Der neue Merker
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Europa<br />
sich in Topform und war stimmlich wie darstellerisch ungemein präsent.<br />
Fast meinte man, sie sei vokal nach Bayreuth noch dramatischer geworden.<br />
Immer wieder berührte sie auch darstellerisch mit ihrer natürlichen,<br />
niemals übertriebenen Mimik. Stephen Gould als Siegfried befindet sich<br />
momentan ganz offenbar auf der Höhe seiner Wagnerschen Gesangskunst.<br />
<strong>Der</strong> Rezensent hat ihn noch nie in dieser Qualität gehört, und zwar in jeder<br />
Hinsicht: Heldentenoraler Glanz, Höhensicherheit, stimmlicher Ausdruck,<br />
Diktion und Phrasierung, aber auch feines Legato, wo erforderlich –<br />
und dazu noch ein enormes Maß an Emotionalität in der Darstellung, die<br />
stets das Menschliche in den Vordergrund stellt. Das war schlicht derzeitige<br />
Weltklasse. Offenbar arbeitet Gould seit einiger Zeit mit einem <strong>neue</strong>n Vocal<br />
Coach zusammen. Man kann sich nur freuen, diesen Siegfried momentan<br />
erleben zu können und auf seinen Tristan 2015 in Bayreuth gespannt sein.<br />
Daneben war Alejandro Marco-Buhrmester wie gewohnt ein stimmlich<br />
exzellenter Gunther mit lyrischem und stets gesangsbetontem Timbre. Er<br />
spielte auch die ganze Tragik dieser undankbaren Rolle aus. Astrid Weber<br />
als Gutrune konnte hingegen nur mit ihrer klangvollen Mittellage überzeugen,<br />
in der Höhe neigte ihr Sopran zu einigen Schärfen. Kurt Rydl<br />
war ein immer noch imposanter Hagen, wenngleich man aus rein gesanglicher<br />
Perspektive mittlerweile doch erhebliche Abstriche machen muss.<br />
Aber Rydl liegt der Hagen, er ist ihm im wahrsten Sinne des Wortes auf<br />
den Bauch geschrieben, denn dessen Blöße war hier den ganzen Abend zu<br />
sehen. Und er spielte gekonnt seine ganze Routine bei dieser so lange Jahre<br />
gesungenen Partie aus. Auch wenn Rydls profunder Bass oft zur Deklamation<br />
tendiert, ist er mit seiner schieren vokalen Kraft nahezu omnipotent<br />
und Angst einflößend – der notwendige und passende Gegenpol zu einem<br />
an diesem Abend zu erlebenden starken Siegfried. Werner Van Mechelen<br />
sang einen eindrucksvollen Alberich mit bester Höhe, perfekter Wortdeutlichkeit<br />
und intensiver Darstellung. Michaela Schuster gab wieder einmal<br />
die Waltraute mit viel Engagement, aber nicht immer ganz sitzenden Spitzentönen.<br />
Das Nornen-Terzett aus Nicole Piccolomini (Erste Norn), Barbara<br />
Senator (Zweite Norn) und Astrid Weber (Dritte Norn) sang überzeugend.<br />
Die nicht nur durch ihre nixenhaft erotisch anziehenden Kostüme<br />
attraktiv wirkenden Rheintöchter wurden von Machteld Baumans (Woglinde),<br />
Barbara Senator (Wellgunde) und Bettina Ranch (Flosshilde) mit<br />
klangvollen und kräftigen Stimmen gesungen. <strong>Der</strong> von Eberhard Friedrich<br />
(ja, dem Bayreuther Chordirektor!) einstudierte Chor der Niederländischen<br />
Oper agierte mit großer Intensität auf höchstem vokalen Nivau.<br />
Hartmut Haenchen stellte mit dem Niederländischen Philharmonischen Orchester<br />
einmal mehr unter Beweis, dass er zu den profiliertesten Wagner-Dirigenten<br />
unserer Tage gehört. Er dokumentierte seine große Affinität für Wagners<br />
Musik und leitete das Orchester mit viel Verve und Impetus. Dies war eine<br />
musikalische Darbietung von Festspielniveau. Alles stimmte, die Dynamik, die<br />
Rücksicht auf die SängerInnen und die Harmonie zwischen Musik und dem<br />
Bühnengeschehen, was umso nachvollziehbar gelang, als beide gewissermaßen<br />
auf Augenhöhe nebeneinander agierten. Und die Blechbläser waren, nicht zuletzt<br />
mit perfekten Hornrufen im 3. Aufzug, in Topform – sicher auch Ausdruck<br />
des allgemein feststellbaren hohen Begeisterungsgrades aller Musiker dieses<br />
hervorragenden Klangkörpers. Es war ein Fest – ein Fest der Sinne…! Die<br />
Niederländische Oper hat mit diesem sehenswerten „Ring“ dem Bayreuther<br />
Meister in seinem Jubiläumsjahr standesgemäß die Ehre erwiesen. Klaus Billand<br />
London:<br />
English National Opera: “THE MAGIC FLUTE” – 7.11.<br />
Simon McBurney, director of Complicite, an innovative theatre company<br />
of a distinguished 30 years activity, launched this production last<br />
year in the Netherlands with success. Something must have been lost in<br />
its London appearance, providing an un-magical and colourless evening.<br />
The acting area, designer Michael Levine, is mostly a suspended platform,<br />
