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Der neue Merker

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Europa<br />

Orchestermusiker gespielt. Prächtig anzuhören und anzusehen waren auch<br />

Switlana Godlewska als Frasquita und Lesja Aleksejewa als Mercédes.<br />

<strong>Der</strong> Don José von Oleg Filipenko hatte leider mehrmals Textprobleme<br />

und ließ im Lillas Pastia Bild sogar eine ganze Zeile aus. Die Stimme<br />

wurde in der Höhe auch immer verquollener und heiser, sodass er im<br />

3. Akt als indisponiert entschuldigt wurde und stattdessen Sergiu Skotscheljas<br />

als rasend eifersüchtiger abgehalfteter Sergeant einsprang und<br />

die Vorstellung rettete.<br />

Das Quintett von Carmen, Mercédes, Frasquita, Dancaïre und Remendado<br />

wurde auch besonders heftig mit Beifall akklamiert. Zu diesem Erfolg trugen<br />

neben den erwähnten Zigeunerinnen noch die beiden Schmuggler Oleksandr<br />

Bojko als Dancaïre mit behäbigem Bariton und Juri Awramtschuk<br />

als Remendado mit tenoralem Glanz nicht unwesentlich bei. Igor Jewdokimenko<br />

war ein schneidiger Torero mit schmetterndem Bariton. Kein Wunder,<br />

dass sich die rassige Carmen durch sein schneidiges Auftreten angezogen<br />

fühlte. Wasily Kolibabjuk stattete seinen Leutnant Zuniga mit einem<br />

profunden, durchdringenden Bass aus und Michailo Kirischew ergänzte<br />

das Ensemble als Sergeant Moralès mit solidem Bariton.<br />

Alle Sänger boten ihre jeweiligen Rollen mit Emphase dar. Von einem derart<br />

schwungvoll aus dem Orchestergraben erklingenden Bizet ließen sich<br />

die Künstler hörbar mitreißen.<br />

Als Regisseur nennt das Programmheft Dmitro Gnatjuk, der mit seiner<br />

stringenten Personenführung spanisches Flair lebendig werden ließ,<br />

wozu die prächtigen Kostüme von Ganna Schatjewa einen nicht unwesentlichen<br />

Anteil hatten.<br />

Zum großen Erfolg dieses Abends trug aber auch der von Anatolij Sementschuk<br />

bestens einstudierte Chor der Zigarettenarbeiterinnen bei.<br />

Ansprechend waren auch die Bühnenbilder. So sieht man im 1. Akt im<br />

Hintergrund den Hafen des Guadalquivir von Sevilla. Die Schenke von Lillas<br />

Pastia ist eine typische andalusische Taverne. Das Lager der Schmuggler<br />

in einer gebirgigen Felsschlucht wirkte dann äußerst düster und bedrohlich<br />

und der Platz vor der Arena ließ Letztere im Hintergrund nur vermuten.<br />

Nach dem Austausch des Don José-Sängers war der Abend gerettet und<br />

der Applaus verteilte sich ziemlich gleichmäßig auf alle Beteiligten. Bravorufe<br />

erhielten vor allem die Titelheldin und die Sängerin der Micaëla<br />

sowie die Dirigentin für ihre großartige Leistung. Harald Lacina<br />

MET IM KINO: Glanzlose „TOSCA“ – 9.11.<br />

Wenn das Publikum vor dem 3. Akt „Tosca“ zu flüchten beginnt, dann wird<br />

klar: Auch an der Met wird fallweise mit Wasser gekocht. Es beginnt bei der<br />

Inszenierung durch Luc Bondy (Bühne: Richard Peduzzi/Kostüme: Milena<br />

Canonero) – das Premierenpublikum buhte vehement. Geblieben ist<br />

die Kargheit einer norddeutschen Ziegelbau-Kirche, die sich im 2. Akt in<br />

ein Hinterhof-Bordell verwandelt. Nur die Engelsburg erzeugt so etwas wie<br />

Puccini-Stimmung. Aber auch der Dirigent des Abends, Riccardo Frizza,<br />

trägt samt dem Orchester der Metropolitan Opera Mitschuld am glanzlosen<br />

Output dieser Übertragung aus dem Lincoln-Center. Da auch die<br />

Sängerin der Titelpartie überfordert wirkte, verstärkte sich dieser Gesamteindruck.<br />

