange Thema,<br />
seit mehr als zehn Jahren. Damals gab<br />
es den Begriff noch gar nicht. Es lief unter<br />
Integration“, sagt er. „Es“: Damit meint Andreas<br />
Kray die Eingliederung von Kindern<br />
mit besonderem Förderbedarf in den regulären<br />
Schulbetrieb. Schon 2001 gab es den<br />
so genannten zieldifferenzierten gemeinsamen<br />
Unterricht. In der Praxis lernen alle<br />
Schüler gemeinsam, allerdings nicht nach<br />
demselben Lehrplan, sondern mit individuellen<br />
Aufgaben. Zusätzliche pädagogische<br />
Betreuung soll den Prozess unterstützen. Pionier<br />
mit einer solchen Schulklasse war damals<br />
die Freiherr-von-Ketteler-Grundschule<br />
in Bergkamen-Rünthe. Ausschlaggebend<br />
für diese damals besondere Entscheidung<br />
waren zwei wesentliche Aspekte. „Zum einen<br />
waren da die Eltern, die sich für diese<br />
Art der Beschulung eingesetzt haben. Und<br />
auf der anderen Seite gab es die Schulen,<br />
die mitgemacht haben“, erinnert sich Kray<br />
und ergänzt: „So eine Entwicklung muss<br />
von beiden Seiten gewollt sein.<br />
Dann können wir als Stadt unterstützen.<br />
Doch irgendetwas<br />
vom Schreibtisch aus zu verordnen,<br />
das geht nicht.“<br />
„Inklusion ist<br />
außerordentlich wichtig“<br />
Eine dieser engagierten Mütter<br />
ist Heike Schmidt. Ihre<br />
Tochter Annika wurde mit dem<br />
Down-Syndrom geboren. Sie<br />
war eine der „Inklusions-Pioniere“<br />
in Bergkamen, wurde als<br />
Teil einer kleinen Schülergruppe<br />
von der ersten bis zur achten<br />
Klasse auf einer Bergkamener<br />
Hauptschule inklusiv und zieldifferent<br />
beschult. Dann folgte<br />
ein Schulwechsel auf eine Förderschule.<br />
„Es hatte damals unter<br />
anderem viele Lehrerwechsel<br />
gegeben mit dem Ergebnis, dass<br />
Annika mehr und mehr vom Unterricht<br />
ausgeschlossen wurde.<br />
Mit dem Wissen von heute hätte<br />
ich damals – in Annikas Sinne –<br />
anders gehandelt. Denn sie war es<br />
gewohnt, mit nicht-behinderten<br />
Kindern zu lernen und wollte das<br />
eigentlich auch weiterhin. Auch<br />
heute sagt sie: ‚Ich will nicht nur mit Menschen<br />
mit Behinderung zusammen sein.’<br />
Und das ist ihr gutes Recht“, sagt Heike Schmidt.“<br />
Es gibt das Recht auf Inklusion, nicht<br />
auf Aussonderung!“ Sie betont: „Inklusion<br />
an Schulen ist außergewöhnlich wichtig,<br />
um eine Gesellschaft zu entwickeln, die jedem<br />
Menschen die ihm gebührende Wertschätzung<br />
entgegenbringt. Und um Kinder<br />
nicht zu trennen, sondern ihnen den<br />
gemeinsamen Umgang beizubringen, damit<br />
das Miteinander ganz selbstverständlich<br />
wird. Dafür ist es wichtig, dass sich alle<br />
Beteiligten öffnen und es als ihre Aufgabe<br />
ansehen.“ Natürlich sei die individuelle<br />
Förderung dafür unabdingbare Voraussetzung.<br />
„Inklusion scheitert nur dann, wenn<br />
Ressourcen weiterhin durch das zweigleisiges<br />
Schulsystem gebunden werden.“, ist<br />
sich Heike Schmidt sicher.<br />
Foto: Dieter Schütz / pixelio.de<br />
8 Ortszeit <strong>Juli</strong> <strong>2013</strong>