06.05.2014 Aufrufe

Der neue Merker

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Europa<br />

Tunkay Kurtoglu begann mit dem Wotan-Monolog. Abendlich strahlt der<br />

Sonne Auge“ und sang daraufhin Wotans Abschied. Nach der Pause gab<br />

er den Wanderer in der komplett gesungenen Wissenswette und schlüpfte<br />

schließlich in die Rolle des Hagen mit dessen Wacht.<br />

Den Loge singt Kuloglu mit viel tenoralem Schmelz und Farbe – gut gelingen<br />

die langen Bögen der Erzählung. Kräftig und dramatisch ertönen seine<br />

Wälse-Rufe, während er bei den „Winterstürmen“ die ganze Emotionalität<br />

und Lyrik dieses Liebeslieds entfaltet. Stets merkt man bei Kuloglu, der auch<br />

sehr gut deutsch spricht, dass er weiß, was er singt. Obwohl der Mime kaum<br />

seine Lage ist, beeindruckt, wie sehr er in der Wissenswette seine Wandlungsfähigkeit<br />

vom strahlenden Helden zum hadernden kleinlichen Zwerg unter<br />

Beweis stellt. Lediglich zu Beginn verfällt er hier in etwas zu starkes Deklamieren,<br />

sicher dem speziellen Ausdruck des Mime geschuldet. Kuloglu bringt aber<br />

starke schauspielerische Elemente in den Vortrag ein. „Nothung! Nothung!<br />

Neidliches Schwert!“ gelingt dann wieder sehr expressiv mit blendender heldentenoraler<br />

Höhe, und bei den Schmiedeliedern zeigt er viel Lebhaftigkeit<br />

im stimmlichen und spielerischen Ausdruck. Das Finale mit Siegfrieds Tod<br />

gerät Kuloglu berührend und wird mit seiner gefühlvollen, lyrisch timbrierten<br />

Phrasierung zu einem der Höhepunkte des Abends.<br />

Tunkay Kurtoglu, den der Rezensent noch im vergangenen Juli beim Istanbul<br />

Opernfestival am Tokapi als Osmin in der „Entführung“ erleben konnte,<br />

singt den Wotan mit einer vornehmlich gesanglichen Note mit seinem farbigen<br />

Bassbariton, mit dem der Sänger bestens intoniert und phrasiert. Was<br />

eventuell hier und da an Dramatik im stimmlichen Ausdruck fehlt, wird<br />

überzeugend durch die gesangliche Linienführung mit großer Wärme im<br />

Stimmklang wettgemacht. Dazu kommt auch viel Würde im Vortrag, die<br />

Kurtoglu besonders als Wanderer zugutekommt, wo er die geforderten langen<br />

Bögen klangvoll und souverän intoniert. Es ergibt sich damit ein auch<br />

dramaturgisch überzeugender Kontrast zwischen seinem Wanderer und dem<br />

Mime von Kuloglu in der Wissenswette. Als Hagen kann Kurtoglu schließlich<br />

seine profunde und dennoch klanglich stets überzeugende Tiefe ausloten<br />

und der düsteren Wacht emotionale Facetten abgewinnen. Beide Sänger<br />

haben ganz offenbar ein riesiges Potenzial für Wagner-Gesang.<br />

Gürer Aykal führte die Qualitäten des Borusan Istanbul Philharmonic<br />

Orchestra auch noch in zwei rein konzertanten Stücken vor, und zwar mit<br />

„Siegfrieds Rheinfahrt“ und dem Trauermarsch aus der „Götterdämmerung“.<br />

Wie gut das Ensemble diese Orchesterzwischenstücke spielte, wenn<br />

man von einigen kleineren Unebenheiten einmal absehen will, ist umso verwunderlicher,<br />

als man für das ganze Konzert lediglich drei Probentage hatte!<br />

Leider konnte man keine Wagnertuben bekommen, was der Begeisterung<br />

der ganz überwiegend sehr jungen Musiker aber keinen Abbruch tat. Was<br />

Aykal dieses Konzert bedeutete, offenbarte er in einem kurzen Moment des<br />

Innehaltens, in dem er sich zum überraschten Publikum wandte und sagte:<br />

„Ich danke Ihnen, dass Sie heute Abend hier sind und diese Musik hören. Das<br />

ist sehr wichtig für uns!“ Wer die Lage der Oper in der Türkei kennt, wusste<br />

wie das gemeint war… Ein denkwürdiges Konzert! Klaus Billand<br />

Interview mit Maestro Gürer Aykal,<br />

Ehrendirigent des Borusan Istanbul Philharmonic<br />

Orchestra – 6.11.<br />

Anlässlich meiner Einladung zu diesem Konzert führte ich ein Interview<br />

mit seinem Ehrendirigent Gürer Aykal. Das renommierte Orchester feiert<br />

in diesem Jahr sein 15jähriges Bestehen. Es gab vor 15 Jahren sein erstes<br />

Konzert im Yildice Palace Arsenal unter der Leitung von Aykal, der dem<br />

Ensemble seither auf engste Weise verbunden ist und in dieser Zeit viele<br />

junge Musiker gefördert hat. (Siehe auch die Rezension in diesem Heft).<br />

Die Idee des Interviews war es, mit Maestro Aykal über die derzeitige Situation<br />

der Oper in der Türkei zu sprechen. Man muss das auch vor dem<br />

Hintergrund sehen, dass die vor Leben nur so sprudelnde, fast 15 Millionen-Metropole<br />

