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Europa<br />
ganz offen als Vorkämpfer für die kulturelle und völkerverbindende Rolle<br />
der klassischen Musik in der Türkei. Dies wurde auch mit seinem Kommentar<br />
zum Publikum während des Wagner-Konzerts des Borusan Istanbul<br />
Philharmonic Orchestra im Anadolu Auditorium tags darauf deutlich…<br />
Dieses Orchester hat laut Aykal aber ein treues und zahlreiches Publikum,<br />
nicht zuletzt wegen seiner hohen musikalischen Qualität und der<br />
interessanten Programme. In der Saison 2013-2014 wird man von Oktober<br />
2013 bis Mai 2014 insgesamt 13 Konzerte geben und im Dezember<br />
2013 ein Beethoven-Festival – unter anderen mit Rudolf Buchbinder,<br />
der alle Klavier-Sonaten spielen wird. In der Konzertreihe kamen bzw.<br />
kommen Größen wie Roberto Alagna, Murray Perahia, Alexander Gavrylyuk,<br />
Markus Schirmer et al. sowie der Salzburg Bach Chor nach Istanbul.<br />
Allgemein gibt es in der Türkei sechs Opern-Ensembles, die derzeit<br />
im Schnitt jede Woche etwa drei Opern und ein Ballett aufführen, i. e.<br />
Ankara, Antalya, Istanbul, Izmir, Mersin und Samsun.<br />
(Das Interview wurde auf Englisch und teilweise Türkisch mit Dolmetschung<br />
geführt). <br />
Klaus Billand<br />
Kiew: „MADAMA BUTTERFLY“ – Taras Shevchenko<br />
Ukraine National Opera Kiew 1.11.<br />
Die Geburtsstunde der Kiewer Oper war das Jahr 1867. Das alte hölzerne<br />
Opernhaus brannte jedoch schon 1896 ab und so wurde in den Jahren 1898<br />
bis 1901 ein <strong>neue</strong>s steinernes Stadttheater nach den Plänen des deutsch-baltischen<br />
Baumeisters Viktor Schröter (1839-1901) in einer Mischung aus<br />
Barock und Neuromantik und einer prächtig verzierten Fassade im Stil der<br />
Neorenaissance errichtet. 1897 erhielt Schröters Arbeit in einem internationalen<br />
Wettbewerb den 1. Preis. Seit 1939 trägt das Opernhaus den Namen<br />
des bedeutendsten ukrainischen Lyrikers, Taras Shevchenko (1814-1861),<br />
dessen Büste über dem Eingang angebracht ist. 1988 wurde das Theater renoviert<br />
und nun finden bis zu 1650 Besucher auf fünf Rängen Platz.<br />
Von den Eintrittspreisen kann man hier zu Lande nur träumen. Die teuerste<br />
Karte kostet 200 Griwna (etwa 21 Euro), die billigste 10 Griwna<br />
(etwa 1,10 Euro). Das reich bebilderte Programmheft 10 Griwna. Allerdings<br />
sind die Namen der Mitwirkenden nur in ukrainischer Sprache<br />
angeführt, weshalb ich gleich vorweg Abbitte für etwaige Fehler in der<br />
Transkription leisten möchte. Dafür findet sich aber eine englische Inhaltangabe<br />
für ausländische, des Werkes unkundige Besucher. Und oberhalb<br />
der Bühne rechts werden ukrainische Übertitel eingeblendet. Gespielt<br />
wurde die dreiaktige Fassung in italienischer Sprache. Beginn ist um 19<br />
Uhr. Und die letzten Besucher betreten noch etwa 25 Minuten nach Beginn<br />
der Vorstellung ungeniert den Zuschauerraum.<br />
Mir wurde erklärt, dass viele Besucher aus den Vororten kommen würden und<br />
im Stau steckten. Außerdem würde ein Arbeitgeber sie wegen eines Theaterbesuches<br />
