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Der neue Merker

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Europa<br />

„<strong>Der</strong> fliegende Holländer“ im Bâtiment<br />

des Forces Motrices (BFM), altes Wasserkraftwerk – 2.11.<br />

<strong>Der</strong> „Cercle Romand de Richard Wagner“ besteht dieses Jahr schon<br />

seit 37 Jahren und wäre das nicht schon eine große Feier wert, gelingt<br />

es dem Verein, für den 200. Geburtstag des Komponisten auch<br />

noch ein Festival hervor zu zaubern, welches national und international<br />

große Beachtung findet. Das Wagner Geneva Festival widmet<br />

sich vom 26.9. bis 5.11. der Musik, Literatur, Theater, Skulptur, Tanz<br />

und Film rund um Richard Wagner. Das Kernstück dieses Konzeptes<br />

ist die Aufführung des „Holländers“ in der Urfassung, die Wagner in<br />

Paris 1840 geschrieben hat, am Stück ohne Pause.<br />

In Genf konzentriert sich das Team Alexander Schulin (Inszenierung),<br />

Bettina Meyer (Bühne), Bettina Walter (Kostüme), Bert Zander (Video)<br />

und Rainer Küng (Licht) in einfacher, aber stimmungsstarker<br />

Ausstattung ohne Phantomschiff auf die Figuren.<br />

Senta spielt eine verträumte, fast naive Frau, die eine Marionette des<br />

Holländers in Händen trägt und von einem Helden träumt, den sie<br />

sehnlichst erwartet. Bis zum bitteren Ende tief enttäuscht, entledigt<br />

sie sich ihres Traumes, in dem sie die Holländer-Marionette wegwirft<br />

und aus dem Rahmen der vergangenen Welt entflieht. Die Bühne ist<br />

einfach gestaltet, das Einheitsbild ist karg, vier Wände, vier Zugänge<br />

für Solisten, ein großer Rahmen, der die spießbürgerliche Welt darstellt,<br />

und den bildfüllenden Chor. Videoprojektionen mit Stürmen,<br />

Meereswellen und aufblitzenden Gesichtern beleben das Bild.<br />

Das ist ein gutes Konzept, vor allem, wenn ein Sängerteam am Werk<br />

ist, das den Figuren szenisch wie musikalisch großartige Bühnenpräsenz<br />

verschafft. Alfred Walker als Bariton von dunkler Dämonie für den<br />

Holländer, Ingela Brimberg als Traumbesetzung am Wagner-Himmel<br />

mit imponierender Intensität für eine energiegeladene Senta. Eric Cutler<br />

mit packender Tenorleidenschaft. Die radikalste Ablehnung erfährt<br />

der Holländer bei Erik, Sentas Verlobtem. Nicht einmal sein strahlender<br />

Tenor hilft, Senta von ihrer Besessenheit abzubringen. Dimitry<br />

Ivashchenko überzeugt mit kernigem Bass als patzig jovialer Daland.<br />

Eigens für dieses Festival wurde das Orchestre du Wagner Geneva gegründet,<br />

bestehend aus den Studenten der Hochschule für Musik Genf<br />

(HEM-Genève), der Hochschule für Musik Lausanne (HEMU) und<br />

dem Nationalen Konservatorium für Musik und Tanz Paris (CNSMD-<br />

Paris) Die umfangreichen Chorpartien wurden vom Choeur du Grand<br />

Théâtre de Genève Einstudierung Ching-Lien Wu, musikalisch kraftvoll<br />

und zugleich höchst differenziert gestaltet. Szenisch bringen sie<br />

sich mit bemerkenswerter Beweglichkeit und ausdrucksvoller Präsenz<br />

in die Inszenierung ein.<br />

<strong>Der</strong> Ukrainer und hoffnungsvolle Nachwuchskünstler Kirill Karabits<br />

bot ein aufregendes Dirigat. Schon die allerersten Klänge schlagen mit<br />

voller Wucht ein und nehmen das Publikum mit auf
eine Reise, der<br />

man sich während der nächsten gut zweieinhalb Stunden nur schwer<br />

entziehen
kann. <br />

Marcello Paolino<br />

Milano: „AIDA” – Teatro alla Scala 5.11.<br />

Über den unsäglichen Kitsch dieser von Franco Zeffirelli als Regisseur<br />

und Bühnenbildner (Kostüme: Maurizio Millenotti) erarbeiten<br />

Produktion, deren Wiederaufnahme von Marco Gandini betreut<br />

wurde, wurde schon bei der Premiere von 2006 und der Wiederaufnahme<br />

von 2009 berichtet (s. „<strong>Merker</strong>“ 201 bzw. 232/233). Nichts<br />

hat sich geändert an den die Bühne bevölkernden Massen, wobei der<br />

fehlende Platz vor allem beim Auftritt der äthiopischen Gefangenen<br />

zu lächerlichen Ergebnissen führte (und dass ein paar „echte“ Farbige<br />

neben einem auf dunkel geschminkten Amonasro zu sehen waren, trug<br />

wenig zu größerer Ernsthaftigkeit bei).<br />

Das große Plus dieser Aufführung war die musikalische Leitung durch<br />

Gianandrea Noseda, der Verdis Musik die rechte Hitzigkeit verlieh und<br />

den Triumphakt mit souveränen Pinselstrichen zeichnete. Gleichzeitig<br />

erwies er sich auch als exzellenter Sachwalter der lyrischen Momente –<br />

das Orchester folgte ihm mit hörbarer Überzeugung. Auch der Chor<br />

unter seinem Leiter Bruno Casoni zeigte sich mit differenzierter Subtilität<br />