Patricia Racette hat eine typische US-Lokal-Karriere hinter sich.<br />

Seit Mitte der 90er-Jahre ist sie als Mimi und Alice, als Musetta oder als<br />

Butterfly an allen wichtigen amerikanischen Häusern erfolgreich engagiert.<br />

Bei der Tosca stößt sie an ihre vokalen wie schauspielerischen Grenzen. Bei<br />

den Ausbrüchen beginnt die Stimme zu „schlagen“, das Gebet wird zum<br />

„Hindernislauf“ und die Fernsehkameras entlarven eine seltsame Gleichgültigkeit<br />

gegenüber den Folter-Schreien. Auch das Verhältnis zu Scarpia<br />

ist eindimensional. Dabei sollte es auch zwischen diesen beiden „knistern“<br />

– blanke Ablehnung ist zu wenig. Allerdings ist der großgewachsene Georgier<br />

Georg Gagnidze in dieser Inszenierung ein echtes Scheusal. Brutal,<br />

sadistisch, aber auch eindimensional ist sein Scarpia.<br />

Die Lichtgestalt der Vorstellung war Roberto Alagna als Cavaradossi, der<br />

sich in Höchstform befand. Schon die erste Arie zündete, die „Vittoria!“-<br />

Rufe waren hochdramatisch und im 3. Akt konnte er seine Lyrik voll entfalten.<br />

Da in diesem 3. Akt Patricia Racette auch akustisch freier und gelöster<br />

wirkte, könnte man fast meinen: „Ende gut, alles gut“. Erwähnt<br />

werden sollen übrigens noch Richard Berstein als stimmschöner Cesare<br />

Angelotti. John Del Carlo ist ein zu wenig komischer Mesner, Edoardo<br />

Valdes ein prägnanter Spoletta.<br />

Bei der nächsten Übertragung mit „Falstaff“ wird James Levine (mit Rollstuhl)<br />

ans Pult des Met-Orchesters zurückkehren. Er fehlt wirklich – nicht<br />

nur bei dieser glanzlosen „Tosca“. Peter Dusek<br />

BUCH / Oliver Hilmes: LUDWIG II. –<br />

<strong>Der</strong> unzeitgemäße König. Verlag Siedler 2013<br />

Wer dieser Neupublikation eine brisante Neuigkeit über den mysteriösen Tod des<br />

Bayernkönigs zu entnehmen hofft, der muss enttäuscht werden. Denn da gibt’s<br />

nichts Neues zu berichten. Das Ende des Königs fällt bei den rund 400 Seiten<br />

auch etwas sparsam aus. Dagegen nicht der Weg zum tragischen Ende des Bayern-Königs.<br />

Oliver Hilmes, der uns schon viele gutare Biographien (etwa Alma<br />

Mahler, Cosima Wagner) beschert hat, konnte in bisher unzugänglichen Archiven<br />

stöbern und bisher ungesichtetes Material sichten. Egal, was nun wirklich<br />

entdeckt und was bekannt war und was auch bereits in verschiedenen Büchern<br />

von andern Autoren über den Bayernkönig publiziert wurde - Hilmes hat ein<br />

spannendes, gut lesbares Buch geschrieben.<br />

Neben vielen gut recherchierten und verwerteten Fakten schreckt Hilmes auch<br />

nicht davor zurück, Informationsmanki mit seiner eloquenten Fabulierkunst<br />

aufzufüllen. Wenn er etwa schreibt, der Minister hätte beim Lesen eines Briefes<br />

die Stirne gerunzelt, dann ist das einfach herbeifabuliert. Auch lässt sich Hilmes<br />

zu in dieser Form wohl kaum stattgefundenen Dialogszenen hinreißen. Das<br />

hat aber die Wirkung, dass Legenden manchmal wahrer sind als Tatsachen, wie<br />

wir zu wissen glauben. Mit Fingerspitzengefühl schlüsselt Hilmes das Phänomen<br />

Ludwig psychologisch in faszinierender Weise auf. Manchmal verfällt er in<br />

den Plauderton, spinnt manche Hofintrige genüsslich weiter und erreicht so den<br />

steten Fluss eines Lebensromans. Als Roman mit Fakten, wird man wohl dieses<br />

Buch bezeichnen müssen. So kann es gewesen sein und doch auch wieder nicht.<br />

