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Europa<br />

wird. Wir hörten die französische Fassung (oder „Bearbeitung“) durch<br />

den französischen Komponisten Hector Berlioz. Eine geplante französische<br />

Aufführung des „Freischütz“ in der Grand Opéra de Paris drohte<br />

1841 daran zu scheitern, dass die Oper mit ihren gesprochenen Dialogen<br />

zwischen den Gesangstexten im französischen Sinn eine „Opéra comique“<br />

ist, die Konventionen der „Grand Opéra“ dagegen fordern, dass jedes<br />

Wort der „tragédie lyrique“ gesungen wird, wie Hector Berlioz in seinen<br />

„Mémoires“ schreibt. Daher habe er den Auftrag angenommen, zusammen<br />

mit Emilien Pacini, der eine <strong>neue</strong> Übersetzung erstellte, eine Neufassung<br />

der Oper zu machen, wobei er alle gesprochenen Dialoge durch<br />

neu komponierte Rezitative ersetzte. Ein weiterer Grund für seine Mitarbeit<br />

war seine Wut über die Verstümmelung und Verfälschung der von<br />

Castil-Blaze erstellten und 1824 am Pariser Théatre de l’Odéon aufgeführten;<br />

französischen Bearbeitung des Freischütz unter dem irreführenden<br />

Titel „Robin de Bois“, die zuerst vom Publikum ausgebuht wurde,<br />

„<strong>Der</strong> Freischütz“ auf der Freitreppe (© Opéra de Nice/Jaussein)<br />

dann aber als „komische“ Oper einen riesigen Erfolg hatte. Außer den Rezitativen<br />

forderte die Tradition der „Grand Opéra“ auch ein Ballett – dafür<br />

diente Webers „Aufforderung zum Tanz“, die von Hector Berlioz arrangiert<br />

und orchestriert wurde.<br />

<strong>Der</strong> „Freischütz“ muss die Lieblingsoper meiner Eltern gewesen sein, denn<br />

ich erinnere mich heute an alle Texte und Melodien, ich bin sozusagen<br />

mit dem Wald, den mein Vater so liebte und in den er mich immer wieder<br />

führte, und mit der Oper, die den Wald verherrlicht, aufgewachsen.<br />

So saß ich etwas ratlos vor der großen, mit einer Art Moosteppich bedeckten<br />

Treppe, die mein geliebter „Wald“ sein sollte, und alle mir so vertrauten<br />

Arientexte hörten sich auf Französisch ganz anders an, es fehlte der<br />

„Schwung“, der Rhythmus der deutschen Verse, die „Natürlichkeit“. Das<br />

wie immer hervorragend spielende Orchestre philharmonique unter seinem<br />

Chef Philippe Auguin, der sich bemühte, die jeweils auf einem anderen<br />

entfernten Punkt der Treppe agierenden Sänger im Auge zu behalten,<br />

taten ihr Bestes. <strong>Der</strong> riesige Chor der Opéra de Nice, wieder hervorragend<br />

einstudiert von Giulio Magnanini), war malerisch über die Länge<br />

und Breite der Treppe verteilt, man sah jeden einzelnen Sänger, sie sangen<br />

sehr exakt und trugen blau-grüne Jägerkleidung, manche Lederhosen<br />

(Kostüme: Pierre Albert). In der Mitte wurde der „Meisterschütze“ Kilian<br />

(der Bassist Richard Rittelmann) gefeiert. Inzwischen erschien der etwas<br />

füllige Max, dargestellt von Bernhard Berchtold, in der linken obersten<br />

Ecke der Treppe, in einen langen blaugrünen Mantel gekleidet. (Da ist er<br />

noch einer von den „Guten“). Langsam steigt er die Treppe herab, in der<br />

Mitte angelangt, wird er von seinen Kumpanen ausgespottet. <strong>Der</strong> Förster<br />

Kuno (Stephen Bronk) erklärt ihm, dass er ihm seine ihm versprochene<br />

Tochter Agathe nicht zur Frau geben könne, wenn er am nächsten<br />

Tag beim „Probeschuss“ nicht trifft. So bewegt sich der verzweifelte<br />

Max immer weiter abwärts auf der Treppe, bis er auch von seinem Jägergefährten<br />

Kaspar (hier „Gaspard“ – dargestellt vom in Nizza geborenen<br />

und am Conservatoire de Nice ausgebildeten Franck Ferrari, dem Liebling<br />

des Publikums); verspottet wird, auf der Treppe fällt und von der Fußspitze<br />

des bösen Kaspar noch ein paar Stufen weiter nach unten befördert<br />

wird, sodass er sich schon im Bereich des „Bösen“ befindet und der Versuchung<br />

erliegt, eine ihm von Kaspar geliehene „Freikugel“ zu probieren,<br />

mit der er einen Adler erlegt. Diesen bringt er in der nächsten Szene seiner<br />