in Höchstform. (Da wäre allerdings die Maske gefordert, denn<br />

die wenig geschminkten Alltagsgesichter störten in all dem Prunk und<br />

Protz noch mehr als sonst).<br />

Bei den Solisten zeigte (die auch erschlankte) Hui He in der Titelrolle,<br />

dass sie sich nicht nur mit ihrer schönen Stimme und einer<br />

guten Technik begnügt, sondern weiter an sich gearbeitet hat und mit<br />

raffiniertem, berührendem Legato zu beeindrucken vermag. Endlich<br />

wieder eine in jeder Hinsicht überzeugende äthiopische Sklavin! Ihr<br />

Radamès Marco Berti erntete beim Schlussvorhang ein paar Buhs, die<br />

gerechtfertigt waren, denn nur zu brüllen, ist für diese Rolle ja keine<br />

Lösung. Auch den irregeführten ägyptischen Feldherrn kann man nuanciert<br />

singen! Enttäuschend Nadia Krasteva, der für die Amneris die<br />

profunde Tiefe fehlte; die Höhen waren zwar sicher, aber die ganze<br />

Leistung durch eine wenig überzeugende szenische Darbietung mit<br />

zu vielen stereotypen Gesten beeinträchtigt. Statt der angekündigten<br />

Ambrogio Maestri bzw. Želko Lučić sang Alberto Mastromarino mit<br />

den verschiedensten Stimmfarben einen hohlen Amonasro mit Dauerblick<br />

auf den Dirigenten. Imposant klang der König von Alexander<br />

Tsymbalyuk, zumindest solide der Ramphis von Marco Spotti.<br />

Sae Kyung Rim war eine klarstimmige Sacerdotessa, Jaeheui Kwon<br />

der sichere, aber nicht sehr idiomatische Bote.<br />

Mit Ausnahme des Jubels für Hui He und Noseda versandete der Beifall<br />

rasch.<br />

Am 18.11. gab Juan Diego Flórez einen hinreißenden Abend<br />

mit einem unusuell, aber raffiniert zusammengestellten Programm.<br />

Nach zwei Arien aus Händels „Semele“, die gar nicht so nach Aufwärmen<br />

klangen und schon die Koloraturen und Triller funkeln ließen,<br />

kamen drei Rossini-Stücke aus des Komponisten „Péchés de vieillesse“,<br />

wobei die Bolero-Version von „Mi lagnerò tacendo“ und das „Addio ai<br />

viennesi“ besonders doppelbödig klangen. Wunderbar elegisch mit feinstem<br />

Piano Bellinis „La Ricordanza“, gefolgt von „Popoli dell’Egitto“<br />

aus Meyerbeers „Il crociato in Egitto“. Diese dreiteilige Arie verlangt<br />

alles: heroische Attacke ebenso wie Verzierungen. Das glanzvoll dargebotene<br />

Stück beschloss den ersten Teil. Zweiten gab es zunächst drei<br />

Arien aus verschiedenen Zarzuelas, eine schöner als die andere, gefolgt<br />

von Raouls großer Arie aus Meyerbeers „Hugenotten“, eine wahre<br />

Lektion in Belcanto. Den Abschluss bildete „Come uno spirto angelico“<br />

aus Donizettis „Roberto Devereux“, wo der Tenor <strong>neue</strong>rlich nachwies,<br />

dass seine Stimme voller, lyrischer geworden ist, ohne die fulminanten<br />

Höhen verloren zu haben.<br />

Das vor Begeisterung rasende Publikum wurde mit sechs (!) Zugaben<br />

beschenkt: „Au mont d’Ida“ aus Offenbachs „Schöner Helena“, mit<br />

köstlichem Esprit vorgetragen; die italienische Version von „Ach so<br />

fromm“ aus Flotows „Martha“; Ennio Morricones berühmtes „Amapola“;<br />

„Je veux encore entendre“ aus Verdis „Jérusalem“; das Schlussrondo<br />

aus dem „Barbier“ und schließlich „La donna è mobile“. Ein Programm,<br />

das schon allein fast ein ganzes Konzert umfasst.<br />

<strong>Der</strong> bewährte Vincenzo Scalera am Klavier erwies sich auch diesmal<br />

als nicht nur verlässlicher, sondern auch stimulierender Begleiter.<br />

Ein absolut erinnerungswürdiger Abend voll künstlerischer Großzügigkeit.<br />

<br />

Eva Pleus<br />

DER NEUE MERKER 12/2013| 77

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