nicht früher entlassen. Ich wollte dieses Problem nicht weiter vertiefen.<br />
Andere Länder, andere Sitten. Überraschend aber die Begeisterungsfähigkeit<br />
des Publikums. Da wurde bereits nach dem Liebesduett „Vogliatemi bene,<br />
un bene piccolino“ im 1.Akt heftig applaudiert und Bravo gerufen. Und auch<br />
die Arie „Un bel di vedremo“, die den Höhepunkt des 2. Aktes bildet, und in<br />
der sich Butterfly die lang ersehnte Rückkehr ihres Ehemannes ausmalt, rief<br />
einen Begeisterungssturm hervor und ließ so manches Auge feucht werden.<br />
Puccini ist nicht umsonst ein Meister tränenreicher Melodien.<br />
Im Programmheft findet sich leider keinerlei Hinweis, aus welchem Jahr<br />
die vorliegende Inszenierung stammt. Das Bühnenbild ist japanisch historisierend<br />
mit einem Pavillon zur rechten und einer kleinen stegartigen<br />
Brücke zur Linken. Als Regisseurin scheint Irina Molostowa auf.<br />
Aus dem Orchestergraben drang ein schwelgerischer Puccini-Sound, der,<br />
mit reichlichem Schmelz versehen, die Zuschauer und den Rezensenten<br />
begeisterte. Verantwortlich für diesen in musikalischer Hinsicht gelungenen<br />
Abend war entweder Oleg Rjabow oder Olexander Barwinsky -<br />
das Programmheft nennt zwei Dirigenten, die offenbar alternierend die<br />
musikalische Leitung haben,<br />
Mag man auch bekritteln, dass die Chorsänger japanisch gekleidet, aber keineswegs<br />
solcherart geschminkt waren, so gebührt dem Chorleiter Lew Wenediktow<br />
doch großes Lob für die gute Einstudierung. Natürlich werden Puristen<br />
an der italienischen Aussprache hie und da mäkeln, wenn aber an der Wiener<br />
Volksoper deutsch gesungen wird, ergeht es uns Muttersprachlern ähnlich.<br />
Das Programmheft nennt alle Künstler, die in den jeweiligen Rollen besetzt<br />
werden, und – dankenswerter Weise werden die Protagonisten des<br />
jeweiligen Abends mit einem Haken angekreuzt. Da ich die Künstler<br />
nicht kenne, muss ich mich in meinem Bericht auf die Richtigkeit der<br />
Angaben verlassen.<br />
In Tetjana Charausowa stand eine äußerst dramatische Cho-Cho-San,<br />
Geishamädchen im Haus von Marineoffizier Pinkerton in Nagasaki, auf<br />
der Bühne. Berührend einfühlsam gestaltete sie den Wandel von der naiven<br />
Geisha, die an einen Aufstieg durch die Ehe mit dem Amerikaner<br />
glaubt, bis zur bitteren Erkenntnis, dass er bereits mit einer anderen verheiratet<br />
ist und nur deshalb zurückgekehrte, um ihr beider Kind in eine<br />
gesicherte Heimat nach Amerika zu bringen. Mit ihrem wohl timbrierten<br />
Sopran gelangen ihr sowohl die zärtlich-lyrischen Phrasen als auch<br />
die dramatischen Ausbrüche. Brava! Auch die Suzuki von Natalja Kisla<br />
gefiel mit warmem Mezzosopran als aufopfernde und mitfühlende Dienerin,<br />
ebenso Ljudmila Zigan als zickige Kate Pinkerton.<br />
Weniger gefielen die Männer: Bei Andrij Romanenko als Pinkerton hatte<br />
man den Eindruck eher einen Kapitän als einen einfachen Marineleutnant<br />
der „Abraham Lincoln“ vor sich zu haben. Sein Gesang ließ zu Beginn auch<br />