Braut Agathe (Claudia Sorokina), die ihn bereits sehnlich erwartet,<br />

zusammen mit ihrer Kusine Ännchen (Hélène Corre, ausgebildet in Paris<br />

und Wien, die zu Recht schon einen gewissen Bekanntheitsgrad hat<br />

und demnächst wieder in Nizza in „Semele“zu sehen sein wird). Für die<br />

Szenen im Forsthaus wurde eine Art von aus Latten gebautem Vogelhaus<br />

vor die Treppe gehängt, in dem die Mädchen an einem Tisch sitzen, aber<br />

jederzeit nach links oder rechts auf die Treppe treten können. Gesanglich<br />

stellen diese Partien den Höhepunkt der Oper dar. Die beiden Sängerinnen<br />

meistern mit Leichtigkeit alle Schwierigkeiten, auch die Szenen mit<br />

Max sind harmonisch ausgewogen.<br />

Eine große Enttäuschung war für mich die Wolfsschlucht. Über die ganze<br />

Treppe verteilte Fackelträger vor dunklem Hintergrund, sodass man nur<br />

die flackernden Lichter sah, hatte beim ersten Anblick schon etwas Unheimliches.<br />

Als dann die Lichter verlöschten, war der Zauber vorbei. Das<br />

Gewitter war mager, ein paar Blitze, ein bisschen Donner, auch die Musik<br />

schien uninspiriert, das „Gruseln“ wollte sich nicht einstellen. Das „Bleigießen“<br />

am Fuße der Treppe erinnerte mich an Silvester, nur gab es da<br />

mehr Krach. Am Ende hatte Max vier Freikugeln und Kaspar drei, die er<br />

schleunigst verschießen musste, damit Max, der zwei Kugeln bereits verschossen<br />

hatte, für den Preis-Schuss nur mehr die siebte, die Teufelskugel<br />

übrig hatte. – In der 3. Szene des 3. Aktes füllt sich die Treppe wieder.<br />

Die Jäger sitzen in mehreren Reihen nebeneinander auf der Treppe, halten<br />

ein Bierkrügel in der Hand und bewegen es im Takt des Liedes „Was<br />

gleicht wohl auf Erden dem Jägervergnügen“ hin und her und zum Mund<br />

– so stellen sich die Franzosen die Deutschen beim Biertrinken vor (das<br />

Stück wurde auch zum 60. Jubiläum der „Jumelage“ Nizza-Nürnberg<br />

auf den Spielplan gesetzt!) Da kann man nur wegschauen. Dann kommt<br />

mehr oder weniger stückgemäß der Fürst Ottokar (Lionel Lhote) und<br />

der Probeschuss, bei dem zuerst Agathe auf die Treppe sinkt, dann sieht<br />

man Kaspar auf der Treppe, der im Sterben noch eine Weile singt und den<br />

Himmel verflucht, worauf Agathe wieder aufsteht, Max seine Verfehlung<br />

beichtet und der Eremit (Thomas Dear) von ganz oben die Treppe herabsteigt<br />

und alles zum Guten wendet.<br />

<strong>Der</strong> Applaus ist nicht überwältigend. Edith Mrazek-Sommer<br />

Monte-Carlo: „DAS RHEINGOLD“ – Pr. 19.11.<br />

In einer an Feierlichkeit kaum zu überbietenden Gala im Forum Grimaldi<br />

am Strand von Monte-Carlo fand zu Ehren seiner Durchlaucht<br />

Fürst Albert II. von Monaco am Monegassischen Nationalfeiertag die<br />

Premiere des „Rheingold“ der Opéra de Monte-Carlo statt. Fürst Albert<br />

II. erlebte sie mit seiner Frau Charlene und seiner Schwester Caroline<br />

von Hannover in der Fürstenloge.<br />

<strong>Der</strong> Generaldirektor der Opéra de Monte-Carlo, Jean-Louis Grinda, inszenierte<br />

selbst und hielt sich eng an Wagners Regieanweisungen, womit<br />

er in den von Rudy Sabougni bisweilen sehr subtil und imaginativ wirkenden<br />

Bühnenbildern ebenso fantasievolle wie einnehmende Momente<br />

erreichte. Hier ging es einmal nicht um einen <strong>neue</strong>n Deutungsversuch,<br />

bzw. einen Neudeutungsversuch. Das Regieteam wollte ganz offensichtlich<br />

die Geschichte erzählen. Dabei sollte man auch bedenken, dass das<br />

monegassische Publikum nicht allzu oft mit „Ring“-Inszenierungen in Berührung<br />

kommt, wenn es zu diesem Zweck nicht weite Reisen auf sich<br />

80 | DER NEUE MERKER 12/2013

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