Die Gewichtung der Faktenlage geht mitunter ins Anekdotische, in Hoftratsch,<br />

den Hilmes verschiedenen Hofberichten entnehmen konnte.<br />

Faszinierend zu konstatieren ist, wie sehr der preußische Reichskanzler Otto von<br />

Bismarck in die ganze Geschichte Ludwigs involviert war. Bismarck, ein schlauer<br />

Fuchs, genoss das Vertrauen des Bayernkönigs, konnte ihm so manche Wahrheit<br />

nahebringen, verstand es aber auch, ihm zu schmeicheln. Als es darum ging, dass<br />

Preußen die Kaiserkrone angetragen werden sollte, war es nur einer geschickten<br />

Manipulation Bismarcks zu verdanken, dass er Ludwig dazu bringen konnte,<br />

dies zu tun. Bismarck kannte die Verschwendungssucht des Königs, die in hohe<br />

Ausgaben und letztlich in einen Schuldenberg riesigen Ausmaßes mündete,<br />

und konnte den König dahin lenken, auf die Kaiserkrone für sich zu verzichten<br />

und sie dem preußischen Herrscher anzutragen. Das Mittel dazu hieß „Welfenfonds“,<br />

ein geheimer Fonds von nicht ganz koscherer Herkunft, den Preußen für<br />

Sonderfälle bereithielt. So erhielt der König über 6 Millionen Gulden über die<br />

Zeit seit der Reichsgründung ausbezahlt. Dabei legt Hilmes Wert auf die Feststellung,<br />

dass Ludwig nicht den Staat Bayern, sondern sich selbst im Rahmen<br />

seiner Privatschatulle, der sogenannten Zivilliste, verschuldete. Schließlich war<br />

König Ludwig nicht mehr als der Repräsentant einer konstitutionellen, parlamentarischen<br />

Monarchie, als der offizielle Etat schon längst von der Privatschatulle<br />

des König getrennt war. Als Ludwig immer mehr in die Schuldenspirale<br />

geriet und sein mehr als sonderbares Verhalten die Runde machte – entlassene<br />

Diener und andere Hofschranzen berichteten gerne in der Stadt von den Extravaganzen<br />

des unsichtbaren Königs - , sahen sich die Politiker veranlasst, diesen<br />

„Verleumdungen“ letztlich durch die Absetzung des Königs ein Ende zu setzen,<br />

da er als nicht mehr tragbar erschien. <strong>Der</strong> Arzt Dr. von Gudden, der ironischerweise<br />

von Ludwig selbst für die Pflege seines verwirrten Bruders Otto engagiert<br />

worden war, war nun das Instrument der Politiker, über Ludwig ein Gefälligkeits-Gutachten<br />

auszustellen, damit der König entmündigt und nach Schloss<br />

Berg gebracht werden konnte. Dr. van Gudden war einer der Mitbegründer der<br />

Psychiatrischen Klinik Burghölzli in Zürich, eine der modernsten Kliniken zu<br />

dieser Zeit. Dass er ein Gutachten von Ludwig verfasste, ohne den König je untersucht<br />

zu haben, wirft ein mehr als sonderbares Licht auf das ganze Verfahren<br />

um die Entmündigung und Absetzung des Königs.<br />

Hilmes zieht das doch letzlich erfreuliche Fazit, dass Richard Wagner ohne des Königs<br />

immerwährende Hilfe wohl kaum zu dieser Vollendung in seinem Werk und<br />

den Bayreuther Festspielen gelangt wäre. Und dies auch trotz der Entzweiung der<br />

beiden Freunde wegen der leidigen Affäre um die noch mit Bülow verehelichte Cosima.<br />

Auch sind die Königsschlösser zu den ertragreichsten Touristenattraktionen<br />

Bayerns geworden - übrigens gleich nach dem Tod des Königs 1886 wurden sie für<br />

die Öffentlichkeit zugänglich gemacht – und haben dem Freistaat einen wahren Goldesel<br />

beschert. Kein Wunder, dass König Ludwig II. schon wegen seiner stattlichen<br />

Erscheinung, er war 1,91 m groß und sah in seinen jüngeren Jahren blendend aus,<br />

immer noch einen Sonderstatus genießt. John H. Mueller<br />

DER NEUE MERKER 12/2013| 87

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