Istanbul lediglich ein kleines altes Musiktheater aus dem<br />

Jahre 1927, im Jahre 2007 als Opernhaus wiedereröffnet, auf der asiatischen<br />

Seite Üsküdar im Stadtteil Kadikoy besitzt, das Kadikoy Süreyya<br />

Opernhaus. Es hat gerade einmal 570 Plätze, führt aber von Oktober bis<br />

Mai ein recht interessantes Programm auf. Das große Istanbuler Opernhaus<br />

der Istanbul Staatsoper und Staatsballett mit über 1.300 Plätzen<br />

liegt seit Jahren als Bauruine in der Nähe des Taksim-Platzes. Es gibt offenbar<br />

keine konkrete staatliche Initiative oder Unterstützung, das Haus<br />

wieder herzustellen und damit ein der Größe der Stadt entsprechendes<br />

Opernhaus zu realisieren.<br />

So wird das Interview mit Gürer Aykal schnell zu einem Plädoyer für die<br />

Förderung der Oper in der Türkei. Er holt hierfür zu einem hochinteressanten<br />

historischen Diskurs aus. Als Mustafa Kemal, Staatsgründer der<br />

heutigen Türkei, der 1934 vom türkischen Parlament den Nachnamen<br />

Atatürk (Vater der Türken) erhielt, im Jahre 1913 an der osmanischen<br />

Botschaft in Bulgarien als Militärattaché akkreditiert war, erlebte er an<br />

der Nationaloper von Sofia zum ersten Mal eine Oper. Er soll so beeindruckt<br />

von der Qualität der Aufführung gewesen sein, dass er verstanden<br />

haben will, warum die Türkei die Schlacht am Balkan verloren habe. Er<br />

plante für den Fall der Gründung der Türkischen Republik, die bekanntlich<br />

im Oktober 1923 erfolgte, eine unmittelbar sich anschließende Revolution<br />

der Kunst in der Türkei. Bereits im Jahre 1924 verlegte Mustafa<br />

Kemal das bestehende Orchester vom Serail/Topkapi in Istanbul nach Ankara<br />

mit der Verpflichtung, ab nun für die Öffentlichkeit Konzerte zu veranstalten.<br />

Er nannte das Orchester in „Präsidiales Symphonieorchester“<br />

um, um ihm so größere Aufmerksamkeit und Bedeutung zu verleihen.<br />

Dann gründete Mustafa Kemal eine Schule für die Ausbildung von Musiklehrern.<br />

Dazu kamen auch bekannte deutsche Musiker ins Land, im<br />

Wesentlichen vor 1936, unter anderen auch Wilhelm Furtwängler. Sie<br />

zogen andere Musiker nach, wie Paul Hindemith oder Carl Ebert, der<br />

1939 kam und in leitender Position an der Gründung des Konservatoriums<br />

und der Oper in Ankara beteiligt war. All das spielte sich nun in Ankara,<br />

der Hauptstadt und dem politischen Zentrum des Landes, ab. Mit<br />

dem Brustton der Überzeugung meint Gürer Aykal: „If a nation does not<br />

have any relation to art the main vessel is corrupted!“<br />

In derselben Zeit bat Mustafa Kemal alle Musiker, die daran Interesse hatten,<br />

nach Anatolien zu gehen und die Volksmusik aufzunehmen und sie<br />

mit den modernsten Mitteln der Kompositionstechnik niederzuschreiben.<br />

Komponisten wie A. A. Saygun, U. C. Erkin und sogar Bela Bartók<br />

gingen auf diese Wiese nach Anatolien. Ziel war es, der Welt das Potenzial<br />

der türkischen Folklore bekannt zu machen. Im Zuge dieser von<br />

Kemal eingeleiteten Revolution der Kunst beauftragte er A. A. Saygun,<br />

die erste türkische Oper zu komponieren. Er lud den Schah von Persien<br />

zur Uraufführung ein, auch um die guten Beziehungen zwischen Persien<br />

und der Türkei zu dokumentieren. Da war am 18. Juni 1934. <strong>Der</strong> Schah<br />

war äußerst beeindruckt, zumal sie in Persien keine Oper hatten. Kemal<br />

Mustafa soll ihm daraufhin sinngemäß gesagt haben: „<strong>Der</strong> Unterschied<br />

von einem Land zum anderen liegt in seiner Sensibilität für Musik, welche<br />

es zu einem entwickelten Land macht – (im emotionalen Sinne).“ Atatürk<br />

ließ in der Folge türkische Musik komponieren und forderte die Leute auf,<br />

auch die traditionelle Musik weiter zu entwickeln, sich dabei aber nicht<br />

zu wiederholen. Das brachte ihm offenbar auch Sympathieverluste ein.<br />

„Nach Atatürks Tod im Jahre 1938 versuchten einige seiner Gegner, die<br />

Kunstrevolution sofort zurück zu drehen“, kommentiert Gürer Aykal mit<br />

einem Gesichtsausdruck größter Besorgnis und fügt hinzu, dass heute eine<br />

Auffassung bestehe, dass Oper, Ballett und andere Theaterformen nicht<br />

zur Lebensweise der Türkei passen. „All the art people try to fight back and<br />

many people help them in this. Let us recall that Atatürk gave voting rights<br />

to women before Finland and Switzerland. We have to work towards this<br />

direction to join the European Union – via music.” Gürer Aykal sieht sich<br />

DER NEUE MERKER 12/2013| 85

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!