the scenery either drawn or modelled in a booth to the left of the<br />
stage and projected onto the acting area, the Speaker (Sprecher) nearly<br />
invisible behind the gauzes, although the water trial was nicely achieved<br />
by flying the two singers behind a water projection, video by Finn Ross.<br />
Costumes by Nicky Gillibrand did little to enliven the scene, a drab grey<br />
for the chorus, and little colour elsewhere. Lots of dialogue, in translation<br />
by Stephen Jeffreys neither poetic nor colloquial, amplified from a booth<br />
to the right against a sound-track of birdsong for Papageno and imposing<br />
crashes of the temple doors, proved a complete mis-match for the live<br />
natural and modest sound from most of the singers, sound design Gareth<br />
Fry. The whole was rendered difficult for conductor Gergely Madaras<br />
by having the orchestra raised to near stage level, with the ensuing<br />
problems of orchestral balance and caring for the voices. The flute and<br />
bells were handed down to be played when appropriate in the orchestra.<br />
Ben Johnson gave a solidly sung Tamino, his Pamina Devon Guthrie light<br />
of voice but rising well enough to her key moments. The usually admirable<br />
Roland Wood found little fun in Papageno, until joined by Mary Bevan’s<br />
sparky Papagena. Cornelia Gotz had the spitzentone for the Queen,<br />
but little lower down the stave (she suffered most with the comparison of<br />
her amplified dialogue). James Creswell was wary of his lower tones, Steven<br />
Page’s Speaker hampered by the production and Brian Galliford an<br />
unpleasing Monostatos in all respects. The Ladies in army fatigues were<br />
squally, the Boys, here emaciated little old men, excellent. Stephen Mead<br />
Istanbul:<br />
Das Borusan Istanbul Philharmonic Orchestra<br />
spielt Wagner – 7.11.<br />
Das war ein ganz besonderer Tag bzw. Abend in der Geschichte der Wagner-Rezeption<br />
in der Türkei: Zum ersten Mal überhaupt wurden Auszüge<br />
aus seinem „Ring des Nibelungen“ konzertant mit Singstimmen in einem<br />
öffentlichen Konzert gegeben, und zwar vom renommierten Borusan<br />
Istanbul Philharmonic Orchestra in Istanbul. Das von dem in der<br />
Erdöl- und Autoindustrie tätigen privaten türkischen Konzern Borusan<br />
im Rahmen seines Borusan Culture and Arts Programms finanzierte Orchester<br />
feiert in diesem Jahr sein 15jähriges Bestehen. Es steht unter der<br />
Leitung des Künstlerischen Direktors und Chefdirigenten Sascha Goetzel<br />
und gab vor 15 Jahren sein erstes Konzert im Yildice Palace Arsenal<br />
unter der Leitung von Gürer Aykal, der heute sein Ehrendirigent ist.<br />
Aykal, überwiegend in den USA musikalisch tätig, leitete auch dieses erste<br />
ausschließlich Wagners „Ring“ gewidmete Konzert mit zwei Solisten der<br />
Staatsoper Istanbul im modernen, fast 2.000 Plätze und sehr gut besetzten<br />
Anadolu Auditorium von Istanbul. Natürlich stand dieses Konzert<br />
im Zusammenhang mit Wagners 200. Geburtstag. Gürer Aykal ließ in einem<br />
Interview im Rahmen der Proben jedoch erkennen, dass er ein großer<br />
Verehrer der Wagnerschen Musik ist und es ihm ein ganz besonderes Anliegen<br />
war, diese in der Türkei noch nie öffentlich aufgeführten Auszüge<br />
aus dem „Ring“ einmal einem größeren Publikum vorzustellen, und zwar<br />
in chronologischer Reihenfolge von „Rheingold“ bis „Götterdämmerung“.<br />
So kam es zu einer ganz und gar ungewöhnlichen Rollenverteilung insbesondere<br />
für Ünüsan Kuloglu, einem in der Türkei und auch in Westeuropa<br />
tätigen Heldentenor, den der Rezensent bereits 2012 im anatolischen<br />
Aspendos als Tannhäuser in einer Peter Lehmann Produktion und diesen<br />
Sommer beim Meisterkurs von Petra Lang in Bayreuth erleben konnte,<br />
sowie dem Bassisten Tunkay Kurtoglu. Beide bestritten den vokalen Teil.<br />
So sang Kuloglu zunächst den Loge mit „Immer ist Undank Loges<br />
Lohn…“, dann Siegmund mit den Wälse-Rufen, um darauf mit „Winterstürme<br />
wichen dem Wonnemond“ und der Schwertgewinnung „Siegmund<br />
heiß ich und Siegmund bin ich…“ zu begeistern. Nach der Pause<br />
ging es für ihn mit dem „Siegfried“-Mime (!) in der Wissenswette weiter,<br />
gefolgt von „Nothung, Nothung! Neidliches Schwert!“ und den Schmiedeliedern<br />
„Hoho! Hoho! Hohei! Schmiede, mein Hammer, ein hartes<br />
Schwert!“. Kuloglu kam schließlich mit „Brünnhilde, heilige Braut“ ans<br />
Ende dieses „Ring“-Tenor Parforce-Ritts, der wohl seinesgleichen sucht…<br />
84 | DER NEUE MERKER 12/2013