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Horst Höfer über Bergbau,<br />
Werte und Familienglück<br />
– ein Proträt<br />
„Ich bin eben so“<br />
„Ich bin der Horst“, sagt er und stößt seine Porzellantasse gegen meine.<br />
Es klirrt. Heißer Kaffee schwappt über den mit Blumen verzierten Rand<br />
und tropft auf meinen Notizblock. „Wenn ich in Fahrt bin, dann dutze<br />
ich jeden. Sogar den Weihbischof von Münster. Da kenn ich nix. Ich hab<br />
kein’ Respekt vor Karriere. Bei mir zählen die Menschen mit ihren Eigenschaften“,<br />
sagt der Mann mit den grau-weißen Haaren, während ich<br />
die Kaffeepfütze von dem welligen Papier wische. Er grinst. Seine blauen<br />
Augen strahlen mich an. Die goldenen Knöpfe an seiner Steigerjacke<br />
glänzen im Licht der Deckenlampe.<br />
Ich frage mich, wie viele Menschen schon vor mir in sein Gesicht geblickt<br />
haben. Auf die Lachfältchen. Auf den Mund, der so viele Geschichten<br />
zu erzählen hat. Von Grubenpferden, Begegnungen mit<br />
Politik und Prominenz und von den unzähligen Ausstellungsstücken<br />
in seinem privaten Bergbaumuseum „Fröhliche Morgensonne“<br />
in Unna-Stockum. „In 25 Jahren hatten wir 40.000 Besucher“, erzählt<br />
er begeistert weiter, noch bevor ich die Frage ausgesprochen<br />
habe. Auch mir soll Horst Höfer eine Geschichte erzählen. Eine besondere.<br />
Seine Geschichte.<br />
Und das tut er: Horst Höfer wurde 1932 geboren. In der Zeit des Nationalsozialismus.<br />
Als ältester von drei Geschwistern wuchs er auf<br />
in Zeiten des Krieges. Dreimal wurde die Familie, die damals in Witten<br />
lebte, komplett ausgebombt. Der Vater fiel im Krieg. „Irgendwer<br />
musste uns ja versorgen. Also habe ich mich 1946, mit 14 Jahren, selber<br />
aus der Schule entlassen, um in der Landwirtschaft zu arbeiten“,<br />
erzählt Horst Höfer und rückt seine Brille zurecht. Was er wohl gemacht<br />
hätte, wenn die Zeiten andere gewesen wären, frage ich ihn.<br />
Für kurze Zeit wird es still in dem kleinen Raum für Besucher, der mit<br />
alten Bergbau-Fotos dekoriert ist. „Ach, weisse: Mein Herz war voller<br />
Zukunftspläne – aber mein Kopf voller Verantwortung“, antwortet er.<br />
Ein Jahr später, 1947, beginnt Horst Höfer mit der Ausbildung auf der<br />
Zeche Caroline in Holzwickede und damit seine Bergbau-Karriere. Das<br />
erste halbe Jahr über- und dann untertage. Seinen ersten Arbeitstag<br />
zwischen Kohle und Staub, in der drückenden Wärme des Flöz, wird er<br />
nie vergessen: „Ich ging zum Steiger und sagte: ‚Glück auf! Ich soll mich<br />
bei dir melden’. ‚Kommst du vom Dorf?’ Ich sagte ja. ‚Dann ab mit dir in<br />
den Pferdestall’. Und so wurde ich Pferdejunge untertage.“<br />
1951 schließt die Zeche Caroline und Horst Höfer wechselt auf Königsborn<br />
III/IV in Bönen. „Auf Zeche“ durchläuft er nahezu alle beruflichen<br />
Stationen: Er absolviert die Hauer-Prüfung und macht<br />
drei Jahre lang untertage Kohlen los. 1960 wird er Schießhauer und<br />
schult später um zum Elektriker. Als er 50 Jahre alt wird und die letz-<br />
te Lore die Zeche Königsborn III/IV verlässt, hat er 35 Berufsjahre<br />
voll. „Das war ein sehr hartes aber erfüllendes Berufsleben“, resümiert<br />
Horst Höfer und legt seine gefalteten Hände zufrieden vor<br />
sich auf den Holztisch. Auch privat fand er sein Glück, heiratet<br />
1959 seine Frau Doris. „Das ist das beste Stück in meiner Sammlung.“<br />
Heute ist er zweifacher Vater und siebenfacher Großvater.<br />
Welche Spuren die Zeit „aufm Pütt“ hinterlassen haben, will ich<br />
wissen. Horst Höfer zieht die weißen Augenbrauen bedeutungsvoll<br />
hoch. „Die Werte der Zeche haben mich geprägt. Werte, die<br />
so wahrscheinlich nur in unserem Beruf existierten“, sagt er und<br />
macht eine Pause. Was für Werte, frage ich. Ich nutze seine Nachdenklichkeit<br />
und traue mich zum ersten Mal, den Stift aus der<br />
Hand zu legen. Ich nehme einen Schluck Kaffee, der schon längst<br />
kalt geworden ist. „Kameradschaft und Solidarität“, schießt es<br />
aus ihm heraus und ich greife schnell wieder zu meinem Stift.<br />
Schließlich will ich nichts von dieser Geschichte verpassen, die<br />
Horst Höfer außer mir wohl nur wenigen Leuten erzählt. „Wir sind<br />
halt ’n besonderer Schlach Mensch. Das merke ich immer, wenn<br />
mich ältere Menschen besuchen, die früher selber Kumpel waren.<br />
Sie kommen in mein Museum, um Geschichten ausm Bergbau<br />
zu hören. Keine Geschichten über den Bergbau. Und wenn<br />
wir dann noch gemeinsam singen, das geht unheimlich tief. Da<br />
greife ich richtig in die Seele ein.“ Wieder wird es still in dem holzvertäfelten<br />
Besucherzimmer. „Aber nie so tief, dass hinterher<br />
nicht wieder gelacht werden kann“, sagt Horst Höfer und lächelt<br />
mich an.<br />
Er öffnet die oberen Knöpfe seiner Steigerjacke und zieht ein<br />
kleines Buch aus der Innentasche. „Guck mal“, sagt er und hält mir<br />
das braune Heft entgegen. „Das is’ unser Befahrungsbuch. Da trägt<br />
sich jeder ein, der uns besucht.“ Ich beginne zu blättern. Fotos und<br />
Danksagungen von jungen und alten Menschen, von Vereinen,<br />
Schulklassen – und von Prominenten kommen zum Vorschein.<br />
„Das is’ vom Bernd. Das war ja unser Nachbarsjunge. Wir kennen<br />
uns gut. Die Kinder haben zusammen gespielt. Früher haben wir<br />
auch zusammen so’n bisschen Karneval-Klamauk gemacht“, sagt<br />
Horst Höfer und zeigt stolz auf einen Eintrag von Bernd Stelter. „Na<br />
los, du auch.“ Der Mann, der mich zwei Stunden lang tief in sein Leben<br />
hat blicken lassen, streckt mir erwartungsvoll einen Stift entgegen.<br />
Ich schreibe ein paar Sätze und schiebe es ihm zu. Horst<br />
Höfer liest und lächelt. Dann klappt er es zusammen und sagt: „Das<br />
kommt ins Archiv. Du weißt ja: Erinnerungen sammeln – Das ist<br />
mein Ding. Ich bin eben so. Da kannste auch dreimal unter de Dusche<br />
gehen. Das geht immer noch nich wech.“