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Juli 2013 - ORTSZEIT

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Horst Höfer über Bergbau,<br />

Werte und Familienglück<br />

– ein Proträt<br />

„Ich bin eben so“<br />

„Ich bin der Horst“, sagt er und stößt seine Porzellantasse gegen meine.<br />

Es klirrt. Heißer Kaffee schwappt über den mit Blumen verzierten Rand<br />

und tropft auf meinen Notizblock. „Wenn ich in Fahrt bin, dann dutze<br />

ich jeden. Sogar den Weihbischof von Münster. Da kenn ich nix. Ich hab<br />

kein’ Respekt vor Karriere. Bei mir zählen die Menschen mit ihren Eigenschaften“,<br />

sagt der Mann mit den grau-weißen Haaren, während ich<br />

die Kaffeepfütze von dem welligen Papier wische. Er grinst. Seine blauen<br />

Augen strahlen mich an. Die goldenen Knöpfe an seiner Steigerjacke<br />

glänzen im Licht der Deckenlampe.<br />

Ich frage mich, wie viele Menschen schon vor mir in sein Gesicht geblickt<br />

haben. Auf die Lachfältchen. Auf den Mund, der so viele Geschichten<br />

zu erzählen hat. Von Grubenpferden, Begegnungen mit<br />

Politik und Prominenz und von den unzähligen Ausstellungsstücken<br />

in seinem privaten Bergbaumuseum „Fröhliche Morgensonne“<br />

in Unna-Stockum. „In 25 Jahren hatten wir 40.000 Besucher“, erzählt<br />

er begeistert weiter, noch bevor ich die Frage ausgesprochen<br />

habe. Auch mir soll Horst Höfer eine Geschichte erzählen. Eine besondere.<br />

Seine Geschichte.<br />

Und das tut er: Horst Höfer wurde 1932 geboren. In der Zeit des Nationalsozialismus.<br />

Als ältester von drei Geschwistern wuchs er auf<br />

in Zeiten des Krieges. Dreimal wurde die Familie, die damals in Witten<br />

lebte, komplett ausgebombt. Der Vater fiel im Krieg. „Irgendwer<br />

musste uns ja versorgen. Also habe ich mich 1946, mit 14 Jahren, selber<br />

aus der Schule entlassen, um in der Landwirtschaft zu arbeiten“,<br />

erzählt Horst Höfer und rückt seine Brille zurecht. Was er wohl gemacht<br />

hätte, wenn die Zeiten andere gewesen wären, frage ich ihn.<br />

Für kurze Zeit wird es still in dem kleinen Raum für Besucher, der mit<br />

alten Bergbau-Fotos dekoriert ist. „Ach, weisse: Mein Herz war voller<br />

Zukunftspläne – aber mein Kopf voller Verantwortung“, antwortet er.<br />

Ein Jahr später, 1947, beginnt Horst Höfer mit der Ausbildung auf der<br />

Zeche Caroline in Holzwickede und damit seine Bergbau-Karriere. Das<br />

erste halbe Jahr über- und dann untertage. Seinen ersten Arbeitstag<br />

zwischen Kohle und Staub, in der drückenden Wärme des Flöz, wird er<br />

nie vergessen: „Ich ging zum Steiger und sagte: ‚Glück auf! Ich soll mich<br />

bei dir melden’. ‚Kommst du vom Dorf?’ Ich sagte ja. ‚Dann ab mit dir in<br />

den Pferdestall’. Und so wurde ich Pferdejunge untertage.“<br />

1951 schließt die Zeche Caroline und Horst Höfer wechselt auf Königsborn<br />

III/IV in Bönen. „Auf Zeche“ durchläuft er nahezu alle beruflichen<br />

Stationen: Er absolviert die Hauer-Prüfung und macht<br />

drei Jahre lang untertage Kohlen los. 1960 wird er Schießhauer und<br />

schult später um zum Elektriker. Als er 50 Jahre alt wird und die letz-<br />

te Lore die Zeche Königsborn III/IV verlässt, hat er 35 Berufsjahre<br />

voll. „Das war ein sehr hartes aber erfüllendes Berufsleben“, resümiert<br />

Horst Höfer und legt seine gefalteten Hände zufrieden vor<br />

sich auf den Holztisch. Auch privat fand er sein Glück, heiratet<br />

1959 seine Frau Doris. „Das ist das beste Stück in meiner Sammlung.“<br />

Heute ist er zweifacher Vater und siebenfacher Großvater.<br />

Welche Spuren die Zeit „aufm Pütt“ hinterlassen haben, will ich<br />

wissen. Horst Höfer zieht die weißen Augenbrauen bedeutungsvoll<br />

hoch. „Die Werte der Zeche haben mich geprägt. Werte, die<br />

so wahrscheinlich nur in unserem Beruf existierten“, sagt er und<br />

macht eine Pause. Was für Werte, frage ich. Ich nutze seine Nachdenklichkeit<br />

und traue mich zum ersten Mal, den Stift aus der<br />

Hand zu legen. Ich nehme einen Schluck Kaffee, der schon längst<br />

kalt geworden ist. „Kameradschaft und Solidarität“, schießt es<br />

aus ihm heraus und ich greife schnell wieder zu meinem Stift.<br />

Schließlich will ich nichts von dieser Geschichte verpassen, die<br />

Horst Höfer außer mir wohl nur wenigen Leuten erzählt. „Wir sind<br />

halt ’n besonderer Schlach Mensch. Das merke ich immer, wenn<br />

mich ältere Menschen besuchen, die früher selber Kumpel waren.<br />

Sie kommen in mein Museum, um Geschichten ausm Bergbau<br />

zu hören. Keine Geschichten über den Bergbau. Und wenn<br />

wir dann noch gemeinsam singen, das geht unheimlich tief. Da<br />

greife ich richtig in die Seele ein.“ Wieder wird es still in dem holzvertäfelten<br />

Besucherzimmer. „Aber nie so tief, dass hinterher<br />

nicht wieder gelacht werden kann“, sagt Horst Höfer und lächelt<br />

mich an.<br />

Er öffnet die oberen Knöpfe seiner Steigerjacke und zieht ein<br />

kleines Buch aus der Innentasche. „Guck mal“, sagt er und hält mir<br />

das braune Heft entgegen. „Das is’ unser Befahrungsbuch. Da trägt<br />

sich jeder ein, der uns besucht.“ Ich beginne zu blättern. Fotos und<br />

Danksagungen von jungen und alten Menschen, von Vereinen,<br />

Schulklassen – und von Prominenten kommen zum Vorschein.<br />

„Das is’ vom Bernd. Das war ja unser Nachbarsjunge. Wir kennen<br />

uns gut. Die Kinder haben zusammen gespielt. Früher haben wir<br />

auch zusammen so’n bisschen Karneval-Klamauk gemacht“, sagt<br />

Horst Höfer und zeigt stolz auf einen Eintrag von Bernd Stelter. „Na<br />

los, du auch.“ Der Mann, der mich zwei Stunden lang tief in sein Leben<br />

hat blicken lassen, streckt mir erwartungsvoll einen Stift entgegen.<br />

Ich schreibe ein paar Sätze und schiebe es ihm zu. Horst<br />

Höfer liest und lächelt. Dann klappt er es zusammen und sagt: „Das<br />

kommt ins Archiv. Du weißt ja: Erinnerungen sammeln – Das ist<br />

mein Ding. Ich bin eben so. Da kannste auch dreimal unter de Dusche<br />

gehen. Das geht immer noch nich wech.“

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