keinerlei Italianità bemerken. Zu hart und schlampig wurden manche Worte<br />
ausgesprochen. Im 3. Akt steigerte er sich aber überraschender Weise, sang<br />
wie ausgewechselt und erhielt dafür auch verdienten Szenenapplaus. Konsul<br />
Sharpless wurde rollengerecht von Dmitro Grischin dargeboten. An seiner<br />
flapsigen italienischen Aussprache sollte aber auch Ruslan Tanskij als<br />
Heiratsvermittler Goro arbeiten. Darstellerisch machte er aber mit seiner<br />
Komik einiges wett. Prinz Yamadori war mit Wjatscheslaw Bassir sowohl<br />
im Auftreten als auch im Aussehen und Gesang äußerst würdevoll besetzt.<br />
Wahrlich furchterregend verfluchte Sergij Skubak als Onkel Bonze seine<br />
Nichte wegen ihres Übertritts zum christlichen Glauben. Die kleine Rolle<br />
des kaiserlichen Kommissärs erfüllte Igor Mokrenko zufriedenstellend.<br />
Auffallend an dieser Inszenierung war für mich vor allem das Finale: Als<br />
sich Butterfly mit ihrer Todesarie „Con onor muore“ hinter einem Paravent<br />
tötet und diesen umreißend schließlich tot nach vorne fällt, eilt ihr<br />
Sohn, nach dem dreimaligen „Butterfly-Ruf“ von Pinkerton, schutzsuchend<br />
in die Arme seines Vaters, den er ja eigentlich persönlich noch<br />
gar nicht kennt. Von wem die Kostüme und das Bühnenbild stammen,<br />
konnte dem ukrainischen Programmheft leider nicht entnommen werden.<br />
Ausgiebiger Applaus beendete einen gelungenen Opernabend in einem<br />
architektonisch wunderschönen Theatergebäude. Harald Lacina<br />
„CARMEN“ – 2.11. (Pr. 28.12.2001)<br />
Es ist Samstag 19 Uhr und diesmal ist das Haus fast bis auf den letzten<br />
Sitzplatz ausverkauft. Niemand kam zu spät. Das Orchester wurde diesmal<br />
von einer blonden attraktiven Dirigentin mit so viel Elan geleitet, dass ich<br />
sie zunächst für eine Französin hielt. Doch ein Blick ins Programmheft belehrte<br />
mich eines Besseren. Alla Kulbaba riss das Publikum zu solchen Begeisterungsstürmen<br />
hin, dass bereits nach dem schnellen 1. Teil der Ouvertüre<br />
applaudiert wurde. Ich saß in der ersten Reihe und konnte beobachten,<br />
dass die Dirigentin auch den Text mit den Lippen formte. <strong>Der</strong> französische<br />
Text war Letztendes aber auch die Crux des Abends. Offenbar gibt es<br />
keinen Sprachcoach an der Kiewer Oper und so wurde das französische<br />
„u“ nicht wie ein deutsches „ü“, sondern stets wie ein „ou“ ausgesprochen.<br />
Den besten Eindruck hinterließ für mich der glockenhelle Sopran der Micaëla<br />
von Tetjana Ganina. Sie könnte mit ihrer ausdrucksstarken, gut geführten<br />
Stimme jederzeit auf den großen Bühnen der Welt Furore machen.<br />
Es war eine Überraschung, ein solches Talent in Kiew zu erleben. Brava!<br />
Tetjana Piminowa erinnerte mit ihrer dunklen Stimme und im Aussehen<br />
ein wenig an Agnes Baltsa in ihrer Paraderolle als Carmen. Sie bewies auch<br />
ein großes tänzerisches Talent und bewegte sich mit wiegenden Schritten<br />
über die Bühne, wenn sie Don José umgarnte oder für ihn bei Lillas Pastia<br />
tanzte. Die Kastagnetten zu diesem Tanz wurden allerdings von einem<br />
86 | DER NEUE MERKER 12/2013